Kann es überhaupt eine ideale Gesellschaftsform geben?
Es gibt sehr viele unterschiedliche Gesellschaftsformen und alle haben somit ihre Vorteile und natürlich auch ihre Nachteile für die Menschen. Daher ist auch keine dieser einzelnen Gesellschaftsformen eine ideale Gesellschaftsform. Diese Tatsache muss man erst einmal so akzeptieren.
Wissenschaftler vertreten die Meinung, dass es hierbei um eine sogenannte ausgewogene Mischung der einzelnen Gesellschaftsformen ankommt. Viele positive Aspekte aus den einzelnen Gesellschaftsformen lassen sich so zusammen tragen. Aber kann man das wirklich in der Praxis so machen? Sollte man nicht lieber erst einmal kleinere Zwischenschritte gehen? Was meint ihr dazu? Können die Menschen überhaupt in einer idealen Gesellschaftsform friedlich miteinander leben?
Die Frage danach, ob es eine ideale Gesellschaftsform geben kann ist ja letztlich so alt wie die Menschheit. Dabei kommt man immer wieder auf die Grundlegende Frage, ob es eine absolute Wahrheit geben kann (welche der Mensch noch nicht gefunden hat - sie aber suchen kann) oder aber ob diese vom Menschen zu schaffen ist (eine Konstruktion mit der große Teile der Menschheit leben können sollen). Heute geht man davon aus, dass diejenigen, welche die Wahrheit suchen, eher Utopisten sind, wohin die anderen zu den Realisten gehören. Aus der Fragestellung lässt sich dann alles weitere Ableiten.
Ich persönlich finde ein Scheitern bei der Suche nach dem Ideal eignet sich noch lange nicht als "endgültiger Beweis" dafür, dass es sie nicht geben kann. Und der Versuch, aus verschiedenen Formen "das Beste" zu nehmen, ist immer von den gesellschaftlichen Gegebenheiten bestimmt. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde z.B. völlig neu bestimmt, wie weit man den gesellschaftlichen Reichtum von großen Teilen der Menschheit abziehen kann. Dafür erfand man u.a. den Begriff des "Raubtierkapitalismus". Dabei wird schlicht übersehen, dass dieser Kapitalismus immer schon so war (und nicht erst seine "hässliche Fratze" zeigen muss). Nur fehlt jetzt eine "real drohende" Alternative, zu welcher sich die Massen hingezogen fühlen könnten.
karlchen66 hat geschrieben:Können die Menschen überhaupt in einer idealen Gesellschaftsform friedlich miteinander leben?
Die Frage sollte aber nicht an Hand der Gesellschaftsform beantwortet werden, sondern an Hand der Frage, was in der Geschichte bislang zu Unfrieden geführt hat. Und das ist letztlich immer eine Frage der Verteilung von knappen Ressourcen.
Eine Gesellschaft besteht in der Regel aus ein paar mehr Menschen. Marx sagte, dass eine Gesellschaft die Gesamtheit der Verhältnisse zwischen den Menschen ist. Es gibt keinen Menschen doppelt auf dieser Welt und somit gibt es auch keinen Menschen in der Gesellschaft, der genauso ist, wie ein anderer in der Gesellschaft. Natürlich gibt es größere und kleinere Schnittmengen, aber doch sind und bleiben alle Menschen einer Gesellschaft unterschiedlich.
Unterschiedliche Ansichten, Interessen, Geschmäcker, Meinungen, Vorlieben, Neigungen, Wünsche, Bedürfnisse und so weiter. Der eine ist ein Freund des Kommunismus, der andere bevorzugt die ausschließliche Regelung durch den Staat, der andere strebt nach Anarchie und wieder ein anderer will geregelt mitbestimmen und findet somit sein Glück in der Demokratie.
Natürlich zeigt die Geschichte, welche Staatsformen bzw. welche Gesellschaftsformen sich bewährt und durchgesetzt haben. Aber mir stellt sich die Frage, wer entscheidet, welche Aspekte positiv sind und welche negativ. Für den einen sind positive Aspekte negativ und andersrum. Es gibt keine perfekte Gesellschaftsform für eine Gesamtheit von Individuen. Das kann überhaupt nicht funktionieren, wenn verschiedene Interessen vorhanden sind. Und somit funktioniert auch ein friedliches Zusammenleben nicht.
