Waldorfschule nicht so anerkannt beim Arbeitgeber?

vom 21.05.2012, 14:17 Uhr

A macht im nächsten Jahr sein Abitur in der Waldorfschule. Sein bester Freund ist vor einem Jahr von der Schule gegangen, weil er kein Abitur machen wollte. Er hat nun schon 400 Bewerbungen weggeschickt und alle Bewerbungen kamen mit einer Absage wieder zurück. Im Bekanntenkreis wird schon gemunkelt, dass es daran liegt, dass er in der Waldorfschule war. A hat nun Bedenken, dass er mit seinem Abitur nichts anfangen kann. Er kennt auch jemanden, der gerne Medizin studieren wollte und in keiner Uni mit einem Abitur mit 1,6 angenommen wurde. Begründung war immer, dass zu viele Anmeldungen waren.

Wird ein Abschluss von der Waldorfschule nicht richtig anerkannt oder sind es einfach nur Vorurteile, die leider immer weiter die Runde machen, dass Waldorfschüler schlechte Schüler in einer "normalen" Schule wären? Haben die Arbeitgeber Bedenken, dass die Waldorfschüler die Berufsschule nicht meistern können? Kennt ihr jemanden oder seid ihr selber in der Waldorfschule gewesen und wie seid ihr oder derjenige, den ich kennt, im Berufsleben zurecht gekommen?

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Das Gerücht, dass man an einer Waldorfschule seinen Namen eher tanzen können muss, als dass man ihn schreiben kann, hält sich sehr hartnäckig und ich kann es auch verstehen. Denn es ist über dieses Schulsystem einfach zu wenig bekannt, als dass man es wirklich beurteilen kann. Wobei 400 Absagen schon komisch sind, wenn überall Hände ringend nach Auszubildenden gesucht wird.

Dass man dann nach einem erfolgreich bestandenen Abitur auch Nachteile hat, weil man es eben auf der Waldorfschule absolviert kann, ist durchaus denkbar. Wobei es zwar gegen das Gleichbehandlungsgesetz verstößt, aber man dies auch nicht unbedingt nachweisen kann. Denn es ist auch bekannt, dass die medizinischen Studiengänge fast überall überlaufen sind und mancher Abiturient auch erst später beginnen kann zu studieren, weil eben die Wartelisten so lang sind.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Zunächst finde ich, dass sowohl ein Schüler einer "normalen" Schule als auch ein Schüler einer Waldorfschule ein Problem haben sollte, wenn nach 400 (!) Bewerbungen nichts gefunden wurde. Der Fehler liegt ja hier eindeutig in der Masse. Wenn ich mal annehme, dass für eine schnelle aber schlampige Bewerbung ein Tag gebraucht wird, muss der Schüler seit über einem Jahr täglich eine Bewerbung verfasst haben. Das in dem Massensinn irgendwann eine Betriebsblindheit zum Vorschein kommt, ist nicht ungewöhnlich. Wenn (deutlich) weniger Zeit in Anspruch genommen wurde, dann wohl dadurch, dass Bewerbungen als Serienbriefe verfasst wurden. Auch das ist in meinen Augen ein Ausschlusskriterium und ein Problem. Nicht die Schulart. Wer von sich behauptet, in einem kurzen und überschaubaren Zeitraum 400 Bewerbungen geschrieben zu haben, kann diese nicht so verfasst haben, dass sie Aussicht auf Erfolg haben könnten!

Dann was die Anerkennung angeht: Waldorfschulen können gar kein Abiturzeugnis vergeben. Die machen staatliche Partnerschulen (zumindest in den südlichen Bundesländern). Das bedeutet, dass die Abiturprüfung für alle Abiturienten gleich ist. Und das hat zur Folge, dass das Abitur überall gleich anerkannt wird, weil man dem Zeugnis nicht ansieht, was der Abiturient vorher gemacht hat! Gerade bei einer Bewerbung um ein Studienplatz wäre das also kein Nachteil.

Was jetzt Arbeitgeber angeht, verstehe ich die Bedenken nicht. Weil Waldorfschulen wohl wesentlich praxisorientierter arbeiten und die Schülerinnen und Schüler früher und länger handwerklich arbeiten und viele Gewerke aus der eigenen Praxis kennen. Daher könnte ich den Grund der "Ablehnung" nur darin sehen, dass die Arbeitgeber generell keine Abiturienten nehmen, weil sie Angst haben, dass die über kurz oder lang dann nach der Ausbildung doch studieren, statt im Ausbildungsbetrieb zu bleiben.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



@derpunkt: Sorry, aber es ist Unsinn zu behaupten, dass viele Bewerbungen auf Schlampigkeit beim Verfassen hinweisen. Ich selbst habe vor einigen Jahren jemanden bei der Lehrstellensuche unterstützt. Und es war ein leichtes zehn Anschreiben an einem Tag zu verfassen, welche alle weitgehend individuell formuliert waren. Denn gewisse Textinhalte sind da immer gleich.

