Der Neid der Woche - Frankreich Spitzensteuersatz 75%

vom 08.03.2012, 10:43 Uhr

Seit 3 Wochen habe ich ein Focus Money Abo. Freiwillig hätte ich das nicht gekauft, aber man bekommt es kostenlos, wenn man eine Miles&More Kreditkarte hat. Ich hatte aber schon geahnt, dass mich diese Zeitschrift, die ich nun regelmäßig auf dem Klo verdaue, hin und wieder aufregen wird. Warum? Weil Focus Money Burda ist und Burda folgt im Kern Springer und Bertelsmann. Man ist sich im Geiste verbunden: Folge der Kanzlerin, forciere die Kommerzialisierung unseres Lebens, unterstütze die neoliberal ausgerichteten Reformen. Leider hat man in unserer deutschen Medienlandschaft kaum eine Chance, dieser "Gleichschaltung" zu entkommen. Aber zur "Beruhigung" - in vielen anderen Ländern sieht es nicht anders aus.

Heute morgen auf dem Klo dachte ich dann beim Lesen des Editorials von Focus Money Nr. 11 nur noch: "Drauf geschissen!" Ich bin mal gespannt, wie ihr das seht: Unter der Überschrift "Der Neid der Woche" kritisiert der Chefredakteur Frank Pöpsel dort u. a. das Ansinnen des französischen, sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande, in Frankreich einen Spitzensteuersatz von 75% einzuführen. Natürlich mit dem Hintergedanken: Nicht dass hier bei uns einer auf solche Gedanken kommt.

Und dann gibt er "zu Protokoll", was mich aufregt, nämlich dass in Deutschland 25% der Einkommensbezieher ja schon 80% der Steuern zahlen würden. Und wenn man sich auf die oberen 10% der Einkommensbezieher beschränkt, dann sind es sogar 53% der Einnahmen. Im Angesicht der o. g. 75%-Forderung von Hollande spricht er dann noch das Wort "Enteignung" aus.

Nun ist das nicht neu, auch die Bild schießt gerne in diese Richtung: Die Reichen zahlen, die Armen profitieren, um das Wort "schmarotzen" zu vermeiden. Auch in den entsprechenden Polit-Talk-Shows vertreten immer wieder die gleichen Gesichter die obige Meinung. Es wird uns in den Medien immer wieder von allen Seiten in die Köpfe gehämmert.

Wie reagiert ihr zunächst spontan selber auf dieses Thema? Lest ihr so etwas genau? Ich habe mich übrigens im vorletzten Absatz absichtlich ziemlich genau an die Wahl bestimmter Worte gehalten. Versucht ihr womöglich, solche Aussagen und Sachverhalte hin und wieder mal zu überprüfen?

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Wer viel Geld hat, kann auch viel zahlen, oder? Diese Pseudoaufregung geht mir ehrlich gesagt auf den Senkel, aber ich wüsste nicht, was es mit Neid zu tun hat, wenn man meint, eine Reichensteuer in der Höhe von bis zu 75% anzustreben. Immerhin ist meines Wissens nach Frankreich auch nicht gerade reich, Einsparungen müssen erfolgen und wenn nun die Nicht-, Gering- oder Mittelverdiener bereits ihren Beitrag geleistet haben, bleiben ja wohl nicht mehr so viele Leute übrig, oder?

Diese Rechnung, die Herr Pöpsel da aufgestellt hat, ist wahrscheinlich eine Schönrechnerei. Man muss überlegen, was eine Person mit einem durchschnittlichem Einkommen bereits an Steuern und anderen Abgaben hat, wie viel davon übrig bleibt und was davon zu zahlen ist. Bei mir jedenfalls kommt diese Rechnung und der Artikel, den Du zusammengefasst hast, nicht wirklich gut an. Und ich weigere mich auch, in das gleiche Horn zu blasen. Ergo stehe ich auf der anderen Seite.

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge


Es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht. Wenn man selbst zu denen gehört, die eher weniger verdienen, dann findet man es ja eigentlich gerecht, dass „die da oben“ doch mal gefälligst mehr zahlen sollen und dass jemand, der so viel verdient, doch mal was abgegeben kann. Durch die großen Unterschiede des eigenen Einkommens zu dem der Besserverdienenden fühlt man sich ja auch irgendwie benachteiligt und gönnt daher niemandem wirklich, dass er mehr hat.

