Rituale noch zeitgemäß?
Rituale machen glücklich. Sie sind immer einsatzbereit. Sie tun uns gut. In früheren Zeiten war die Natur unberechenbar für die Menschen. Gott zürnte, wenn es gewitterte. Rituale vertrieben Geister und Dämonen. Auch heute noch ist für viele Menschen ein Leben ohne Rituale nicht vorstellbar. Auch in unserer technisierten Welt geben uns Rituale Kraft und Orientierung.
Fakt ist, Rituale gibt es seit Jahrtausenden. Zwei Rituale können herkunftsmäßig nachgewiesen werden: Das Abendmahl – Jesus Christus führt es ein zur letzten Tischgemeinschaft – und die Taufe, die zurückgeht bis zu Johannes dem Täufer. Nun kann jemand kommen, der sagt, es steht zwar in der Bibel, aber wer garantiert dafür, dass das, was da steht, richtig und wahr ist. Ich setze mal voraus, es wäre wahr. Beides gibt es heute noch als Rituale.
Ein Ritual kann auch sein: Der morgendliche Kaffee, den wir trinken, um die Müdigkeit zu vertreiben; zur Begrüßung eine liebevolle Umarmung, zum Abschied ein Küsschen. Oder zum Feierabend das bewusst laute Schließen der Bürotür; alles was wir regelmäßig emotional machen.
Bräuche und Rituale können einer verletzten Seele helfen, eine Heilung herbeizuführen. Diese symbolischen Inszenierungen haben mehrere Funktionen: Die Gemeinschaft wird gestärkt – in der Kirche beispielsweise beim gemeinsamen Beten – im Fußballstadium, wo Fans gemeinsam die Hymne singen. Identifikation wird geschaffen bei Übergangsritualen wie Einschulungsfeiern und Hochzeiten. Rituale schaffen auch Sicherheit und Stabilität – wenn jeden Morgen ein junges Paar telefoniert, immer zur selben Zeit. Manche wirken heilend direkt auf die Seele und helfen dabei, einen schlimmen Verlust oder Schmerzen zu bewältigen. Nach schlimmen Unglücken können das gemeinsame Gottesdienste sein. Das passiert auch bei einem Lichtermeer oder Lichterketten.
In manchen Situationen sollten Rituale abgeschafft oder verändert werden, nämlich dann, wenn man es nur um des Rituals willen ausführt, weil es immer so gemacht wurde – das ist sinnlos. Dann wird es Zeit, etwas zu ändern. Rituale sind wandelbar. Sie brauchen einen Sinn.Welches Ritual gefällt euch gut? Welches mögt ihr überhaupt nicht leiden? Seid ihr vielleicht der Meinung, dass alle abgeschafft werden sollten?
Ein festes Ritual ist in meinen Augen auch durchaus ein Tagesablauf, der immer das gleiche Schema hat. Auch, wenn man nicht arbeitet, ist ein Tagesablauf ein Ritual und kann so Ziele setzen. Aber ich gehe mal davon aus, Cid, dass es sich hier eher um kleine Ausschnitte handelt, die man Tag für Tag zur gleichen Zeit am gleichen Ort macht. Ich kenne Riten eher aus dem Bereich der Kindererziehung, aber auch beim Einnehmen von Tabletten, um sie sich leichter zu merken, dass sie einzunehmen sind.
Ein freiwilliges Ritual nehme ich aber selbst auch nicht vor. Sicher gestalte ich meinen Tag meistens nach einem bestimmten Ablauf, aber ich gestatte mir da auch Freiheiten. Es gibt nun nichts, was ich regelmäßig tun muss oder tun möchte, zumindest fällt mir nichts ein, vom Blutzucker messen und solche Dinge natürlich abgesehen. Aber so etwas werde ich auch mein Leben lang nicht mehr absetzen können, ohne Konsequenzen am eigenen Körper zu spüren.
Ich habe abends schon das Ritual, dass ich mich intensivst der Zahnpflege hingebe, aber auch das ist etwas, was normal und eben zur Gewohnheit werden sollte. Ein weiteres Ritual ist es vielleicht, vor dem Schlafen gehen noch mit meinem Lebensgefährten zu kuscheln und ein paar Seiten zu lesen. Das möchte ich beispielsweise nicht mehr missen und dazu finde ich auch immer wieder Zeit, egal, wie müde und kaputt ich bin. Das ist so eine kleine Entspannung auf einer Insel für mich, bevor es dann in den Schlaf und in den nächsten Tag hineingeht. So etwas möchte ich nun wirklich nicht mehr abschaffen, weil es einfach so schön ist, wie es ist.
*steph*da hast du ja dein ganz persönliches Ritual gefunden, das du nicht mehr missen willst. Es tut dir gut und entspannt dich ungemein. Wie du es erzählst, hört es sich gut an. Du kommst dir vor wie auf einer einsamen Insel, wo du dich richtig entspannen kannst, zuerst beim Kuscheln mit deinem Partner und später dann als Abspann beim Lesen. Ich nehme an, du blendest die unangenehmen Tageserlebnisse aus und nimmst nur noch das momentane Glücksgefühl einer völligen Entspannung war. Nimm dir auch weiterhin die Zeit, die du dafür brauchst.
Ich sehe das genauso. Wenn etwas mit "das hat Tradition" oder "das wurde schon immer so gemacht" begründet wird, ist das für mich ein sehr deutliches Zeichen, dass sich etwas ändern muss. Sehr schön kann man das immer in der Weihnachtszeit sehen, finde ich. Da werden dann irgendwelche Gerichte zu Weihnachten gekocht, die bei genauerem Nachfragen eigentlich keinem so wirklich schmecken, aber es ist eben Tradition. Oder man baut den Weihnachtsbaum am Morgen des 24. Dezembers auf, obwohl es wesentlich entspannter wäre, wenn man das einfach einen Tag früher machen würde und sich an dem Tag dann neben dem Menü und allen möglichen anderen Sachen nicht auch noch um den Baum kümmern müsste.
Wenn ich es mir recht überlege gibt es in meinem Leben eigentlich kaum etwas, das ich als Ritual bezeichnen würde. Ich backe jedes Jahr Lebkuchen nach dem Rezept meiner Oma, das zählt vielleicht. Früher hat es die immer am ersten Adventssonntag zum Kaffee gegeben und ich versuche sie auch immer bis dahin fertig zu bekommen. Aber das klappt längst nicht immer und wenn die Lebkuchen nicht total lecker wären, würde ich sie natürlich auch nicht backen. Ansonsten fällt mir höchstens noch mein morgendlicher Kaffee und das Lesen der Zeitung ein, aber auch das klappt längst nicht jeden Tag. Wenn ich sehr früh irgendwo hin reisen muss entscheide ich mich zum Beispiel lieber für eine halbe Stunde mehr Schlaf und kaufe mir dann am Bahnhof oder Flughafen einen Kaffee und lese die Zeitung während der Reise.
Biblische Rituale finde ich erst einmal überhaupt nicht zeitgemäß, denn sie sind eben nicht bestätigt. Rituale des täglichen Lebens sind daher meistens auch immer der jetzigen Zeit angepasst. Manche Leute surfen am frühen Morgen noch schnell im Internet, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machen. Andere Leute lassen alles in Ruhe angehen und überlegen sich noch einmal wichtige Dinge ganz in Ruhe. So findet eigentlich jeder Mensch sein passendes Ritual.
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