Ab wann ist ein Geschöpf oder Wesen ein Mensch?

vom 17.07.2012, 00:42 Uhr

Was muss ein Wesen haben, um sich Mensch nennen zu dürfen? Irgendwann beginnt das Menschsein vor der Geburt, nach der Zeugung. Dieses Wesen wird bei der Geburt zum Mensch, oder muss er sich das Menschsein erst erarbeiten? Aber warum wird es ein Mensch sein und nicht ein Tier? Er gehört einer Spezies an, die sich Gedanken machen kann. Er besitzt Selbstbewusstsein, Bewusstsein und Intelligenz. Seit sich diese Wesen mit Bewusstsein als Gattung sahen, wurden sie zu Menschen und erhoben sich über die Tiere, obwohl auch Tierarten Bewusstsein und Intelligenz besitzen.

Heftige Diskussionen entbrannten über Darwins Theorie, dass Mensch und Menschenaffen gemeinsame Vorfahren haben. Der Mensch ist genauso triebbezogen wie Tiere, aber er denkt und handelt und tötet zum Vergnügen. Das tun Tiere nicht. Menschen sind allen anderen Arten überlegen. Sie sind egoistisch, skrupellos und grausam.

Was macht dieses Wesen/Mensch aus? Ab wann geht das Menschendasein verloren? Wenn er das Bewusstsein verliert, ist er dann kein Mensch mehr? Ist er noch ein Mensch, wenn er sehr behindert ist und sich nicht artikulieren kann? Ist er noch ein Mensch, wenn er seine Glieder verliert und Hilfe braucht? Wird er noch als Mensch bezeichnet, wenn er geistig krank ist? Verliert er das Menschsein erst dann, wenn er eine Symbiose eingeht mit der Erde?

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



Tja, darüber gibt es viele Debatten, Unstimmigkeiten und somit auch ganz verschiedene Blickwinkel. Dabei ist diese Definition so wichtig, zum Beispiel um den rechtlichen Rahmen für die Abtreibung zu klären: Sobald aus dem Wesen ein Mensch wird, handelt es sich quasi um Tötung, was natürlich gegen die Menschenrechte verstößt. Aber wann wird ein Wesen zum Mensch und schließlich zur Person? Genau das ist der springende Punkt, über den man sich so uneinig ist.

Mir fällt da die fragwürdige Theorie vom Präferenzutilitarist Peter Singer ein, der die Begriffe Wesen und Person definierte. Wesen sind für ihn alle Individuen, die zu einer Gattung gehören, so wie wir alle zur Gattung homo sapiens gehören. Also wird ein Wesen zum Mensch, sobald es die biologischen Merkmale dieser Gattung aufweist. Trotzdem ist ein Mensch in Singers Augen nicht gleich eine Person.

Ein Wesen wird in seinen Augen erst zur Person, wenn es sich einer Zukunft bewusst ist, sprich wenn es den aktiven Wunsch hat, weiterzuleben aufgrund von Zukunftsplänen. Am besten geht das zu erklären am Beispiel eines Fisches: Ein Fisch, der am Haken hängt, hat natürlich auch den Wunsch, weiterzuleben, allerdings rührt das wahrscheinlich nicht daher, dass er Angst um seine Zukunftspläne hat, sondern daher, dass er Schmerzen empfindet, die er beenden will.

An dieser Theorie übte man viel Kritik, denn (du hast es ja selbst schon angesprochen) behinderte Menschen kommen bei Singer nicht sehr gut weg. Der entscheidende Punkt ist ja auch, dass Singer die Tötung einer Person als viel schlimmer ansieht, als die Tötung eines Wesens, da man bei der Person mehrere Präferenzen hinsichtlich der Zukunft vereitelt. Tötet man also einen geistig Behinderten, so würde Singer das als weniger schlimm ansehen, als wenn man einem anderen Menschen das Leben nehmen würde, weil man bei einem geistig Behinderten, der sich seiner Zukunft nicht bewusst ist, keine Zukunftspläne vereiteln würde. ABER woher weiß man das? Wer weiß denn, was im Kopf eines geistig Behinderten vorgeht? Das ist eine der größten Lücken in Singers Theorie.

