Was haltet ihr von Inklusion?
Seit einiger Zeit ist die Inklusion ja auch in NRW aktuell. Ich glaube, seit 2005 sollen "behinderte" Schülerinnen und Schüler auf Elternwunsch in Regelschulen integriert werden. Im Seminar heute in der Uni haben wir über dieses Thema gesprochen und mich interessiert es brennend wie ihr zu diesem Thema steht.
Klar, als angehende Lehrerin sehe ich das Ganze vor allem aus Lehrersicht und habe so meine Bedenken, ob das unter den Gegebenheiten funktioniert. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass die beste Hilfe für "behinderte" Kinder die Normalität in einer Regelschulklasse ist. Unter "behinderte" Kinder, deswegen steht es in " ", zählen alle Förderschulkinder. Es gibt dort verschiedene Förderschwerpunkte: geistige Entwicklung, motorische und körperliche Entwicklung, Lernen, Hören, Sehen etc. Also nicht nur das Kind, das im Rollstuhl sitzt.
Natürlich ist jedes Kind auf individuelle Art und Weise zu integrieren. Allgemein sind die Klassen aber sowieso überfüllt und ich weiß nicht, ob es da überhaupt noch möglich ist, einzelne Schülerinnen und Schüler gezielter zur Fördern. Auch wenn ein Sonderschulpädagogen mit in das Boot geholt werden, so sind sie max. 12 Stunden pro Woche mit im Unterricht und können gezielt helfen. Diese 12 Stunden sind sie nur dann da, wenn 5 Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in einer Klasse sind.
Ich denke, dass es total schwierig ist, unter diesen Umständen (überfüllte Klassen, wenig Ressourcen etc.) Kinder mit Förderbedarf wirklich zu integrieren. Wie seht ihr das? Habt ihr vielleicht sogar Erfahrungen?
Unsere Diskussion im Seminar ging heute in die Richtung, dass sich politisch etwas ändern muss. Viele Lehrer wollen diese Kinder aufnehmen, sehen sich unter den gegebenen Punkten aber nicht dazu in der Lage. Zumal ein Lehrer in Vollzeit 26 Stunden unterrichten muss/soll. Da ist es dann schwierig noch gezielt weiteres Material zur Verfügung zu stellen etc.
Ich sehe mich nicht in der Lage, einen Überblick oder eine allgemeine Meinung zum Thema „Inklusion“ abzugeben, weil es wahnsinnig vielfältig ist und somit nicht mit einem kurzen Statement beurteilt werden kann, allerdings habe ich als blinde Abiturientin, die zumindest ihre Gymnasialzeit an einer Regelschule verbrachte, dann doch gewisse Erfahrungen, die ich kurz umreißen möchte. Ich sage es mal vorsichtig: rein technisch funktioniert es bei mir, das liegt aber auch nur an der fortgeschrittenen Computertechnik, die es mir ermöglicht, mit einem Laptop mit Sprachausgabe und Braillezeile zu arbeiten. Das hat wahnsinnige Vorteile für uns alle: Immerhin kann ich damit relativ leise mitschreiben, meine Mitschriften, Hausaufgaben und Klausuren können von Mitschülern und Lehrern gelesen werden, ohne das Kenntnisse der Blindenschrift von Nöten wären, und Bücher müssen nicht erst kompliziert in Punktschrift aufbereitet werden, sondern ich kann mit einer Datei versorgt werden, die in der Regel an die Quelldatei angelehnt ist und in ihrer Umsetzung somit oft weniger Arbeit bedarf, wobei ich auch sagen muss, dass ich ohne die zuständige Stelle wohl ohne Bücher wäre.
Meine Lehrer haben auch keine besonders großen Schwierigkeiten, mich zu unterrichten, das Einzige, worauf sie achten müssen, ist, ihre jeweiligen Unterlagen auch in digitaler Form zur Verfügung zu stellen, was aber kein Problem sein dürfte, immerhin schreibt heute kaum mehr ein Lehrer seine Unterlagen per Hand und kopiert sie anschließend. Es müssen kleine Absprachen getroffen werden, zum Beispiel, dass erklärt wird, was an der Tafel steht, das ist aber bisher kein wirkliches Problem gewesen. In Fächern wie Mathematik gibt es gelegentlich Schwierigkeiten, zumal auch in diesem recht bildhaften Fach kein Lehrer mit sonderpädagogischer Ausbildung zur Verfügung steht, aber mit ein bisschen Einfühlungsvermögen und Flexibilität des Lehrers geht das immer, dann werden halt mal die Figuren mit dem Finger auf den Rücken gezeichnet.