Was die Führung in der Politik anbelangt, bin ich mir sicher, dass die Demokratie die richtige Entscheidung ist. Was die Gesellschaft selber anbelangt gibt es einige Punkte die mir in einer Gesellschaftsform wichtig ist.
Hilfsbereitschaft: Ich denke Egoismus ist der falsche Weg. Man sollte sich wieder einander vertrauen und in Harmonie leben. Jeder sollte dazu bereit sein, dem anderen zu helfen. Dann kann man auch selber Hilfe erwarten. Dies fehlt in unserer Gesellschaft.
Bürokratie: Die Bürokratie müsste definitiv weniger werden. Viele kommen damit ganz und gar nicht zurecht. Es muss für jeden Bürger ersichtlich sein, was er tut. Denn bisher muss man für jedes Papier schon fast einen Anwalt zu Rate ziehen. Das finde ich so nicht in Ordnung.
Nein, ich denke das kann es nicht geben! Dafür sind nicht nur die Menschen zu verschiedenen, sondern teilweise weichen ihre eigenen Einstellungen auch voneinander ab, bzw. passen nicht immer zusammen. Und die meisten Menschen können sich selbst gegenüber nicht einmal konsequent sein!
Wohl auch deshalb funktionieren viele selbstgegründeten Gruppen oftmals auch nur bedingt. Es gibt ja teilweise Lebensgemeinschaften, die sehr zurückgezogen mit ihren eigenen Regeln und Gesetzen leben. Diese sind für viele aber oft nur eine Etappe. Bis sie dann feststellen, dass dies doch nicht ihr Weg ist, ihre Einstellungen sich ändern oder sie sich auf Dauer in der Gruppe nicht wohl fühlen. Ähnliches zeigte auch der Film "The Beach" den vielleicht einige gesehen haben?!
Die Frage, ob es je eine perfekte Ordnung geben kann, hängt ganz vom anthropologischen Standpunkt ab. Wenn man Angehöriger der christlichen Glaubensgemeinschaft ist gibt es für einen die perfekte Gesellschaftsordnung; nämlich das Gottesreich.
Es gibt unterschiedliche Theoretiker in der politischen Ideengeschichte, die sich auch mit diesem Thema auseinandergesetzt haben. Besonders John Locke, Jean-Jaques Rousseau und Thomas Hobbes, die mit ihren Theorien von den Gesellschaftsverträgen die Ideengeschichte politischer Ordnungen maßgeblich beeinflussten, sind hier als Beispiel zu nennen. Alle gründen ihre Überlegungen auf anthropologischen Argumenten: sie betrachten, wie der Mensch im Urzustand war, was ihn kennzeichnete und welche Folgen dieser grundlegende, allen Menschen innewohnende Charakterzug auf das Individuum, die Gesellschaft und Umwelt hatte.
Ich brauche nicht zu erwähnen, dass man unter der Prämisse eines differenzierten Menschenbildes zu unterschiedlichsten Schlussfolgerungen kommt, welche Staats- und Gesellschaftsordnung die Beste für den Einzelnen sei. Ist der Mensch beispielsweise im Naturzustand egoistisch und nur auf sein eigenes Wohl ausgerichtet, herrscht bald Anarchie, zusätzlich die Angst, jederzeit das eigene Leben aufgrund der Begierde anderer zu verlieren. Hier bedarf es eines restriktiven Staates, der über das Gewaltmonopol verfügt und durch sich selbst legitimiert wird. Er hat eine Funktion ähnlich der eines Aufsehers.
Sieht man jedoch den Menschen als liebenswürdig und als ein Wesen an, welches der Gesellschaft anderer bedarf und jene sucht, dann ist der Staat unter der Voraussetzung der Gültigkeit des Naturrechts nichts weiter als ein Zusammenschluss voreinander emanzipierter Individuen. Der Staat wird durch das Individuum getragen und legitimiert. Thomas Hobbes führt diese Idee mit dem "Leviathan" noch fort; der Staat als riesiger Volkskörper in Anlehnung an das biblische, gleichnamige Monster.
