Körperlicher Verfall aus Hass zum eigenen Körper?

vom 25.05.2010, 15:09 Uhr

Auf einem Straßenfest gestern habe ich einen alten Freund wiedergesehen, mit dem ich lange Zeit sehr gut befreundet war. Es war eine recht intensive Freundschaft, doch wie das Leben nun mal will, verliert man sich schnell aus den Augen. Nun habe ich ihn nach etwa sieben Jahren das erste Mal wiedergesehen und war erstaunt, was aus dem damals so gepflegten jungen Mann geworden ist. Er sah körperlich unförmig aus, seine Haare waren ungepflegt und sein Bart schien die Drei-Tages-Grenze bereits dreimal überschritten zu haben. Trotzdem haben wir uns am gestrigen Tag sehr gut unterhalten und haben uns für heute Mittag in einem Bistro zum Brunch getroffen, um einfach die letzten Jahre Revue passieren zu lassen und uns auszutauschen.

Beim Brunch kamen wir gegen Ende auch auf das Thema Körperpflege, und ich habe ihn ganz offen gefragt, warum er sich so hat gehen lassen und sich selbst nicht mehr so pflegt. Erstaunlicherweise war er sehr gesprächswillig in der Hinsicht, und erzählte mir, was der Auslöser für dieses Verhalten ist. Seit etwa fünf Jahren fühle er sich nicht mehr wohl in seinem Körper, was wohl damit angefangen hat, dass sich Arbeitskollegen über seinen Körpergeruch aufgeregt haben und damit sogar bis zum Chef der Firma gingen. Er wurde zwar nicht entlassen oder so, aber dieses peinliche Verhalten seiner Arbeitskollegen zerstörte sein bis dahin sehr stabilen Selbstbewusstsein anscheinend sehr massiv, weil er zwar von dem Problem seines Körpergeruchs wusste, es aber mit sehr vielen Methoden versucht hat, dies zu unterdrücken.

Von da an fing er an, sich immer weniger zu waschen, da er einen regelrechten Hass auf seinen eigenen Körper entwickelt hat, den er vorher so stark versucht hat, unter Kontrolle zu bringen und scheiterte. Diese Unzufriedenheit steigerte sich dadurch anscheinend nur noch mehr, und inzwischen sei er sehr ungepflegt – so seine eigene Aussage – jedoch könne er sich einfach nicht mehr aufraffen, seinen Körper noch weiter zu pflegen, weil es für ihn keinen Sinn mehr machte. Das Gespräch endete damit, dass er meinte, dass er nun los müsse, da er inzwischen in einer anderen Stadt etwa 50 Kilometer von hier wohne und er dort inzwischen eine neue Arbeitsstelle hat.

Seine Geschichte hat mich ehrlich gesagt sehr bewegt, denn ich konnte mir vorher nicht vorstellen, dass man aus Selbsthass auf ein bestimmtes Merkmal seines Körpers seinen Zustand noch weiter verschlimmern will. Wie bereits erwähnt, eigentlich war er damals ein sehr gepflegter Mensch und nur diese eine ausgenutzte Schwachstelle hat ihn scheinbar ins andere Extrem geworfen.

Ist es wirklich realistisch, dass eine Person seinen Körper quasi selbst bestraft, weil er sich nicht den Normen der Gesellschaft anpassen lässt, oder ist es gar schon eine krankhafte (Über-)Reaktion? Für mich als Laien klingt das schon beinahe wie Auswüsche einer Depression. Ist die Pflege des eigenen Körpers auch von der „Liebe“, die man ihm entgegenbringt, abhängig?

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» Malcolm » Beiträge: 3256 » Talkpoints: -1,99 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Ich denke, dass das Verhalten deines alten Freundes durchaus realitisch ist. Wir Menschen sind zerbrechlich, wenn es um das eigene Selbstbewusstsein geht.

Es ist hart zu erfahren, dass sich alle wegen deinem Körpergeruch beschweren. Ich denke schon, dass er sich zunächst gewaschen hat, die Kollegen sich aber trotzdem noch aufgeregt haben. Aber jeder Mensch hat eben eine oder mehrere Schwachstellen am Körper, keiner ist perfekt. Man wünscht sich dann, jemand anderes zu sein, oder in einem anderen Körper zu stecken.