Problematisch sehe ich eher die mangelhafte Ausstattung mit Sonderschulpädagogen des mobilen Dienstes. Wir sind derzeit sechs blinde Schüler in diesem Gymnasium, und uns allen steht nur eine einzige Sonderschullehrerin zur Verfügung, die einen einzigen Vormittag wöchentlich im Haus ist, an dem sie nicht nur Beratungen durchführen, sondern auch noch Bücher übertragen soll. Bei mir mochte das funktionieren, weil ich schon recht fit aus dem Blinden- und Sehbehindertenzentrum kam und sowieso lieber selbst mit meinen Fachlehrern sprach, als mir Hilfe vom mobilen Dienst zu holen, aber gerade unsere Jüngeren verzweifeln oft regelrecht, weil sie noch Schwierigkeiten mit der Blindenschrift oder der Bedienung des Computers haben. Oft fehlt ihnen auch das Durchsetzungsvermögen oder die Ausdrucksfähigkeit, alleine mit ihren Fachlehrern zu sprechen und zu klären, was besser laufen könnte. Da wäre mehr Unterstützung wirklich angebracht und ich will gar nicht darüber nachdenken, wie all das bei mir gelaufen wäre, wäre ich von Anfang an in einer Regelschule gewesen und nicht durch die Blindenschule mit dem notwendigen Rüstzeug ausgestattet worden.
Ein großes Problem sehe ich auch in der sozialen Komponente, und auch hier sehe ich an sich die Sonderschulpädagogen wiederum in der Pflicht. Ich kann nicht ein blindes Kind zu lauter anderen Kindern setzen und hoffen, dass alles gut geht und dieses Kind trotz der Behinderung akzeptiert wird und Freunde findet, sondern es muss aktiv Aufklärung geleistet und Verständnis für alle Seiten entfacht werden. Dazu genügt es nicht, wenn man in Biologie mal kurz sämtliche Augenkrankheiten anreißt und in Deutsch die Blindenschrift und den Computer erklärt, man sollte auch das sozialverhalten einbeziehen, um wirklich Zusammenhalt in der Klasse zu erreichen. Bei den sehenden Mitschülern muss Verständnis dafür geweckt werden, dass blinde Kinder anders spielen, oft andere Interessen haben, nicht immer Hilfe annehmen wollen und nicht arrogant sind, wenn sie aus Unsicherheit niemanden ansprechen. Ebenso muss bei den blinden Kindern ein verstehen der Anderen geweckt werden, es muss klar gemacht werden, dass die Spielbedürfnisse eben oft anders sind oder dass es sich nicht um Bösartigkeit handelt, wenn man mitten auf dem Hof geparkt und vergessen wird. Bei mir wurde das komplett versäumt, das mündete letztlich in einer Mobbing-Attacke und einem Klassenwechsel.
Versteht mich nicht falsch, ich denke grundsätzlich, dass mir meine Zeit in der Regelschule wahnsinnig viel gebracht hat, und sei es nur, dass ich gelernt habe, mit meiner Behinderung anzuecken, nicht nur Freunde zu haben und auf eine Welt zu stoßen, die mich nicht in Watte packt und nicht immer behindertengerecht ist. Trotzdem denke ich, dass das System noch deutlich besser ausgebaut werden muss, deutlich mehr Stunden von Sonderpädagogen gehören für mich da ebenso zur Grundvoraussetzung wie viel mehr Zeit für das soziale Erleben und Miteinander.
Wow, vielen Dank für deinen Beitrag, der mir auch mal die andere Seite zeigt. Mir war ja schon klar, dass die Theorie ganz nett aussieht, aber die praktische Seite sieht man nicht. Zumindest nicht authentisch. Klar, es gibt Dokumentationen zu dem Thema, aber dort werden meist die guten Dinge hervor gehoben und die schlechten mehr oder weniger unter den Tisch fallen gelassen.
Ich kann mir die Probleme wirklich bildhaft vorstellen. Gerade das von dir angesprochene Problem in Mathematik kann ich als Mathestudentin nachvollziehen. Zumindest annähernd. Wenn ich mir den Schulstoff so durch den Kopf gehen lasse. Ich denke auch, dass noch vieles verbessert werden muss und sehe auch, dass vor allem die Sonderschulpädagogen öfter zum Einsatz kommen müssten.