Daher halte ich zwei Möglichkeiten für real in diesem Fall. Entweder sind die Zensuren so schlecht, dass die Person immer wieder Ablehnungen bekommt oder alle Arbeitgeber belächeln wirklich die Waldorfschulen, was ich mir aber nicht wirklich vorstellen kann.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



@Punktedieb: Also wenn ich hier lese, dass jemand glaubt an einem Arbeitstag (ich nehme einfach mal acht Stunden an) zehn "individuelle" Bewerbungen verfassen zu können, der wird auch in der Lage sein, den Weltfrieden herbeizuführen! Denn wenn du die zehn Bewerbungen nimmst, dann stehen dir vielleicht 45 Minuten pro Bewerbung zur Verfügung. Glaubst du ernsthaft, hier wirklich die Belange eines einzelnen Unternehmens unterbringen zu können? Allein die Vorstellung, dass "gewisse" Textinhalte identisch sind, ist doch schon eine Kapitulationserklärung. Was immer identisch ist, ist der Teil mit den Daten zum Absender! Alles andere lässt sich über die Serienbrieffunktion erschlagen. Das dies aber nicht zum Erfolg führt (oder aber eben nur über "Masse"), gilt im Grunde schon als erwiesen. Und wenn ich zehn Mal (oder öfter) erfolglos etwas versuche, dann analysiere ich doch irgendwann, was hier falsch gelaufen ist. Vielleicht lag es ja genau an den gewissen Textbausteinen, die vorgeblich "gleich" sein können.

Nebenbei ist es so, dass allein die Recherche schon 45 Minuten in Anspruch nehmen kann, wenn man sich um einen potentiellen Arbeitgeber bemüht. Und wenn es um einen Job geht und man schon einen längeren Lebenslauf hat, verlängert sich die Zeit für die Bewerbung erheblich, weil auch die Lebensläufe angepasst gehören.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


@derpunkt: Identische Textstellen bei einer Schülerin sind zum Beispiel Angaben, dass sie zum Zeitpunkt X voraussichtlich ihrer Schule abgeschlossen haben wird. Wenn sich also jemand mit 15 Jahren, also in der neunten Klasse, auf eine Ausbildungsstelle im nächsten Jahr bewirbt, dann sind solche Sätze immer wieder gleich. Auch was schulische Praktika angeht, welche man dabei nochmal etwas ausführlicher ansprechen kann, müssen vom Text her nicht geändert werden, wenn man sich immer für die selbe Berufsrichtung bewirbt.

Wobei ich selbst für meine komplette Bewerbungsmappe vor ein paar Jahren gute zwei Tage gebraucht habe, bis ich wirklich zufrieden war. Aber ich tue ich mich leichter solche Dinge für jemand anderen zu schreiben, als für mich selbst. Und es ging da rein um die Formulierungen der Anschreiben. Die Recherche zu den Unternehmen und Ausbildungsstellen hatte ich der zukünftigen Auszubildenden in die Hände gelegt.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Bitte beim Thema bleiben. Hier geht es um Waldorfschule und die Anerkennung bei einem Arbeitgeber.

» ten points » M » Beiträge: 741 » Talkpoints: 11,49 » Moderator



Punktedieb hat geschrieben:Entweder sind die Zensuren so schlecht, dass die Person immer wieder Ablehnungen bekommt

Bei bestandenem Abitur kann ich mir schlechte Noten für einen Ausbildungsberuf nicht als Hinderungsgrund vorstellen. Schließlich würde dann als Qualifikation der Hauptschulabschluss oder der Realschulabschluss genügen. Ein exzellentes Abiturzeugnis wäre hingegen tatsächlich ein Grund, einen Bewerber abzulehnen, weil anzunehmen ist, dass dieser nur "parkt", weil die gewünschte Studienrichtung nicht genommen werden konnte. Jemand mit wirklich guten Abitur nimmt man nämlich nicht ab, dass dieser nicht doch studieren würde. Und da spielt es keine Rolle, wo bzw. an welcher Schule das Abitur bestanden wurde.

Punktedieb hat geschrieben:oder alle Arbeitgeber belächeln wirklich die Waldorfschulen, was ich mir aber nicht wirklich vorstellen kann.

Und das kann ich mir auch nicht vorstellen. Insbesondere, wenn die Waldorfschüler bei ihrer Bewerbung explizit ihre Erfahrung mit den verschiedenen Handwerken angeben. Gerade an Waldorfschulen ist dem Praktikum ein wesentlich höherer Stellenwert eingeräumt, als an staatlichen Schulen. Selbst wenn Arbeitgeber darüber nichts wissen, sollte es aus einer guten Bewerbung hervorgehen.

Was also tatsächlich der Grund für die Schwierigkeiten in dem Fall gewesen sein muss, kann nicht ermittelt werden. Ich persönlich halte die Waldorfschule selbst nicht für das Ausschlusskriterium. Nur wenn ein Schüler oder eine Schülerin selbst von der Waldorfschule kommen und dann mit 19 Jahren gar keinen Abschluss vorweisen kann (was eben an Waldorfschulen passieren kann!), dürften bei Arbeitgebern (berechtigte) Zweifel an der Eignung aufkommen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


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