London - Banden - Randale - Europas Abstieg?
Unglaublich, was sich da gerade in London abspielt. Und irgendwie auch beängstigend. Aber ich denke mal, das sind letztlich auch Folgen der neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte. So wie es aussieht, sind es allerdings nicht direkt soziale Proteste, sondern eher perverse Auswüchse einer grundsätzlich in bestimmten Bereichen schwelenden Gewalt. Aber die sind natürlich auch letztlich Resultat der teils ausweglosen, sozialen Situation vieler Jugendlicher in Großbritannien.
Soweit mir bekannt, starb letzte Woche in Tottenham, einem Vorort Londons, ein junger Mann bei einer Polizeikontrolle. Er soll eine Pistole gehabt haben, die genauen Umstände des Vorfalls sind noch ungeklärt. Erst hieß es, er habe zuerst geschossen, dann hieß es, die Kugel im Funkgerät eines Polizisten stamme gar nicht von ihm, sondern aus einer Polizeiwaffe. Jedenfalls war er wohl der Polizei bekannt. Und er soll Teil von Gangs gewesen sein, die sich seit langer Zeit in Tottenham bis aufs Messer bekämpfen. Aber wie das so ist, solche Geschichten verändern sich ja im Laufe der Zeit, manchmal verkehren sie sich sogar ins Gegenteil. Da die Beamten dort aber auch in der Vergangenheit nicht allzu wahrheitsgetreu waren, war der Ärger vorprogrammiert. Familie und Freunde des Getöteten haben von Freitag auf Samstag dann öffentlich protestiert und in der Folge hat sich die Sache verselbstständigt.
Rivalisierende Banden haben sich nun angeblich zusammengetan und ziehen seitdem in Flash-Mob Manier brandschatzend und raubend durch die Vororte. London, Birmingham, Liverpool und Bristol sollen betroffen sein. Das Netz ist voll mit Bildern, die einen eher an Krisenherde in Nahost denken lassen. Wie es aussieht, hat die Polizei das noch nicht richtig im Griff. Dabei scheint sozialer Protest gar kein Thema, Opfer wird hier jeder, Leute werden auf der Straße angegriffen und ausgeraubt, Geschäfte geplündert und angezündet. Die Täter sind Jugendgruppen, aber es sollen auch Kinder darunter sein. Man spricht schon von 8-jährigen Tätern. Einiges davon wird wohl auch Legende sein. Aber es ist entsetzlich, weil man sich ja schlecht gegen so einen Mob wehren kann. Letztlich leben diese in der britischen Presse "Strolche" und "Flegel" genannten Jugendlichen das aus, was man ihnen seit Jahren vorlebt. Survival of the fittest, du musst ein Ar*** sein in dieser Welt, wenn du überleben willst. "Da oben" kommst du sowieso nie hin, "die da oben" machen schließlich auch weitestgehend ungestraft auf Kosten anderer ihr Ding, so wie sie es wollen. Insofern wundert mich das alles nicht. Wenn man eine Gesellschaft nach und nach demontiert, sind das eben die mögliche Auswüchse. Das dahinter ein Bandenkrieg schwelt ist dann nur der Zünder an der ganzen Sache.
Natürlich werden bei uns auch wieder die sozialen Netzwerke und das Thema Handy groß herausgestellt. Medial scheint mir das so langsam alles zum Abschuss freigegeben. Ich bin mal gespannt, ob sich das auf der Insel noch weiter ausbreitet. Wir werden in Europa in der ein oder anderen Form noch mehr davon sehen. Da bin ich mir sicher. Ich will nicht Schwarz malen, aber mein Eindruck verstärkt sich immer mehr, Europa demontiert sich gerade selbst. Wir werden von einer ziemlich heftig versagenden politischen Klasse regiert und es braucht einen Riesenbums, damit sich das ändert. Ist das alles nur das Vorspiel?
Ich bin auch ehrlich schockiert über das was gerade passiert. Ich habe Familie in London, in Ealing, auch dort wurde vergangene Nacht randaliert. Da bekommt man natürlich schon Angst. über die Ursachen lässt sich streiten, ich denke eine allgemeine Unzufriedenheit entlädt sich dort. Man muss nur an den ersten Mai in Berlin denken. An diesen Tagen glauben manche Menschen einen Freifahrtschein zu haben und nutzen ihn aus, zünden Autos an, schmeißen Steine. Das selbe vor einigen Jahren in Frankreich, in Griechenland vor zwei (?) Jahren...
