Winter entwöhnt?

vom 21.12.2010, 11:26 Uhr

Wenn ich dieser Tage mir die Nachrichten ansehe, dann frage ich mich oft: Haben wir uns daran gewöhnt, das der Winter eher ausfällt? Derzeit scheint ja der Schnee halb Europa lahm zu legen und dabei sind die Mengen, die da runterkommen eigentlich noch meistens ganz verträglich. Vorausgesetzt man hat sich ein bisschen darauf vorbereitet, das es Winter - mit Schnee und Co. - werden könnte.

Nun stellt sich aber raus: Die Flughäfen sind nicht darauf vorbereitet mit Schneefall der über "kurz rüber gekrümelt" hinausgeht fertig zu werden. Brüssel hat kürzlich komplett dicht gemacht und Heathrow kapituliert vor 10 cm Schnee (schöne Reaktion der wirklich Schnee und Eisgeplagten Schotten "Stellt euch nicht so an!").
Um die Leute so gut es geht trotzdem durch die Gegend zu befördern, wird empfohlen: Steigt auf die Bahn um.

Die Bahnen jedoch haben ihre eigenen Probleme mit dem Wetter und bleiben auch schon mal auf der Strecke stehen und sagen: "Wir würden ja gerne , aber da wir der geforderten Gewinne wegen genau all die Leute abbauen mussten, die früher die Strecken frei hielten, stehen wir jetzt in der Schneewehe." Und schlagen vor, man solle doch mit dem eigenen Wagen fahren.

Der wiederum durch die teilweise ungut geräumten Straßen kaum durchkommt und schließlich in der Brühe aus Eis, Matsch und Salz steckenbleibt, in der einem der besten Winterreifen nichts hilft. Die Städte und Gemeinden sagen "Ja nun, uns geht das Salz aus, wir haben nicht soviel Lagerplatz und - ähm - Lieferschwierigkeiten! genau, wir haben Lieferschwierigkeiten!" Etwas genuschelt hört man dahinter "Und wer hätte denn mit zwei solchen Winter hintereinander gerechnet?".

Und dann steht man da, sieht wie fröhlich Salz auf eine Schneedecke geworfen wird, die garantiert zu mächtig für das bisschen gepökelte Straße sein wird und fragt sich, ob irgendwer von den verantwortlichen wirklich in Chemie aufgepasst hat oder sich einfach nur gemerkt hat "Gut salzen wenn es schneit!". Während man da so steht, kommt mit Gewissheit irgendwer, dessen Schuhe selbst im Späzherbst schon ein Fehlgriff gewesen wären und keift etwas von Gehweg räumen und ereifert sich über eine an sich festgetretene Schneedecke und verlangt einen "sauberen" Weg. Inzwischen hat man selbst schon eine milden hysterischen Lachanfall bekommen, da die Schneeberge um einen herum mittlerweile höher sind als man selbst.

Und irgendwo an dieser Stelle frag ich mich: Haben wir so sehr verlernt mit dem Winter zu leben, das er uns derartig aus der Bahn wirft?

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» Nephele » Beiträge: 1047 » Talkpoints: 2,22 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Wenn ich die Nachrichten über das "Winter Chaos" höre, frage ich mich auch, warum alles gleich zum Chaos ernannt wird und warum man sich nicht einfach mit der Tatsache abfinden kann, dass es im Winter schneit.

Aber ich denke nicht, dass man verlernt hat mit dem Winter umzugehen, sondern dass sich ganz andere Sachen geändert haben. Ich denke da zum Beispiel an die Mobilität und die Medienlandschaft.

Vor zwanzig Jahren hätte man bei den gleichen Wetterverhältnissen wahrscheinlich nicht tausende von gestrandeten Urlaubern an Flughäfen gehabt, weil einfach wesentlich weniger Leute über die Feiertage im Urlaub geflogen sind. Und auf den Straßen war wahrscheinlich auch weniger Verkehr und somit gab es weniger potentielle Teilnehmer an Unfällen.

