Zwangsversteigerung über den Verkehrswert
Habe heute aus Neugier bei einer Zwangsvollstreckung an einem Amtsgericht beigewohnt. Auch habe ich mich eigentlich wie ein Kaufinteressent auf diesen Termin vorbereitet (Objekt-Beschreibung und auch dessen Wert gelesen - also eher eine minimale Vorbereitung), einfach um ein wenig zu erfahren, wie eine solche Transaktion über die Bühne geht.
Zunächst muss man wissen, dass das ja am Ende einer kaputten (wirtschaftlichen) Existenz für den eigentlichen Besitzer steht und dieser Schritt für den Schuldner dann den endgültigen Auszug bzw. Zwangsräumung bedeutet. Wenn man hier nicht zu zart besaitet ist und sich im Klaren darüber ist, dass dieses Schicksal den Alteigentümer in jedem Fall trifft (ob man nun selbst das Objekt erwirbt oder eben jemand anders), dann treten von der Seite keine Bedenken mehr auf.
Was mich selbst aber dann doch erstaunt hat, war die Tatsache, dass der Gutachter vor Gericht (bzw. die Rechtspflegerin aus dem Gutachten zitiert) ausdrücklich darauf hinweist, dass die Immobilie ab gewohnt und in einem unappetitlichen Zustand ist! Es also in jedem Fall noch an Geld kosten dürfte, die unterstellten Schäden zu beseitigen.
Der Verkehrswert wurde dann auf lockere 450'000 Euro gesetzt, was in etwa der Wohngegend und der Wohnfläche entspricht und auch auf dem "freien Markt" verlangt werden würde. Ich bin nun davon ausgegangen, dass das Objekt zu etwa maximal 80% des Verkehrswertes den Besitzer wechseln wird. Schließlich kauft man ein Risiko mit ein (es konnte nicht besichtigt werden und der Gutachter beschreibt es eben als nicht gepflegt).
Zu meiner Überraschung wurde dann aber im Biet-verfahren ein Wettstreit zwischen drei Parteien eröffnet, welcher darin gipfelte, dass das Haus (bzw. die Doppelhaushälfte) für 552'000 Euro (!) verkauft wurde. Und das, obgleich es sich offensichtlich nicht um Investoren oder Bauträger, sondern Privatpersonen handelte - die wohl zur Eigennutzung gekauft haben. Aber zu dem Preis hätte man eigentlich (so mein Verständnis) auch auf dem freien Markt ein ähnliches Objekt locker finden können. Mit wesentlich weniger Risiko und vor allem in einem vorher definierten Zustand.
Kann es wirklich sein, dass sich Parteien hier während der Bietstunde so rein steigern, dass das persönlich gesetzt Limit (hoffentlich hatten die vorher eine Vorstellung vom persönlichen Maximalpreis) spontan ausgeweitet wird? Mir kamen die Gebote letztlich jedes Mal so vor, als wäre jedes Mal eine Schmerzgrenze überschritten. Auch hinsichtlich Gebot im Verhältnis zum Verkehrswert gab es im Saal regelmäßig ein raunen/staunen, nachdem der Preis die 500'000 Euro überschritten hatte. Langwierig und spannend machte dann auch die Tatsache, dass die Bieter-Schritte ab da sich immer im Bereich von 1'000-3'000 Euro bewegt haben. Wie auch immer: ich hätte beim besten Willen nicht mit einem solchen Erlös gerechnet, der über 100'000 Euro über dem ermittelten Verkehrswert liegt. So lernt man täglich hinzu.
derpunkt hat geschrieben:Zunächst muss man wissen, dass das ja am Ende einer kaputten (wirtschaftlichen) Existenz für den eigentlichen Besitzer steht und dieser Schritt für den Schuldner dann den endgültigen Auszug bzw. Zwangsräumung bedeutet.
Na ganz so ist nun auch nicht. Klar ist es schon heftig, wenn ein Gläubiger in unbewegliches Vermögen vollstreckt, aber das damit die wirtschaftliche Existenz kaputt ist, ist wohl nicht immer der Fall und Auszug beziehungsweise um einiges später Zwangsräumung bedeutet eine Zwangsversteigerung einer Immobilie auch nicht immer. Wieso es zur Zwangsversteigerung kommt ist ganz unterschiedlich und manchmal ist es auch nur ein Mittel um an ein bestimmtes Ziel zu kommen, aber das würde jetzt zu weit führen.
Wieso jemand deutlich über den Verkehrswert bietet, kann sowohl rationale als auch irrationale Gründe haben. Um mal zwei Beispiele aus meinem Dunstkreis zu nennen, so hat kurz vor dem Bekanntwerden, dass eine Fläche künftig als Windpark ausgewiesen werden soll, eine Person noch etliche Hektar Fläche angekauft. Durch die künftige Verpachtung hat sich die Investition in wenigen Jahren amortisiert. Ebenso kenne ich eine Person, die das Haus eines Bekannten unbedingt ersteigern wollte (und auch hat) und sich damit die ewige Dankbarkeit des vorherigen Eigentümers gesichert hat. Beide sind mit dem Deal zufrieden.
