Wie sieht die aktuelle Situation der EWU aus?
Ich interessiere mich seit kurzem sehr für die Europäische Währungsunion. Es war ja ein wirklich schwerer Weg bis zur jetzigen Währungsunion. In Wikipedia und diversen anderen Wissensseiten kann man sich ja wirklich sehr, sehr gut informieren aber was mich sehr wundert ist die Tatsache, dass ich im Internet kaum bis gar keine Informationen zu aktuellen Situation der EWU gefunden habe. Das meiste was ich gefunden habe, erzählten nur über die frühere Entwicklung der EWU.
Was wisst ihr also über die aktuelle Situation der EWU?
Ich behaupte mal, ich weiß eine ganze Menge darüber. Ich war mal gezwungen, die EU-Verträge (EUV, AEUV) und diverse Protokolle und Verordnungen durch zu ackern und zu verstehen. Das ist auch im Grunde - zumindest oberflächlich - gar nicht schwer zu verstehen, leider aber ziemlich verwirrend aufgebaut. Wenn du mal den Beck-Text Europa-Recht in die Finger kriegst, dann kopiere dir mal die Einführung. Das sind so ca. 16 dicht gedruckte Seiten, aber da steht im Grunde die ganze Geschichte der Entwicklung der europäischen Integration seit dem Ende des zweiten Weltkrieges in kompakter Form.
Leider hat es gröbste handwerkliche Fehler während der Gründung gegeben. Diese Fehler waren bekannt und betreffen u. a. die Tatsache, dass man Länder unterschiedlichster Leistungskraft in einen Währungsraum gepackt hat. In der Ökonomie gab es im Prinzip 2 Denkrichtungen. Die neoklassische bzw. neoliberale Denke ging davon aus, dass sich die Länder im Wettbewerb einander angleichen werden, die anderen haben gesagt, dass das nicht gut gehen kann, weil die starken Länder zu stark seien und den schwächeren Ländern dann die Möglichkeit zur Währungsabwertung fehlt, was zu enormen Verwerfungen im Euroraum führen wird. Und das funktioniert schon mal alles gar nicht, wenn Deutschland sich dann noch zum Billigheimer macht und gegen die Währungspartner konkurriert. Und? Wer hat Recht behalten?
Es hat nun keine 10 Jahre gedauert, bis dieser grundlegende Strickfehler zu Tage getreten ist, natürlich beschleunigt durch die Finanz- und Bankenkrise, allerdings ohne dass der neoliberale Mainstream in Politik und Ökonomie die wahren Ursachen erkennen will und den unsäglichen Popanz fauler Südländer und "über die Verhältnisse wirtschaftender Staaten" als Ablenkungsmanöver aufgebaut hat. Im Ausland sieht man das allerdings (zurecht) ganz anders. Und wir Deutsche denken nun, wir sollen den Zahlmeister spielen, weil die anderen faul sind - als ob wir eine Wahl hätten, denn schließlich geht der Großteil unserer Exporte in all diese Länder. Wir wollen nun uns selbst und allen anderen, wider jede ökonomische Vernunft, rigoroses Sparen verordnen und was man bisher damit erreicht hat, ist das Gegenteil. Für die einen logisch und erklärbar, für den Mainstream heißt das nur, dass man eben noch nicht genug spart. Den Unterschied zwischen dem Sparen eines Staates und dem Sparen einer schwäbischen Hausfrau können viele wohl leider nicht verstehen. Die Menschen verstehen doch nicht mal, wo Geld überhaupt herkommt und dass unser System ohne Schuldenmachen gar nicht funktionieren kann, sie verstehen auch nicht, dass Schuldenabbau gleichzeitig Vermögensabbau bedeutet. Frag 10 Leute, ob es gut wäre, wenn Staat, Unternehmen, Private und Ausland ihre Schulden abbauen würden? Du würdest 10 unvoreingenommene "Ja" zur Antwort erhalten, obwohl das den Zusammenbruch des Systems zur Folge hätte.
Wir stehen heute wirklich vor einer existenziellen Frage. Es könnte in der Tat sein, dass das dogmatische Verhalten von Mutti & Konsorten dazu führt, dass Europa zerbrechen wird und man die Großmacht Deutschland, die dann aber auch erst durch ein Tal der Tränen wird gehen müssen, in Europa wieder hassen wird. Ob es wieder Blut auf den Straßen geben wird, das wird man sehen. Wir hatten das in den letzten 4 Jahren schon wieder in Europa und es wird mehr werden. Unser Leben, wie es war, könnte sich jedenfalls grundlegend ändern, denn selbst die Demokratie war in Europa selten so in Gefahr. Deutschland hat so einen Schwachsinn schon zwei mal gemacht im letzten Jahrhundert. Ich muss sagen, ich mache mir da echt Sorgen und der Gedanke Deutschland oder sogar Europa den Rücken zu kehren, macht sich wirklich immer wieder mal breit in mir.