Idealerweise müssten immer zwei Lehrkräfte, also ein Regelschullehrer und ein Sonderschullehrer, anwesend sein. Dann wäre es wirklich optimal. Wenn man dann merkt, dass es Fächer gibt, in denen ein Einsatz nicht nötig ist, kann man das Pensum immer noch zurückschrauben. Etwas nachliefern ist viel schwieriger. Leider sind wir davon aber sehr weit entfernt und ich bezweifel, dass es jemals passieren wird.
Nun ja, gerade was jetzt Fächer mit erhöhtem Förderbedarf, wie zum Beispiel Mathematik, Physik oder Biologie anbelangt, wird bei uns schon versucht, die blinden Schüler gesondert zu fördern und ihnen abseits der regulären Stunden Raum für Fragen und individuelle Förderung einzuräumen, wozu in besagten Fächern für alle blinden Schüler eine Förderstunde eingerichtet wurde, in der dann eben ganz individuell auf alle Probleme eingegangen werden kann, sodass ein Sonderschulpädagoge nicht immer von Nöten ist. Trotzdem müssten sich aber zumindest besagte Fachlehrer speziell ausbilden lassen und einen Mentoren mit Sonderschulerfahrung im Rücken haben. Wenn ein Physiklehrer nicht weiß, wie er einem Geburtsblinden Lichteinstrahlung erklären soll und ein Mathematiklehrer überfordert ist, wie Zeichnungen taktil gemacht werden können oder wie ein Blinder eine Vorstellung für Raumgeometrie entwickeln soll, dann bedarf es Hilfe, und zwar nicht nur in technischen Belangen, sondern auch mit wirklichen Tipps zum Unterrichten, und daran mangelt es derzeit noch, sodass viele Lehrer ins kalte Wasser geworfen wurden, was nicht immer zu Gunsten der Schüler ging, auch wenn ich da Glück hatte.
Die Forderung, dass in jeder Klasse ein zusätzlicher Sonderschulpädagoge anwesend sein soll, und das am besten für den ganzen Unterrichtsbetrieb, halte ich für übertrieben, zumindest auf dem Gymnasium, wo beispielsweise ein blinder Schüler zumindest schon Lesen und Schreiben sowie den rudimentären Umgang mit dem Computer gelernt hat, da genügen ein paar Wochenstunden, aber eben für jeden Schüler, für die Förderung des sozialen Gefüges und für Einzelgespräche mit den Fachlehrern. Gerade, wenn diese intensive Inklusion fortgesetzt wird, dann wird es nicht nur blinde Schüler in einer Klasse geben, sondern dann setzt sich eine Klasse aus vielen verschiedenen Charakteren zusammen und Kinder mit geistigen Behinderungen, Sprachstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schwerhörigkeit und anderen Behinderungen kommen hinzu. Dann gibt es nicht mehr den ultimativen Sonderschulpädagogen, der anrückt und alle Probleme lösen kann, denn jeder Sonderschullehrer hat sich nun einmal auf ein spezielles Gebiet festgelegt, sei es nun der Förderschwerpunkt „Lernen“, die Blindenpädagogik oder etwas Anderes. Ein Kommen und Gehen der Sonderschulpädagogen halte ich somit für absolut vertretbar und notwendig, trotzdem ist es notwendig, dass eben immer ein Ansprechpartner zur Verfügung steht.
Es wird aber auch immer mehr zu einem gesellschaftlichen Problem, sodass Eltern, die ihr blindes Kind auf eine Förderschule schicken, immer stärker mit Vorwürfen konfrontiert werden. Gleichzeitig, und da kann ich nur für das Blindenwesen sprechen, nimmt die Beschulung an Regelschulen am Heimatort immer weiter zu und die Förderzentren kämpfen teils um ihr Überleben. Und woher kommen die uns zugewiesenen Sonderschulpädagogen? Klar, von eben jenen Förderzentren, und da ist es nicht verwunderlich, dass sie an den Regelschulen oft mehr für den Übertritt in die Förderschule werben, anstatt tatsächlich versuchen, die existenten Probleme zu lösen, daraus kann man ihnen ja auch kaum einen Vorwurf machen. Trotzdem wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung meiner Meinung nach die Losgelöstheit der Sonderschulpädagogen vom Förderzentrum. Klar, die für die Inklusion zuständigen Pädagogen sollten natürlich Zugriff auf die Förderzentren haben und sich dort Tipps holen können, aber sie sollen nicht mehr von diesem Institut beschäftigt werden, um mehr Unabhängigkeit bewahren zu können und dann auch tatsächlich im Sinne des jeweiligen Kindes zu handeln.