Wer hingegen selbst so gut verdient, dass auf ihn dieser hohe Steuersatz zutreffen würde, der sieht es vermutlich anders. Dann wird man es eher als ungerecht empfinden, so viel abgeben zu müssen und diejenigen, die davon profitieren, als Schmarotzer ansehen. Wer gibt denn schon gerne etwas vom eigenen Geld ab. So lange große Lohnunterschiede existieren, wird immer der eine oder andere seine Situation als ungerecht empfinden.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Gio am 09.03.2012, 15:31, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


@Richtlinie2: was hat das eigentlich mit Neid der Woche zu tun oder ist das nur die geniale Überschrift unter der das Editorial läuft? Denn so wirklich klar ist mir der Zusammenhang nicht geworden oder soll der Neid auf das größere Vermögen einiger auf die Pike genommen werden?

Verstehen kann ich diesen Neid zwar schon ein wenig. Wer möchte nicht mehr Geld haben, weil das zwar nicht per se glücklich macht, aber doch beruhigt. Und weil man das selbst nicht einfach so erreichen kann, gönnt man dann eben diesen Personen den höheren Steuersatz?

Andererseits sollte man vielleicht auch einmal diejenigen befragen, die es denn letzten Endes betreffen würde. Die Personen aus meinem Bekanntenkreis, die ein höherer Spitzensteuersatz treffen würde, sind der Meinung, dass sie eben bestimmte Dinge mehr in Anspruch nehmen als Personen mit niedrigerem Einkommen. Und ihnen stehen auch mehr Möglichkeiten offen, dass zu versteuernde Einkommen zu vermindern. Daher sehen die meisten dieser Personen entsprechende Pläne recht gelassen.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



JotJot hat geschrieben:@Richtlinie2: was hat das eigentlich mit Neid der Woche zu tun oder ist das nur die geniale Überschrift unter der das Editorial läuft? Denn so wirklich klar ist mir der Zusammenhang nicht geworden oder soll der Neid auf das größere Vermögen einiger auf die Pike genommen werden?
[...]


Das war die Überschrift des Editorials, in dem es dann nicht nur um die 75% ging, sondern auch noch um 199000 Euro Sofortrente für Wulff und 3 Mrd. USD, die ein ein Broker an der Wall Street verdient hat. Und es ging darum, ob man das diesen Leuten gönnt oder neidet.

Das Neidargument ist typisch für den konservativen Stammtisch, der das immer als Totschlagargument gegen die "linken Gutmenschen" benutzt, die immer mit einen andern Freiheitsbegriff argumentieren, der eben auch Gerechtigkeit und Chancengleichheit mit einbezieht. Das kann man wunderbar bei den aggressiven Leserkommentaren z. B. bei Welt-Online oder SPON beobachten. "Neid" ist dort ein häufig benutzter Vorwurf.

Aber ehrlich gesagt, darauf kommt es mir hier eigentlich auch gar nicht an. Aber das liegt vielleicht daran, dass entweder ich zu betont über den Neid geschrieben habe oder ihr reflexhaft zu sehr auf dieses Reizwort "Neid" fokussiert. Allerdings, daran sieht man auch, wie diese Argumentation mit dem "Neid" funktioniert. Wenn einer dem anderen "Neid" vorwirft, dann geht es nicht mehr um feine Argumentation, nicht mehr um richtig oder falsch. Und genau das passiert vielleicht hier.

Denn das eigentliche Problem an der Geschichte, sind ja die Behauptungen, die der Redakteur dort aufstellt. Es geht um seine Darstellung der Zahlen, der Verhältnisse, die Wahl der Begrifflichkeiten. Darauf hatte ich ja sogar eigentlich extra hingewiesen. Da habe ich gehofft, dass mal einer darauf anspringt. Hinterfragt ihr denn nicht, ob das überhaupt stimmt: 25% der Einkommensbezieher zahlen 80% der Steuern. 10% zahlen 53% der Einnahmen. Und was impliziert die (augenzwinkernde) Behauptung der "Enteignung"? Was daran stimmt eigentlich?

Die Zahlen und die Argumentation ist sozusagen "Standard" und wird mantraartig überall wiederholt (Politik, Medien). Sie erschlägt zunächst, vor allem in Verbindung mit dem Vorwurf des Neids, was dann vollends den Blick versperrt. Und daran, dass hier keiner sagt: "Stimmt erstens so nicht (und das tut es in der Tat nicht) und zweitens muss man auch mal berücksichtigen, welchen Anteil am Vermögen die angesprochenen Gruppen haben.", zeigt sich leider genau die Wirkung dieser Argumentation.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


@Richtlinie2: na ja, wenn im ersten Drittel erst einmal die Medienlandschaft seziert wird und der Punkt, der Dich wirklich interessiert nur in einem kleinen Absätzchen erwähnt wird, dann kann man schon mal überlesen, worum es Dir letzten Endes geht. Denn worauf Du Wert legst, das war nun wirklich nicht zu erkennen.