Es geht in London gerade nur um Zerstörung und Wutabbau. Allerdings sehe ich nicht dass Europa sich selbst demontiert. Es gibt Entwicklungen auf die reagiert werden müssen. Diese Form des "Protestes" kann man nicht mit Verständnis und Diplomatie beenden. So traurig es ist. Camorons Entscheidung das Polizeiaufgebot massiv zu verstärken ist das einzig richtige. Eine Jugendarbeitslosigkeitsquote von 25% ist kein Grund Menschen ihre Existenz zu nehmen und mutwillig Leben zu gefährden.
Es sind ähnliche Randalen wie vor ein paar Jahren in Paris. Nur das die Kommunikation der Randalierer jetzt wesentlich schlechter von der Polizei verfolgt werden kann. Über die sozialen Netzwerke läuft da relativ wenig. Heute morgen wurde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erklärt, das die Randalierer fast ausschließlich über Blackberrys die Treffpunkte bekanntgeben und damit nur ein geschlossener Kreis die Nachrichten zu lesen bekommt.
Schlimmer allerdings finde ich die Tatsache, das zwar letzte Nacht die Feuerwehren ausgerückt, aber dann nicht gelöscht haben. Die Feuerwehrleute haben Angst, das sie angegriffen werden, wenn sie durch ihren Einsatz den Schaden minimieren. Und die Anwohner, welche fast alle aus den unteren sozialen Schichten stammen, müssen ansehen, wie ihr weniger Besitz in Rauch aufgeht.
Ob man die Situation in London schnell in den Griff bekommen wird, bezweifel ich. Aber das deswegen innerhalb kurzer Zeit halb Europa in Flammen stehen wird, wage ich auch zu bezweifeln. Immerhin hat es damals von Paris nicht auf andere Länder übergeschwappt und später in Griechenland, wo es durch den Tod eines Jungen durch die Polizei zu Randalen kam.
Es ist schon sehr schlimm wenn es solche Ausschreitungen gibt. Die Hintergründe hierfür weißen parallelen zu andern Fällen auf. Wie du schon sehr gut beschrieben hast, werden solche Fälle durch jeden Mund anders erzählt. Der eine packt noch ein paar zusätzliche, gewalttätige Worte in seine Erzählung dazu um sie noch spannender zu machen. Dabei wird entweder viel höher gegriffen als es eigentlich der Fall ist oder man beginnt die Sache zu verschleiern. Man erzählt immer mehr und es kommen ausgedachte Dinge hinzu. So verbreitet sich eine Geschichte oder ein Vorfall rasend schnell. Jeder der sie seinen Freunden, Bekannten oder der Familie erzählt, erzählt sie ein wenig anders. Auch die Medien puschen solche Sachen oft unnötig heraus. In diesem Falle hätten die Medien eigentlich stillschweigen sollen. Klar möchte die Welt und vor allem die Londoner wissen was denn bei ihnen so passiert und keiner wird es so einfach befürworten, dass solche Nachrichten nicht veröffentlicht werden. Im Nachhinein wäre es aber vielleicht besser geworden.
Die Leute sind sicher nicht nur wegen diesen einen Vorfall auf die Barrikaden gegangen. Wut und Hass auf die Regierung oder allgemein auf die ganze Welt sind ebenso ein weiterer Beweggrund wie der oben genannte Vorfall. Das sich hier allerdings diese total verbitterten Feinde zusammenschließen, macht mich doch ein wenig stutzig. Anscheinend haben sie erkannt, dass sie in der Masse mehr erreichen können als in ihren "kleinen" Gangs. Mehr erreichen im Sinne von mehr Gewalt, Zerstörung und somit Aufmerksamkeit. Ob sie damit noch mehr erreichen bleibt abzuwarten. Ich hoffe aber zunächst, dass diese Ausschreitungen bald ein Ende nehmen. So etwas muss doch einfach nicht sein auch wenn der Staat oder andere Sachen einen richtig auf den Sack gehen. Alleine durch solche Aktionen wird es auch nicht viel besser. Man kann zwar mit so einer Aktion kurz auf sich lenken und sagen:"Hey! Seht uns an! Uns geht es dreckig!", mehr aber auch nicht. Ich denke nicht, dass sich das in Europa ausbreiten wird. Es kann durchaus passieren aber im Moment glaube ich eben nicht daran, dass dies eintreten soll.