Trotz allem finde ich es nicht gut, wie teils auf die förderschulen gehetzt wird. Es gibt blinde Kinder, für die ist die Beschulung in einer Förderschule aus verschiedenen Gründen anzuraten, seien es Schwierigkeiten im Umgang mit der Behinderung, beim Knüpfen von sozialkontakten oder ein besonderer Förderbedarf in den Bereichen der Motorik oder Selbstständigkeit. Ich muss sagen, dass es mir gut getan hat, an der Blindenschule ohne irgendwelchen Druck Lesen und Schreiben sowie den Umgang mit dem Computer zu lernen, ebenso wie es mir geholfen hat, dort Freunde mit derselben Behinderung zu finden, von denen ich mich verstanden fühlte. Ich denke, dass ich nur so mit gestärktem Rücken auf das Regelgymnasium wechseln konnte. Ich denke, dass man den Eltern weiterhin die Wahl lassen sollte, das sehe ich momentan schon ein bisschen als gefährdet. Weiterhin ist eben ein tatsächliches Umdenken in der Personalstruktur nötig, erst dann wäre ich wohl ansatzweise zufrieden, auch wenn man gerechterweise sagen muss, dass man sich immer viel Mühe mit mir gab und ich auch so gerade hoffentlich erfolgreich mein Abitur mache.
@Anemone ich bin auch beeindruckt von deinen Erklärungen und deinem Weg. Und ich denke auch, dass man Leuten die einen Weg gehen wollen, dabei nicht im Weg stehen sollte. Natürlich ist es allerdings auch immer so, dass in einer Schule (und allgemein im Leben) nicht jeder Verständnis für alles und jeden hat und ständig hilfsbereit auf andere zugeht. Das geht aber Schülern ohne körperliche oder geistige Beeinträchtigung nicht anders. Ich denke zum Beispiel an Scheidungen, Trauerfälle in der Familie, finanzielle Schwierigkeiten oder Eltern die mit ihren Kindern quer durchs Land ziehen. Man wird nicht den ganzen Tag betüdelt und das ist wahrscheinlich auch gut so.
Ich habe während meiner Schulzeit einen Autisten erlebt (der Abitur machte), Rollstuhlfahrer und als ich noch sehr jung war, war ein Contergan-Geschädigter auf meiner Schule. Näheren Kontakt gab es leider nicht, da in meinen Klasse keine Behinderten waren, zumindest nicht im klassischen Sinne. Allerdings gab es durchaus Schüler die mehr Aufmerksamkeit benötigten und ihre Probleme mitbrachten, sei es nun durch Stottern, Lese-Rechtschreibschwäche, eingegipste Arme, Schwangerschaft oder Umzug aus anderen (Bundes-)ländern. Darauf müssen sich Schule, Lehrer und Mitschüler ebenso einstellen und es gibt doch immer wieder Schüler mit Förderbedarf- auch ohne Behinderungen.
Ich finde es gut, wenn man bereits in der Schule lernt, dass Menschen unterschiedlich sind und auch Einblick in andere Welten bekommt. Ich erinnere mich daran in meiner Kindheit mal einen Workshop erlebt zu haben, wo man ausprobierte, wie es ist nicht hören, sehen oder laufen zu können. Aber das war eben nur ein Tag und in der Schule waren Behinderungen kaum ein Thema. Anders war es in einer Jugendgruppe, wo ein taubstummes Kind war, allerdings hatte sie auch geistige Störungen und ein Austausch war sehr schwierig.
In meiner späteren Jugend habe ich eine Querschnittsgelähmte und einen stark sehbehinderten Mann kennengelernt, beide waren auch an einen normalen Schule, bzw. das Mädchen im Rollstuhl war in der Ausbildung und ich war oft verwundert, wie selbstständig sie doch waren und wie viel Dinge klappte. Beim ersten Mal mit Rollstuhl an der Rolltreppe war ich unsicher, ob ich den Rolli dort festhalten kann und versuchte sie vom Fahrstuhl vom Fahrstuhl zu überzeugen, als sie einfach selbst zur Rolltreppe fuhr und sich festhielt. Beide Kontakte waren nicht für lange Zeit, so dass ich bis heute bei vielen Behinderungen unsicher bin, was damit möglich ist und auch wie man mit den Menschen "richtig" umgeht. Wer so etwas schon in der Schule lernt, tut sich dann später wahrscheinlich leichter.
