Muttersprache verlernen - geht das?
In einigen Themen wurde ja bereits angesprochen, dass man eine Sprache oftmals verlernen kann, wenn man zweisprachig aufgezogen wird, noch besonders jung ist und dann in ein anderes Land zieht oder einfach keine Verwendung mehr für eine Fremdsprache hat, beispielsweise Bleibt eine Sprache im Langzeitgedächnis? oder Sprachtandem um die Sprache nicht zu verlernen.
Was mich jedoch interessieren würde ist, ob man seine eigene Muttersprache verlernen kann. Ich gehe in diesem Fall nicht von einem Kleinkind aus, welches bereits schon mit vier oder fünf Jahren mit seiner Familie ausgewandert ist und die Sprache noch gar nicht 1A beherrschte, sondern von einem Erwachsenen. Angenommen man ist in Deutschland aufgewachsen, ist schon an die 30 oder 40 Jahre alt, kann fließend deutsch sprechen und wandert dann mit seiner Familie beispielsweise aufgrund des Arbeitsplatzes in die USA, wo man damit konfrontiert wird, sich auf Englisch zu verständigen. Kann man dann nach 20 Jahren überhaupt noch ein Wort deutsch, wenn man irgendwann mal wieder zurückkommt oder wie groß ist die Chance, dass man seine Sprache in der Zwischenzeit bereits verlernt hat, weil man in seinem neuen Heimatland an dessen Sprache gewöhnt ist?
Einer aus meiner Klasse sagte mir nämlich, seine Tante würde inzwischen schon über 20 Jahre in den USA leben und sie wären neulich in Deutschland zu Besuch gewesen, man hätte sich aber mit ihnen auf Englisch verständigen müssen, weil sie kaum mehr Deutsch sprechen konnten. Ich war darüber schon etwas überrascht, weil es ja praktisch ihre Muttersprache war, die sie bis zu ihren 30. Lebensjahr noch gesprochen hatten. Ob sie aber gelegentlich Kontakt mit ihren Verwandten in Deutschland und miteinander telefoniert hatte, weiß ich nicht genau.
Ist es möglich als Erwachsener die deutsche Sprache zu verlernen wenn man ein paar Jahrzehnte in einem fremden Land lebt? Kann man seine Muttersprache wirklich verlernen oder ist das wie das Fahrradfahren oder Schwimmen und man verlernt es so gut wie nie? Besteht auch die Chance seine Sprache zu verlernen, wenn der Partner beispielsweise nicht aus dem jeweiligen Land kommt, sondern ebenfalls Deutscher ist und man sich innerhalb der Familie noch auf Deutsch unterhält? Wie groß ist die Chance, dass man seine Sprache verlernen kann und woran liegt das eigentlich?
Ich kann mir das eigentlich nicht wirklich vorstellen, dass man seine Muttersprache komplett verlernt, wenn man jahrelang im Ausland lebt. Ich denke schon, dass man vielleicht ein paar Schwierigkeiten hat, wenn man ausschließlich die Sprache des anderen Landes spricht und nicht oft Kontakt zu Muttersprachlern hat.
Meine Großtante zum Beispiel lebt nun seit ungefähr 70 Jahren in Kanada und spricht immernoch recht gut Deutsch. Ihr fehlen manchmal bestimmte Worte und man hört einen leichten Akzent raus, aber sie kann sich ganz normal auf deutsch unterhalten. Allerdings bevorzugt sie es, wenn man mit ihr auf englisch spricht, eben weil sie es nicht mehr so gewohnt ist, sich auf deutsch zu unterhalten.
Also wenn man 30 Jahre lang eine gefestigte Muttersprache hat, verlernt man die denke ich nicht zur Gänze. Ich denke schon, dass man dann mit der Zeit vielleicht nicht mehr ganz so flüssig spricht und dass einem dann nicht gleich alle Wörter einfallen und dergleichen, aber dass man sich in seiner Muttersprache dann nicht mehr unterhalten kann, glaube ich nicht.
Ich war mit etwa 20 Jahren für ein Jahr lang in Frankreich und habe dort in einer französischen Familie auch gewohnt. Ich habe eigentlich wirklich fast nur auf Französisch gesprochen und nach einigen Monaten waren auch meine Gedanken auf Französisch. Als ich nach dem Jahr wieder nach Hause gekommen bin, habe ich bemerkt, dass ich selbst nach so einem kurzen Zeitraum wie eben ein Jahr, durchaus ein paar Wortfindungsprobleme hatte. Das heißt, das mir der französische Begriff schneller auf der Zunge lag als der deutsche Begriff.
