Imageaufbesserung von Behinderten nötig & möglich
Wie wir alle wissen, bzw. ist ja die Diskussion im Munde, inwieweit man das gesellschaftliche Leben der Behinderten "verbessern" kann. Mir stellt sich hier die Frage, ob eine so starke Abneigung von Behinderten in der Öffentlichkeit noch herrscht. Ich unterstreiche das Wort "noch", weil es ein eigentlich nicht all zu neues Thema ist. Es geht mir um das Ansehen dieser Menschen in der Gesellschaft. Werden sie eurer Meinung nach immer noch sehr stark als "andersartig" empfunden? Gibt es immer noch große Probleme im Umgang mit ihnen, das heißt bspw. die Frage, ob man jemanden, der behindert ist, in einer öffentlichen Situation helfen soll, wenn man merkt, dass derjenige körperlich etwas nicht schafft, oder denkt man in dem Moment, dass man der anderen Person nicht auf diese Weise eine Art "Mitleid" signalisiert?
Ich weiß selbst nicht so genau, inwieweit diese Menschen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Kommt natürlich auf die Art der Behinderung an. Geistig behinderte Menschen sind mit Sicherheit recht wenig in der Öffentlichkeit unterwegs, bzw. verkehren nicht viel mit ihr, da sie nun mal in einer ganz anderen Wahrnehmung leben, was natürlich wieder vom Grad der Behinderung abhängt.
Was ich somit gerne wissen würde, wäre, ob eine Darstellung der behinderten Menschen in der Öffentlichkeit über Medien und Werbung, und hier gezielt vielleicht auch entsprechende Kampagnen oder irgend eine andere Art und Weise von positiven Bezug dieser Menschen, eine "Imageaufbesserung" erreicht werden könnte. Dazu müsste man jedoch erst wissen, wie sich die Menschen innerhalb der Gesellschaft fühlen. Fühlen sie sich zu wenig ernst genommen oder fühlen sie sich zu viel ernst genommen, im Sinne von, dass ihnen überwiegend eine Art Mitleid zuteil wird, der von ihnen im Grunde nicht gebraucht wird. Würde diese Art der Öffentlichkeitmachung ein anderes Licht auf die Behinderung fallen lassen?
Ich finde, dass die behinderten Menschen unserer Gesellschaft schon noch etwas ausgegrenzt werden. Man weiß wohl selber nicht genau, wie genau die Menschen leben und fühlen, wenn man nicht persönlich einen behinderten Menschen kennen gelernt hat.
Irgendwo finde ich es ja gut, wenn man auch mal einen behinderten Menschen in den Medien, wie im Fernsehen sieht. Man sieht dort, dass es eben auch nur ganz normale Menschen sind, die genauso Spaß am Leben haben wollen, wie alle anderen Menschen auch.
Auf der anderen Seite, finde ich es nicht gut, wenn man behinderte Menschen so präsentiert, so öffentlich. Man stellt sie da zwar in den Mittelpunkt, doch stellt man sie auch irgendwo zur Schau, was ich nicht gut finde. Auf diese Art, wenn ich die Menschen im Fernsehen sehe, dann empfinde ich eigentlich etwas mehr Mitleid mit ihnen. Und ich denke, dass genau das nicht erreicht werden sollte. Ich finde es schlimm, wenn man einen kleinen Jungen im Fernsehen zeigt, der nur einen Arm hat. Das ist für mich einfach nur zur Schau stellen und ich glaube nicht, dass man durch solche Medien erreicht, dass sich die behinderten Menschen noch mehr integrieren können. Das sollte man einfach nicht so öffentlich machen.
Du sprichst hier ständig von behinderten Menschen im Allgemeinen, was ich wenig durchdacht finde. Selbst, wenn du sie in verschiedene Gruppen differenzierst und beispielsweise anerkennst, dass ein Rollstuhlfahrer andere Bedürfnisse haben müsste, als ein geistig stark eingeschränkter Mensch, ist das nur die halbe Miete. Ich selbst bin blind und kann dir sagen, dass es alleine unter blinden Menschen so viele Unterschiede gibt, dass ich hier nicht fertig werden würde, würde ich alle Fassetten aufzählen wollen. Welche Unterstützung ein blinder Mensch braucht und welche Reaktion er sich von der Gesellschaft wünscht, hängt maßgeblich von seiner persönlichen Situation ab.
Du kannst auf einen Blinden treffen, der eher Kontaktscheu ist und, weil er sich bestens orientieren kann, überhaupt keine Hilfe möchte. Ebenso kannst du aber auch auf einen Menschen stoßen, der einen fürchterlichen Orientierungssinn hat und über jede Art der Hilfe froh ist. Auch Ansprache ohne ein explizites Hilfsangebot ist für viele schon schön, weil sie sich über jede Kontaktaufnahme freuen und immer neue Leute kennenlernen möchten, aber auch ein blinder Mensch wünscht sich manchmal seine Ruhe. Desweiteren musst du zwischen geburtsblinden und späterblindeten Menschen unterscheiden, die jeweils andere Hilfe benötigen und deren eigene Akzeptanz der Behinderung sich in der Regel sehr stark unterscheidet.