@Trisa: Oh je, da scheine ich meinen Beitrag wohl ein bisschen missverständlich formuliert zu haben. Ich will an sich nicht, dass man mir ausschließlich mit Hilfsbereitschaft begegnet und verlange das auch nicht im schulischen Umfeld. Ich denke, gerade hier liegt ein wichtiger Lerneffekt bei inklusiver Beschulung, denn während man an den Förderzentren geradezu auf die eine Behinderung fixiert ist und den Schülern das Leben erleichtern möchte, indem man ständig hilft, das Umfeld blindengerecht gestaltet ist und dergleichen, schafft man ein falsches Realitätsbewusstsein, nämlich, dass die ganze Welt auf diese Behinderung eingestellt ist und man nirgendwo anecken wird. Gerade dem soll ja inklusive Beschulung entgegenwirken, man lernt, dass man nicht immer auf offene Arme stoßen wird, dass Mehraufwand die Behinderung betreffend nicht immer gerne getragen wird, dass es aufgrund der Behinderung auch zu Konflikten im sozialen Umfeld kommen kann.
All das finde ich begrüßenswert, aber so, wie es bei mir teils gelaufen ist, muss es einfach nicht sein. Ich kann nicht eine blinde Schülerin in eine Regelklasse setzen und sie lediglich mit den Schulmaterialien ausstatten, aber die Schwierigkeiten im sozialen Umfeld nicht berücksichtigen. Reibereien wird und soll es sogar immer geben, auch mit den behinderten Schülern, die nicht wie Prinzessinnen auf der Erbse behandelt werden sollen, aber die Klasse muss grundlegend über behinderungsbedingte Schwierigkeiten aufgeklärt und in ihrer sozialen Entwicklung betreut werden, damit es nicht zu Ausschreitungen und Missverständnissen kommt. Gerade in Klassen mit geringerer Altersstufe ist man oft mit der Behinderung überfordert, das Ergebnis war bei mir Isolation und Mobbing. Somit anecken im normalen Maß, ja und gerne, aber mit dieser Devise kann ich als Lehrer nicht alle Verantwortung zur Sozialisation der Klasse von mir weisen.
Um ein Beispiel zu geben: Es ist hinzunehmen und birgt einen Lerneffekt, wenn ein Lehrer mal das Arbeitsmaterial in behindertengerechter Form vergisst und man dann eben mehr mitschreiben muss, um die Stunde sinnvoll zu nutzen. Ebenso ist es in Ordnung, wenn man für einen gewissen Zeitraum eine Ausgrenzung erfährt, weil die Klasse in der Pause Fußball spielen möchte und man da selbst einfach nicht mithalten kann. Dann muss man lernen, dass nicht immer Rücksicht genommen werden kann und man die Pause somit einfach mal alleine verbringen muss. Nicht in Ordnung ist es aber, wenn sich die gesamten Mädchen einer Klasse gegen eine behinderte Schülerin wenden, weil sie nicht deren Ideal entspricht, sich nicht über Mode und Schminke unterhalten kann und zu oft nach Hilfe gefragt hat. Wenn diese Ausgrenzung über Monate hinweg stattfindet und man sich in der gesamten Klasse darauf geeinigt hat, die Schülerin komplett zu ignorieren und kein Wort mehr mit ihr zu sprechen, dann kann ich nicht mehr davon reden, dass diese Schülerin eben lernen soll, dass man nicht immer Rücksicht nehmen kann, dann wären die Lehrer in der Verantwortung und man kann sich auf diesem Argument nicht mehr ausruhen,.
@Anemone Nein, ich hatte es keineswegs so verstanden, dass du nur betüdelt werden möchtest. Aber ich habe Respekt davor, wenn man sich auch in schwierigeren Situationen durchsetzt. Schließlich könnte man sich auch einfach auf seiner Behinderung "ausruhen".
Was allerdings Mobbing und Isolation betrifft, so kann ich dir aus eigenen Erfahrung bestätigen, dass das nichts mit dem Alter und auch nichts mit Behinderungen zu tun hat. Ich habe es in der Erwachsenenbildung erlebt, wo es letztendlich auch um Mode und Schminke ging, Themen die mir einfach nicht so wichtig waren, wie vielen anderen in der Klasse. Und ebenso fühlten sich Lehrer nicht verantwortlich. Wobei ich auch keine Lösung habe, was das richtige Verhalten gewesen wäre. Denn solche Dinge wie rollierende Sitzordnungen und bunt gemischte Gruppenarbeit fand ich eher kontraproduktiv. Ich frage mich gerade, ob es einen Unterschied macht, ob man mit oder ohne Behinderung zum Außenseiter wird. Sollten Mitschüler und Lehrer damit anders umgehen? Wenn ja in welcher Form?
