Kann man sich den Dialekt unbewusst abgewöhnen?
Ich habe einen guten Freund von mir nach langer Zeit am vergangen Freitag endlich wieder zur Sicht bekommen. Er besucht ein Internat in Nordrhein-Westfalen und wir sehen uns daher kaum. Das letzte Mal war er in den Weihnachtsferien zu Hause, über Ostern blieb er im Internat, weil die Anreise auf Dauer einfach zu weit und die Kosten für das Zugticket zu hoch wären. Da an seiner Schule gestern Brückentag war, blieb ihm ein verlängertes Wochenende und dadurch genügend Zeit nach hause zu fahren.
Was mir während unserer Unterhaltung auffiel, war die Tatsache, dass er seinen früheren Dialekt so gut wie abgelegt hatte. Er sprach ungewohnt hochdeutsch, so als wäre er in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen. Insgesamt besucht er das Internat nun schon seit ungefähr einem Jahr und dies hat ihn anscheinend ziemlich geprägt. Mit seinen Mitmenschen in Nordrhein-Westfalen konnte er nicht auf bayerisch kommunizieren, sondern musste versuchen so gut es geht hochdeutsch zu sprechen, da sie ihn sonst wahrscheinlich gar nicht verstanden hätten.
Denkt ihr, dass er sich den Dialekt dadurch dass er sich größtenteils in Nordrhein-Westfalen aufhält, sozusagen abgewöhnt hat? Oder ist das nur vorübergehend so, weil er die letzten Monate gezwungen war hochdeutsch zu sprechen? Glaubt ihr, dass er wieder mehr Dialekt sprechen würde, wenn er erst mal länger zu Hause wohnen würde? Kann sich ein Mensch an den um ihn gesprochenen Dialekt anpassen? Ich kenne bisher eigentlich nur Menschen, die aus dem hohen Norden kommen, aber trotzdem immer noch gestochen hochdeutsch reden, obwohl sie hier in Bayern leben.
Dialekte kann man ab einem gewissen Alter nicht mehr lernen, außer wenn man extrem sprachbegabt ist. Wenn dein Freund vorher bayrisch gesprochen hat, spricht er zwar wahrscheinlich jetzt Schriftsprache, aber mit bayrischer Einfärbung. Er wird bestimmt keinen Dialekt sprechen wie z. B. Kölsch oder den Dialekt aus dem Ruhrpott. Ich wohne schon sehr lange in Bayern, kann aber den bayrischen Dialekt nicht mehr lernen, weil die Bayern z. B. sehr viel mehr Laute haben als im Hochdeutschen, es gibt mindestens vier verschiedene "a"s.
Wenn man diese feinen Variationen als Baby nicht dauernd gehört und gelernt hat, die Nuancen zu unterscheiden, kann man das im Erwachsenenalter nicht mehr. Deshalb ist es für die meisten Menschen auch unmöglich, eine Fremdsprache so zu sprechen wie ein Einheimischer, selbst wenn sie die Grammatik perfekt beherrschen und schon lange in dem Land wohnen. Ich kenne keinen Franzosen, der akzentfrei deutsch spricht und auch keinen Deutschen, der akzentfrei englisch spricht.
Ich denke, wenn dein Freund wieder länger zu Hause ist, wird er je nach Umgebung wieder Dialekt oder Schriftsprache reden, aber das er jetzt Kölsch redet, halte ich für extrem unwahrscheinlich. Fast alle Leute, die Dialekt reden, können auch Schriftsprache reden, weil sie es ja in der Schule gelernt haben, aber eben keinen anderen Dialekt, außer seltene Ausnahmenfälle.
Ich habe einige Verwandte, die im Schwabenland oder in der Pfalz leben und deswegen die dortigen Dialekte anwenden und jedes mal, wenn man bei denen zu Besuch war, spricht man teils zum Spaß und teils unbewusst, mit demselben Dialekt, noch einige Wochen, nachdem man wieder "zurück im Norden" ist. Es färbt schließlich immer ab, wenn man mit anderen Leuten zu tun hat. Von daher denke ich, dass dein Freund ebenfalls sich an das Hochdeutsch gewöhnt hat. Sofern er wieder langfristig in Bayern leben wird, denke ich dass er sich wieder den bayerischen Dialekt angewöhnen wird. Immerhin hat es auch praktische Vorteile.
Meiner Meinung nach kann das durchaus passieren. Je länger man sich an einem Dialekt sprechenden Ort aufhält und je stärker man mit dem Dialekt konfrontiert wird, desto schneller eignet man sich den Dialekt unbewusst an. Dabei spielt das eigene Sprachgefühl eine gewisse Rolle. Ich denke, wenn man sehr sprachbegabt ist, sprich sehr schnell beispielsweise Fremdsprachen erlernen kann, dann fällt es ihm auch nicht schwer, sich den Dialekt anzueignen, denn ich sehe dies auch als eine Art Sprache.
Diese kann man bekanntlich auch verlernen, deshalb denke ich, dass man sich einen Dialekt abgewöhnen kann, wenn man sie wie bei einer Sprache eine längere Zeit nicht gebraucht. Die eigene Sprache richtet sich an die der Anderen. Es ist schwer, über ein Jahr hinweg hochdeutsch zu sprechen, wenn die Menschen um einen herum nur noch bayerisch reden.
@anlupa.Wieso sollte man ab einem gewissen Alter keine Dialekte mehr lernen können. Woher hast du denn den Blödsinn? Natürlich kann man sich fast in jedem Alter noch einen Dialekt oder Fremdsprache aneignen. Ich kann nicht nachvollziehen woher du dieser Meinung bist. Zwei meiner Onkel sind mit über 40 Jahren von NRW nach München und dem Allgäu gezogen. Nach zwanzig Jahren, die sie jetzt dort wohnen, haben sie sich den bayrischen Dialekt so sehr angewöhnt, das es sehr schwer für uns ist, sie zu verstehen.