Und natürlich hat sich die Berichterstattung geändert, weil es wesentlich mehr Sender gibt, die um Zuschauer konkurrieren. Im ZDF habe ich zum Beispiel vor kurzem im Vorabendprogramm eine Sendung gesehen, die anscheinend zu jedem Unfall im Land ein Kamerateam geschickt hatte. Da bekommt man natürlich schnell den Eindruck, dass keiner mehr weiß, wie er im Winter zu fahren hat - aber wahrscheinlich sind solche Unfälle früher auch passiert, allerdings mit dem Unterschied, dass dann nur in der Regionalzeitung darüber berichtet wurde.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Du sprichst das aus, was ich denke. Heute morgen bin ich zum Arzt gefahren und habe 25 Minuten gebraucht für eine Strecke, die ich sonst in knapp zehn Minuten bewältigen konnte. Letzten Freitag bin ich auf dem Weg zur Uni wieder umgekehrt, da ich so viel Verspätung auf den ersten fünf von knapp 30 Kilometern angesammelt hatte, dass ich höchstens noch ein paar Minuten der letzten Stunde mitbekommen hätte. Überall sind Staus, querstehende Fahrzeuge und überforderte Menschen (Privatleute ebenso wie die Leute von der Stadt).

Ich wohne in NRW, am Rande des Ruhrgebietes. Hier fällt normalerweise nicht so viel Schnee – und das merkt man an jeder Ecke. Die meisten Leute scheinen wirklich gnadenlos damit überfordert zu sein, dass dieses ausgerottet geglaubte Phänomen namens Schnee dieses Jahr schon wieder ganz überraschend vom Himmel fällt. Damit hätte man ja auch nicht rechnen können. Winter und Schnee? Das scheint für viele nicht mehr zusammenzupassen.

Ich persönlich kann auch nicht nachvollziehen, warum die Leute so ein Problem mit dem Winter haben. Ich finde es toll, wenn es schneit und würde mich freuen, wenn es noch deutlich mehr wird. Auch das Autofahren auf Schnee mag ich sehr gerne. Mir sind gestern, als ich in einem Schneehügel geparkt habe, auch beim Herausfahren alle vier Räder durchgedreht, zumindest für einen kurzen Moment. Schlimm finde ich das nicht, auch nicht das leichte Rutschen, wenn ich in die Garagen abbiege. Das Autofahren muss im Winter nicht mit Unfällen verbunden sein – wenn man zwar nicht riskant, aber eben auch nicht übervorsichtig fährt. Wenn es draußen glatt ist, ziehe ich Moonboots an. Die sind auch gut für den teilweise tiefen Schnee geeignet, also wenn ich mit dem Hund abseits der Wege unterwegs bin. Wenn man sich (und auch sein Auto) ein bisschen auf den Winter vorbereitet, erlebt man keine bösen Überraschungen.

Zu den tatsächlich vorhandenen Problemen, die sich bei vielen Leuten durch den Schnee entwickelt haben, spielt auch die Berichterstattung eine Rolle. Wenn zehn Zentimeter Schnee in Deutschland direkt „Schnee-Chaos“ genannt werden, möchte ich nicht wissen, wie man den üblichen Schneefall in den Alpen oder anderen höher gelegenen Regionen bezeichnen soll. Aus meinen Ski-Urlauben bin ich mehr Schnee gewohnt. Komischerweise kommen auch die Urlauber aus tieferen Regionen im Urlaub meistens ganz gut mit dem Schnee in ihren Wintersportorten zurecht – und dort fällt oft sehr viel Schnee. Zuhause hingegen sind dann schon ein paar Zentimeter Neuschnee direkt ein Chaos.

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Hallo,

natürlich liegt es in der Natur der Sache das es im Winter nun mal schneit. Jedoch hat sich die Situation meiner Meinung nach schon zum Chaos entwickelt, weil es einerseits mehr schneit und andererseits niemand darauf vorbereitet ist. So war es eine Seltenheit, wenn es früher in Köln mal so geschneit hat das der Schnee überhaupt liegen bleibt, dann war das eine Besonderheit. Heute schneit es in Köln so sehr, das das Streusalz knapp wird, was früher nicht möglich war. Abgesehen davon gibt es hier keine Arbeitskräfte die den ganzen Schnee räumen kann. Niemand ist mehr auf den Schnee vorbereitet.