Ansonsten wollte ich mit meinem Beitrag eher sagen, dass ich es gut finde, wenn man als junger Mensch früh Menschen mit Behinderung kennenlernt und quasi den "richtig" Umgang mit ihnen lernt. Mir geht es nämlich bis heute so, dass ich oft das Gefühl habe falsch zu handeln. Und das bereits in einfachen Alltagssituationen. Soll ich den Blinden einfach ansprechen und nachfragen ob er Hilfe braucht? Oder die Sehbehinderte, wenn sie im Supermarkt mit Lupe vor dem Regal steht? Oder dränge ich mich dadurch vielleicht auf? Soll ich der körperlich Behinderten den Weg frei machen, die Tür aufhalten oder wirkt das vielleicht übertrieben? Fühlen sich die Taubstummen vielleicht angestarrt, wenn ich ihnen zu lange beim Rede zusehe? Ich denke, wenn man über Jahre mit Behinderten zusammen zur Schule gegangen ist, kann man viele Situationen besser einschätzen.
@Trisa: Nun ja, wenn bereits ein Außenseiter entstanden ist, sollte die Einwirkung von Lehrern, also von außen, vermutlich in ähnlicher Weise aussehen, sprich, in Gesprächsrunden und Workshops Verständnis für beide Seiten geweckt und Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte zwischen allen Personen gefunden werden, wobei das Ergebnis vermutlich eher eine Traumvorstellung meinerseits ist und ein optimales Resultat wohl nicht unbedingt Realitätsah ist. Trotzdem denke ich, dass Gespräche und das Wecken von Verständnis mehr nützen als veränderte Sitzordnungen, einheitliche Kleidung oder Klassenausflüge, auf denen das Problem totgeschwiegen wird.
Während das Vorgehen also bei vielen Fällen von Mobbing ähnlich ist, denke ich eben schon, dass man gerade bei Menschen mit Behinderung in anderer Weise vorbeugen kann, eben weil es an sich studierte Sonderschulpädagogen gibt, denen die Probleme bekannt sind, die ein Mensch mit dieser Behinderung bei der Eingliederung in eine Gruppe haben kann, seien es Mimik und Gestik, abweichende Interessen, Schwierigkeiten im Umgang allgemein oder bestimmte behinderungsbedingte Verhaltensweisen, die man im Vorhinein erklären sollte, um keine Missverständnisse zu wecken.
Die Gründe, aus denen Menschen mit einer bestimmten Behinderung ausgegrenzt werden, sind vielfältig, aber dennoch in vielen Fällen so vorhersehbar. Und da frage ich mich schon, warum man nicht ein paar wertvolle Stunden der Sonderpädagogen für Workshops verwendet, anstatt den behinderten Schüler erklärungslos in die Klasse zu setzen und das vorhersehbare Unglück seinen Lauf nehmen zu lassen. Natürlich kann es auch gut gehen, aber wir sind derzeit sechs blinde Schüler an meiner Schule - und davon hat es eine einzige geschafft, in ihrer Klasse ein stabiles Umfeld zu finden, das sollte an sich schon Sensibilität auslösen.
Recht gebe ich dir insofern, dass Kinder, die von klein auf mit Behinderung aufgewachsen sind, einen souveränen Umgang mit behinderten Menschen im Allgemeinen pflegen können, wobei ich schon der Meinung bin, dass das nur auf diejenigen Schüler zutrifft, die wirklich Kontakt mit ihren behinderten Klassenkameraden hatten. Als es das Kurssystem noch nicht gab, war ich mit 29 Schülern in einer Klasse, eine könnte man als Freundin bezeichnen, drei oder vier Mädchen kannte ich etwas näher, während ich mit dem Rest kaum ein Wort wechselte, warum auch immer. Ob der Rest dann so viel mitgenommen hat? „Meine Kinder sollen offen mit behinderten Menschen umgehen“, ist auch die Standardfloskel der Eltern, die ihre Kinder in eine integrative Kindergartengruppe schicken, ihnen aber dann verbieten, das blinde Mädchen zum Geburtstag einzuladen, das sei zu gefährlich. Was ich damit sagen möchte? Ich weiß es selbst nicht so genau, wohl einfach, dass Ängste seitens des Elternhauses abgebaut werden müssen und deutlich mehr Arbeit in die soziale Richtung an den Schulen geleistet werden muss.
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