Der Tun-Ergehens-Zusammenhang
Der Tun-Ergehens-Zusammenhang (vielleicht vergleichbar mit Karma) ist sicherlich einigen von euch aus der christlichen Religion ein Begriff. Er war Teil der alten, israelitischen Weisheit und wird inhaltlich zum Beispiel im Hiobbuch des alten Testaments behandelt.
In den letzten Kapiteln des Hiobbuches wird auch das Thema Theodizee angesprochen, also die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes: Wie kann Gortt angesichts des Leids auf der Welt noch gerecht genannt werden? Der Tun-Ergehens-Zusammenhang war, wie gesagt, Teil der israelitischen Weisheit und besagt, dass jede Handlung (jedes Tun) eine Folge (ein Ergehen) nach sich zieht, je nachdem, ob sie gut oder schlecht gewertet werden kann, eine gute oder schlechte Konsequenz.
Ich denke, dass die meisten von euch die Geschichte von Hiob kennen, einem gottesfürchtigen Mann, der dessen Gebote hielt und nie etwas Schlechtes getan hat. Trotzdem wird ihm sein Hab und Gut von Gott genommen, seine Familie ausgelöscht, er erfährt Leid am laufenden Band. Hiob versteht die Welt nicht mehr und drei Freunde versuchen ihn zu trösten: sie sind davon überzeugt, dass Hiob etwas Schlechtes getan haben MUSS, denn schließlich ist man noch immer von der Richtigkeit des Tun-Ergehens-Zusammenhangs überzeugt.
Hiobs Klagen über sein ungerechtes Leiden gehen hin bis zur Anklage Gottes, der ihm allerdings auch keine Antwort gibt, sondern nur seine allumfassende Allmacht zur Schau stellt.
Der Glauben an die Gültigkeit des Tun-Ergehens-Zusammenhangs bröckelte im israelitischen Volk, als man sah, dass Gottlosen Menschen Gutes und Gottesfürchtigen Menschen, wie Hiob, Schlechtes geschah. Der Tun-Ergehens-Zusammenhang schien also nicht zu funktionieren. Mit diesem Problem beschäftigt sich auch das Buch Kohelet ausführlich.
Meine Frage an euch: Der Tun-Ergehens-Zusammenhang war jahrhundertelang Teil der israelitischen Weisheit, auch generationsübergreifend, beispielsweise wurde die Verschleppung der israelitischen Oberschicht ins babylonische Exil als gerechte Strafe Gottes für vorheriges sündiges Verhalten gewertet. Nach und nach schwand aber immer mehr der Glaube an die Richtigkeit eines solchen Zusammenhangs.
Es gibt aber Menschen, die noch heute an den Tun-Ergehens-Zusammenhang glauben. So absurd und unglaublich es klingen mag, sagte ein jüdischer Rabbi vor einigen Jahren auf die Frage nach Gott in Auschwitz angesprochen, dass er glaube, Hitler sei ein werkzeug Gottes gewesen, eine Strafe für das sündige Verhalten seiner eigenen Religionsgemeinschaft, ganz im Sinne des Tun-Ergehens-Zusammenhanges.
Was sagt ihr dazu? Glaubt ihr, dass es so etwas wie den Tun-Ergehens-Zusammenhang, auch generationsübergreifend, geben kann?
Du wirfst ja hier Fragen in den Raum. Vielleicht sind deine Fragestellungen und Grundannahmen doch etwas zu weit gehend, denn du setzt da zum Teil ein erhebliches Eingebundensein in religiöse Fragen voraus, das sicherlich nicht zum Allgemeinwissen der meisten gehört.
Ich habe noch nie von diesem Tun-Ergehens-Zusammenhang gehört, verstehe aber, was du damit meinst. Als zutiefst aufgeklärter und atheistischer Mensch kann ich mit solchen Kausalitäten nichts anfangen. Es ist und bleibt eine Glaubensfrage, das muss sich jeder selbst aussuchen. Für mich persönlich klingt es völlig absurd.