Schauen wir auf das Gesellschaftsmodell der heutigen BRD, so wird deutlich, dass es eine Synthese verschiedener Ideen ist: einerseits nimmt der Staat sicherheitspolitische Aufgaben mithilfe des Militärs (im Ausland) und der Polizei (im Inland) wahr, beschließt Gesetze und kann diese mittels eines juristischen Apparates durchsetzen, andererseits liegt der Wert (siehe Grundgesetz Art. 1-20) auf dem Individuum, welchem in der kollektiven Form des Volkes die allgemeine Souveränität zugesprochen und somit Entscheidungsgewalt verliehen wird.
Wir wollen an dieser Stelle nicht über Verfassungsrealität oder Verfassungsfolklore sprechen, aber natürlich bedarf es einer Betrachtung fundamentaler Gesellschaftsprozesse, die als Krisensymptome identifiziert werden können und somit Probleme des hiesigen Systems aufzeigen.
Die vorherrschenden Probleme fußen meiner Meinung nach alle auf dem Wirtschaftssystem des Kapitalismus. Dieser befördert den Egoismus, das Antisoziale, im Menschen. In der Theorie heißt es, Eigentum verpflichte, was dazu führt, dass Überschuss zugunsten der Allgemeinheit bereitgestellt wird und somit der allgemeine Wohlstand steigt. Tatsächlich wirtschaften die Konzerne nur in die eigene Tasche. Warum? Auch dieses Phänomen gehört zu den Grundprinzipien des Kapitalismus.
Dieses Grundprinzip heißt Wachstum. Ohne es geht im Kapitalismus nichts. Es reicht nicht, dass VW zwei Jahre hintereinander die gleichen Gewinne erzielt. Die Konzerne machen Unsummen an Gewinn, doch muss man mehr Gewinn machen als die Konkurrenz, um wettbewerbsfähig zu bleiben, um Kredite und Investments zu finanzieren Der Gewinn darf auch nicht konstant bleiben, sondern muss bestenfalls von einem auf das andere Jahr steigen.
Man kann den Gewinn aber nur steigern, indem man größere Stückzahlen produziert. Hier gelangt die hiesige Produktion langsam an einen logistischen Sättigungspunkt. Eine zweite Möglichkeit wäre, die Qualität zu verringern, um die Materialkosten zu senken. Minderwertige Qualität wird vom Konsumenten aber nicht toleriert, zumal es auf dem Markt genug Konkurrenten gibt, die ähnliche Produkte mit besserer Qualität liefern könnten.Somit würde der Konzern wettbewerbsunfähig.
Die Schlussfolgerung ist also, dass zugunsten hoher Stückzahlen, stabil-niedriger Preise und annehmbarer Qualität an den Arbeitskräften gespart wird; Produktionsprozesse in allen Branchen werden automatisiert, Mitarbeiter werden nicht mehr gebraucht, der Arbeitgeber spart Lohnnebenkosten, Versicherungsbeiträge der Arbeitnehmer und Lohn an sich. Zusätzliche Einsparungen sind zu erwarten bei einer Verlagerung der Fertigungsstrecke ins Ausland, wo das Fehlen sozialer Sicherungssysteme das Produzieren finanziell attraktiv macht.
Die betreffenden Firmen (Bosch, Nokia usw.) erhoffen sich davon einen Wettbewerbs- und Standortvorteil gegenüber der Konkurrenz. Für die Bürger der BRD bedeutet die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland jedoch den Verlust desselbigen, wodurch deren Konsumverhalten gemindert wird und gleichzeitig die Belastung des Sozialstaates (Hartz IV) zunimmt. Der Egoismus des Einzelnen befördert folglich nicht das Wohl der Allgemeinheit, sondern nur das Wohl Weniger. Hierin liegt der eigentliche Grund, warum wir von einer unsozialen Gesellschaft reden können. Würde der Sozialstaat nicht so stark belastet (macht derzeit rund 40 % des Bundeshaushalts aus), wäre Geld beispielsweise für Bildung da. Investitionen in diesem Bereich können nachhaltig auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes einwirken.