» Schnuffline » Beiträge: 1019 » Talkpoints: 33,16 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ein Mensch ist ein Mensch, sobald und solange er lebt. Da gibt das Grundgesetz ganz klare Vorgaben: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Menschsein hängt nicht am Bewusstsein, am Grad der Behinderung, an seiner Schlechtigkeit. Wenn man abtreibt, tötet man einen Menschen. In bestimmten Fällen ist das erlaubt und ich würde es in bestimmten Umständen auch tun. Aber man tötet in diesem Moment einen Menschen, das sollte einem bewusst sein. Das haben die Grundrechte so an sich, dass sie manchmal gegeneinander aufgewogen werden müssen. Menschsein hängt nur an der Art. Der Mensch ist eine Art, so wie Hund, Löwe und Katze auch Arten sind.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich möchte einmal einen Abstecher in die religiöse Perspektive des Themas machen, denn schließlich leben wir in einem christlich geprägten Staat.

Es existiert natürlich nicht DIE eine christliche Argumentation, die der Abtreibungsdebatte eine eindeutige Antwort liefert. So plädiert der Theologe Johannes Fischer etwa, vom Embryo als „werdender Mensch“ zu sprechen. Er spricht sich für eine klare Trennung zwischen geborenen und ungeborenen Wesen aus: Beim Embryo handle es sich um ein biologisches „Etwas“, während es sich beim Menschen eindeutig um „Jemanden“ handelt.

Der Embryo verkörpere keine menschliche Person, also sei er ein „Etwas“. Fischer argumentiert weiter, dass es nicht in der christlichen Tradition begründbar sei, menschlichem Leben Würde und Heiligkeit zuzusprechen, unabhängig davon, ob es auch das Leben eines Menschen sei.

Vor allem macht Fischer eine Problematik deutlich: Wenn ein Schwangerschaftsabbruch im frühen Stadium durchgeführt wird, entwickelt sich die befruchtete Eizelle nicht zu einem Menschen. Es bleibt etwas „Anderes“, etwas, das den Embryos anderer Säugetiere fast vollkommen gleicht. Die Zuschreibung von Menschenwürde auf dieses „Etwas“ sei deshalb völlig deplatziert.

Auch der australische Moralphilosoph Peter Singer, ein Verfechter der aktiven Sterbehilfe, hat dem Abort nichts vorzuwerfen. Sein Personenbegriff definiert sich in Rationalität, Selbstbewusstsein, Bewusstsein, Lust- und Schmerzempfindung und Autonomie. Dass der Embryo nicht in dieses Schema passt, ist offensichtlich. Zwar können die meisten Kriterien auch noch nicht auf Neugeborene und Kleinkinder angewandt werden, doch sieht Singer die Geburt als „eine scharfe, deutliche und leicht verständliche“ Grenzlinie, die im Alltag besser verständlich sei, als eine abstrakte Linie, ab wann dem Menschen Personalität zugesprochen werden könnte.

Der Mainzer Rechtsphilosoph Norbert Hoerster befindet sich mit Singer im Konsens – er sieht im Embryo ein vorpersonales Wesen. Hoersters Personenbegriff formt sich vor allem aus dem Ich-Bewusstsein, dem Bewusstsein, sich selbst durch alle Zeiten als ein und dasselbe Wesen zu erkennen. Das Kontinuitätsargument wird von Hoerster anerkannt – doch der Beginn der Menschwerdung ist dabei nicht klar festgelegt. Den Startpunkt dieses Prozesses im embryonalen Stadium zu suchen, hält er jedoch für absurd, da „selbst beim Neugeborenen noch keinerlei Anzeichen von Personalität erkennbar“ seien. So hält er die vorgeburtliche Vernichtung für moralisch vertretbar – schließlich würde niemandes Überlebensinteresse verletzt. Den Zeitpunkt der Geburt als Grenze zur erlaubten Tötung wählt Hoerster aus pragmatischen Gründen: Dieser Zeitpunkt sei als Entwicklungssprung leicht kontrollierbar und liege außerdem zeitlich nah am Moment der Personwerdung.

Fernab von philosophischen Gedankengängen ist das Leben eines jeden Menschen bereits gesetzlich geschützt. Interessant hierbei ist: Die Europäische Kommission für Menschenrechte hielt 1992 fest, dass der Ausdruck „jeder Mensch“ den Fötus (und somit den Embryo) nicht mit einschließe. Im Jahr 2004 wurde dieser Beschluss aktualisiert, indem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ablehnte, dem Fötus den Status einer „Person“ zuzuschreiben. Das Recht auf Leben sei nur auf bereits geborene Menschen anwendbar.

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» koeniglich » Beiträge: 370 » Talkpoints: 0,50 » Auszeichnung für 100 Beiträge



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