Grundsätzlich hat jeder eine Chance verdient
Diesen Satz höre ich teilweise täglich. Andere Menschen behaupten, dass sie jedem Menschen eine Chance einräumen sich zu beweisen oder das andere Gegenüber kennenzulernen. Aber ist dies wirklich so? Gibt man wirklich jedem eine oder sogar mehrere Chancen, um dem Gegenüber zu zeigen, dass man ihm gegenüber aufgeschlossen ist und ihn akzeptiert wie es ist?
Ich stehe dazu, dass ich nicht jedem eine Chance einräume. Die ersten paar Minuten sind für mich relevant, ob ich jemanden meide oder nicht. Auch in Foren sind die ersten paar Beiträge für mich wichtig, weil sie entscheiden, ob jemand meine Verachtung oder mein Interesse verdient hat. Auch gebe ich einigen Menschen schon grundsätzlich keine Chance, weil sie charakterlich ungeeignet für den Umgang mit mir sind.
Wie ist das bei euch? Räumt ihr absolut jedem eine Chance ein? Oder schenkt ihr auch Menschen eure Verachtung, obwohl ihr sie noch nicht einmal kennt, sei es durch sein Verhalten, sein Auftreten oder durch andere Gründe? Seid ihr eher Menschenfreunde oder seid ihr nicht sonderlich begeistert von den Menschen, obwohl ihr selbst welche seid?
Ich würde mich nicht als Menschenfreund betrachten. Aber die Verachtung von Menschen ist ein Gefühl der niedrigsten Stufe. Wenn ich jemanden verachte, dann bewerte ich die Person als minderwertig, dieses Gefühl kenne ich nicht. Im Grundgesetz steht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Mit der Verachtung eines Menschen stellt man sich gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes. Warum sollte ich denn einen Menschen als von niedrigerem Wert einschätzen als mich? Dies zeugt von einer narzisstisch-aggressiven Haltung.
Dies heißt nicht, dass ich alle Menschen mag. Es gibt zwischen den Menschen Sympathien und Antipathien und man muss ja nicht mit jedem befreundet sein. Wenn ich jemanden vom ersten Augenblick an nicht mag, liegt das ja nicht an dem anderen Menschen oder an mir, sondern an Gründen, die in der Beziehung zwischen uns liegen. Vielleicht sind die Charaktere zu unterschiedlich oder die Kultur ist eine völlig andere, so dass man nicht auf eine Wellenlänge kommt oder der andere erinnert mich an einen mir unangenehmen Menschen aus der Kindheit oder seine Stimme nervt mich. Es gibt tausende von Gründen, dass ich mit jemandem nichts zu tun haben möchte. Aber das heißt nicht, dass ich den anderen nicht wertschätze.
Was heißt denn "Chance verdient"? Chance für was? Eine Chance, dass wir befreundet werden? Nein. Eine Chance, dass ich meine Vorurteile ihm gegenüber abbaue? Selbstverständlich. Mit dem Begriff "Chance verdienen" gibt man wieder dieses niedrige Gefühl zum Ausdruck, dass man höher steht und der andere sich etwas verdienen muss. Wenn jemand mein Vertrauen missbraucht hat (dann waren wir aber vorher schon in einer Beziehung) und er möchte es zurück, dann muss er sich mein Vertrauen verdienen. Ich würde je nach Schwere des Vorfalls keine Chance einräumen, aber ich würde den Menschen nicht verachten.
Wenn ich Leute von Anfang an, aus welch irrationalen Gründen auch immer, unsympathisch finde, meide ich sie. Wenn es nicht anders geht, zum Beispiel bei Nachbarn oder Arbeitskollegen, gebe ich MIR die Chance, sie besser kennenzulernen.
@kochanie: Du schreibst selbst, dass du nach den ersten Minuten oder eben Beiträgen entscheidest. Und damit hast du der anderen Person schon diese eine Chance gegeben. Auch wenn du dich dann recht schnell entscheidest, ob du den Kontakt pflegen willst oder eben auch nicht.