In Gesprächen stelle ich immer wieder fest, wie maßlos schlecht doch das Wissen und die Wahrnehmung der Leute über Europa, die Ökonomie und die Entwicklung des Neoliberalismus doch ist. Auch das Interesse ist gering, deswegen liest das hier auch kaum einer und deswegen gibt es für Beiträge in diesem Bereich auch weniger Punkte - symptomatisch. Aber man muss auch sagen, das ist u. a. Folge der "Dauerbeschallung", die wir seit Jahren aus dieser Richtung genießen dürfen. Die Leute ahnen noch nicht, was uns da noch bevorstehen könnte.
Insofern ist es löblich, dass du anfängst, dich damit zu befassen, aber es ist spät, sehr spät.
Mein Vorredner hat schon einiges zur aktuellen Lage geschrieben, dennoch möchte ich noch etwas hinzufügen. Der Plan, oder besser gesagt: Der Wunsch war es, dass die an der Währungsunion teilnehmenden Nationen im Laufe der Zeit ökonomisch zusammen wachsen. Nebenher sollte sich ein politischer Überbau entwickeln, an dessen Ende ein zumindest staatsähnliches Gebilde entstehen sollte.
Genau das ist in den letzten Jahren nicht eingetreten. Zwar wurden Fonds eingerichtet, um Finanzmittel für angeschlagene Mitgliedsstaaten zu garantieren, dennoch lief parallel eine bemerkenswerte Entwicklung, nämlich die Fragmentierung im europäischen Bankensektor. Gerade die Rekapitaliserung der nationalen Geldhäuser spielt in dem Zusammenhang eine wichtige Rolle, da die Länder vermehrt (Haupt-)Gläubiger von Finanzinstituten werden und somit neben der Rekapitalisierung zu einer Renationalisierung im Finanzbereich kommt.
Im Grunde genommen ist es ein Teufelskreis: Bank A aus dem Land X zieht Kapital von Banken aus dem Land Y ab. Da die Bank B in diesem Land besonders stark betroffen ist, muss Land Y sie stützen, sprich: Geld in sie pumpen. Wegen derartigen Unsicherheiten trocknen weitere Kapitalflüsse aus, sodass noch mehr Geld das Land Y verlässt und seine Banken wieder in kritische Situationen geraten, weshalb sie wieder gestützt werden müssen (?) etc. Wegen solchen Begebenheiten wurde auch die Bankenunion geplant. Ob sie wirklich etwas (im Sinne der breiten Bevölkerung) bringt, bezweifle ich.
FG92 hat geschrieben:[...] Wegen solchen Begebenheiten wurde auch die Bankenunion geplant. Ob sie wirklich etwas (im Sinne der breiten Bevölkerung) bringt, bezweifle ich.
Egal welche Maßnahmen bisher gegen die Bankenfinanzschuldenkrise ergriffen wurden, eines ist mal klar: Niemand von den Beteiligten hat eine Erhöhung des Wohlstandes der breiten Bevölkerung im Sinn. Das Gegenteil ist der Fall: Die Folgen des großen Haufens an Mist, den die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zusammengetragen haben, darf die Allgemeinheit auf sich nehmen. Konsequent wurden in den letzten 4 Jahren die Risiken auf die Schultern der breiten Bevölkerung abgewälzt. Dabei hat man es auf perfide Weise geschafft, den Misthaufen, den man durch die Rettung der Banken den Staaten in die Tresore gepackt hat. zu einer Staatsschuldenkrise zu stilisieren. Damit erreicht man dann gleich noch die Befriedigung der feuchten Träume neoliberaler Dumpfbacken. Weg mit dem Staat, weg mit dem Sozialstaat, weg mit den Steuern und der Demokratie treten wir auch gleich noch in den Allerwertesten.
Bis der Deutsche Michel mal merkt, wie ihm die Hosen ausgezogen werden, werden noch Jahre vergehen. Bis er sich dagegen wehrt, wird es noch länger dauern. In der Zwischenzeit wird er weichgekocht mit Geschichten vom ausufernden Sozialstaat, von der bösen Demographie, vom Fachkräftemangel und ihm wird auch gleich ein Feindbild vom bösen Südeuropa präsentiert, das in seiner Faulheit ohnehin an allem Schuld ist und vom deutschen Fels in der Brandung. Die Typen haben es so richtig verschissen und man könnte den ganzen Tag nur noch kotzen, wenn es nicht so zum Heulen wäre, denn Rettung ist nicht in Sicht.
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