Subjektive Erfahrungen obektiv weiter geben?
Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus ist in der Presse natürlich einmal mehr von diversen Studien zu lesen, die das Wissen um die Zustände in der damaligen DDR beleuchten. Sicherlich unschön, aber nicht wirklich verwunderlich ist die Tatsache, dass das Wissen der Schüler um die Zustände in der DDR eher bescheiden ist. Dass die Schüler in den neuen Bundesländern da schlechter abschnitten war für die Verfasser der Studie wohl eher unerwartet, wurde aber damit begründet, dass diese ihr Wissen oft von Personen bezogen haben, die die DDR selbst erlebt haben und deren Wahrnehmung eher ein geschöntes Bild widergibt. So weit ist das alles nachvollziehbar und ich, die ich in der DDR aufgewachsen bin, bin sicher beleidigt.
Allerdings frage ich mich, wie man denn überhaupt solche Erfahrungen objektiv weitergeben kann. Denn ein Fakt ist es, dass man sich mit den Gegebenheiten in der DDR nun mal arrangiert hatte, sich sozusagen ein eigenes Bild geschafften hat. Beispielsweise wusste man, dass fast überall IMs zugegen waren und dass daher viele Gespräche den Oberen so nicht verborgen blieben; trotzdem hat man irgendwann nicht mehr darüber nachgedacht und so auch intimere Dinge erzählt. Die Mangelwirtschaft hat man einfach so hingenommen - auch, weil man es ja gar nicht anders kannte. Und so ließen sich sicher noch zig andere Dinge aufzählen. Ich frage mich daher, wie kann man so etwas denn überhaupt objektiv weitergeben? Sicher kann man sich da auch andere Quellen suchen, aber auch die Erfahrungsberichte von Zeitzeugen können diese ja nicht völlig ersetzen und die Kinder wollen ja auch gern wissen, wie beispielsweise die eigenen Eltern ihre Zeit in der DDR verbracht haben.
Tolles Thema, was mich die Tage auch mal wieder aktiv beschäftigt. Ich habe die Woche das Buch Weggesperrt von Grit Poppe gelesen. Da geht es um Jugendwerkhöfe in der ehemaligen DDR, ganz speziell halt auch um Torgau. Mich erinnert Torgau an diverse Konzentrationslager. Das erste Mal von solchen Zuständen wie in Torgau habe ich vor etwa einem Jahr gelesen. Und immerhin ist der Mauerfall ja schon ziemlich lange her und ich wundere mich immer noch, warum man da nie wirklich was von gehört hat. Auch über Google brauchte ich länger um an Informationen zu kommen. Denn erst mal wird Torgau angepriesen. Im passenden Wikipedia Artikel wird das Thema ebenfalls tot geschwiegen.
Ich selbst habe wenig engeren Kontakt zu ehemaligen Bürgern der DDR. Mal durch Foren oder so. Aber wenn näherer Kontakt statt fand kenne ich nur wenige Wege. Es gibt ein mal die, die froh sind, dass es die DDR nicht mehr gibt, ohne das näher zu begründen. Dann gibt es die, die bewusst jedem Gespräch dazu aus dem Weg gehen, bei denen man aber an wenigen Punkten merkt, dass das Leben der Person in der ehemaligen DDR recht unschön war. Und dann die dritte Gruppe, die mich immer wieder beschäftigt. Menschen die mir non stop sagen wie toll alles war. Was man alles hatte. Was man in der DDR alles besser gemacht hat, als in der BRD. Die mir die DDR als tollstes Land der Welt verkaufen. Wenn ich die nun auf Torgau ansprechen würde, würde man mir antworten, dass die Geschichten alle nicht stimmen und es so was nie gab. Leute die sich aber über jede noch so unbedeutende Ungerechtigkeiten im gemeinsamen Deutschland aufregen.