Es gibt also selbst bei äußerlich ein und derselben Behinderung wahnsinnig viele Unterschiede und jeder blinde Mensch, den du fragst, fühlt sich in der Gesellschaft anders behandelt oder aufgehoben. Manch einer antwortet, man brächte ihm zu viel Mitleid entgegen, der Andere beklagt, viele Menschen liefen einfach an ihm vorbei, obwohl offensichtlich erkennbar gewesen sei, dass er Hilfe gebraucht habe. Es gibt blinde Menschen, die beklagen, dass man sie nicht einstellt, weil sie behindert sind und Arbeit verursachen, Andere haben bereits eine Anstellung gefunden und fühlen sich wohl. Es gibt Menschen, die bestens in die Gesellschaft integriert sind, sehende Freunde oder gar einen sehenden Partner haben und damit vollauf zufrieden sind. Andere jedoch fühlen sich vielleicht in einem Freundeskreis aus überwiegend ebenfalls betroffenen wohler und empfinden es somit nicht als gesellschaftliches Manko, wenn sie kaum sehende Personen in ihrem Umfeld haben. Festzuhalten ist allerdings schon, dass diese Empfindungen nicht nur von der Person, sondern von der einzelnen Situation und jeglichen Lebensumständen abhängig sind. Eine allgemeingültige Aussage, wie sich der behinderte Mensch in der Gesellschaft fühlt, kann man auch hier nicht treffen.
Trotzdem fände ich es schon wichtig, dass man die Gesellschaft mehr für die Bedürfnisse ihrer behinderten Mitmenschen sensibilisiert, wofür meiner Meinung nach relativ wenig getan wird. Eine Kampagne mit dem Thema „Behinderte“ finde ich ziemlich deplatziert, weil eine solche erstens alle Behinderten in einen Topf werfen und zweitens schlichtweg Mitleid erwecken würde; das kann niemand wollen, der in der Gesellschaft als gleichgestelltes Mitglied anerkannt werden möchte. Wenn man nach einer Möglichkeit über das Fernsehen sucht, fände ich Dokumentationen jeglicher Art angebracht, die nicht die Mitleidsschiene ansteuern, sondern zum Beispiel das Leben eines behinderten Menschen zeigen. Ich habe schon Dokumentationen über blinde und geistig behinderte Menschen gesehen, die sehr umfangreich ihr Leben darstellten und ihre Möglichkeiten zeigten, aber auch auf die Schwierigkeiten des Einzelnen eingingen. Solche Dokumentationen wecken Verständnis und bleiben nachhaltiger im Gedächtnis, als eine Kampagne mit dem Leitmotiv: „Helft den armen Behinderten!“
Ein wichtiges Sprachrohr für unsere Bedürfnisse sind allerdings auch die Schulen. Vor allem Grundschulkinder sind noch relativ unbedarft und gehen sehr offen an die Thematik heran. Ich habe bereits Workshops mit dem Thema „Blindheit“ angeboten und alles Mögliche vorgestellt. Wir haben uns zusammen die Blindenschrift und Hilfsmittel, wie eine tastbare Uhr oder eine sprechende Küchenwage angesehen. Danach musste sich jedes Kind die Augen verbinden und unter der Begleitung eines anderen Kindes einige Schritte durch das Klassenzimmer gehen. Gerade Grundschulkinder sind noch sehr offen und stellen viele Fragen, aber genau dieses Interesse brauchen wir. Wenn mich jemand ausquetscht, ist mir das viel lieber, als wenn jemand krampfhaft wegsieht, aber genau diese Unbedarftheit fehlt bei vielen Erwachsenen und wäre wünschenswert.
Anemone hat geschrieben: Solche Dokumentationen wecken Verständnis und bleiben nachhaltiger im Gedächtnis, als eine Kampagne mit dem Leitmotiv: „Helft den armen Behinderten!“.
An eine solche einseitige Kampagne habe ich auch nicht gedacht. Desshalb habe ich eine offene Frage gestellt, inwieweit man eine solche Kampagne machen könnte, wie man die Gesellschaft für das Thema insgesamt sensibilisieren könnte. Es freut mich, dass hier eine betroffene Person geantwortet hat . Darf ich frage, wie du hier in dieses Forum schreibst und liest, obwohl du nichts sehen kannst? Welche Art von Technik benutzt du?
Mir würde jetzt laut deiner Antwort spontan die Idee einfallen, die behinderten Menschen in ihrer Vielfalt zu zeigen, ohne sie alle über einen Kamm zu scheren. Genauso wie du sie geschildert hast, würde ich sowohl die guten als auch die schlechten Seiten zeigen, was letztlich den guten und den schlechten Seiten eines "normalen" Lebens entspricht.