JotJot hat geschrieben:so hat kurz vor dem Bekanntwerden, dass eine Fläche künftig als Windpark ausgewiesen werden soll, eine Person noch etliche Hektar Fläche angekauft.
Wobei in so einem Fall ja nicht wirklich über dem Verkehrswert gekauft wird, sondern man übervorteilt den ahnungslosen Verkäufer, welcher zu einem zu geringen Preis verkauft hat, weil er von der Nachnutzung nichts gewusst hat. Das ist einer der Wege, wie Russlands Milliardäre zu viel Geld gekommen sind. Und ob es statthaft ist, dieses Wissen so zu nutzen, ist mir letzlich nicht klar. An der Börse wäre es jedenfalls verboten.
JotJot hat geschrieben:unbedingt ersteigern wollte (und auch hat) und sich damit die ewige Dankbarkeit des vorherigen Eigentümers gesichert hat.
Hier ist es immer so eine Sache mit der Ewigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen (auch wenn es keine Liebesbeziehung ist). Die Dankbarkeit war erkauft und allein diese Tatsache sowie die ewige (und die ist da) Abhängigkeit bzw. Ungleichheit der Beteiligten kann sich über die Jahre eher negativ auswirken.
Bei einer Zwangsvollstreckung hingegen bin ich davon ausgegangen, dass man kauft, um eben nicht zum regulären Wert zu kaufen. Jedenfalls dann, wenn man als Privatperson zur Eigennutzung kauft. In dem von mir real erlebten Fall fürchte ich fast, dass sich die Beteiligten auf einen Bieterwettstreit eingelassen haben - und mehr bezahlen, als sie sich am Morgen vorgenommen hatten. Das kann bei Ebay bei Gegenständen im Wertebereich von 100 Euro OK sein. Aber 100'000 Euro über dem Verkehrswert?
derpunkt hat geschrieben:Wobei in so einem Fall ja nicht wirklich über dem Verkehrswert gekauft wird, sondern man übervorteilt den ahnungslosen Verkäufer, welcher zu einem zu geringen Preis verkauft hat, weil er von der Nachnutzung nichts gewusst hat.
Auch nicht wirklich. Der Gläubiger vollstreckt in das Vermögen des Schuldners, weil der zum Zeitpunkt der Vollstreckung nicht leisten kann. Damit ist er ja nicht Verkäufer im herkömmlichen Sinne. Und zwischen Eintragung des Zwangsversteigerungsvermerks und der tatsächlichen Zwangsversteigerung kann ja immer noch ein längerer Zeitraum liegen.
Im übrigen wird eine Zwangsversteigerung auch schon mal zu anderen Zwecken missbraucht. Da gibt es Dinge, von denen man sich als juristischer Laie nicht mal träumen ließe. Da sind Gefälligkeiten nur ein kleiner Teil.
Du schreibst, das es sich um eine Doppelhaushälfte handelt. Da kann ich mir schon vorstellen, wenn mir die andere Hälfte gehört, auch mehr zu bieten, als sie eigentlich Wert ist. Kommt halt immer darauf an, warum man der alleinige Eigentümer sein mag.
Im Endeffekt ist dann auch in diesem Fall der bloße Siegeswille ein Kriterium was man gerade bei Auktionen nicht unterschätzen sollte. Das kann man im kleinen beobachten oder wie eben du, auch im großen. Und vielleicht ist dem Käufer auch irgendwas bekannt, was den Wert in naher Zukunft noch nach oben treiben kann.
Punktedieb hat geschrieben:Im Endeffekt ist dann auch in diesem Fall der bloße Siegeswille ein Kriterium was man gerade bei Auktionen nicht unterschätzen sollte.
Genau dieser Gedanke ist auch in mir hoch gekommen und der hat mich bestürzt. Denn es geht hier nicht um eine gebrauchte CD bei Ebay, bei der einen der "sportliche Ehrgeiz" packt, und man am Ende 5 Euro mehr geboten hat, als man ursprünglich wollte. Hier bei einer Immobilie geht es um ganz andere Größenordnungen.
Weil die Schritte, um die im freien Bietverfahren erhöht wurden, ab eben den 500'000 Euro (was auch schon deutlich drüber ist), recht klein waren (immer um eben etwa 1'000 bis 3'000 Euro - vorher hat man regelmäßig 10'000 bis 20'000 Euro auf das jeweils letzte Gebot gesetzt) ist in mir der Eindruck entstanden, dass das als Spiel gesehen wurde. Lustigerweise war keiner der drei Beteiligten in der Lage, den Eindruck zu vermitteln, locker weiter bieten zu können.