Ich selbst versuche es auch immer jedem Menschen eine Chance zu geben. So gebe ich erst mal nicht viel auf das Gerede über eine Person. Vor allem, wenn ich diese noch gar nicht persönlich kenne. Ich nehme halt die gemachten Aussagen zur Kenntnis, aber urteile noch nicht über diesen Menschen.
Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist die mittlerweile Ex-Freundin eines guten Bekannten. Er hatte mir bevor ich sie selbst kennenlernen konnte, schon einiges über sie berichtet. Bei manchen Dingen denke ich heute noch, wie kann man nur so dämlich sein. Aber sie hatte ihre Chance bei mir und ich habe mir erst nach dem persönlichen Gespräch ein Bild über diese Frau gemacht. Ich stand dann aber auch nicht allein mit meiner Meinung da. Denn ich habe danach erfahren, dass noch zwei andere Leute aus meinem Bekanntenkreis die selbe Meinung über sie hatten.
Sicher, ich lehne sie heute ab, weil sie eine Lebenseinstellung hat, welche nur nach einem Versorger sucht. Und diesen Verdacht hatte ich schon vor dem persönlichen Kennenlernen. Sie hätte es durch unsere Gespräche ausräumen können, hat es aber nur bestärkt, was ich vermutet hatte.
Und selbst Menschen, welche eine Haftstrafe hatten, bekommen bei mir eine Chance. Sicher, wenn sie so weiter machen wie vorher, dann sind sie unten durch. Aber wenn sie sich eben bemühen wieder ins normale Leben einzusteigen, dann werde ich sie allein wegen ihrer Vergangenheit nicht ablehnen.
"Jeder eine Chance verdient" hat ja mit dem, was du schreibst, nicht viel zu tun. Es geht erst einmal um die Offenheit anderen Menschen gegenüber. Und hier scheinst du eher eine starre Sicht zu haben und eben weniger offen und aufgeschlossen zu sein. Jedenfalls dann, wenn du das was du schreibst tatsächlich konsequent durchziehst. Denn das Problem ist ja nicht, dass andere bei dir "keine Chance" erhalten, sondern das du dich um Erfahrungen beschneidest und weniger oft die "richtigen Leute" kennen lernen kannst.
Es ist natürlich richtig, dass es immer nur einen ersten Eindruck gibt. Und dieser erste Eindruck mag sehr prägend sein. Ist man aber nicht bereit, evtl. Fehleinschätzungen zu korrigieren, deutet das auf eine eigene, geistige Unflexibilität hin. Man mag sich mal vorstellen, wie man selbst ist, wenn es einem nicht gut geht und in so einer Situation Dritten vorgestellt wird. So eine Begegnung wäre dann das Aus auch für die Zukunft bezüglich einer Beziehung zu eben diesen dritten Personen.
Was nicht gut aber menschlich in so einer Situation wäre, ist dass bei folgenden Begegnungen die Unvoreingenommenheit fehlt. Wer aber nie das Gefühl kennen lernt oder zulässt, welches einen beschleicht, wenn man darauf kommt, dass der andere doch nicht so "doof" ist, verpasst selbst viele Chancen und beschränkt sich (mit der beschränkten Sicht) selbst! Das hat, wie schon geschrieben, nichts mit dem vergeben oder verdienen von Chancen zu tun.
Ich denke, dass man diesen Ausspruch nicht in jeder Situation verwenden kann. Einen Attentäter, wie Anders Behring Breivik (Attentäter von Oslo) möchte man doch keine zweite Chance einrichten oder? Natürlich ist es möglich sich in einen Menschen zu täuschen, allerdings liegt das immer im Auge des Betrachters. Ich glaube wir mussten alle einmal erfahren dass der erste Eindruck zwar immer wichtig, jedoch nicht immer richtig ist. Man muss abwägen, ob der Mensch tatsächlich eine weitere Chance verdient hat oder nicht. Zudem muss man nicht gleich mit jedem Menschen eine Beziehung jeglicher Art aufbauen. Auch wenn man den lieben langen Tag mit seinen Kollegen die Zeit verbringt, weil man sich ein Büro teilt oder sich ständig über den Weg läuft, so bedeutet dies nicht, dass man auch wirklich gut miteinander auskommt oder auskommen muss. Solange man höflich ist, was natürlich auf Gegenseitigkeit beruhen sollte, so reicht dies in den meisten Fällen aus.