Natürlich zeigt eine Dokumentation die Lebensnähe der Betroffenen. Man kann genau miterleben, wie der Alltag aussieht, dass er genauso sein kann, wie der Alltag anderer auch. Nur mit einer Kampagne verbinde ich immer eine Aktualität der Wahrnehmung, weil sie jeder entweder im Fernsehen oder auf bspw. Plakatwänden sehen kann. Eine Dokumentation bekommt nicht die Aufmerksamkeit der Masse. Wir leben heute in einer starken Aufmerksamkeitsökonomie, in der Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist. Damit ein bestimmtes Bewusstsein für etwas von der Masse wahrgenommen wird, muss diese Message auch öffentlich und bspw. mithilfe bestehender "Marken" transportiert werden. Dabei könnten es sowohl Produkte sein als auch bestimmte Organisationen und Verbände, die in die Öffentlichkeit treten. Ehrlich gesagt fehlt mir das so bisschen. Auf der anderen Seite impliziert das vielleicht auch von Seiten der Betroffenen eine Art "Zurschaustellung", und hier ist die richtige Darstellung wichtig, sodass es eben nicht auf diese Schiene rutscht. Was meinst du?
Ich denke, dass es nicht so einfach ist, etwas aus dem Boden zu stampfen, das den Bedürfnissen aller gerecht werden kann. Eine Kampagne jeglicher Art impliziert für mich immer eine gewisse Prägnanz und Schnelligkeit, sie soll leicht auf Plakatwänden abgebildet werden können und ein Werbe-Spot dazu sollte die 20 Sekunden keinesfalls überschreiten. Jetzt frage ich mich aber, ob solche Vorgaben sich mit der Vielfalt der Thematik in Einklang bringen lassen, was sicherlich auch davon abhängt, was solch eine Kampagne letztlich aussagen möchte. Welches Bild könnte prägnant und einprägsam sein, aber behinderte Menschen dennoch nicht in ein falsches Licht rücken?
Ich habe sicherlich keine blendende Fantasie und bin kein kreativer Kopf, aber die Vielfalt der behinderten Menschen, die Forderung, diese mehr in die Gesellschaft zu integrieren und zusätzlich der Aufruf, ruhig einmal eine helfende Hand anzubieten, lassen sich schwer in einem aussagekräftigen Motiv vereinen.
Dazu kommt, dass ich eben nicht alle Behinderten in einen Topf werfen kann. Wenn ich eine Kampagne gegen Aids entwerfe, dann ist die Aussage klar, denn es ist völlig eindeutig, dass die Krankheit tödlich ist und sie dementsprechend von niemandem gewollt werden kann; deswegen ist ein Aufruf zum Schutz mit Kondomen die einzig logische Konsequenz. Aber was will ich letztlich mit einer Kampagne über behinderte Menschen aussagen? Natürlich, ich will an sich Aufmerksamkeit erregen, aber dazu gehört auch, der Gesellschaft zu zeigen, was sie verbessern könnte.
Wenn ich nur Aufmerksamkeit erwecke, frei nach dem Motto: „In dieser Gesellschaft leben auch Behinderte, bezieht sie mit ein, gebt ihnen eine Chance!“, dann rutsche ich leider viel zu sehr auf die Mitleidsschiene ab, weil ich nur Betroffenheit und Schuldbewusstsein erwecke, ohne wirkliche Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge für den Einzelnen zu geben. Wenn ich auch diesen Teil einbeziehen möchte, dann geht es aber weit über eine einfache Kampagne heraus, denke ich. Abe vielleicht gibst du mir mal ein Beispiel, was du dir unter einem aufmerksamkeitsweckenden Kurzfilmchen vorstellen würdest, dann kann ich das vielleicht eher nachvollziehen und beurteilen, ob die Message gelungen wäre.
Im Übrigen wird eigentlich schon Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Mein Blindenverein beispielsweise beteiligt sich relativ häufig an öffentlichen Diskussionen; zuletzt sind wir in aller Öffentlichkeit für die Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen an U-Bahn-Haltestellen eingetreten. Wir betreiben Informationsstände auf diversen Veranstaltungen und führen natürlich auch stets Werbematerial und Informationsflyer mit, wenn wir öffentlich auftreten. Auch bieten wir ein Aufklärungspaket für Schulen an, das aus vielen verschiedenen Broschüren und Blindenschriftalphabethen besteht; auf Wunsch kommt aber auch gerne eine blinde Person vorbei. Zusammengefasst treten wir also immer dann auf, wenn wir aktiv unsere Bedingungen verbessern wollen oder mit offenen Ohren und Interesse rechnen können. Das reicht vielleicht nicht in Gänze, ich empfinde es aber als guten Ansatz und in mancherlei Hinsicht wirksamer, als eine massentaugliche Präsentation.
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