Und diesen Schwachpunkt versucht man dann natürlich zu pflegen, zu verstecken etc. Wenn man aber immerwieder zu hören bekommt, dass man übel riecht, kann es natürlich dazu kommen, dass man verzweifelt oder, im schlimmsten Fall, depressiv wird.

Zu deiner letzten Frage: natürlich pflegt man etwas, das man liebt, eher als etwas, womit man nicht zufrieden ist. Dein alter Freund hat es wohl nach einiger Zeit aufgegeben und ist in ein tiefes Loch gefallen. Doch er kann sich das alte Selbstbewusstsein zurückholen. Dafür muss er Schritt für Schritt an sich arbeiten. Er muss wieder anfangen sich zu pflegen, um wieder auf die Siegesstraße zu gelangen. Wenn er das tut, beweist er echte stärke.

Das Problem mit dem Geruch wird wahrscheinlich immer auftauchen, das ist wohl genetisch bedingt. Er kann aber diese Schwachstelle verstecken, um sich selbst wohler zu fühlen. Zum Beispiel könnte er öfter ein Deo benutzen, er könnte sich eins zur Arbeit mitnehmen.

» iGreece » Beiträge: 3 » Talkpoints: 2,07 »


Also zunächst einma wäre es schon interessant zu wissen, wieso sich denn die Arbeitskollegen über seinen Geruch beschwert haben. Mir ist klar, dass es Krankheiten gibt, bei denen Menschen eben so gesehen einfach stinken, egal was sie machen und einen penetranten Fischgeruch oder so verbreiten. Aber gegen einige dieser Krankheiten kann man medizinisch gesehen schon einiges gegen machen, so dass betroffene nicht immer damit zu leben haben, daher würde es mich schon irgendwie interessieren, ob es wirklich einfach eine Krankheit ist, aus der er nicht mehr raus kommt oder ob er vielleicht einfach nur stark schwitzt und daher so riecht. Auch dagegen könnte man aber was tun.

Ich finde, dass das nichts mit sich selbst bestrafen oder Überreaktion zu tun hat, es ist eben tatsächlich einfach eine Form des sich selbst aufgebens, also eine Art Depression. Das er sich dabei nicht an die Gesellschaft anpassen kann ist zweitrangig, wichtig ist in erster Linie wirklich einfach nur der Aspekt, dass er offensichtlich abgelehnt wird und dagegen nichts tun kann. Wenn man sich sehr um seinen Körper kümmert und ihn pflegt und dann trotzdem noch von Mitmenschen ausgegrenzt wird und man sich sogar beim Vorstand über ihn beschwert, dass ist einfach ein Faustschlag ins Gesicht, ich denke das würde jedem Menschen so gehen. Kein Wunder, dass das Selbstbewusstsein dann darunter leidet, wenn man es jeden Tag mit Menschen zu tun hat, die es betrübt, dass einem noch nicht gekündigt wurde.

Ich denke jeder reagiert auf solche Erlebnisse anders und dein Bekannter hat eben darauf reagiert, in dem sein Selbstbewusstsein gesunken ist und er aufgegeben hat, sich groß um seinen Körper zu kümmern, weil es eben doch nichts geholfen oder gebracht hat. Ich finde das auch nachvollziehbar, denn stell dir einfach mal vor, du würdest dich bei einer Sache immer bemühen und anstrengen und bekommst trotzdem nur negative Resonanz. Da kann man an sich früher oder später einfach nur dran scheitern, dass ist ganz normal. Ich denke, dass es sicherlich Methoden gibt, um deinen Bekannten wieder aufzubauen, allerdings hört sich das von deiner Seite aus nun nicht wirklich danach als, als hättest du vor den Kontakt wieder dauerhaft zu halten. Aber ungewöhnlich ist das nicht und diese Art von Resignation ist meiner Ansicht nach sogar recht häufig.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



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