Ganz ehrlich: wenn würde ich beim Statistischen Bundesamt nach entsprechenden Meldungen suchen und siehe da die aktuellsten Meldungen (Klick, Klick und Klick) aus den Jahren 2008, 2007 sowie 2011 belegen diese Zahlen. Wie diese Zahlen zusammen kommen, kann man selbst den Meldungen des Amtes nicht entnehmen, daher muss man wohl oder übel darauf vertrauen. Ach ja und andere Meldungen dieser Art beruhen ebenso auf diesen Meldungen. Daher würde ich die Zahlen hier selbst gar nicht als Problem sehen und halte sie daher nicht für diskussionswürdig.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


JotJot hat geschrieben:[...] Denn worauf Du Wert legst, das war nun wirklich nicht zu erkennen.

War wohl mea culpa. Ich dachte, mit dem "Und dann gibt er "zu Protokoll", was mich aufregt, [....] wäre das zu erkennen. Aber ich gelobe Besserung.

JotJot hat geschrieben:[...]Ganz ehrlich: wenn würde ich beim Statistischen Bundesamt nach entsprechenden Meldungen suchen und siehe da die aktuellsten Meldungen [...] aus den Jahren 2008, 2007 sowie 2011 belegen diese Zahlen. [...] Ach ja und andere Meldungen dieser Art beruhen ebenso auf diesen Meldungen. Daher würde ich die Zahlen hier selbst gar nicht als Problem sehen und halte sie daher nicht für diskussionswürdig.

Dummerweise ist genau das aber der Taschenspielertrick. Genau das ist die Bauernfängerei. Schau dir mal die Überschriften der von dir zitierten Zusammenfassungen an. Da steht dann z. B., dass ein Viertel der Steuerpflichtigen 80% der Einkommensteuer zahlt, oder dass 10% 50% der Einkommensteuer zahlen und dass 1% gar 25% der Einkommensteuer zahlen.

Und was schrieb ich?

Richtlinie2 hat geschrieben:[...] dass in Deutschland 25% der Einkommensbezieher ja schon 80% der Steuern zahlen würden.

Nun vergleiche und erkenne den kleinen Unterschied. Wer aufmerksam liest, dem muss auffallen, dass hier einmal von "Einkommensteuer" und einmal von "Steuer" die Rede ist. Das ist der "casus knacktus". Denn das verschiebt alles. Und da schließen sich gleich einige Fragen an: Wie viel Prozent des gesamten Steueraufkommens machen eigentlich die Einkommensteuern überhaupt aus? Wie viel Prozent des Vermögens halten im Gegenzug diese 25/10/1% der Steuerpflichtigen in den Händen? Wer profitiert eigentlich am meisten von dem, was der Staat an Infrastruktur durch Steuern bereithält? Wie viel Prozent ihres verfügbaren Einkommens bleibt diesen genannten Gruppen nach allen Abzügen zum Leben? Und so weiter.

Mein Wink mit dem Zaunpfahl war ja:

Richtlinie2 hat geschrieben: [...] Ich habe mich übrigens im vorletzten Absatz absichtlich ziemlich genau an die Wahl bestimmter Worte gehalten. [...]

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Darauf hatte ich ja sogar eigentlich extra hingewiesen. Da habe ich gehofft, dass mal einer darauf anspringt. Hinterfragt ihr denn nicht, ob das überhaupt stimmt: 25% der Einkommensbezieher zahlen 80% der Steuern. 10% zahlen 53% der Einnahmen. Und was impliziert die (augenzwinkernde) Behauptung der "Enteignung"? Was daran stimmt eigentlich?


Na ja, Deine wahren Intentionen sind eben manchmal etwas schwer zu verstehen ;) Wenn ich Deine Aussagen nun richtig deute, dann kritisierst Du das Klagen derjenigen, die höhere Abgaben leisten. Bzw. Du bist der Meinung, dass man nicht von Enteignung sprechen dürfe, wenn sehr gut Verdienende eben höhere Prozentsätze des Einkommens an Steuern oder Sozialabgaben zahlen müssen, sondern dass hier auf hohem Niveau gejammert wird.

