Wie sensationslüstern darf man sein?

vom 07.08.2012, 09:42 Uhr

Neulich ist in der Straße meiner Freundin ein Reiheneckhaus bis auf die Grundmauern abgebrannt. Ich hatte das im Polizeibericht gelesen. Seit ich nur noch selten Zeitung lese und die Verbrechen und Unfälle, die hier passieren, nicht mehr mitbekomme, lese ich fast täglich den Polizeibericht. Andere schauen im Fernsehen Aktenzeichen XY, ich bleibe im kleineren Radius und lese, was hier so passiert. Manchmal sind auch Fahndungsfotos dabei und es könnte ja sein, dass ich jemanden kenne. Außerdem ist es interessant, ob in meiner Wohngegend gerade Wohnungseinbrüche begangen werden, was auch schon vorgekommen ist. Dann bin ich eine Zeit lang besonders aufmerksam und vorsichtig.

Ich hatte also im Polizeibericht gelesen, dass dieses Haus abgebrannt ist, und habe meine Freundin sofort angerufen. Es war tatsächlich nur eine Hausreihe weiter in ihrer direkten Nähe. Sie beschrieb mir den Brand ziemlich genau und mich überkam ein sensationslüsternes Schauern. Das Nachbarhaus war auch ziemlich betroffen, selbst das dritte Haus in der Reihe war durch das Löschwasser schwer beschädigt.

Ich konnte meine Neugierde nicht mehr zähmen und fuhr mit dem Fahrrad zu der Stelle des Unglücks hin. Meine Freundin schimpfte über die Schaulust der Menschen. Wildfremde Leute trampelten abends ohne zu fragen durch ihren Garten, um einen Blick auf das abgebrannte Haus zu ergattern. Andere Zugänge waren gesperrt.. Manche Leute kamen aus 50 km Entfernung, um die Auswirkungen des Brandes zu sehen. Einige wollten auch ganz genau wissen, wer in dem Haus gewohnt hat, ob die Leute Verwandte haben, die sie aufnehmen, wie alt die Leute waren, welchen Beruf sie hatten und so weiter.

Ich gab zu, dass ich auch sensationslüstern bin, ich aber nie Rettungsarbeiten verhindern würde oder gar in fremde Grundstücke eindringen würde, um einen Blick auf eine Katastrophe zu erhaschen. Meine Freundin bestreitete jede solche Gefühlsregung bei ihr, sie würde nie irgendwohin gehen, wo ein Haus abgebrannt ist. Aber ist das nicht ein instinktiver Drang, dass man wissen möchte, was in der Gegend passiert, damit man beispielsweise durch das Bild eines abgebranntes Hauses und den unangenehmen Geruch gewarnt ist und selber besser aufpasst, dass man alle elektrischen Geräte ausmacht? Braucht man nicht solche realen Bilder als Abschreckung?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die überhaupt nicht sensationslüstern sind. Man darf sich dem natürlich nicht unkritisch hingeben, sondern immer dem Gefühl seinen Verstand überordnen. Ich behaupte aber, dass es ein instinktives Gefühl ist, was genetisch fest verankert ist. Zu allen Zeiten gingen die Leute schon zu öffentlichen Hinrichtungen, Freak-Shows und Gladiatoren-Wettkämpfen. Wie sensationslüstern seid ihr? Wo sind eure Grenzen? Oder lassen euch solche Dinge, wenn sie in unmittelbarer Umgebung passieren völlig kalt?

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Gio am 10.08.2012, 17:17, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Ich kann verstehen was du schreibst. Auch ich habe schon aus dem Fenster gesehen, als ein Unfall vor unserer Haustür stattfand oder sich die Nachbarn auf der Straße um einen Parkplatz geprügelt haben. Und mal ganz ehrlich: Wer würde das nicht tun? Was ich allerdings sehr bedenklich finde, ist, wenn Rettungsarbeiten durch Schaulustige erschwert werden und/oder wenn Schaulustige fremdes Eigentum missachten bzw. beschädigen, nur "um mal gucken" zu können.

