1 Jahr Praktikum - Ausbeuterei?
Ich persönlich kenne es nur so, dass man für eine Praktikantenstelle bezahlt wird. Zwar bekommt man nicht das gleiche Gehalt, wie die festen Mitarbeiter einer Firma, das ist aber auch logisch und liegt daran, dass die festen Mitarbeiter entweder eine Ausbildung oder eine universitäre Ausbildung genossen haben dürften und auch mehr Verantwortung in dem Betrieb übernehmen, als ein Praktikant. Bei Ausschreibungen von Praktikantenstellen sehe ich aber durchweg immer den Zusatz, dass man dafür auch eine Bezahlung erhält.
Was die Länge des Praktikums beträgt, ich habe in zwei Firmen jeweils dreieinhalb Monate ein Praktikum gemacht und hätte das locker auch auf ein halbes Jahr verlängern können, auch sehe ich oft Stellenanzeigen, in denen für Stellen für Praktikanten für einen Zeitraum von sechs oder neun Monaten, selten mal für ein Jahr, aber man kann ja theoretisch ein neunmonatiges Praktikum so verlängern, dass man nachher ein Einjahres-Praktikum hat. Das finde ich jetzt auch nicht so abwegig.
Einzig und allein die Verhaltensweise der beschriebenen Freundin kann und will ich nicht nachvollziehen. Sicher wäre ich ein wenig gefrustet gewesen, wenn ich ein Jahr lang arbeiten müsste und dafür überhaupt nichts bekommen hätte, das Gehalt wäre ein Anreiz für mich gewesen und ich habe sogar ein weiteres Monatsgehalt bekommen, bei einem meiner Praktika, weil ich mich so gut angestellt habe. Wenn ich die Aussicht auf eine Ausbildung in dem Betrieb gehabt hätte, dann hätte ich mich doch extra gut angestellt und mich gut darauf vorbereitet, dass ich auch auf jeden Fall die Ausbildungsstelle bekomme. Unentschuldigtes Fehlen zeigt natürlich genau das Gegenteil, Desinteresse, da ist man es dann auch leider selber schuld, wenn man dann die Ausbildungsstelle nicht bekommt.
Grundsätzlich halte ich auch nichts von langen, unbezahlten Praktika. Ich muss im Laufe meines Studiums auch unbezahlte Praktika ableisten. Unter anderem habe ich bereits ein dreimonatiges Pflegepraktikum absolviert, für das ich kein Geld erhalten habe. Ich konnte lediglich kostenlos in der Cafeteria des Krankenhauses essen. Das ist natürlich kein adäquater Ausgleich für die Arbeit, die man selbst als Praktikant dort erledigt. Zu der Zeit, als ich mein Praktikum gemacht habe, war dort auch jemand, der ein einjähriges Praktikum auf der Station ableistete - ebenfalls ohne Bezahlung. Ich halte es für angebracht, einem einfachen Praktikanten zumindest einen Hilfsarbeiter-Lohn zu zahlen und einem Praktikanten, der schon weitere Kenntnisse mitbringt (zum Beispiel durch seinen Fortschritt im Studium) auch wirklich angemessen zu entlohnen. Viele Praktikanten werden mit Sicherheit ausgebeutet.
Gerade wenn es sich um Pflichtpraktika handelt, die dann auch länger als ein oder zwei Wochen dauern, bin ich der Meinung, dass diese grundsätzlich vergütet werden sollten. Bei diesen Praktika ist es auch nicht der Fehler des Praktikanten, dass er ein Praktikum ableisten muss. Ohne dieses kommt man in vielen Studiengängen nicht weiter. Allerdings denke ich auch, dass manche Praktikanten, gerade solche, die schwer vermittelbar sind, froh sein müssen, wenn sie durch ein Praktikum vielleicht die Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Bevor man überhaupt nichts findet, ist ein unbezahltes Praktikum, in dem man wenigstens etwas lernen und seinen Arbeitswillen unter Beweis stellen kann, besser als nichts.