Aus diesem Grund schließe ich mich Deiner Meinung an, auch ich kann nicht jedem Menschen eine Chance einräumen, da es mein Stolz oder mein Gefühl nicht zulässt.
Ringwraith hat geschrieben:Einen Attentäter, wie Anders Behring Breivik (Attentäter von Oslo) möchte man doch keine zweite Chance einrichten oder?
So unverständlich wie du das schreibst ist das mit der zweiten Chance natürlich falsch. Oder erwartest du, dass jemand wirklich meint, dass der Attentäter noch einmal bewaffnet werde soll und eine weitere Chance für einen Anschlag bekommen soll?
Die "zweite" Chance bezieht sich (übrigens ist das Zählen der vergebenen Chancen auch nicht richtig!) auf die Eingliederung in die Gesellschaft. Wenn du das wieder in Zweifel ziehst, dann hast du zum einen den Sinn und Zweck des modernen (und bewährten) Strafvollzugs nicht verstanden und zum anderen den geistigen Sprung aus dem späten Mittelalter in unsere Zeit nicht vollzogen. Oder was soll diese "Verweigerung" ausdrücken bzw. welches Vorgehen würdest du sonst in dem Fall für wünschenswert erachten?
Ringwraith hat geschrieben:Zudem muss man nicht gleich mit jedem Menschen eine Beziehung jeglicher Art aufbauen.
Man muss nicht jeden Menschen mögen oder sympathisch finden. Eine "Beziehung" muss aber zwangsläufig zu jedem aufgebaut werden, mit dem man z.B. in solchen Zwangsverbindungen wie das gleiche Büro oder ähnliches, zu tun hat. Da aber reicht tatsächlich das "respektvolle Auskommen" völlig aus.
@ Der Punkt: Meiner Meinung nach kann man nicht alle Menschen wieder in die Gesellschaft eingliedern und auf Deine Frage was man mit diesen Menschen machen sollte, so kann ich klipp und klar antworten: nicht mehr rauslassen und ewig in Sicherheitsverwahrung zu halten. Ich meine wie viele Straftäter haben nach ihrer Freilassung denselben Fehler gemacht? Wäre es da nicht sinnvoller gewesen die Gesellschaft vor diesen Menschen zu schützen?
Aber darum geht es ja nicht, ich äußerte mich lediglich dazu, dass man meiner Meinung nach nicht jedem eine Chance geben kann und muss. Es liegt natürlich immer im Auge des Betrachters, aber es gibt nun mal Menschen, mit denen ich persönlich nichts zu tun haben möchte und umgekehrt.
Das die ersten Minuten entscheidend sind, dem stimme ich absolut zu. Ich denke das jeder Mensch im Grunde eine Chance verdient hat - jetzt mal unabhängig von einer Zweitchance. Natürlich ist es erschreckend zu beobachten wie alleine das äußere des Gegenüber uns beeinflusst.
So machen wir uns ein Bild und schaffen einen ersten Gesamteindruck. Jeder Mensch ist individuell und so kann man auch einer Person die Chance geben, bei der man für gewöhnlich zurück schrecken und sich evtl. distanzieren würde. Ich bin der Meinung - Der Charakter des jeweiligen führt letztenendes zur der Entscheidung - tu ich es? Ja oder nein. Geben wir unseren Mitmenschen die Chance sich uns gegenüber zu öffnen und den Charakter durch die äußere Hülle hervor zu heben, so bin ich der festen Überzeugung, dass wir mehr als gedacht, Positiv überrascht sein werden.