Es ist nicht schlimm, dass die Menschen verschieden sind. Unterschiedliche Interessen und deren Artikulation sind die Voraussetzungen politischen Handelns generell, bieten Konfliktpotenzial, bringen neue Ideen und somit Progress und Fortschritt. Vielmehr sind es die Gemeinsamkeiten: Egoismus und Selbstsucht treiben uns alle. Jeder handelt dem eigenen Wohl zuliebe. Deshalb ist Afrika das "Arschloch im Wandschrank" der westlich zivilisierten Welt, deshalb entwickelt sich eine ausgeprägte Schere zwischen Arm und Reich in den Industrienationen, deshalb können Manager und Spekulanten zocken und ihr Geld stapeln, währenddessen zu den Füßen ihrer spiegelverglasten Büroräume Obdachlose vorbeiziehen.
Es wird nie eine friedliche Gesellschaftsordnung geben, weil Neid, Missgunst und Egoismus die Triebfedern des Homo oekonomicus sind-wobei "homo" eigentlich falsch ist: "ignotus" wäre treffender.
Ich weiß gar nicht, was eine ideale Gesellschaftsform sein soll. Allerdings halte ich, wie immer im Leben, den Mittelweg stets für einen gesamtgesellschaftlich gesehen besseren Weg. Extreme Einstellungen haben noch selten zu Situationen geführt, die für die Gesamtheit günstig wären.
Da in unserer Zeit, in unserer Gesellschaft, in einem wirtschaftlichen System eines relativ wild wuchernden Kapitalismus letztlich nur eine sehr kleine Menge von Akteuren enorm profitiert, die Masse von deren Brosamen lebt und zu sehen ist, dass dieses Verhalten zu immer mehr Ungleichheit führt, ist die Idee einer Begrenzung oder Kontrolle, also eines Ausgleichs, nicht die schlechteste Idee, wenn man daran interessiert ist, eine relativ gleiche Gesellschaft zu haben. Warum soll man die überhaupt haben wollen? Weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass gerade Ungleichheit in Gesellschaften zu größten Problemen führt. Dabei will ich keine Gleichmacherei, aber ich will Extreme verhindern.
Und mag das Modell des Homo Oeconomicus auch in Teilen für das Verhalten einer Gesellschaft zutreffend sein, es beinhaltet auch, dass man dem Treiben einer Gesellschaft, die so funktioniert, den Riegel vorschieben muss, d. h. eine starke Kontrolle der Akteure, die nämlich sonst dazu neigen, ihre Macht extrem auszubauen und zu missbrauchen. Allerdings habe ich bis heute nicht verstanden, dass nur die wenigsten Menschen so funktionieren, aber das Modell für das Verhalten ganzer Gesellschaften halbwegs tauglich sein soll.
Ich finde das Modell einer (funktionierenden) Demokratie, inkl. Gewaltenteilung, mit starker und mächtiger Kontrolle der Akteure, mit einer starken Presse, mit der Trennung von Staat und Religion, mit einem "kontrollierten" Kapitalismus gar nicht so übel. Davon entfernen wir uns allerdings praktisch sehenden Auges immer weiter.
@Haltz92 - wir haben in Deutschland ja kein Ausgabenproblem, wir haben vor allem mal ein Einnahmenproblem. Es gibt ohne Ende Vermögen (wozu die Steuersenkungen der letzten Dekaden stark beigetragen haben) und das ist weit mehr, als Schulden vorhanden sind. Dummerweise konzentriert sich dieses Vermögen in einem kleinen Bereich der Gesellschaft und unsere Politik traut sich selbst in so angeblich dramatischen Zeiten nicht, hier etwas stärker zuzugreifen. Ein Rückkehr zur Einnahme- und Besteuerungssituation wie unter Kohl würde bei uns eine Menge Probleme einfach verschwinden lassen. Kurz zur Veranschaulichung diese Grafik.. Insofern ist es ziemlich verwunderlich, dass es nur noch um die Demontage des Staates geht und keine Steuererhöhungsdebatte ausbricht.
