Sinken die Ansprüche an schlechtere Schüler?

vom 25.01.2012, 23:19 Uhr

Durch meinen Freundeskreis und Bekanntenkreis, durch ehrenamtliche Tätigkeiten und auch durch verschiedene Alltagserlebnisse, habe ich einen etwas merkwürdigen Eindruck bekommen, bei dem ich gerne erfahren würde, ob ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt. Vielleicht liege ich auch völlig falsch, habe eine subjektiv verschobene Wahrnehmung, oder ich habe halt zufälligerweise viele Einzelfälle erlebt. Vielleicht ist es auch eine regionale Frage, also, ein auf die Gegend hier begrenztes Phänomen, das in anderen Teilen Deutschlands nicht so vorkommt.

Es geht darum, dass ich in den letzten Monaten irgendwie immer wieder den Gedanken in den Kopf bekommen habe, anhand verschiedener Erlebnisse und Gespräche, die ich mit anderen Leuten führte, oder die ich zwischen anderen Personen mitbekam, dass gerade schlechtere Schüler in der Schule immer weniger streng bewertet werden. Oder, mit anderen Worten: Ich habe das Gefühl, dass die Ansprüche, die an Schüler, gerade lernschwächere Schüler, gestellt werden, immer geringer werden.

Zum Beispiel hatte ich neulich ein Gespräch mit der jüngeren Schwester meines Partners. Sie ist ein nettes Mädchen, schulisch mittelmäßig, aber das sagt ja über den Charakter eines Menschen nichts aus. Nun besucht sie eine so genannte "integrierte Sekundarschule". Ich weiß nicht, wie es in anderen Bundesländern so aussieht, aber in Berlin gibt es nur noch Grundschulen, Gymnasien, und eben "integrierte Sekundarschulen". Die sind quasi ein Zusammenwurf von dem, was vorher Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen waren. Man erhoffte sich damit, so hieß es offiziell, dass die Hauptschüler, wenn sie zusammen mit den Realschülern lernen, sich verbessern würden, so quasi am "guten Vorbild". Es gibt allerdings auch Menschen, die munkeln, die Zusammenlegung habe, im Gegenteil, eher eine allgemeine Niveausenkung ausgelöst. Vielleicht ein wichtiger Fakt zu meinem Thema hier.

Jedenfalls ist da die Schwester meines Freundes, mit der ich mich, wie ich schon schrieb, neulich unterhielt. Die erzählte, sie habe neulich einen Aufsatz als Klassenarbeit schreiben müssen. Es ging darum, dass man schreiben solle, ob Schuluniformen eingeführt werden sollten, oder nicht. Sie geht übrigens in die 10. Klasse, also ist sie ungefähr 16 Jahre alt. Kein kleines Kind mehr, also. Sie erzählte ein wenig, und ich fragte dann, welche Pro- und welche Kontra-Argumente ihr denn zu dem Thema eingefallen seien. Sie schaute mich dann mit großen Augen an. Es stellte sich heraus, dass sie im Aufsatz einfach alle ihre Gedanken hinschreiben sollten, ohne besondere Reihenfolge, und dass im Unterricht noch nie auch nur die Worte "Pro-Argument" oder "Kontra-Argument" erwähnt worden wären. Ganz ehrlich, bei mir am Gymnasium wäre das damals, in der 10. Klasse gerade, ganz unmöglich gewesen! Bei uns war es immer so, dass Argumentationen, gerade in Klassenarbeiten, strikt nach Pro- und Kontra-Argumenten getrennt und streng logisch argumentativ niedergeschrieben wurden sollten. Natürlich in möglichst logischer Reihenfolge, mit Einleitung am Anfang und Fazit am Ende. Das scheint heute nicht mehr üblich zu sein.