Wie soll ich mir das vorstellen? Da sitzt also jemand und führt Buch über unsere Verfehlungen? Aber nicht nur die kleinen persönlichen Fehler tauchen in dieser Bilanz auf, sondern ich muss auch gleich noch für die Fehler meines Umfeldes, meines Landes, meiner Rasse, meiner Religion, meiner Generation usw. einstehen. Wenn das so ist, dürfte wohl niemand eine Chance haben, ohne Strafe davonzukommen. Stellt sich noch die Frage, was die Bilanzierungsregeln zu den Aktivposten sagen? Kann ich also bestimmte Fehler auch durch gute Taten ausgleichen? Helfen womöglich Gebete?
Wenn ich das alles so durchdenke, dann kann in meiner zutiefst wissenschaftlich und logisch geprägten Welt kaum ein Sinn dabei rauskommen. Ich denke eher, dass jeder der mag, diesen Tun-Ergehens-Zusammenhang für alles mögliche auf wunderbare Weise instrumentalisieren kann. Denn egal was passiert, das ist das Schlüsselargument, um nicht Totschlagargument sagen zu müssen, für alles und verhindert somit jeglichen Versuch, Dinge anders erklären zu wollen. Es macht das "sich dem Schicksal ergeben" leichter, was ich im Grunde als einen ziemlich perfiden Trick empfinde.
Tut mir leid, Religion ist mein Studium und mein Hobby (ich glaube aber selbst nicht). Und ich dachte, dass es hier bei Talkteria vielleicht noch ein paar Leute gibt, die sich gerne mit diesem Thema beschäftigen.
Der Tun-Ergehens-Zusammenhang ist ja vergleichbar mit dem Karma, was ja eigentlich jedem ein Begriff ist, nur dass es aus einer anderen Religion ist. In einer christlich geprägten Gesellschaft wie unserer eigentlich seltsam, aber wahrscheinlich liegt das daran, dass der Tun-Ergehens-Zusammenhang im Laufe des Alten Testaments als ungültig angesehen wurde und Karma noch heute einen Großteil des hinduistischen und buddhistischen Glaubens ausmacht.
Wie genau man sich das vorstellt, also ob da jemand sitzt und Buch führt, kann ich dir auch nicht sagen. Aber es gibt wohl auch Möglichkeiten, da rauszukommen, da der christliche Gott ja ein vergebender Gott ist. Man sollte Buße tun und manchmal wird (sehr nett!) die Strafe auch einfach von einem selbst abgewandt und eine Generation übersprungen, zum Beispiel als König David eine Affäre mit einer verheirateten Frau hatte und ihr Mann plötzlich zuuuufällig an der Front umkommt, wird nicht König David dafür bestraft, sondern das Kind, das aus der Affäre entsteht, das in Folge der Sünde Davids an einer Krankheit stirbt. Das ist ganz schön fies, denn das Kind kann ja nichts dafür und doch waren dies laut Bibel Gottes Wege, begründet mit dem Tun-Ergehens-Zusammenhang.
Und ja, der Tun-ergehens-Zusammenhang ist zumindest für daran Gläubige Menschen ein absolutes Totschlagargument. Ich glaube auch nicht an sowas, aber finde, dass man sich doch manchmal dabei ertappt, Wetten mit sich selbst abzuschließen im Sinne von "Wenn ich diese Prüfung gut bestehe, dann wird sich mein heimlicher Schwarm am Wochenende auch melden!" oder so, vielleicht kann sich ja der ein oder andere damit identifizieren. Wobei ich denke, dass der Tun-Ergehens-Zusammenhang vielleicht auch noch mehr in unserem Alltag präsent ist, zum Beispiel in dem Sprichwort: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein
Wenn Religion dein Studium und Hobby ist, dann bist du dir aber bewusst, dass du mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang und der Erbsünde nicht von der christlichen Religion sprichst, oder?
Im alten Testament wird ganz klar von einem Tun-Ergehen-Zusammenhang gesprochen, was der Grund dafür ist, dass die Juden an ihn glauben. Ein Teil der Bücher des Alten Testaments ist ja ihre Thora. Auch die Erbsünde, die du angesprochen hast und die in der Geschiche von David und Batseba deutlich wird, kommt aus dem Alten Testament.