@ Richtlinie 2: Deiner Anmerkung stimme ich durchaus zu. Allerdings nimmst du hier eine Hierarchisierung vor, indem du nämlich das Einnahmenproblem als das gravierendere, berücksichtigen wir auch das Ausgabenproblem, darstellst. Vielmehr ist es jedoch so, dass sich Einnahmen und Ausgaben wechselseitig bedingen. Überdies sind die Ausgaben zumeist ein Indikator der Einnahmen.
Dass die Frage nach den Ausgaben mindestens genauso wichtig ist wie die nach den Einnahmen beweist die Tatsache, dass der Sozialstaat in Deutschland rund 40 Prozent des Bundeshaushalts beansprucht (Statistisches Bundesamt) und damit einen hohen Teil der Ausgaben verursacht. Dieses Beispiel verdeutlicht gut die Wechselwirkung zwischen Einkommen und Ausgaben, wie ich später noch erläutern werde.
Einerseits sinken die Steuereinnahmen des Staates aufgrund des demografischen Wandels und des damit verbundenen Bevölkerungsschwundes in der BRD. Andererseits leidet die Wirtschaft unter einem Rückgang des Konsums, der durch eine geminderte Kaufkraft der Bürger verursacht wird. Die für Letzteres verantwortlichen Ursachen habe ich in meinem letzten Beitrag bereits erläutert. Es ergeben sich aus dieser Beobachtung steigende Anforderungen an den Sozialstaat.
Es ist kein Geheimnis, dass vorhandenes Geld eher zur Gewährleistung des Sozialstaates denn zur Investition beispielsweise in Bildung verwendet wird. Das dringendere Übel wird zu Lasten des scheinbar längerfristig eintretenden Übels therapiert. Hierbei wird jedoch der nachhaltigen Bedeutung von Bildung für die Entwicklung einer Gesellschaft nicht Rechnung getragen; vielmehr befördert man durch mangelhafte Bildungsausgaben ausbleibende Einnahmen und verursacht gleichzeitig eine den Sozialstaat betreffende Kostensteigerung.
Hier schließt sich der Kreis wieder und Symptome dieses Szenarios können derzeit schon beobachtet werden und sind im öffentlichen Diskurs oft thematisiert worden. Wir sehen, wie sich Einnahmen und Ausgaben bedingen. Geld muss investiert werden, aber nachhaltig; in andere Bereiche der Gesellschaft. Erste Versuche werden mit dem Abbau der Bundeswehr sowie des von Ministerin Ursula von der Leyen initiierten Bildungspakets umgesetzt; ein Fingerzeig hin zu Nachhaltigkeit und Bildung.
Haltz92 hat geschrieben:@ Richtlinie 2: Deiner Anmerkung stimme ich durchaus zu. Allerdings nimmst du hier eine Hierarchisierung vor, indem du nämlich das Einnahmenproblem als das gravierendere, berücksichtigen wir auch das Ausgabenproblem, darstellst.
Ganz vereinfacht. Schau dir den Verlauf der Sozialquote an. Findest du auf Seite 256 des Sozialberichts 2009. Die zeigt das Verhältnis zwischen den Ausgaben für Sozialleistungen und dem BIP. Da kannst du erkennen, dass diese Quote nun nicht gerade explodiert.