Da kann man auch nur Angst bekommen. Man kann von hier schlecht beurteilen, wie präsent das Problem wirklich ist, man kann nur hoffen, dass wenigstens keine Menschen zu Schaden kommen. Aber nachdem nun auch der erste Tote zu beklagen ist, muss man mit allem rechnen. Schlimm genug, dass Polizisten ihren Kopf hinhalten müssen, aber auch "normale Bürger" zu bedrohen und anzugreifen, das geht nun gar nicht. Du nennst die Ursache eine "allgemeine Unzufriedenheit", erinnerst an die Maidemonstrationen in Berlin. Aber du siehst auch Frankreich und Griechenland. Man kann diese Dinge aber nicht singulär betrachten. Das gehört im Grunde alles zusammen. Genauso töricht finde ich es, das Attentat in Norwegen als Tat eines Verrückten Einzelgängers abzutun. Auch das muss man mit in den großen Zusammenhang packen.
Natürlich hauen hier einige wenige Krawallbrüder in brutalster Weise auf den Putz und es gibt sicher auch Mitläufer und welche, die die Gunst der Stunde nutzen, aber wer nicht sehen will, warum sich das so entwickelt, der ignoriert die politisch-gesellschaftliche Entwicklung der letzten 30 Jahre, die eben dazu geführt hat, dass unsere gesellschaftlichen Mittelschichten langsam wegbrechen, die sich für einen Großteil der Menschen auch als eine gewisse Aussichtslosigkeit erweist, die keinen Fortschritt mehr bedeutet. Es wurde uns jahrelang ökonomischer und gesellschaftlicher Egosismus gepredigt, der das Leben vom Wohl freier Märkte abhängig macht und der nun im Ergebnis von der Demokratie so langsam aber sicher in eine Plutokratie oder Oligarchie führt. Auch die Ereignisse in Nordafrika und in Teilen der arabischen Welt und in Israel gehören dazu. Auch die Ereignisse in den USA kann man dazupacken. Die Menschen merken überall, dass hier gründlich was in die Hose geht. Dieses ganze konservative Experiment angefangen mit Thatcher und Reagan ist tot. Das Resultat ist genau das, was zu erwarten war. Unter anderem eben auch Gewalt. Wer nicht mehr viel zu verlieren hat, der haut dann eben bei Gelegenheit auch drauf, der brandschatzt, plündert, randaliert. Momentan traut sich noch keiner, die richtigen Schlüsse zu ziehen, es wird weiter mit den Rezepten gedoktort, die sich längst als untauglich erwiesen haben. Und so werden wir nach und nach immer weiter in diesen Strudel gezogen werden, der dann eben auch Gewalt bedeuten kann.
Bezeichnend ist, was Maggie Thatchers offizieller Biograf Charles Moore letzte Tage im Telegraph schrieb. Der Mensch ist sein Leben lang erzkonservativ und sinniert jetzt tatsächlich öffentlich darüber, ob nicht im Angesicht der derzeitigen Entwicklung in Europa und den USA sein ganzes Leben im Grunde ein Trugschluss war. Er fragte öffentlich, ob denn nicht doch vielleicht die Linke Recht hat. Er bringt es auf den Punkt: Reiche sind durch die neoliberale Politik der letzten 30 Jahre immer reicher geworden, die Löhne aber sinken. Die der Theorie nach entstehende Freiheit erweist sich nur als Freiheit für die reiche Schicht. Die meisten aber müssen heute ein härteres Leben führen, das Leben ist deutlich unsicherer geworden, nur damit eine winzige Schicht im Geld schwimmen kann. Demokratie füllt letztlich die Taschen von Bankern, Zeitungsbaronen und anderen Milliardären. Die Neoliberalen haben gedacht, freie Märkte bedeuten freie Menschen. Das Gegenteil ist passiert. Einen beachtenswerten Artikel brachte gestern der Tagesanzeiger. Den sollte man sich ruhig mal zu Gemüte führen. Er geht auch auf die Situation in den USA ein.
Der Schwarm schlägt zurück. Im Netz bilden sich die ersten Seiten, die nun mit Hilfe aus aller Welt, die Randalierer in England identifizieren wollen. Einige Beispiele:
Name-and-shame-the-rioters
catchalooter
metropolitanpolice
Zavilia
Oh, oh, die Zivilgesellschaft schlägt zurück. Ich sehe da Problem, nach Problem kommen. Das ganze nennt sich "viral manhunt". Hoffentlich geht das alles gut.
Ein weiterer Link zu einem Video von einer Frau, die in beeindruckender Weise zusammenfasst, was wohl viele Menschen in Großbritannien über die Plünderungen und Brandschatzungen denken. Ich schätze mal, die Frau wird noch schrecklich bekannt werden. Es wird im Netz schon gefragt, ob man sie nicht zur Premierministerin wählen könnte?
