"Occupy" Bewegung in Deutschland
Es verwundert mich, dass noch niemand etwas über die "Occupy" Bewegung in Deutschland geschrieben hat, denn immerhin waren am Samstag, den 15.10.2011 eine Menge Leute auf die Straße gegangen, um gegen die Ungerechtigkeiten in diesem Land ihren Unmut zu äußern.
Etwa 40.000 Menschen waren in verschiedenen Städten am demonstrieren und haben gezeigt, dass sie die derzeitige Politik und auch die immer weitergehende Staatsverschuldung für nicht mehr tragbar halten. Wie habt ihr diesen Tag erlebt? War jemand von Euch aktiv auf der Straße bei einer Demonstration dabei? Wie steht ihr zu den Protesten?
Was ich hab Samstag gemacht habe, ist relativ leicht zu beantworten: Ich habe fröhlich das Bankensystem unterstützt, indem ich bei IKEA mit meiner EC-Karte bezahlt habe .
Was ich an dieser Bewegung am erstaunlichsten finde, dass sich in Deutschland wirklich Menschen zusammen gefunden haben, um gegen die "Obrigkeit" zu demonstrieren. Das kommt in unserem Land doch eher selten vor, dass die Franzosen bei solchen Aktionen mitmachen, war nicht anders zu erwarten, dass aber auch hier wirklich mal jemand mitmacht erstaunt mich persönlich am meisten.
Ich habe mich selber nicht wirklich mit dieser Bewegung auseinander gesetzt, weiß also nicht zu 100 Prozent, was diese Bewegung genau erreichen will, nur soviel habe ich am Rande mitbekommen (wie du auch geschrieben hast), dass es gegen die Ungerechtigkeit in unserem Land gehen soll. Gerechtigkeit liegt doch aber immer im Auge des Betrachters. Wir Deutschen sind immer erstaunlich gut darin, die Schuld für die vermeintliche Ungerechtigkeit bei anderen zu suchen. Schuld sind wir Menschen nie selber, der Schuldige ist immer ein anderer. Wenn uns nichts besseres einfällt, dann sind es die Banken oder der Staat oder der Nachbar, der seinen Zaun 1,2 cm zu weit auf mein Grundstück gebaut hat. Das eigentliche Problem, was ich hinter diesen ganzen Jammertiraden, Demonstrationen und der Meckerei vermute ist der pure Neid, beziehungsweise die Unfähigkeit oder auch der fehlende Wille an der eigenen Situation etwas zu ändern.
Ich sehe für mich persönlich keinen Grund, dass ich auf die Straße gehen sollte, um gegen die Ungerechtigkeit zu demonstrieren. Ich bin für mich und mein eigenes Glück selber verantwortlich und sehe keinen Sinn darin anderen sagen zu müssen, wie sie ihren Job machen sollen. Klar habe ich auch oft andere Vorstellungen von dem, wie man es machen könnte. Aber auch hier liegt es wieder an mir, entweder ich bringe den Mut auf und engagiere mich irgendwo politisch um vielleicht meinen Ideen Gehör zu verschaffen oder ich lasse es sein. Eine Demonstration in der Form wie zur Zeit führt in meinen Augen zu nichts, außer das Politiker und Vorstände der verschiedensten Unternehmen kurz schief lächeln und danach sich wieder ihrem Tagesgeschäft widmen.
Kurzum: Jeder ist seines Glückes Schmied, man muss nur versuchen seine Fehler selbst zu finden und seine Stärken zu nutzen. Dann ist jeder in diesem Land in der Lage, das für ihn Beste zu bekommen. Nicht reden sondern machen.
Ehrlich gesagt war der Tag für mich einer wie jeder andere. Ich habe nur am Rande von diesen Demonstrationen etwas mitbekommen, selbst war ich nicht auf der Straße. Einerseits ist es natürlich verwunderlich, dass es in Deutschland tatsächlich einmal dazu gekommen ist, dass so viele Menschen auf die Straße gehen. Gerade in Deutschland ist das gar nicht üblich, wir lassen uns hier viel zu viel gefallen. Deshalb finde ich diese Aktion eigentlich gut, aber ich bin auch etwas skeptisch. Da hier normalerweise so etwas nie gemacht wird, bin ich mal gespannt, ob es dabei bleibt oder ob nochmal Demonstrationen stattfinden werden.
Generell ist es eine gute Sache, dass die Bürger hier einmal zeigen, dass sie unzufrieden sind. Aber wenn es bei einer Demo bleiben sollte, wird es sein wie ein Tropfen auf den heißen Stein: es wird nichts bringen. Deshalb fand ich diese eine Demonstration jetzt auch nicht so interessant, dass mir dazu eine Diskussion gefallen hätte. Wenn jetzt noch weitere kommen, dann wird es erst interessant und ich bin gespannt, ob daraufhin auch etwas geschehen wird. Im Moment schaut wohl jeder eher mit einem müden Lächeln auf die paar Leute, die auf die Straße gegangen sind.
ygil hat geschrieben:Es verwundert mich, dass noch niemand etwas über die "Occupy" Bewegung in Deutschland geschrieben hat,[...]
Ich hatte hier vor einiger Zeit auf die amerikanische Bewegung hingewiesen, aber die doofe Suchmaschine schmeißt das leider bei mir nicht raus. Damals war noch fraglich, was daraus wird. Das war kurz nach dem Polizeiübergriff in New York.
ygil hat geschrieben:[...]am demonstrieren und haben gezeigt, dass sie die derzeitige Politik und auch die immer weitergehende Staatsverschuldung für nicht mehr tragbar halten.