Ebenso stellte ich schon bei mehreren heutigen Jugendlichen fest, dass sie im Deutsch-Unterricht noch nie Stilmittel gelernt haben. Wir mussten sie damals noch durchpauken: Metaphern, Allegorien, Synkopen, Ellipsen. Wir wussten, was Onomatopoesie ist, oder wie eine Alliteration aussieht. Wir mussten andauernd Gedichte auf solche Dinge hin analysieren, neben der inhaltlichen Analyse. Ich sage nicht, dass das sonderlich wichtig sei, wobei ich schon finde, dass es nicht schaden kann, wenn jemand in seiner Schulzeit einmal lernt, was eine Metapher ist, oder ein Symbol. Die verschiedenen Metrum-Arten bei Gedichten und die verschiedenen Reimarten, wie wir sie lernen mussten, sind ja nicht einmal so notwendig. Aber niemals von einer Metapher gehört zu haben? Das fand ich schon seltsam. Und, egal, wie unwichtig es vielleicht ist, dass man es früher abfragte und heute gar keinen Wert mehr auf so etwas legt, das zeigt ja schon einen Wandel.

Ebenso habe ich schon von Schülern gehört, dass in Englischarbeiten heute die Grammatik und Rechtschreibung gar nicht mehr korrigiert würden, wenn es um Aufsätze ginge. Hauptsache, man habe etwas halbwegs Verständliches zum Thema geschrieben, der Inhalt zähle! Selbst, wenn fast jedes Wort falsch geschrieben sei, das wäre einigen Lehrern völlig egal.

Rechtschreibung weniger beachtet. Ich habe selbst schon von einigen besseren Schülern dird wohl allgemein, außer in Diktaten, auch im Deutsch-Unterricht immer wie Vermutung gehört, einigen Lehrern würde es heutzutage reichen, wenn die Jugendlichen überhaupt noch einen Satz aus Subjekt und Prädikat fabriziert bekämen, egal, wie das dann aussähe.

Auch auf die Ordentlichkeit der Handschrift wird wohl nicht mehr geschaut. Ich habe schon von einem Fall gehört, aber wirklich aus sicherer Quelle, in dem ein Schüler, kein behinderter, wohlgemerkt, einen Aufsatz abgegeben hat, von dem die Lehrerin kein Wort lesen konnte, weil es so ein Gekrakel war. Sie hat dann wohl, während der Lehrer bei uns konsequent eine 6 gegeben hätte, den Schüler gerufen, und aufgefordert, ihr den Aufsatz vorzulesen. Sie hat dann das Vorgelesene benotet. Man muss es ja mit der Normierung der Rechtschreibung nicht übertreiben, aber wie kann das sein, dass man einen Schüler, der kein Wort für einen anderen Menschen entzifferbar schreibt, dafür nicht einmal irgendwie ermahnt? Gut, heutzutage wird in Berufen nicht mehr so viel per Hand geschrieben, zum Glück wohl für solche Leute, aber trotzdem empfinde ich das irgendwie als falsch, ihr nicht?

Und von solchen Erfahrungen könnte ich noch weitaus länger erzählen. Da sind mir so viele untergekommen, in den letzten zwei Jahren allein schon. Da frage ich mich wirklich, ob man mit Schülern in einigen Gegenden, und gerade mit sowieso schwachen Schülern, nicht viel zu nachlässig umgeht, und sie Ansprüche extrem herunterschraubt. Vielleicht aus falscher Nettigkeit, wer weiß das schon.

Meint ihr, dass die Ansprüche wirklich weiter sinken? Woran könnte das liegen? Sind davon sehr viele Schüler betroffen, oder nur Schüler in bestimmten Regionen oder Milieus? Welche Dinge sind euch zu diesem Problem persönlich aufgefallen?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich kann dir auf der einen Seite Recht geben, auf der anderen Seite muss ich dir widersprechen. Ich denke deine Beobachtungen sind vollkommen richtig. Ich kenne viele solcher Fälle. Ich denke jedoch, das das sehr stark von der Schulform und der Schule und den Lehrern selbst abhängig ist.