» 1337 » Beiträge: 692 » Talkpoints: 7,29 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich denke das Ganze ist eher ein gesellschaftliches Problem, welches durch unseren "Fortschritt" hervorgerufen wird. All unsere neuen Möglichkeiten der schnellen Fortbewegung, des Reisens und der gesamten Konsumindustrie basieren darauf irgendwo einzusparen. Wir können uns zwar einen 10 Euro Flug nach England leisten, aber wollen halt nicht für jemanden bezahlen, der uns den Schnee wegräumt. Wer in der Stadt auf sauberen Gehwegen laufen möchte, sollte auch mehr Steuern bezahlen. Vielleicht muss man aber auch einfach mal in Kauf nehmen, dass man am Flughafen festsitzt; die Firma bezahlt doch sowieso und auf Privaturlaub kann man auch mal während dieser doch recht kurzen Wetterperiode verzichten. Wir sind da wohl einfach viel zu verwöhnt. Es gab mal Zeiten, da war man zuhause eingesperrt, wenn mal richtig viel Schnee gefallen war, weil es gar keinen Winterdienst gab und auch keine richtige Winterkleidung.

Man kann die Winterzeit auch wunderbar für all die Dinge nutzen, für die man im Sommer keine Zeit hat: Bilder sortieren, ausgiebig Kochen, lesen, mal die komplette Wohnung umräumen und so weiter.

» Hephaistos » Beiträge: 101 » Talkpoints: 6,53 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Kaum geschrieben, da musste ich mir die Winterzeit und den Umgang auch gleich live ansehen. Es war früher Nachmittag, hatte mittelstark den ganzen Vormittag lang geschneit und der Harz bereitet sich auf die Invasion der Weihnachtstouristen vor. Auf den ca. 500m die ich meine Straße hier hochlaufen musste musste ich vier Räumfahrzeugen ausweichen und traf zwei der Schneelaster, welche die Schneemengen zu einer Halde außerhalb der Stadt bringen. In den Nebenstraßen waren die Straßen geräumt, die Fußwege nutzte man als Schneehalde, auf der hauptstarße hatte wenigstens auf einer Seite eine gute Seele mit der Fräse einen graden, glatten Weg geschaffen und alle Einheimische die ich traf hatten festes Schuhwerk an, waren teilweise mit Spikes und Stöcken ausgestattet und drei Leute hatten ihre Einkäufe auf dem Schlitten stehen.

Es war nicht optimal, aber alle waren vorbereitet und hatten sich der Witterung entsprechend angezogen und verhalten. Für die allgemeine Unterhaltung sorgten drei Autos mit fremden Kennzeichen, die etwas wie eine Art Tango mit drei Wagen aufführten (eng Blech an Blech geschmiegt) und deren Insassen mit Lederslippern und in einem besonders kühnen Fall halbhohen Stöckelsschuhen versuchten wenigstens eine der festgefahrenen Karren wieder aus dem Matsch zu befördern.

Es illustrierte drastisch was es heißt, nicht auf den Winter eingerichtet zu sein. Nicht einmal dann, wenn man vor hat in den Winter zu fahren um dort Ski zu laufen (Dachgepäckträger war da recht aufschlußreich). Wir haben in den letzten 50, 60 Jahren gelernt immer mehr die Natur auszublenden, weil wir dachten, die haben wir im Griff. Und nun zeigt sich immer mehr, das die Natur sich eben doch nicht so einfach in den Griff bekommen lässt und ganz schön Ärger verursachen kann wenn sie will. Und so wie es aussieht: Derzeit ist die Natur ziemlich auf Krawall gebürstet. :D

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» Nephele » Beiträge: 1047 » Talkpoints: 2,22 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


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