Schau dir dann an, wie in den letzten Jahren die Gewinne der Unternehmen (im Schnitt) gestiegen sind und wie gleichzeitig die Löhne stagniert haben. Schau dir dann an, welche Steuersenkungen auf Unternehmensseite in den letzten Jahren stattgefunden haben. Hier hat eine Riesenbewegung auf der Einnahmenseite stattgefunden und eine Rückkehr zum Status Quo Kohl in Sachen Besteuerung würde viele angebliche Probleme ziemlich klein werden lassen. Und mir wäre nicht bekannt, dass unsere Gesellschaft unter Kohl nicht einigermaßen gut lebensfähig gewesen wäre. Die ganze Theorie, die man spätestens seit der Jahrtausendwende verfolgt hat zu was geführt? Wir machen unsere Arbeitskraft künstlich billig, damit wir dem Ausland gegenüber Wettbewerbsvorteile erlangen und denen unsere Produkte aufs Auge drücken können, für die die nun nicht mehr bezahlen können. Das war absehbar und war "mit Ansage", so läuft das in einer Währungsunion mit ungleichen Partnern. Gleichzeitig stagniert bei uns natürlich der Konsum, zum einen wegen der Lohnentwicklung, zum anderen wegen der schlechten Zukunftsaussichten. Wer sparen kann, spart. Die Steuereinnahmen und die Zahlungen in die Sozialversicherungen fehlen natürlich dann von dieser Seite. Gleichzeitig steigen die Einnahmen aus Gewinneinkommen, die man ja so schön steuerlich entlastet hatte. Und das Geld ist wo? Wurde investiert? Im Inland zumindest gibt es nicht viel zu holen und im Ausland kann nun auch keiner mehr bezahlen. Die Problematik der Bankenkrise hat das alles dann natürlich noch verstärkt. Dass man nun gerne den Sozialstaat und seine Ausgaben angreift, gehört zum neoliberalen Konzept. Nur sind das nicht die Ursachen der Probleme.
Wenn ich mir also selbst die Einnahmen wegnehme, muss ich mich nicht wundern, wenn ich auf der Ausgabenseite Probleme bekomme. Deswegen sehe ich das Problem eher auf der Einnahmenseite, denn da ist es zu enormen Verwerfungen gekommen.
Zur Sozialquote und auch zur Höhe der von dir angeführten Ausgaben für Arbeit und Soziales muss man aber auch noch was sagen. Gerne wird es ja so dargestellt, als würde in Deutschland (wahlweise je nach Sicht und Bezug auf eine bestimmte Zahl oder Quote) jeder 3. oder fast 2. Euro für Soziales ausgegeben. Dann herrscht gleich das Bild vor, der Staat wende das ganze schöne Geld für Sozialleistungen auf. Aber im Grunde ist das natürlich eine Täuschung. In den Zahlen stecken z. B. die Zahlungen der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Dieses Geld ist aber keine soziale Wohltat. Die Gelder wurden vorher doch zum allergrößten Teil von den Beitragszahlern eingezahlt. Es ist nichts weiter, als eine Versicherungszahlung, die vom Staat erzwungen und verwaltet wird. Man sollte also nicht so tun, als würde dieses Geld verschwendet oder der Staat würde hier abkassieren. Und wenn du dir mal den Haushalt anschaust, stellst du fest, dass hier die Sozialversicherungen weit über 50% ausmachen. Man könnte höchstens auf den relativ kleinen Teil der Zuzahlungen abstellen, aber der macht geschätzt nur ca. 1/3 davon aus. Was wäre denn, wenn man diese Leistungen der Versicherten kürzen würde, nur um die Zahlen des Haushaltes zu schönen? Um den Status Quo zu halten, müsste man dann privat vorsorgen und das, wie sich überall auf der Welt zeigt, ist nun mal nicht billiger. Der Arbeitnehmer zahlt am Ende i. d. R. also sogar mehr als vorher. Volkswirtschaftlich gesehen völliger Humbug. Ganz interessant, wenn auch nicht perfekt, diese Umsetzung der Zahlen. Einfach mal reinklicken, die Visualisierung ist nicht schlecht.