Mit Jesus Christus und vorallem mit seinem Tod wird die Sünde von den Menschen genommen. Jesus hat sie auf sich genommen und mit ans Kreuz getragen. Damit gibt es in der christlichen Religion keinen Tun-Ergehen-Zusammenhang, da es ja keine Sünde mehr gibt, die Jesus nicht von den Menschen nehmen kann, wenn man ihn darum bittet. Auch die Erbsünde, die du ansprachst, gibt es in diesem Sinne im Christentum nicht mehr.
Ich glaube nicht an einen Tun-Ergehen-Zusammenhang, jedenfalls keinen der sich auf das nächste Wochenende auswirken würde. Ich glaube, dass man sich im Leben gut benehmen sollte, um danach belohnt zu werden, aber dass eine Sünde sich auf den Verlauf des nächsten Wochenendes auswirken soll, nein das nicht.
Monella hat geschrieben:Wenn Religion dein Studium und Hobby ist, dann bist du dir aber bewusst, dass du mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang und der Erbsünde nicht von der christlichen Religion sprichst, oder?
Die Erbsünde habe ich in keinem einzigen Satz erwähnt. Wie kommst du darauf? Und doch, ich spreche von der christlichen Religion genauso wie von der jüdischen. Religion ist mein Hobby und meisn Studium als nichtreligiöser Mensch und einige Kirchenvertreter äußern sich auch in unserer Zeit noch zum Tun-Ergehens-Zusammenhang, wie beispielsweise über Hitler als Gottes Werkzeug für das sündige Tun der Juden, wie oben schon beschrieben (das spiegelt auf keinsten Fall meine Meinung wieder!!)
Im alten Testament wird ganz klar von einem Tun-Ergehen-Zusammenhang gesprochen, was der Grund dafür ist, dass die Juden an ihn glauben. Ein Teil der Bücher des Alten Testaments ist ja ihre Thora. Auch die Erbsünde, die du angesprochen hast und die in der Geschiche von David und Batseba deutlich wird, kommt aus dem Alten Testament.
Die Pauschalisierung, die dur vornimmst, dass Juden an den Tun-Ergehens-Zusammenhang glauben, ist meiner Meinung nach nicht richtig. Ja, er wird eindeutig im alten Testament behandelt, welches ja den Tenach/die Mikra des Judentums ausmach. Aber gleichzeitig behandelt das Alte Testament in späteren Büchern und Kapiteln die Krise des Tun-Ergehens-Zusammenhangs, als man nämlich merkte, dass er eben NICHT funktioniert. Siehe dazu beispielsweise das Buch Hiob oder das Buch Kohelet.
Mit der Geschichte zwischen David und Batseba meine ich keinesfalls die Erbsünde, sondern ganz klar den generationsübergreifenden Tun-Ergehens-Zusammenhang. Auf diesen (nicht auf Erbsünde) wird auch ganz klar in Ezechiel 18 Bezug genommen, von wegen, dass die sauren Trauben, die die Väter gegessen haben, noch den Söhnen die Zähne verfaulen oder so ähnlich. Auf jeden Fall wird also hier klargestellt, dass der Tun-Ergehens-Zusammenhang eben NICHT so funktionierte, wie man sich das in den Anfängen des Alten Testaments vorstellte. Also kann man auch nicht pauschal sagen "die Juden glauben an den Tun-Ergehens-Zusammenhang".
Ich glaube nicht an einen Tun-Ergehen-Zusammenhang, jedenfalls keinen der sich auf das nächste Wochenende auswirken würde. Ich glaube, dass man sich im Leben gut benehmen sollte, um danach belohnt zu werden, aber dass eine Sünde sich auf den Verlauf des nächsten Wochenendes auswirken soll, nein das nicht.
Aber ist das nicht auch eine Art Tun-Ergehens-Zusammenhang? Nur eben ein über das Leben hinausgehender - die guten bzw. schlechten Taten wirken sich auf das aus, was nach dem Tod passiert und ziehen entsprechend Lohn oder Strafe nach sich.[/code]
Ich wollte keinesfalls pauschalisieren, dass alle Juden an den Tun-Ergehen-Zusammenhang glauben, ich hatte mich nur falsch ausgedrückt und wollte eigentlich auf dein Beispiel mit Hitler reagieren. Das ist wohl falsch rüber gekommen.