Interessant ist, dass du es auf dieses Thema verkürzt, v. a. weil ja nicht gegen die Staatsverschuldung an sich demonstriert wurde, sondern gegen das Finanzsystem. Aber auch das ist ja nur ein Teil der Thematik und zwar ein sehr kleiner Teil. Leider haben es die Medien in der Mehrzahl aber so dargestellt, dass Ursache der Demonstrationen die bösen Banker sind. Das macht es auch möglich, dass die Politik bei uns mindestens verhalten, aber z. T. offen hinter den Protesten steht. Dabei ist ja gerade die ohnmächtige Politik, die in den letzten Jahren zur Getriebenen von Wirtschaft und Finanzwelt geworden ist, Teil des Problems. Es ist die Entdemokratisierung und der Rückzug des Staates und die Situation, die zu einer unglaublichen Ungleichheit geführt hat, die nicht mehr akzeptabel ist. Es ist die Verwettbewerblichung und die ausschließliche Orientierung am Markt, es ist das Verhalten, selbst den Nutzen von Menschen nur noch an ihrem Nutzen für die Märkte zu messen. Jeder hat sich in allen Lebenslagen dem Wettbewerb zu unterwerfen.
Das alles kam in den Medien nicht zur Sprache (bis auf wenige Ausnahmen) und es wurde nur von bösen Bankern geredet. Das ist gefährlicher Unsinn, aber mit der Grund dafür, dass viele nun überhaupt nicht wissen, worum es geht.
martin22 hat geschrieben:Ich habe mich selber nicht wirklich mit dieser Bewegung auseinander gesetzt, weiß also nicht zu 100 Prozent, was diese Bewegung genau erreichen will, [...]. Wir Deutschen sind immer erstaunlich gut darin, die Schuld für die vermeintliche Ungerechtigkeit bei anderen zu suchen. [...] Das eigentliche Problem, was ich hinter diesen ganzen Jammertiraden, Demonstrationen und der Meckerei vermute ist der pure Neid,[...]
Diese Denke ist exemplarisch für einen Teil unserer Bevölkerung, die in den letzten Jahren zutiefst unpolitisch geworden ist und sich zudem von den derzeitigen Problemen nicht betroffen sieht und auch oft gar keine Zeit hat, sich damit zu beschäftigen. Das geht einem großen Teil der sog. Mitte so, die sich gerne nach oben orientieren und nach unten treten. Dabei erkennen sie leider nicht, dass genau sie es sind, gegen die sich das derzeitige System ganz besonders richtet. Es geht ja auch um die derzeit stattfindende Erosion der Mitte. Genau diese Mitte ist der Verlierer der letzten Jahre und auch der Zukunft. Man wirft dieser Mitte seit Jahren die Feindbilder hin, damit die sich daran abarbeiten können und das wirkliche Problem nicht erkannt wird. Diese Feindbilder waren: Ausländer, Islam, Rentner, Hartz IV Empfänger, Staat, Banker, Euro, Griechen - jedenfalls genug für die Stammtische, um sich abzuarbeiten. Nichts davon hat je gestimmt.
Es kann doch wohl nicht um Neid gehen, wenn selbst viele Reiche inzwischen sagen, dass sie locker bereit wären, wenigstens anständig Steuern zu bezahlen. Und das haben sie an vielen Stellen öffentlich getan, nicht nur in Deutschland. Jeder gönnt diesen Menschen doch ihre 3 Porsches und ihr schickes Haus und ihr Ferienhaus, wenn es unsere Steuersysteme aber möglich machen, dass diese Leute weniger Steuern zahlen, als ihre Chefsekretärin, dann stimmt etwas nicht. Und das in einer Situation, in der der Staat dringend Einnahmen benötigt und stattdessen lieber den Ärmsten der Armen noch die Alimentierung kürzt, so dass inzwischen viele tatsächlich hungern müssen.
Das Neidargument ist inzwischen völlig ausgelutscht, aber so falsch, wie es dumm ist und an der Realität vorbeigeht. Es traut sich eigentlich keiner mehr, das in den Mund zu nehmen, die Hardliner fahren eine andere Schiene (siehe das Verhalten von Gauck). Das war vor 5-10 Jahren noch anders. Aber inzwischen ist einiges passiert, was aber viele wohl nicht mitbekommen haben.
martin22 hat geschrieben:Ich bin für mich und mein eigenes Glück selber verantwortlich [...] Kurzum: Jeder ist seines Glückes Schmied, man muss nur versuchen seine Fehler selbst zu finden und seine Stärken zu nutzen. Dann ist jeder in diesem Land in der Lage, das für ihn Beste zu bekommen.
Das sind genau die gefährlichen, unsinnigen und rührigen Gebetsformeln, die man den Menschen seit über 10 Jahren einbläut und letztlich die Begründung dafür darstellen sollen, dass sich der Staat aus allen Bereichen des Lebens zurückziehen soll. Die scheitern aber leider allzu oft an der Realität. Es sind hohle Formeln, die politisch missbraucht wurden.
All das ist auch Teil der Occupy-Bewegung, aber die Ziele sind eben noch nicht klar formuliert. Das ist ein Entdeckungsprozess, der in Arbeit ist und man muss nun aufpassen, wer da alles versucht, das für sich zu vereinnahmen. Jedenfalls ist das spannend und lange fällig. Ich freue mich, dass gerade viele junge Leute ihr Interesse an Politik entdecken oder neu entdecken. Schließlich geht es v. a. um deren Zukunft.
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