Dass wir ca. 40% (und das ist schon vergleichsweise wenig) unseres Haushaltes dafür verwenden, spiegelt auch wieder, was wir uns als Gesellschaft eben leisten wollen. Ich sehe da auch viel Verbesserungsbedarf, so z. B. bei der Miteinbeziehung bestimmter Kreise in die Sozialversicherungen, die sich heute noch rauskaufen können und beim Streichen der Deckelungen. Beispiel Schweiz - und ich wüsste nicht, dass die Millionäre dort schlecht leben würden. Ich sehe auch viel Luft beim Thema der Besteuerung der Gewinneinkommen. Die simple Rechnung, mit Einnahmequoten wie unter Kohl ergibt für die letzten 10 Jahre Mehreinnahmen von ca. 870 Mrd. €. Zugegeben, so simpel kann man nicht rechnen, weil Steuererhöhungen natürlich an anderer Stelle auch wieder Wirkungen haben. Aber hier wurde jedenfalls ungeheuer viel Geld verschenkt. Vergleichst du die ca. 40% oben mal international, wirst du zudem feststellen, dass da nichts außergewöhnlich dran ist. Zudem sagt der prozentuale Anteil ohnehin nichts aus, denn dann müsste es doch Staaten mit noch höheren Ausgaben doch viel übler gehen. Dann sollte man aber ruhig auch mal einen Blick nach Skandinavien werfen. Auf der anderen Seite möchte ich nicht in Ländern mit sehr niedrigen Ausgaben in diesem Bereich leben: Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien.
Haltz92 hat geschrieben: Hierbei wird jedoch der nachhaltigen Bedeutung von Bildung für die Entwicklung einer Gesellschaft nicht Rechnung getragen; vielmehr befördert man durch mangelhafte Bildungsausgaben ausbleibende Einnahmen und verursacht gleichzeitig eine den Sozialstaat betreffende Kostensteigerung.
Das gestehe ich zu, wenn ich es auch nicht pauschal gelten lassen würde. Wenn ich nach Spanien oder Israel schaue, da bringt dann auch die beste Bildung nichts mehr. Die Ursachen sind natürlich vielfältig, aber letztlich alle eng verwoben mit dem, was man uns seit Jahren in der Ökonomie vorpredigt, was aber offensichtlich nicht hinhaut. In der EU haben wir dann nochmal ein besonderes Problem, das entweder extreme Lösungen erfordert oder in einer ewigen Herumdümpelei enden wird.
Haltz92 hat geschrieben:Erste Versuche [...] mit [...] von Ministerin Ursula von der Leyen initiierten Bildungspakets [...] ein Fingerzeig hin zu Nachhaltigkeit und Bildung.
Mir fällt es extrem schwer, das Ding momentan als mehr als einen Versuch zu bezeichnen. Bis mindestens Anfang Juli wussten Job-Center und viele Kommunen nicht mal, wie sie das Ding überhaupt umsetzen sollen. Keine Ahnung, wie der Zwischenstand jetzt ist. Wahlweise ist von Monster oder Chaos die Rede. Nach dem, was man da so liest, muss das doch sehr umständlich und kompliziert sein. Die Sozialgerichte werden sich wohl wieder freuen. Aber gut, du sprichst ja auch nur von einem "Fingerzeig". Irgendwie geht es in die richtige Richtung, aber statt einfach, hat man die komplizierte Variante gewählt.
Und ich heule jetzt gar nicht rum, wenn ich daran denke wie man den Banken den Hintern usw. Und sorry, ich wollte nicht so viel schreiben. Mag es jetzt gar nicht mehr durchgucken, hoffentlich ist es nicht zu viel Stuss.
Diese Frage ist wohl schon so alt wie die Menschheit, da muss ich meinen Vorrednern Recht geben. Ich möchte aber mal einen neuen Gedankenanstoß zur Debatte beitragen. Ich glaube nämlich, dass das System beziehungsweise die Gesellschaftsform nicht entscheidend für das "ideale Leben" darin ist. Wichtig sind meiner Meinung nach vielmehr die Leute, die dieses System regieren und beherrschen.
Dass man es nicht allen recht machen kann, ist nicht nur ein Sprichwort, sondern ganz klar die Wahrheit. Und insofern würde ich generell vom Wort "ideal" abraten. Selbst die sogenannte Diktatur oder eine Monarchie, wo in beiden jeweils eine Person an der Spitze steht und alle Macht auf diese Person gebündelt ist, kann eine gute Gesellschaftsform sein, wenn diese leitende Position ihre Macht nicht für eigene Zwecke ausnutzt und seine systembedingt untergestellten Mitmenschen ausbeutet.
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