Warum kann Religion zu Gewalt motivieren?

vom 28.09.2012, 10:05 Uhr

Eigentlich ist es in der Menschheitsgeschichte ein ziemlich alter Hut: Religion und der ''wahre'' Glaube vieler religiöser Machthaber wird von Kaisern, Königen, Päpsten... und heutzutage von Imamen, Hasspredigern und Diktatoren dazu missbraucht, Menschen auf die Straße zu bringen oder zu Gewalt zu motivieren. Ob es nun die Kreuzzüge unseres Mittelalters sind oder zuletzt die Angriffe auf Botschaften der Amerikaner in Libyen und anderswo.

Dass das ein sehr wirksames Mittel ist, scheint außer Frage. Trotzdem will mir nicht in den Kopf, warum ausgerechnet in Systemen, die um Nächstenliebe (wie bei uns abendländischen Christen) oder um Frieden (wie bei den Muslimen) aufgebaut sind, ein so großes Potenzial zur Gewalt für den wahren Glauben ist. Nicht selten sprengen sich ja Leute selbst zusammen mit Dutzenden Unschuldigen in die Luft, aus religiösem Fanatismus.

Wie kann das sein und warum gibt es sowas in anderen Religionen wie bei den Buddhisten oder Hindus nicht?

» BlindKanshi » Beiträge: 243 » Talkpoints: 2,11 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich denke, dass du da das richtige Wort angesprochen hast: "Fanatismus". Egal, welcher Bereich so sehr ausartet, dass er zum Fanatismus wird, birgt meiner Meinung nach auch Gewalt- bzw. Aggressionspotential. Als Fanatiker wird Alles darum herum zum ernsten Thema, andere Meinungen und Auslegungen als die Eigenen dürfen nicht bestehen, sind grundsätzlich falsch. Wenn man sein Leben so nach seinem Gedankengut ausrichtet, will man auch andere bekehren/belehren, notfalls eben auch mit Gewalt. Meiner Meinung nach hängt damit auch viel Frust zusammen. Viele Menschen, die zum Fanatismus neigen, sind bildungstechnisch etwas weniger gesegnet, da fällt es schwer, Dinge aus anderen Sichtweisen zu verstehen und auch einzusehen, dass es andere Mittel und Wege als Gewalt gibt, jemanden zu überzeugen. Oder eben in letzter Konsequenz einzusehen, dass man nicht alle Menschen um sich herum überzeugen muss. So vehemment seine Ansichten durchdrücken zu müssen, so sehr darum zu kämpfen und zu sehen, dass manch einer sich nicht überzeugen lässt, führt zu Frust. Vielleicht mag es auch einen Teil dazu beitragen, dass man bemerkt, dass die eigenen Argumente nicht hundertprozentig schlüssig ankommen, nicht überzeugen.

Im Hinduismus und Buddhismus geht es nicht darum, an einen bestimmten Gott zu glauben. Der Hinduismus ist eher eine zusammengefasste Glaubensrichtung, die viele verschiedene Götter hat und der Buddhismus geht auf Gautama Buddha zurück, der seine Lebensweisheit erlangte. Seine Lehren bestehen grob gesagt daraus, andere zu respektieren und sich in Genügsamkeit zu üben und nach eigener Weisheit zu streben. Jeder für sich individuell. Es gibt in beiden Religionen keine festgefahrenen Ansichten, keine Äußerungen, sich Ungläubligen gegenüber anders zu verhalten. Der Buddhismus zum Beispiel lehnt Gewalt offensichtlich ab. Im Christentum und im Islam ist eine der "Gebote", dass man Ungläublige bekehren soll, dass man sie anders behandeln, teilweise sogar töten solle, falls sie sich nicht bekehren lassen.