Eigentlich gebe ich schon jedem Menschen ein Chance. Zwar ist bei mir auch der erste Eindruck sehr wichtig, aber ich kann diesen Eindruck auch noch mal ändern und fahre mich da nicht fest. So gab es zum Beispiel mal eine Mutter, welche ich total unsympathisch fand und gar nicht mochte. Als ich diese dann aber öfter gesehen habe und näher kennen gelernt habe, wurde sie mir immer mehr und mehr sympathisch. Ich finde man sollte sich nicht immer so auf den ersten Eindruck versteifen und auch wirklich bei normalen, alltäglichen Dingen eine zweite Chance einräumen.
Auch wenn man Menschen eigentlich gerne hat, diese etwas unschönes oder unverständliches machen, dann finde ich es wichtig diesen eine zweite, dritter oder auch vierte Chance zu geben. Man macht im Leben nicht alles richtig und ich bin auch froh, wenn ich eine weitere Chance bekomme, wenn ich etwas schlechtes oder unrechtes getan habe. So möchte ich dann auch meine Mitmenschen behandeln, in der Hoffnung, dass sie mir eben auch verzeihen, wenn ich etwas nicht so tolles getan habe.
Ich kann definitiv sagen, dass ich viele Menschen nicht sonderlich mag. Das hat viele Gründe und würde den Thread wohlmöglich sprengen. Dennoch bin ich bis zu einem gewissen Grad immer freundlich und wie oben schon erwähnt finde ich eine weitere Chance immer wichtig und glaube auch, dass man damit friedlicher durchs Leben gehen kann. Aber das ist nur meine Meinung dazu!
Wie schon geschrieben, was ich über den ersten Eindruck denke, bringe ich heute ein Paradebeispiel für Überraschungen. In meinem Laden bin ich einer Menge Menschen begegnet und bei einigen irrte ich mich beim ersten Eindruck und andere trafen so was von zu. Man entwickelt als Verkäuferin und Filialleiterin ein Gespür. An einem verregneten Tag, der Laden war bis auf zwei Mädels in der Ecke recht leer, betrat ein Mann die Türschwelle. Durchweicht vom Regen, lagen seine zerrissenen Jogginghosen und das schlabbernde durchlöcherte T-Shirt an seinem Körper an. Die Haare, lang und nass hingen in seinem Gesicht und sein dicker Bart fing einige der Tropfen auf. Von seinen Schuhen ganz zu schweigen, die aussahen, als hätte er tausende Kilometer hinter sich. Keine aktuelle Mode, das wusste ich.
Ich nahm ihn am Anfang nicht wahr, erst der 2. Blick warnte mich ein wenig, dass dies ein Obdachloser sein könnte. Keine Seltenheit in einer Großstadt und auch nicht für mich, vor allem bei dem Wetter. Er wollte T-Shirts und Hosen probieren und ich dachte mir schon, dass er nur Zeit schinden will. Die Ansagen der Geschäftsführung waren eindeutig. Ich behielt ihm kritisch im Auge, denn solche Situationen können leicht nach hinten losgehen. Als er alles anprobiert hatte, kam er an die Kasse und bezahlte mit seiner schwarzen Kreditkarte, grinste mich an und sprach mich auf Englisch an, ob ich dachte, er sei ein Obdachloser. Ich wurde so was von rot, das könnt ihr euch nicht vorstellen.
Aber es folgte ein lockeres Gespräch, in dem sich raus stellte, dass er in der Musikbranche arbeitete und gerade beim joggen war. Als er lächelnd ging und mein Loch, in das ich versinken wollte, immer größer wurde, sah ich nur noch, wie er von einer Limousine abgeholt wurde. Ich bin froh meine Gedanken für mich behalten und meinen ersten Eindruck nicht gleich habe gewinnen lassen. Aber bei einem einem bin ich mir unsicher, ob sein Klamottenstil Mode werden würden.
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