Ich möchte dir darum ein Beispiel aus meiner Schulzeit geben. Diese ist zwar schon vier Jahre her, aber das ist ja noch nicht so lange und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Wir haben all das, was du bemängelst bis zum Umfallen gelernt. Wir mussten Metren bestimmen, Listen mit Fachbegriffen auswendig lernen und unsere Englisch Schularbeiten wurden mit 60 % Rechtschreibung und 40 % Inhalt bewerten. Dies hieß, selbst wenn du Inhaltlich alles 100 % beantworten konntest und eine sinnvolle Argumentation geschrieben hast, konntest du trotzdem durchfallen. Dies ist mir einige Male passiert und das hat meine Note ziemlich verdorben, da ich ansonsten mündlich und inhaltlich immer eine 1er Kandidatin war und dann wegen der Rechtschreibung trotzdem eine 5 bekommen habe.

Dann habe ich noch eine Beobachtung gemacht. Nämlich ist es ja in jeder Klasse so, dass es die Guten, die Mittleren und die schlechten Schüler gibt. Bei den schlechten Schülern war es so, dass die Lehrer mit der Zeit ihre Erwartungen heruntergeschraubt haben. Somit haben schlechte Schüler mit ausnahmsweise einmal mittelmäßigen Leistungen, gleich eine gute Note bekommen, während dessen sehr gute Schüler, die einmal eine nur mittelmäßige Leistung erbracht haben, gleich eine schlechte Note bekommen haben. So kommt es, dass für die selbe Leistung, der schlechte Schüler eine 2 und der Musterschüler eine 4 bekommt, obwohl die Leistung an sich, in beiden Fällen einer 3 entsprechen würde. Teilweise wurden die Lehrer von uns auf solche Ungerechtigkeiten hingewiesen. Diese haben dann sehr frech damit argumentiert, dass der schlechte Schüler sich "auch einmal eine gute Note verdient hat", oder das der gute Schüler nur neidisch wäre und die Benotung nicht akzeptieren kann. Dies ist jedoch kein Einzelfall sondern war bei uns alltäglich. Wir waren in unserer Jahrgang-Stufe 100 Schüler, nur 3 davon haben ein sehr gutes Abitur abgelegt. Dies sagt wohl genug über die Strenge der Bewertung aus.

Gerade aufgrund der Beobachtung, dass von schlechteren Schülern auch im Gymnasium, weniger erwartet wird, kann ich mir vorstellen, dass das bei anderen Schulformen noch problematischer ist. Wenn der Lehrer von vornherein ohne Erwartungen in die Klasse geht und im Hinterkopf hat, dass alle (!) Schüler schon von vornherein zu den schlechteren Schülern gehören, dann kann dabei wohl nicht viel herauskommen.

Ich habe auch schon von Lehrern gehört, die absolut überfordert sind, mit Schülern in anderen Schulformen, und dann lieber das Niveau senken um ihre Ruhe zu haben, anstatt immer Streit, Beschimpfungen oder Verweigerung von den Schülern zu erfahren.

» Calantha » Beiträge: 50 » Talkpoints: 35,28 »


Mir ist auch schonmal aufgefallen, dass leistungsschwächere Schüler heute lascher bewertet werden. Wenn man z.B. in zwei Klassenarbeiten eine 5 geschrieben hat und die sonstige Mitarbeit auch 5 ist, dann ist die Zeugnisnote eigentlich schon klar. Aber wenn man als Lehrer einen Schüler eine 5 geben muss, der sowieso schon ein schlechtes Zeugnis hat, dann ist das manchmal sehr schwierig. Denn die Eltern können Einspruch einlegen und das bedeutet viel Arbeit für den Lehrer.

Aus diesen Gründen wird das heute vielleicht auch nicht mehr so hart gesehen, wie früher. Heutzutage kommt es auch nicht mehr auf Stilmittel an, sondern darauf, dass die wichtigsten Sachen drin sind und man es so einigermaßen drin sind. Das finde ich ehrlich gesagt ziemlich schade und man kriegt Noten schon fast hinterhergeworfen.

» flopost » Beiträge: 594 » Talkpoints: 5,93 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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