Deine Bekannte kann ich nicht verstehen. Sie wusste vorher, dass das Praktikum unbezahlt ist. Sie hatte also die Möglichkeit, dies anzunehmen oder das Praktikum eben abzulehnen. Wenn man sich dann aber dafür entscheidet, sollte man auch sein Bestes geben - und dazu gehört natürlich auch, dass man zuverlässig ist und zeigt, dass man auch ernsthaft an dem Job interessiert ist. Sie wusste doch sicher auch, dass es keinen guten Eindruck hinterlässt, wenn sie immer wieder fehlt. Wenn diese Firma von potentiellen Auszubildenden zuvor ein einjähriges Praktikum verlangt, haben sie vermutlich keine Probleme, Leute für eine Ausbildung zu finden. Daher müsste deiner Bekannten auch direkt klar gewesen sein, dass sie als mäßige Praktikantin nicht zu den Kandidaten gehört, denen man anschließend einen Ausbildungsplatz anbieten wird. Ich kann den Arbeitgeber sehr gut verstehen, aber ich verstehe nicht, warum deine Bekannte sich so verhalten hat.
Ich finde ein Praktikum mit der Dauer von einem Jahr ebenfalls sehr grenzwertig und in den meisten Fällen sogar unverschämt. Natürlich kommt es auch irgendwie auf die Person an, die das Praktikum absolviert. Ich sehe da zwischen einem 16-jährigen Schulabgänger (mit oder ohne Abschluss) und einer erwachsenen, wohl möglich schon voll ausgebildeten Person erhebliche Unterschiede. Vor allem wenn das Praktikum komplett unbezahlt ist.
Als Schaltereingängen, die vermutlich noch zu hause wohnt würde ich ein solches Praktikum eher als Chance sehen. Man wird doch von zu hause noch sehr gut unterstützt, genauso wie zur Schulzeit, und kann sich dann auf das Praktikum konzentrieren. Meiner Meinung nach sollten zumindest die Fahrtkosten und eine kleine Entschädigung erfolgen, aber gut, es ist immer noch besser als direkt nach der Schule ein Jahr zu hause zu sitzen weil man keinen Ausbildungs- oder Studienplatz gefunden hat. In vielen Bereichen werden doch Minderjährige gar nicht als normale Arbeitskraft (Aushilfsjob, Helfertätigkeit), sodass man fast gezwungener Maßen auf ein Praktikum ausweichen muss.
Einer erwachsenen Person solch ein Praktikum auch nur anzubieten finde ich in den meisten Fällen höchst unverschämt. Dabei nehme ich die Berufe, in welchen solch ein Praktikum generell zur Ausbildung gehört mal raus, auch wenn ich dies dort nicht wesentlich besser finde. Man muss nun mal auch irgendwie seine anfallenden Kosten bewältigen. Ein Praktikum ist sicher zur Überbrückung super oder um sich ein wenig weiterzubilden, aber doch nicht wenn man nebenbei noch mindestens einen Halbtagsjob ausüben muss um zu überleben, überspitzt gesagt. Man arbeitet schließlich wie eine normale Vollzeitkraft, spätestens in der zweiten Hälfte des Praktikums sind diese Leute doch wirklich kaum noch von "normalen" Angestellten zu unterscheiden in ihrer Arbeitsleistung.
Es ist schwer hier pauschal eine Antwort zu geben. Wie auch bereits angeführt wurde, muss man auch mit in die Überlegung einbeziehen, inwieweit der Arbeitgeber das Praktikum später anrechnet. Steigt man evtl. höher im Gehalt ein oder bekommt sonstige Vorteile wie mehr Urlaub etc. als ein "gewöhnlicher" Einsteiger.
Natürlich ist ein Jahr mit unbezahlter Arbeit sehr lang und teilweise sicher auch sehr frustrierend, aber wenn man weiß, wofür man dies tut, ist es sicherlich halb so schlimm. Von daher würde ich vorab klären, was mich erwarten würde nach dem Praktikum.
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