Da Frage ich mich, ob denn der Begriff „Enteignung“ überhaupt in diesem Zusammenhang gebraucht wird. Also dass in den Fachzeitschriften, die Du da offenbar liest, solche theoretischen Diskussionen geführt werden, scheint ja so zu sein. Aber hat denn schon wirklich mal jemand, den die Öffentlichkeit auch wahrnimmt, die hohen Abgaben als „Enteignung“ bezeichnet? Das glaube ich nämlich nicht.

Und unabhängig davon, welche genauen Zahlen und Begrifflichkeiten da nun aufgetaucht sein mögen, es ist natürlich für niemanden wirklich schön, wenn vom Brutto wenig Netto bleibt. Darum geht es ja im Kern des ganzen. Niemand gibt gerne ab; weder die, die wenig haben noch die, die viel verdienen.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


In Ordnung, mit den Zahlen habe ich nicht genau hingesehen, war wohl aus anderen Gründen zu sehr auf die Einkommensteuer fixiert, das ist mein Fehler. Allerdings bin ich der Meinung entsprechende Statistiken gelesen und genau diese wieder gefunden zu haben. Ich werde mich bessern. :wink:

Die Frage ist zwar in der Tat, welche Steuer genau gemeint ist, aber das bekommt man sicherlich nur heraus, wenn man den Verfasser selbst fragt. Wenn von Einkommensbeziehern die Rede ist, dann liegt es meines Erachtens schon nahe, dass die Rede von der Einkommensteuer ist.

Klar kann man das alles noch viel viel weiter sezieren. Die Frage ist nur, wie weit. Anderen Medien kann man nicht wirklich viel weiter trauen, denn auch dort ist die Auswahl der präsentierten Meldungen und Hintergründe stark subjektiv geprägt.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Persönlich finde ich solche "Meldungen" bzw. auch ein solches Editorial ein Versuch einer schäbigen Stimmungsmache gegen die Anfänge zu hinterfragen, wer eigentlich "die Republik bezahlt". Und es ist in der Tat so, dass z.B. die Informationen des statistischen Bundesamtes wirklich nicht Aufschluss darüber geben (wollen), wer zu den Gewinnern des großen Steuerspiels gehört! Aber machen Medien wollen mit solchen "Nachrichten" tatsächlich sicherstellen, dass der Großteil der Bevölkerung eben an die Gerechtigkeit des Systems glaubt bzw. besser noch zur Einsicht kommt, dass die Reichen schon den Rest durch Entbehrungen subventionieren. Das Minimalziel also muss lauten, dass alles so bleibt wie es ist. Die Politik sorgt dann schon für die Verschiebung (im Namen der Wettbewerbsfähigkeit). Allein die Frage, wie viel am Staatshaushalt allein durch die Einkommenssteuer bestritten wird - im Verhältnis zur Entwicklung über die Zeit - wäre aus meiner Sicht sehr interessant. Ich finde dies aber leider nicht.

Gerade in Bezug auf Deutschland finde ich es nämlich immer wieder bewundernswert, wie wenig Wert auf das "progressive" im Steuersystem gelegt wird. Wenn dann Spitzensteuersätze von 48% oder gar von 52% genannt werden, kommen "Horrorszenarien" auf, in denen die "Leistungsträger" der Gesellschaft sogar mit weniger Netto dastehen sollen, wie die "Normalverdiener". Übersehen wird, dass die hohen Steuersätze erst ab den jeweiligen Grenzen gelten und auch ein Einkommensmillionär für die "unteren Bereiche" des Einkommens auch mit entsprechenden Steuersätzen belohnt wird.

Wenn wir das fiktive Beispiel der 75% nehmen, sehe ich ehrlich gesagt nicht das wirkliche Problem, wenn dann tatsächlich z.B. ab der ersten Einkommensmillionen die 75% an Steuern verlangt werden. Das würde bedeuten, dass dann tatsächlich nur noch 25% vom Einkommen ab der Millionen übrig bleiben würde. Aber das Einkommen bis zu der Millionen würde ja nicht mit 75% besteuert werden. Jetzt zu unterstellen, dass dies zur "Flucht" der "Eliten" führen würde, unterstellt tatsächlich, dass es üblich ist, diese Millioneneinkommen ohne staatliche Vorleistungen, Infrastruktur und Märkte realisieren lassen würden.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


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