Respekt vor Toten- auch in der Pflege?

Ich setze mich ja momentan schon ziemlich mit dem Thema Tod und Leben auseinander. Hierbei sind mir einige Ereignisse aus meiner damaligen Krankenpflegeausbildung in Erinnerung gekommen, zu welchen ich gerne eure Meinung hören möchte.

Wir waren damals im ersten Ausbildungsjahr und es stand das Thema Tod auf dem Plan. Die Lehrerin kam herein und hat einen Ordner herumgereicht. In diesem Ordner befanden sich lauter Sterbeanzeigen, aber nicht nur irgendwelche, sondern die dortigen Sterbeanzeigen waren alle Sterbeanzeigen von irgendwelchen ehemaligen Schülern dieser Berufsakademie, die durch Selbstmord oder durch Unfälle ums Leben kamen.

Denkt ihr, dass man Krankenpflegeschülern eine solche Sammlung zeigen sollte? Wir haben das damals nämlich recht zweigespalten gesehen und fanden es schon irgendwie seltsam, dass unsere Lehrerinnen Todesanzeigen von ehemaligen Schülern sammeln. Einerseits empfinde ich sowas schon als respektvoll, weil man den Schülern schon irgendwie gedenkt, aber andererseits empfinde ich es schon seltsam einen Ordner mit einer Sammlung an Texten und Fotos für verstorbene Schüler in den Händen zu halten.

Die andere Situation, die ich erlebt habe, war in dem gleichen Schuljahr zu ungefähr der gleichen Zeit. Wir als angehende Pfleger wurden mit dem Thema Tod direkt konfrontiert. Ich war schon ein wenig weiter wie die Anderen und hatte einige Tage zuvor im Praxisteil meine erste Totenwaschung, die auch respektvoll abgelaufen ist. Wir wurden als Klasse jedoch in die Leichenkammer des Krankenhauses geführt, wo wir dann einen Toten sehen durften.

Aber was sich dort einige Schülerinnen erlaubt haben, das geht an sich gar nicht. Die haben sich Handschuhe angezogen und dem Toten im Mund rumgepuhlt, das Gesicht zu Grimassen verzogen oder mit den Fingern in sämtliche sichtbaren Körperöffnungen rumgestochert. Oder es kamen Sprüche so nach dem Motto, dass der dort liegende Mann doch nur einen Schnaps bräuchte, dann ginge es ihm besser.

Habt ihr auch solche Situationen erlebt, bei denen Tote regelrecht entwürdigt wurden? Sollte man als zukünftige Krankenschwester nicht ein wenig Achtung vor dem Menschen wahren? Oder haltet ihr es für richtig, dass irgendwelche Fremden einfach in den Körperöffnungen herumstochern? Was haltet ihr von der Sammlung Todesanzeigen? Sammelt ihr auch solche oder reicht es euch, wenn ihr sie in der Zeitung wahrnehmt?

Das habe ich Gott sei Dank noch nicht erlebt und möchte es auch nicht. Das, was Du beschriebe hast, kann schon als Leichenschändung angesehen werden und wird hoch bestraft. Warum soll man Todesanzeigen sammeln? Ich sehe darin keinen Sinn. Ich werde meine eigene auch nicht sehen, wenn es einmal so weit ist. Warum sollte ich dann die Anzeigen aufbewahren, von Menschen die ich nicht kenne. Wenn es ein Mensch aus der eigenen Familie ist, ist das schon etwas anderes.

Also ich selbst sammle auch Todesanzeigen. Ich finde das nicht verachtend. Das brauche ich, um abzuschließen und zu begreifen, dass Schluss ist. Ich sammle nicht alle, aber manche Leute haben mich so bewegt, da hebe ich die Anzeigen ausgeschnitten auf.

Ich finde es eigentlich ganz cool, wenn die Lehrer die Anzeigen der Schüler behalten und einheften, aber ich verstehe den Grund nicht richtig, warum die das dann der Klasse vorlegen. Das finde ich irgendwie makaber. Das sieht aus wie: seht her, was euch in dieser Ausbildung erwartet, ihr werdet nichts zu lachen haben. Die hier haben es auch nicht geschafft.

Ich habe auch schon oft darüber nachgedacht in meiner Ausbildung zur Krankenschwester alles hinzuwerfen, weil mich dieser Saftladen ganz gewaltig anstinkt, aber nun stehe ich kurz vor dem Ende, es ist fast geschafft, da wird es auch beendet. Aber der Gedanke, dass die dann meine Todesanzeige ausschneiden und einheften, gefällt mir ziemlich gut. Es sei denn, sie machen nur Witze darüber, dann gnade ihnen Gott.

Unter den Schülern meiner Klasse ist so etwas noch nicht passiert, die meisten sind sehr respektvoll, wohlbemerkt die meisten. Ca. eine Hand voll macht manchmal schon sehr grenzüberschreitende Bemerkungen, ich kann allerdings gerade kein Beispiel dazu nennen. Jedenfalls ist es in diesem Beruf wie in allen Berufen, schwarze Schafe sitzen leider immer mit drinnen. Nur ist es besonders schlimm, weil ein geschädigter Mensch mehr leidet, als beispielsweise ein Stück Holz oder ein paar Zetteln.

Aber es gibt sogar Lehrer, die sind völlig pietätlos. Vor einem halben Jahr gab es in unserer Schule mal großen Aufruhr, weil sich eine Schülerin der Hebammenklasse auf sehr dramatische Weise umgebracht hat. Auch noch die Ethiklehrerin berichtete uns ganz nebenbei diese "neue Sensation". Sie hat darüber gescherzt und das gar nicht richtig ernst genommen. Sie schien froh zu sein, dass mal etwas passiert ist, was nicht so langweilig ist. Da war ich sehr betroffen, da hatte ich bislang wirklich angenommen, dass man mit solchen Dingen anders umgehen würde - in einer medizinischen Berufsfachschule.

Das Herumreichen der Todesanzeigen finde ich in Ordnung, wenn es zum Thema während dieses Ausbildungabschnittes gehört hat oder Thema der Stunde war und ernsthaft damit umgegangen wurde.

Man kann abstrakt über Tote Witze machen, aber nicht über einen speziellen Toten. Ich weiß nicht, welchen Sinn dieses Herumstochern in der Leiche hatte, aber wenn es zum Lehrinhalt gehörte, muss man es auf jeden Fall so machen, dass die Würde des Toten nicht verletzt wird. Ich finde auch abfällige Bemerkungen in Gegenwart eines Toten über diesen nicht in Ordnung. Das entspricht einfach nicht dem sozial anerkannten sittlichen Verhalten. Vor allen Dingen als Neuling sollte man sich da beherrschen. Ich denke, dass es vielleicht einfach Unsicherheit und Ängste waren, die zu so einem Verhalten geführt haben. Das Verhalten Toten und Kranken gegenüber sollte unbedingt im Unterricht tiefgehend und ausführlich thematisiert werden. Vielleicht ist das bei euch zu kurz gekommen.