Ich bin nun mal im Westen aufgewachsen. Direkte Ostverwandschaft gab es nicht. Ich denke bei so Sachen wie halt dem Buch auch, wie wäre ich damit umgegangen? Ich glaube ich hätte mich damit arrangieren können, dass man nicht alles kaufen kann. Wobei mir eine ehemalige DDR Bürgerin immer wieder sagt, dass sie alles was ich auch hatte, ebenfalls hatte. Kann das stimmen? Ich weiß es nicht. Mit einem hätte mich aber wahrscheinlich nicht abfinden können, meinen Mund halten. Wobei man da sicherlich auch anders rein wächst? Als ich Anfang der 90er Jahre anfing gegen Ausländerfeindlichkeit etc. auf die Straße zu gehen, sagte ich, wäre ich während des Holocaust in dem Alter gewesen, wäre ich im Konzentrationslager gelandet. Kann man auch umlegen auf, wäre ich in der DDR aufgewachsen, wäre ich sicherlich in einem Jugendhof gelandet. Und meine Erziehung ( meine westdeutsche Erziehung) umfasste keine freie Meinungsäußerung. Wenn man es doch tat, passierte aber halt nichts. Höchstens die Eltern waren sauer.
Ja die Jugendwerkhöfe, das ist sicher ein sehr sensibles Thema. Ich kenne eine einzige Person, die in einer solchen Einrichtung war Ich weiß nicht einmal in welcher, weil die Person einfach nicht darüber sprechen mag. Ich denke, dass solche Dinge einfach in dem Bewusstsein vieler nicht (mehr) existieren, weil es einfach nur wenige Menschen betraf und nicht wirklich die Mehrheit. Diejenigen, die so etwas erlebt haben, sprechen nicht viel darüber, da ist es dann natürlich einfacher, so etwas zu verdrängen oder zu verleugnen. Ähnlich ist das sicher mit den politisch Inhaftierten und wer nie im Grenzstreifen von den Grenztruppen angehalten wurde, der wird auch eher solche Dinge verneinen. Allerdings frage ich mich, ob deren Erinnerungen und Empfindungen auch immer so objektiv sind. Zumindest bei der mir bekannten Person, die im Jugendwerkhof war, war es so, dass da einiges passiert ist. Dass Du wegen Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit in einem Jugendwerkhof gelandet wärest, das ist kann man so nicht sagen. Diese Unwägbarkeit ist es sicher auch, die DDR so verschwommen macht.
Im übrigen gehöre ich zu denen, deren Eltern schon nicht immer den Mund gehalten haben und die daher auch in der Kindheit Erlebnisse mit der weniger angenehmen Seite der DDR hatten, auch wenn diese Dinge keine dauerhaften negativen Folgen hatte. Allerdings haben mir meine Eltern später erzählt, dass sie in einigen Situationen doch einige Wochen nicht ruhig schlafen konnten, weil einer der Beiden einfach seinen Mund nicht halten konnte und dann eben die Angst vor Folgen in der Luft lag und man nicht mal sicher war, welche das sein könnten. Und trotzdem ist die überwiegende Erinnerung an die Kindheit in der DDR positiv, was aber auch daran liegt, dass Erinnerungen in der Regel immer positiv verklärt sind. Das erklärt sicher auch, warum eben viele die DDR sehr positiv sehen.
Natürlich konnte man in der DDR in den 80er Jahren auch alles haben, was es so in der BRD gab. Das war dann aber an bestimmte Bedingungen geknüpft, mit Beziehungen und der passenden Währung ließ sich da einiges machen. Ich kann beispielsweise sagen, dass wir so einige Dinge hatten (nicht nur monetäre Dinge), die andere Familien nicht hatten. Dafür war dann aber auch einiges an Arbeit mehr, was auch uns Kinder betraf. Alles hatten wir da zwar auch nicht, aber eben doch eine ganze Menge; und durchaus mehr als Klassenkameraden. Daher würde ich die Aussage der Frau nicht per se als Lüge abtun wollen.