Dieses "Problem" war jedoch wirklich nur gelegentlich und gering ausgeprägt. Nach ein paar Tagen / Wochen war es für mich auch wieder komplett normal auf Deutsch zu sprechen. Aber damit wollte ich eben zeigen, dass man selbst nach einem Jahr, was im Bereich der Sprache ja wirklich nicht lange ist, schon ein wenig die "Übung" verliert. Wenn man da eine Sprache, eben auch die Muttersprache, mehrere Jahre überhaupt nicht benutzt, glaube ich schon, dass es da zu Lücken kommt. Aber dass man seine Muttersprache im erwachsenen Alter ganz verlernt glaube ich eigentlich nicht.
Bei Kindern sieht das natürlich anders aus. Eher durch Zufall habe ich vor einigen Tagen irgendeine Sendung wie "Entführt" oder so gesehen. Keine Ahnung, wie die Sendung genau geheißen hat, jedenfalls wurde ein Kind mit glaube ich 2,5 Jahren vom Vater entführt. Dann war das Kind glaube ich 2,5 Jahre lang in Amerika und wurde dann von der Mutter wieder gefunden. Genau habe ich es wie gesagt nicht verfolgt, sondern nur nebenbei, deswegen kann ich mich hier mit den Zeiträumen ein wenig irren, meine aber, dass es in etwa so war. Jedenfalls konnte das Kind welches ja 2,5 Jahre lang mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen ist, mit 5 dann nicht mehr wirklich Deutsch und hat sich mit der Mutter zunächst auf Englisch unterhalten.
Da ist es denke ich schon klar, weil mit 2,5 Jahren die Muttersprache zwar präsent, aber eben noch nicht wirklich gefestigt ist. Wenn das Kind dann 2,5 Jahre keinen Kontakt mehr mit der deutschen Sprache hat, dann kann es da die Muttersprache schon verlernen. Ob es dann schneller geht, die Muttersprache wieder neu zu erlernen, weiß ich nicht und wurde glaube ich hier auch schon einmal in einem anderen Thread diskutiert.
Ich glaube nicht, dass man seine Muttersprache komplett verlernt, weil man im Ausland lebt und dort eine andere Sprache spricht. Jedenfalls dann nicht, wenn man die Muttersprache vorher 30 Jahre lang gesprochen hat. Dass sich die Muttersprache irgendwann verschlechtert, ist völlig klar und geht sogar recht schnell. Ich habe selbst ein Jahr im Ausland gelebt und hatte hinterher eine Weile Probleme mit Deutsch. Mir fielen Wörter nicht ein, ich bin immer wieder ins Englische zurückgefallen und über meine Aussprache haben sich alle lustig gemacht. Nach einiger Zeit hat sich das dann aber wieder gelegt.
Wenn man nun auswandert und lange Zeit seine Muttersprache nicht spricht, wird man diese auch erst mal nicht mehr so gut sprechen. Insbesondere, wenn man voll integriert ist und auch wirklich gar kein Deutsch, sondern nur noch die neue Sprache spricht. Dass man die Sprache jedoch völlig verlernt, kann ich mir wirklich nicht vorstellen.
Vorstellen konnte ich mir das auch immer nicht. Vor allem nicht, wenn man wirklich lange Zeit in dem Land gelebt hat und die (Mutter-)sprache angewendet hat. Tatsächlich habe auch ich Verwandte in den USA. Meine Großtante ging damals wohl mit um die 30-40 Jahren in die USA und ist mittlerweile fast 80 Jahre. Jedenfalls hat sie uns vor drei Jahren mal besucht und sie hatte enorme Schwierigkeiten was die Wortfindung anbelangt. Sie hat komplett alles verstanden, konnte sich aber nicht mehr fließend auf deutsch unterhalten.
Es lag wirklich einfach daran, dass ihr die Vokabeln auf deutsch entfallen waren und sie sie nur auf englisch sagen konnte. Damit konnte dann aber meine Oma immer nicht wirklich viel anfangen. Komplett ihre Muttersprache hat sie also nicht vergessen, aber schon einige Vokabeln und auch solche, die man tagtäglich anwendet. Wobei es bei den anderen, spezielleren natürlich noch eher so war. Mich hat das schon verblüfft und ihr war es regelrecht peinlich. Aber Fakt ist ja, dass sie alles verstanden hat und da kann man wirklich nicht sagen, dass sie was verlernt hat. Ich gehe auch stark davon aus, dass man das schnell wieder aufholt, weil alles noch versteckt abrufbar ist und man es nur wieder hervorholen muss.