Warnung: Etwas Englisch sollte man können und die Sprache ist entpsrechend der Situation etwas "rude", aber das ist genau die Sprache, die diese Leute verstehen. Tolle Rede! Ich weiß, man mag hier Verlinkungen zu Videos nicht so sehr. Es gibt aber welche, die muss man einfach gesehen haben, weil sie in ihrer Art einzigartig sind.
Mit Europa hat das selber nicht viel zu tun und auch nichts mit den Finanzmärkten, denn das wahre Instrument der Arbeit ist die Politik. Diese muss effektiv und gut überlegt die entsprechenden Konjunkturprogramme schaffen, damit die Arbeitsmärkte angeheizt werden.
Das ist in England anscheinend nicht gelungen, sonst würden die Menschen nicht so zahlreich und arbeitslos vor sich dort hinleben. Ein ähnliches Beispiel gibt es ja in Frankreich mit sozialen Randgruppen, welche keine Arbeit haben. Nicht mal mehr die Polizei, traut sich dort noch in bestimmte Gebiete hinzufahren!.
In Deutschland ist so was höchstens in den Anfängen zu sehen, siehe linke Gewalt. Allerdings sind diese meistens gut mit Arbeit versorgt von daher würde ich hier eher die Gefahr von politisch motivierten Ausschreitungen sehen, nicht so sehr aufgrund von Arbeitslosigkeit.
Man darf nicht vergessen, dass es England nie wirklich super ging, wenn ich an die Geschichten der eisernen Lady denke. Denn England hat nach dem Krieg soweit ich weiß keine riesigen Hilfszahlungen erhalten. Meiner Meinung nach ist die Regierung in England das Problem, weil diese einfach nicht die richtigen Akzente setzt!.
Als ich letztens wieder einmal in den Weiten des Internets unterwegs gewesen bin, habe ich dieses, für mich erschreckendes, Bild gefunden. auf dem Bild sieht man die Bestseller, also welche Artikel am meisten verkauft wurden, von dem englischen Amazon. Zu erkennen sind jegliche Schlagwaffen. Von diversen Baseballschläger bis zum Schlagstock ist alles vertreten. Diese "Sportgeräte" können eine Verkaufssteigerung von über 5000% aufweisen, was wirklich enorm ist.
Allerdings sehe ich diese Entwicklung in England sehr erschreckend. Die Gewalt nimmt immer mehr zu und wenn sich jetzt die Gewalttäter oder die, die ihr Eigentum verteidigen wollen, mit diversen Schlagwaffen eindecken, ist die Situation wirklich schon sehr ernst.
Wie soll den bei einer solchen Entwicklung die Gewalt denn mal eine Ende nehmen? Meiner Meinung nach müsste in einer solchen Situation, die Polizei viel härter durchgreifen! Alleine schon, dass vor ein par Tagen die Polizei erst Wasserwerfer bekommen hat, finde ich ein bisschen spät. Natürlich befürworte ich keine übertriebene Gewalt, seitens der Polizei, wie es zum Beispiel bei Stuttgart21 der Fall war. Dort hat die Polizei völlig übertrieben gehandelt! Also wenn friedlich demonstrierende Rentner, Reizgas in die Augen gesprüht bekommen, ist das völlig unverhältnismäßig. Aber bei solchen gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen es nur darum geht, Gewalt auszuüben, würde ich den Einsatz eines Wasserwerfers von Beginn an befürworten.
Ich würde da nicht allzu viel drauf geben. Vor allem ist da nicht die Rede von absoluten Zahlen. Zudem sollte man sagen, es handelt sich hier nur um Artikel aus dem Bereich Sport/Outdoor und nicht um die absolut bestverkauften Artikel bei Amazon. Und ich würde in so einer für manche vielleicht schon bürgerkriegsähnlich anmutenden Situation, so ein Kaufverhalten auch erwarten.
Was heißt es denn z. B. dass sich heute die Verkäufe von Helly Hansen Schwimmwesten um über 1700% gesteigert haben? Gefolgt von einem 2.50*2.50m Partyzelt.
Ich finde nicht, dass es ein Abstieg ist, denn wie sollen die Jugendlichen sonst auf sich aufmerksam machen? In den armen Vierteln Londons mit hohem Ausländeranteil sind die Wohnungen oder vielmehr Baracken in so einem schlechten Zustand, dass es menschenunwürdig ist dort zu leben. Die englische Regierung interessiert sich jahrelang nicht für die Jugendlichen und stellen sich dann als Opfer da und lassen einen nach dem anderen festnehmen. Aber die andere Seite ist, dass solche Aufstände oft nichts oder das Gegenteil bewirken wie zum Beispiel in Frankreich.
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