Ich habe nicht nur gegen Ausländerfeindlichkeit demonstriert. Damals auch gegen den zweiten Krieg am Golf. Und im Endeffekt war das ja auch im weitesten Sinne eine Auflehnung gegen das Regime. Wobei es ja damals nicht Deutschland direkt betraf. Ich wollte mit meinen Worten eher zum Ausdruck bringen, dass ich Dinge gemacht habe, die nicht unbedingt dem entsprechen, was der Staat für einen vorsieht. Ich auch relativ offen gesagt habe, was ich nicht gut finde. Was im damaligen und auch heutigen Deutschland ja aber nicht wirklich bestraft wurde. Aber wäre so was in der ehemaligen DDR wirklich erlaubt gewesen? Kritik am System üben? Das System offen hinter fragen? Darauf wollte ich hinaus. Im besagten Buch erlaubt sich die Protagonistin einen Scherz, den man im Westen belächelt hätte. Wäre durchaus auch mein Stil gewesen.
Ich wollte niemand unterstellen, dass man mich anlügt. Deshalb schrieb ich ja auch, ob das wirklich so gewesen sein kann. Und wenn man von einem "normalen" DDR Bürger ausgeht, wird der nicht einfach alles gehabt haben. So habe ich dich zumindest nun verstanden. Du schreibst ja, ihr habt da halt Extraleistungen für erbracht. Mir kommt es in den Erzählungen anderer immer so rüber, als wenn Westsachen zum Standard gehört haben. Und ich frage mich halt auch, im Zusammenhang mit dem Thread hier oder auch dem genannten Buch, ob man sich da nicht selbst was vorlügt. Oder es einfach verklärter sieht, als es war. Oder um es krass auszudrücken: Mir wird manches Mal vermittelt, ich bin aufgewachsen wie du- zumindest was das materielle und so betrifft. Wenn man aber mein Jugendzimmer und das Jugendzimmer ehemaliger DDR Bürger vergleichen würde, wäre der Inhalt wirklich der selbe gewesen? Klar sah auch das Jugendzimmer meiner Cousine anders aus, die im Süden Deutschlands auf dem Land aufgewachsen ist und deren Eltern weniger Geld hatten und die noch dazu andere Interessen hatte. Aber rein theoretisch hätte sie auch alles einfach so kaufen können. Oder sie hat Dinge gehabt oder getan, die ich nicht hatte oder nicht getan hatte.
Aber ich denke, ob man Dinge nun objektiv beschreiben kann oder nicht, ist ein schwieriges Thema. Ich denke das hängt auch von dem Menschen selbst ab. Egal ob es nun um das Leben in der ehemaligen DDR geht oder um andere Sachen. Mir fallen eine Menge familiäre Sachen ein, die mein Bruder oder auch mein Vater anders erlebt haben. Der Unterschied dürfte an sich nur sein, dass halt familiäres Leben nicht Gesprächsthema von der ganzen Welt sind und sich da noch millionenfache Meinungen anderer Menschen mit beschäftigen, die die Sache von außen gesehen haben.
Ich denke, dass es hier überhaupt keine objektive Sichtweise geben kann. Ich weiß nun nicht, was in der Studie genau abgefragt wurde, aber "die Zustände" werden ja von uns auch aus heutiger und "westlicher" Sichtweise bewertet und die ist doch nicht weniger subjektiv als die Sichtweise von einem "Ossi", der von der guten alten Zeit schwärmt.
Ich habe zum Beispiel vor einiger Zeit eine Dokumentation über Mode und Design in der DDR gesehen in dem öfters auf die Einschränkungen, die die Menschen damals hatten, eingegangen wurde. Das ist sicher richtig und auch eine sehr nachvollziehbare Sichtweise, aber ich als kreativ arbeitender Mensch sehe eben auch die Möglichkeiten, die man damals hatte und zwar nicht trotz des Mangels, sondern gerade weil dieser Mangel herrschte und man unkonventionelle Wege gehen musste. Es gibt heute im Design einen großen Trend zu recycelten Materialien aller Art und deshalb hätte ich diese Dokumentation sicher ganz anders aufgezogen und durch meine subjektive Sichtweise die Zustände dann wahrscheinlich auch ganz anders beschrieben.
Wenn ich persönliche Erlebnisse hätte und diese an ein Kind weitergeben würde, würde ich versuchen dem Kind zu erklären, dass meine Erlebnisse eben nur meine Erlebnisse sind und nicht repräsentativ für alle andere Menschen.
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