Schuldenschnitt für Griechenland - und dann?

vom 04.10.2011, 15:34 Uhr

Ich lerne gerade für eine anstehende Klausur in Wipo und ich vermute, dass diese sich um das Thema Eurokrise drehen wird. Deswegen habe ich überlegt, was es für Lösungen geben kann, um das Schuldenproblem endlich aus der Welt zu schaffen. Klar kann man die Freiwirtschaft ohne Zinseszins einführen. Und man kann eine europäische Wirtschaftsregierung einführen, wobei die EU-Staaten einen Teil ihrer Souveränität an die EU abgeben müssten. Man sollte dafür sorgen, dass die Politik die Märkte kontrolliert und nicht die Märkte die Politik, sprich mehr Regulierung. Das Stichwort Eurobonds ist ja auch schon zu genüge gefallen oder das stärkere Besteuern der Reichen. Den ganzen Kram hat man schon in diversen Zeitungen gelesen.

Aber das alles löst ja das aktuelle Problem der Überschuldung der PIGS ja nicht. Ich finde es sehr, sehr unrealistisch, dass Griechenland seine Schulden jemals zurückzahlen wird. Auch wenn man uns beruhigt, wir profitieren von den Schulden wegen der anfallenden Zinsen, glaube ich nicht, dass diese jemals bei uns ankommen werden. Angenommen, es käme also zu einem Schuldenschnitt und den Griechen würde zum Beispiel die Hälfte aller Schulden erlassen - was dann? Das Geld wäre doch pfutsch. So wie ich das verstanden habe, haben unter anderem auch die deutschen Banken den Griechen das Geld geliehen, nämlich unser Geld. Wäre der private Verbaucher also von dem Hair-cut betroffen? Wie würde es denn weitergehen? Ich kann diesen Gedanken nicht wirklich weiterspinnen, weil ich das Thema schon ziemlich kompliziert finde.

» Cappuccino » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Cappuccino hat geschrieben:[...] Klar kann man die Freiwirtschaft ohne Zinseszins einführen.

Ich rate dir wärmstens, in einer Klausur die Finger von diesen ungaren Zinskritiktheorien zu lassen, wenn du nicht genau weißt, was du tust.

Cappuccino hat geschrieben:[...] Aber das alles löst ja das aktuelle Problem der Überschuldung der PIGS ja nicht. Ich finde es sehr, sehr unrealistisch, dass Griechenland seine Schulden jemals zurückzahlen wird. Auch wenn man uns beruhigt, wir profitieren von den Schulden wegen der anfallenden Zinsen, glaube ich nicht, dass diese jemals bei uns ankommen werden.

Wenn du dir die Zinsen für die 10-jährigen Anleihen anschaust, wirst du feststellen, dass wir schon längst davon profitieren. Die sind nämlich wunderbar gefallen und wir sparen längst eine Menge Geld damit. So ist z. B. die deutsche Zinslast von 2007-2010 zwar absolut gestiegen, aber statt 4% in 2007 zahlten wir in 2010 nur noch 2,98% im Schnitt und derzeit liegen die irgendwo bei 2.1 schlag mich tot % oder sogar schon weniger. Das macht immerhin einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag im Jahr aus, den man da zur Finanzierung der Schulden spart. Die Investoren vertrauen Staaten wie Deutschland, Japan oder USA trotz der Schulden. Im Falle der USA nehmen die sogar Renditen in Kauf, die teilweise unterhalb der Inflationsrate liegen.

Cappuccino hat geschrieben:[...] Angenommen, es käme also zu einem Schuldenschnitt und den Griechen würde zum Beispiel die Hälfte aller Schulden erlassen - was dann? Das Geld wäre doch pfutsch.

Da sieht man mal, wie dämlich am Ende der Titel eines Exportweltmeisters ist. Erstaunlicherweise begreift unsere Politik das laut und öffentlich immer noch nicht. Geht auch nicht, weil sie dann zugeben müssten, was sie für einen Schwachsinn in den letzten 10 Jahren verzapft haben. Da produziert man wie doof für das Ausland, liefert die Kredite gleich mit, erhält dafür bunte Schuldscheine und jetzt wundert man sich, dass der Schuldner, den man vorher durch Lohndumping niederkonkurriert hat, nicht mehr zahlen kann. Gleichzeitig hat man den heimischen Arbeitsmarkt prekariatisiert und die Binnenkonjunktur zum Teufel geschickt, was ohnehin schon der Preis für den europäischen Unterbietungswettbewerb der Deutschen ist.

Einfach Schulden erlassen hilft natürlich nichts. Es ist ja nicht die Höhe der Schulden, die das Problem darstellt, es ist die Höhe des Zinssatzes, der zu zahlen ist. Genau aus dem Druck muss man raus. Ansonsten würden die Finanzmärkte sich den nächsten Kandidaten vornehmen und das Theater ginge wieder los. Für die Euroländer, die ja nicht einfach auf- oder abwerten können, muss eine Refinanzierung zu niedrigen Zinsen über die EZB möglich sein, also z. B. mit Eurobonds. Und noch viel wichtiger: Es muss dafür gesorgt werden, dass eine der Hauptursachen der Probleme in der EU beseitigt wird und das heißt eine Überwachung und Beeinflussung in Richtung Ausgleich der Leistungsbilanzen der EU-Länder. Für Deutschland hieße das, endlich diese Lohnpolitik aufzugeben und über Jahre höhere Lohnabschlüsse zu akzeptieren, während sich andere Länder deutlich zurückhalten müssen. Anders geht es nicht (es sei denn, sehr schmerzhaft für alle). Auch Griechenland kann nur wieder auf die Beine kommen, wenn es sich zu günstigen Konditionen mit Krediten versorgen kann. Anders geht auch das nicht.

All diese Vorschläge sind nicht neu, aber sie scheinen mir fast politisch nicht durchsetzbar. Es wäre ja mehr oder weniger ein Paradigmenwechsel und in der deutschen Politik müsste man zugeben, dass man jahrelang auf das falsche Pferd gesetzt hat. Ich weiß nicht, wie man so schnell die EU-Verträge wieder aufbröseln will und sich einigen will.

Und natürlich würden einige Banken und Versicherungen dumm aus der Wäsche schauen, wenn sie einen Teil des Geldes in Griechenland abschreiben könnten. Damit kommt wenigstens zutage, wie fragil und gefährlich die seit Jahren hochgelobten und mit Steuergeldern gepamperten privaten Versicherungen sind (Rentenversicherung) und wie toll doch ein umlagenfinanziertes System ist.

Andere Punkte hast du ja schon angesprochen: gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik (ebenfalls eine mittlere Revolution), die man nur unter höchstem Druck durchboxen wird, Regulierung der Finanzmärkte (und wieder eine Revolution und ein Armutszeugnis für die deutsche Politik und Jörg Asmussen) und natürlich muss in Deutschland die Einnahmenseite gestärkt werden, also z. B. zurück zur Besteuerung wie in Kohls Zeiten. Die ganzen Steuerentlastungen waren ein Verbrechen an der Volkswirtschaft.

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