In der christlichen Religion spielt der Tun-Ergehen-Zusammenhang aber keine Rolle. Jesus leugnet ihn mehrmals an unterschiedlichen Stellen in der Bibel. In Lukas 13 predigt er den Menschen, dass die Menschen, die gerade beim Einsturz eines Turmes umgekommen sind, dass diese Menschen nicht schuldiger waren, als der Rest des Dorfes. Damit dementiert er in diesem Zusammenhang einen Tun-Ergehen-Zusammenhang.
Auch als Jesus Kranken hilft, sagt er ihnen (ich weiß nicht mehr genau ob dem Blinden oder dem Lahmen), dass weder er noch seine Eltern etwas dafür können, dass er krank ist. Hier wird auch deutlich, dass es keinen "vererbbaren Tun-Ergehen-Zusammenhang" mehr gibt.
Das Buch Hiob als Beweis für die Wandlung im Alten Testament anzusehen, empfinde ich als sehr kritisch. Die Geschichte von Hiob ist fiktiv, die Meinung des Autors dieser Geschichte würdest du dementsprechend pauschalisieren.
Den Tun-Ergehen-Zusammenhang habe ich bis jetzt auf das Diesseits bezogen, nicht auf das Jenseits. Wenn du ihn so definierst, dann glaube ich schon an einen Tun-Ergehen-Zusammenhang im Jenseits.
Ja, da gebe ich dir Recht, im Neuen Testament wir der Tun-Ergehens-Zusammenhang wiederholt dementiert (was aber nicht alle daran hindert, nicht noch weiterhin an ihm festzuhalten ). Und die Bemerkung über Hitler hat tatsächlich ein christlicher Kirchenvertreter fallengelassen.
Monella hat geschrieben:Das Buch Hiob als Beweis für die Wandlung im Alten Testament anzusehen, empfinde ich als sehr kritisch. Die Geschichte von Hiob ist fiktiv, die Meinung des Autors dieser Geschichte würdest du dementsprechend pauschalisieren.
Das Buch Hiob steht meiner Meinung nach eindeutig für die Krise des Tun-Ergehens-Zusammenhangs. Das sieht man doch ganz deutlich an den Reaktionen der Freunde auf sein Leid. Hiob ist ja ein gottesfürchtiger Mann, der sich nie etwas hat zu Schulden kommen lassen. Und trotzdem erfährt er Leid am laufenden Band, Auslöschung der Familie und grausama Krankheiten inklusive. Und vorher war der Tun-Ergehens-Zusammenhang fester Bestandteil der israelitischen Weisheit.
Als seine drei Freunde kommen, um ihn zu trösten, gibt jeder einzelne von ihnen die alten Ansichten wieder, also dass Hiob irgendetwas schlechtes getan haben MUSS; denn sonst würde ihm das ganze Leid jetzt nicht widerfahren. Davon sind die felsenfest überzeugt. Erst die Elihu-Reden bringen eine neue Sichtweise ins Spiel. Er ist der einzige, und auch der letzte, der eine Rede hält, der nicht mehr vom Tun-Ergehens-Zusammenhang ausgeht sondern meint, dass das Leiden eventuell einen pädagogischen Sinn haben könnte und Gottes Wege für uns Menschen sowieso unergründlich seien.
Man sieht also innerhalb der Hiobsgeschichte, ob fiktiv oder nicht, ganz eindeutig eine Entwicklung vom Glauben an den Tun-Ergehens-Zusammenhang bis hin zur Erkenntnis, dass das so doch nicht ganz stimmen kann.
Die Autoren des Hiobbuches haben die Geschichte genau vor dem Hintergrund geschrieben: Man merkte, dass der Tun-Ergehens-Zusammenhang, von dem man fest überzeugt war, nicht funktionierte, als man sah, wie Gottlosen Gutes und Gottesfürchtigen Schlechtes widerfuhr, wie gesagt, schau einfach mal ins Buch Kohelet, Kohelet wird nicht umsonst Zeuge der Krise der Weisheit (des Tun-Ergehens-Zusammenhangs) genannt.
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