Letzte Woche habe ich allerdings eine sehr unschöne Situation erlebt. Ein Mann lag bewusstlos auf dem Fußweg und eine Gruppe von Menschen stand darum. Als ich dazu kam und fragte, ob bereits jemand den Krankenwagen gerufen hatte, antwortete niemand. Also hab ich einen gerufen. So ein Verhalten der Leute finde ich dann sehr traurig.

» Pommeline » Beiträge: 189 » Talkpoints: 9,09 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ich bin auch jemand, der bei solchen Sachen gerne mal guckt und ich gucke dann was passiert ist. Allerdings weiß ich auch, dass es gewisse Grenzen gibt und diese Grenzen möchte ich nicht überschreiten, da es unhöflich ist und in den meisten Fällen auch nicht gerade hilft.

Wenn ein Autounfall oder so passiert ist, dann bin ich nicht so einer, der hingeht und hoffe, dass ich etwas genaues sehe. Ich gucke dann beim vorbeigehen kurz hin und versuche zu gucken, dass ich etwas mehr erkenne, als von weiten. Aber wenn ich dann wie die anderen Neugierigen hingehe und nur nerve, dann bin ich keine große Hilfe. Deswegen halte ich mich immer raus.

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» petertreter » Beiträge: 1437 » Talkpoints: -2,03 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ich denke "Sensationsgeilheit" ist in der Tat bis zu einem gewissen Grad im Menschen tief verankert. Man kann sie unterdrücken, aber nicht vollständig überwinden. Angeblich dient sie dazu, im Falle eines Falles möglichst schnell helfen zu können. Eine andere Theorie besagt, dass man sich durch den Vergleich mit dem benachteiligten Unfallopfer selbst positiver einzuschätzen beginnt, nach dem Motto "Ha! Dem geht's ja viel schlechter als mir, was bin ich eigentlich für ein Glückspilz!".

Was mir einmal passiert ist: In unserer Gegend war eine U-Bahn entgleist und ich fuhr zufällig an der Unfallstelle vorbei, mit dem Ziel möglichst schnell zu hause zu sein. Ich sah all die Leute, die sich dort versammelt hatten, und dachte erst "Die haben doch nichts besseres zu tun!". Doch als ich das Ausmaß des Unfalls selbst gesehen hatte, konnte ich nicht anders als mein Handy zu zücken und Fotos zu machen. Und tatsächlich war mein erster Gedanke ob dort Menschen zu Schaden gekommen waren (es hatte "nur" den Fahrer erwischt"). Das deckt sich dann durchaus mit der obigen, erstgenannten Theorie.

» MasterOers » Beiträge: 348 » Talkpoints: 1,16 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich kann das nicht verstehen. Ich würde niemals irgendwohin fahren nur um zu gucken. Eher um zu helfen, aber nicht, um nachzusehen, was wirklich passiert ist. Und wenn man helfen will, dann muss man sowieso gerade mehr oder weniger vor Ort sein und fährt nicht erst dahin. Und ob man Rettungsarbeiten nun behindert oder nicht, kann man selbst kaum einschätzen. Es stört schon, wenn 10 Personen einfach nur dastehen und gucken - und keiner ist der Meinung, dass er im Weg steht.

Ja, ich höre auch Nachrichten um zu hören oder lesen, was so in der Welt geschehen ist und vor allem natürlich in meiner Stadt. Aber selbst wenn es hier zwei Ecken weiter brennen würde, würde ich sicherlich nicht unter dem Aspekt der Schaulustigkeit hinfahren. Ich meine, hier kommen Personen oder deren Eigentum zu schaden und an deren Leid will ich mich sicherlich nicht ergötzen. Und genau das tut man aber, wenn man irgendwohin fährt nur um zu gucken.

Ich gehe da immer ein bisschen von mir aus und wie ich mich fühlen würde, wenn da gerade mein Haus abbrennen würde. Ich wäre unglaublich traurig und auch sauer, wenn da lauter gaffende Personen stehen würden, während da gerade meine gesamte Vergangenheit und im Prinzip die Zukunft abbrennt. Nein Danke!

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» winny2311 » Beiträge: 15159 » Talkpoints: 4,91 » Auszeichnung für 15000 Beiträge


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