@jetzt rede ich. Dein Freund wird sich in dem Internat das Hochdeutsch angewöhnt haben, damit seine Mitschüler und Lehrer ihn besser verstehen. Außerdem sprechen wohl fast alle in seinem Umkreis hochdeutsch, was auf ihn abgefärbt ist. Wenn er aber jetzt wieder länger in Bayern wäre würde er wohl sehr schnell wieder den bayrischen Dialekt sprechen.
Oft fällt es den Menschen auch gar nicht auf wenn sie sich einen Dialekt aneignen, oder ihn ablegen. Ich selber erlebe gerade so etwas ähnliches. Ich bin von Krefeld ins Münsterland gezogen vor knapp zwei Jahren. Hier den Leuten fällt es direkt auf das ich nicht von hier stamme, in meinem Wortschatz befinden sich immer noch Teile des "Krefelder Platt". Wenn ich mich aber mit Leuten aus Krefeld unterhalte meinen diese immer, das ich jetzt so hoch gestochen spreche, weil ich mir stark das Hochdeutsch angeeignet habe.
Ich kann mir gut vorstellen, dass er jetzt mehr hochdeutsch spricht, weil in seiner Umgebung einfach mehr hochdeutsch gesprochen wird. Das ist jedenfalls für mich die einfachste Erklärung. Er hat sich in dem ganzen Jahr, in dem er dort in Nordrhein-Westfalen gewohnt hat und dort zur Schule gegangen ist einfach den Dialekt bewusst oder unbewusst abgewöhnt. Dadurch, dass er eben fast nur noch mit Leuten zusammen war, die hochdeutsch gesprochen haben, musste er sich anpassen. Du hast ja selbst gesagt, dass ihn sonst keiner dort verstanden hätte.
Genau so denke ich aber auch, dass er sich wieder den typischen bayerischen Dialekt angewöhnen würde, wenn er wieder länger bei euch in der Gegend sein würde und sich auch wieder mehr mit Leuten unterhalten würde, die einen bayerischen Akzent haben und diesen auch ausgiebig benutzen.
Ich denke aber, dass das im Allgemeinen auch auf die Person selbst ankommt, ob man sich den Dialekt angewöhnt oder nicht. Wie du schon gesagt hast ist es ja so, dass manche Leute, die in Bayern wohnen und aus dem Norden kommen trotzdem hochdeutsch sprechen auch nicht anfangen das Hochdeutsch abzulegen. Ich denke, dass es dabei auch ein bisschen auf den Willen ankommt, ob man sich anpassen möchte oder nicht. Wenn dieser Wille nicht vorhanden ist, dann wird das mit dem Anpassen auch nichts. Aber es schadet auch nicht, wenn man ab und zu ein bisschen auffällt.
Ich habe eher festgestellt, dass man sich seiner Umgebung anpasst. Ich frage mich nur gerade, seit wann man in Nordrhein-Westfalen hochdeutsch spricht? Auf jeden Fall kenne ich einige Sachsen, die damals zur Wende "rüber gemacht" haben und seither hier leben. Die sprachen sehr schnell astrein Ruhrpott und sind gar nicht mehr weiter aufgefallen, außer wenn sich zwei Sachsen treffen oder man dabei ist, wenn sie "zu Hause" anrufen, dann geht es total zurück ins sächsische.
Ich kenne dazu auch ein Beispiel. Hier im Ort gibt es eine Mutter von drei Kindern, welche großen Wert darauf legt, dass die Kinder den Dialekt beibehalten. So reden die Eltern mit den Kindern immer nur Dialekt. Als das Mädchen dann in den Kindergarten kam, war damit aber von einem auf den anderen Tag Schluss. Die Kleine wollte partout kein „Platt“ mehr sprechen und hat sich mit allen und auch mit den Eltern nur auf Hochdeutsch unterhalten. Da die Eltern aber den Dialekt beibehalten wollten waren sie sehr traurig darüber und haben der Kleinen dann gesagt, dass die Katze nur Dialekt versteht und so hat das Mädchen mit der Katze nur noch Platt gesprochen. Als die Katze dann gestorben ist, war aber auch damit Schluss und die Kleine spricht nun ganz normales Hochdeutsch.
So denke ich also schon, dass man einen Dialekt ablegen kann und es auch verlernen kann, wenn man lange nicht mehr gesprochen hat. Vermutlich würde der Dialekt bei deinem Freund schnell wieder kommen, wenn er wieder in Bayern leben würde.
Also ich kann mir das sehr gut vorstellen, ich merke es ja auch an mir. Beispiel 1: mir sind zum Beispiel 2 Dialektwörter meines Ex-Freundes, der aus einer völlig anderen Gegend kam als ich, bis heute geblieben. Immer wieder merke ich, dass ich eines der beiden Wörter benutzt habe, obwohl ich versuche, sie aus meinem Sprachschatz zu streichen - nicht wegen meines Ex-Freundes, sondern weil einfach blöde Wörter sind.
Beispiel 2: mein jetziger Freud kommt aus einem ganz und gar anderen Bundesland, außerdem wird bei ihm zu Hause fast nur hochdeutsch gesprochen. Obwohl wir nun in meinem Bundesland leben, habe ich mittlerweile das hochdeutsche auch verstärkt angenommen und falle auch oftmals wieder da hinein, obwohl ich eigentlich Dialekt sprechen WILL - eine sehr lustige Sache. Auch wenn es ehrlich gesagt wirklich nervt, denn mein guter, alter Dialekt gefällt mir nun mal besser.
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