Ich wünsche zwar dem "Gewinner" wirklich alles Gute. Aber er kauft ein Haus ohne es besichtigt zu haben und von welchem das Gutachten als "wenig appetitlich" hinsichtlich des Zustandes spricht für 100'000 Euro über dem Verkehrswert! Ob der sich wirklich darüber im Klaren war, als er geboten hat? Auch seine anwesende Frau (die gar nichts gesagt hat), wirkte jedenfalls auch eher unbeteiligt.
@derpunkt, Du solltest Dich vielleicht mal um einen objektiveren Standpunkt bemühen. Ich würde in einer solchen Situation auch nicht unbedingt einen Blick in meine Karten gewähren lassen wollen und sicher so tun als täte es weh, wobei man ja gern spart. Und woher willst Du eigentlich wissen, dass die Beiden nicht wissen was sie ersteigern?
Ich habe auch schon gehört, dass es mal vorkommen kann, dass der Vekehrswert eines Hauses bei einer Zwangsversteigerung sogar überschritten wird. So etwas kommt aber wohl eher selten vor.
Ich denke auch, dass es viele Gründe haben kann. Laut Verkehrswert ist ein Haus vielleicht nur 100.000 Euro wert, aber einem Interessenten ist es vielleicht 300.000 Euro wert. Da spielt sicher eine Rolle, wie gut das Haus jemandem gefällt und ob jemand Geld hat oder eben nicht. Bei einer Zwangsversteigerung wird ja auch immer als Tipp gegeben, dass man sich ein Limit setzen sollte. Bis dahin biete ich und nicht mehr, sonst überschätzt man seine finanziellen Mittel auch sicher leicht.
JotJot hat geschrieben:Und woher willst Du eigentlich wissen, dass die Beiden nicht wissen was sie ersteigern?
Natürlich hast Du Recht und ich bin über deren Hintergründe nicht informiert. Aber wenn der Zwangsverwalter und sein Gutachter bei zwei Terminen nicht zur Besichtigung gelassen wurden liegt die Vermutung nahe, dass der Besitzer auch nicht wildfremden Interessenten einen Blick ins Haus gewährt. Gäbe es eine Beziehung zu dem Besitzer, hätte ein Kauf auch vor der Zwangsversteigerung stattfinden können und man hätte nur den Verkehrswert bezahlen müssen. Die treibende Bank wäre hier sicher nicht abgeneigt gewesen, da im schlimmsten Fall auch nur 70% vom Verkehrswert hätten rausspringen können.
Außerdem ist es tatsächlich so, dass Vergleichsobjekte in der Gegend um die 500'000 Euro liegen. Ist man aber bereit und in der Lage, dieses Geld zu bieten, dann ist es doch vernünftiger, gleich ein Haus über den gewöhnlichen Weg zu kaufen. Dort fallen dann idR. keine Sanierungskosten an bzw. man kann diese vorher genauer einschätzen.
Nelchen hat geschrieben:Bei einer Zwangsversteigerung wird ja auch immer als Tipp gegeben, dass man sich ein Limit setzen sollte.
Das gilt ja eigentlich für jede Auktion und noch allgemeiner für jede Anschaffung! Und das ist hier für mich der springende Punkt. Wenn ich vor der Auktion weiß, dass ich über 500'000 Euro bieten werde (bzw. sogar noch drüber), dann schaue ich doch am Markt und nicht nach einem Objekt, welches "nur" mit 470'000 Euro angegeben wurde.
So dramatisch schlecht wird der Immobilienmarkt nicht sein, dass es in der näheren Umgebung wirklich keine vergleichbaren Objekte gibt, die nicht regulär verkauft werden.
Ich habe diesbezüglich mal gelesen, dass diese Verkehrswertgutachten auch nur ein Anhaltspunkt sind. Wenn so ein Gutachten älter ist, wenn es dann letztlich zu der Zwangsversteigerung kommt, dann muss der angegebene Verkehrswert nicht mehr mit der Realität übereinstimmen. Plausibel ist ja jedem der fiktive Fall, dass zum Beispiel durch eine Überschwemmung und daraus entstandene Wasserschäden der Wert einer Immobilie nach der Begutachtung drastisch gesunken ist.
Möglicherweise wusste der Käufer aber, dass in das Haus vielleicht Zahlungen aus einer Versicherungsleistung geflossen sind, die den Wert erheblich gesteigert haben. Auch wenn der Besitzer das Objekt nicht zur Besichtigung frei gegeben hat, haben die zwei Bieter vielleicht über Nachbarn oder die Gerüchteküche Insiderinformationen erhalten. Vielleicht wussten die beiden auch etwas von einem Beschluss aus der Stadtverwaltung, dass es zum Beispiel demnächst in diesem Viertel Fördermittel gibt oder der Flughafen Lärmschutzfenster zahlt oder was weiß ich. Es gäbe da schon einige Gründe, warum man letztlich mehr zahlen würde.
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