Ich denke, man muss da eben genau definieren, was man unter "verlernen" versteht. Komplett wird man die Sprache wohl nie verlernen, aber wenn man es nicht mehr gewohnt ist diese zu sprechen, dann gehen viele Wörter und Ausdrücke auch erst einmal verloren und man kann sich nicht mehr gut daran erinnern. Allerdings bleibt die Sprache sowieso dauerhaft im Gedächtnis, es bedarf dann nur einer Auffrischung und dann ist alles wieder da.
Mir scheint es eher, als wäre die Tante einfach zu faul in ihrer Muttersprache weiter zu sprechen und darüber nachzudenken, denn können wird sie das meiner Meinung nach schon noch. Aber Englisch wird ihr wohl mittlerweile einfach leichter fallen, da sie daran gewohnt ist. Bei mir ist es beispielsweise auch sehr oft schwer, wenn ich lange Zeit am Stück nur eine Sprache geredet habe, dann auch wieder auf eine andere Sprache zu wechseln. Aber ich habe nur eine Muttersprache und daher ist das wohl noch etwas anderes, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Umstellung nach langer Zeit eben nicht so einfach ist, aber trotzdem möglich, wenn man sich bemüht.
20 Jahre sind schon eine lange Zeit. Das was ich vor 20 Jahren gut konnte, kann ich heute kaum mehr. Schwimmen verlernt man zwar grundsätzlich nicht, ebenso wie dies beim Fahrradfahren immer gesagt wird, aber nur weil ich vor Jahren mal Rettungsschwimmerin war, würde ich heute den Anforderungen trotzdem längst nicht mehr genügen.
Ich glaube es kommt nicht darauf an, wie lange man etwas gemacht oder eine Sprache gesprochen hat, sondern wie oft man sie nutzt. Wenn man 20 Jahre so gut wie nie deutsch spricht, dann dürften die Sprachkenntnisse zumindest sehr tief vergraben sein. Und manche Wörter vergisst man mit der Zeit doch auch wieder. Ich selbst kannte zu meiner Schulzeit grammatikalische Begriffe, die ich heute nicht mehr ansatzweise erklären könnte. Und Sprache passt sich zudem ja auch an. Manch einer, der das Bundesland wechselt lernt schnell den dortigen Dialekt teilweise perfekt. Sofern Interesse an der Sprache da ist und man regelmäßig "trainiert".
Ich habe Menschen kennengelernt, die weder Deutsch noch ihre Muttersprache perfekt beherrschten. Obwohl sie 30 Jahre und länger in ihrer Heimat gelebt hatten, bevor sie nach Deutschland kamen. Andere lernen schnell Sprachen und wissen alle richtig zu nutzen. So können einige Menschen acht Sprachen, während andere nicht einmal ihre Muttersprache fehlerfrei beherrschen. Ich denke ähnlich verhält es sich auch bei dem "Verlernen" oder Vergessen der Muttersprache. Wobei es jedem leichter fallen sollte, sich Kenntnisse erneut anzueignen oder früher Gelerntes wieder hervor zu holen.
Persönlich habe ich damals nach einem Jahr im Ausland schon gemerkt, dass mir manche Wörter schneller auf Englisch oder Spanisch einfielen, als auf Deutsch. Allerdings kann und konnte ich nie perfekt Englisch und meine Spanischkenntnisse bewegten sich auf Anfängerniveau. Damals gab es allerdings einige Dinge in meinem Alltag, die neu für mich waren. Im Hotel zum Beispiel der Doorman, wann immer ich Getränke bestellte machte ich dies auf Spanisch, Grüßen auf Spanisch oder Englisch, so dass so einige Wörter in anderen Sprachen in den Vordergrund rückten. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies mit den Jahren stetig zunimmt, wenn man die Muttersprache nicht halbwegs regelmäßig oder gar überhaupt nicht nutzt. Das kann mit 10 Jahren, mit 30 Jahren und mit 50 Jahren passieren und um es zu verhindern sollte man seine Muttersprache schon regelmäßig bewusst nutzen.
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