Ich denke, es kommt immer auf den einzelnen Menschen und seine Umgebung und Erziehung an, wie er mit seiner Religion und "Ungläubigen" umgeht. Manch Einen stört es nicht, manch Einer kann nicht damit leben, wenn ein Mensch in seiner Umgebung nicht den gleichen Glauben hat wie er selber. Da gibt es Menschen, die lediglich verbal versuchen, andere zu überzeugen, andere Menschen nutzen dazu auch körperliche Gewalt.

» TheDutchess » Beiträge: 537 » Talkpoints: 0,67 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Vielleicht sollte zu Beginn mit dem (unklugen) Mythos aufgeräumt werden, der Hinduismus oder gar der Buddhismus wäre "friedfertig" und gewaltlos. Immer, wenn die Religion institutionalisiert wird, entsteht Macht und diese zieht definitiv IMMER Gewalt nach sich. Es geht dann schließlich um den Machterhalt und damit wird die Gewalt als Mittel zur Selbstverteidigung definiert. Und wenn es sich um "präventive" Maßnahmen handelt. Nur weil im Moment Gandhi als der Hindu schlechthin gilt und der seinen gewaltlosen Widerstand gepredigt hat, bedeutet das doch nicht, dass z.B. der Konflikt zwischen den Hindu-Nationalisten und den Muslimen im Norden Indiens gewaltfrei ausgetragen wird. Es gibt sogar im Hinduismus eine eigene Kriegerkaste (wobei die Existenz von undurchlässigen Kasten selbst schon als Gewaltanwendung gesehen werden kann!). Wenn man sich die hinduistischen Schriften von Rig-Veda durschaut, dann gibt es da durchaus klare Anweisungen, wann Waffen zu nutzen sind.

Ebenso ist die Geschichte des tibetischen Buddhismus von Beginn an durch Kriege massiv geprägt. Wie auch im Westen bestimmten Folterungen, Morde, (soziale) Unterdrückung, Sklaverei, Hass und natürlich Machtgier den Lauf der Dinge! Tibets Imperium gründete sich zu seinen Hochzeiten auf die erfolgreichen Eroberungskriege. Diese "Erobererkönige" der Buddhisten haben allein durch einen gnadenlosen Militarismus Furcht und Schrecken verbreitet (in ganz Innerasien). Und auch die Nachfolgefrage des "Dalai Lamas" wurde sehr oft "altmodisch" geklärt - durch die Ermordung des aktuellen wurde der neue "Dalai Lama" auf seine Position gehoben. Die wahre Geschichte des Buddhismus ist damit einfach nicht weniger blutig und gewaltbelastet, als die Geschichte anderer Religionen. Dies nur um klarzustellen, dass wir hier die Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam nicht als schlechter/besser sehen müssen - ebenso wie es die Esoterikbewegung gerne macht.

Religion selbst muss letztlich in Gewalt münden, wenn man sie ernst nimmt. Es kann kein Gott neben dem eigenen Gott bestehen. Wie kann ein Christ einen Moslem seinen Glauben lassen - und umgekehrt. Es ist in jedem Fall ein Angriff, denn mit der Existenz des jeweils anderen wird Gegenseitig die Falschheit "des andern" unterstrichten. Weltoffen kann man sich zeigen, indem man sich "tolerant" gibt und so tut, als dürfte jeder glauben, was er will. Das geht aber nur von einer neutralen Position aus (von einer Position, aus der allen Religionen "Sinnlosigkeit" unterstellt wird - denn für was Sinnloses soll man nicht kämpfen). Ist man im Glauben fest verankert, ist man schon im Fatalismus. Denn jede Religion hat was Absolutes und es gibt keinen Platz, für "ungläubige". Allein das Gebot der Nächstenliebe kann so interpretiert werden, dass es einen Missionierungszwang gibt! Jedenfalls dann, wenn ich z.B. als Katholik nicht will, dass mein moslemischer Nachbar vor Gott in Ungnade fällt. Schließlich will ich ihm dann auf den rechten Weg helfen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



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