Modernes Theater: Wem kann so etwas schon gefallen?

vom 10.10.2010, 13:07 Uhr

Ich hatte in den letzten Tagen ein paar sehr aufschlussreiche, aber auch schockierende und verwirrende Theatererlebnisse. Ich meine, dass man klassische Stücke kaum noch klassisch inszeniert sieht, daran habe ich mich ja gewöhnt. Genauso wie an Abstrakte Inszenierungsformen. Aber manche moderne Inszenierungen sind mir, glaub ich, einfach doch zu modern. Und ich frage mich einfach, ob das den Leuten wirklich gefallen kann? Oder warum mir so etwas nicht gefällt? Fehlt mir das etwa das letzte bisschen an künstlerischem Verständnis?

Aber auf der anderen Seite frage ich mich natürlich, was an nackten und entblößten Männern, die auf der Bühne onanieren, so künstlerisch wertvoll sein soll? Da werden ganz persönliche und Intime Grenzen überschritten und ganz ehrlich gesagt, wundert es mich nicht, dass da einige Zuschauer das Theater verlassen. Ich bin nicht prüde, versteht mich nicht falsch. Ich hab ja auch nichts gegen Nacktheit an sich, aber irgendwie verstehe ich eben nicht, wieso es eben gar nicht mehr ohne irgendwelche Nackten Menschen gehen kann? Es gibt doch genügend andere künstlerische Mittel, um zu schockieren, oder besondere Aufmerksamkeit zu erregen, oder?

Oder bin ich wirklich noch zu jung und ungebildet und ich verstehe diese Form von Kunst einfach nicht. Aber ich kann mir beim Besten Willen nicht vorstellen, wie das einem ernsthaft gefallen kann. Zudem kommt noch hinzu, dass es zunehmend keine richtige Handlung in den Theaterstücken gibt. Die Texte sind mehr und mehr abstrakt, alles gibt es nur noch Fetzenhaft und Zerstückelt. Nichts scheint Sinn zu machen. Man hat keine Möglichkeit mit den Figuren mitzufühlen. Man wird als Zuschauer irgendwie außen vor gelassen und hat keinen Bezug zu dem Stück. So ging es mir zumindest immer in ganz modernen Stücken. So etwas nennt sich dann "Postdramatik" und soll künstlerisch Wertvoll sein. Na ich weiß ja nicht.

Natürlich kann man sich über Kunst und Geschmäcker streiten, und mir muss ja auch nicht alles gefallen. Aber da ich eben das Gefühl habe, dass es mehr und mehr solche modernen Stücke gibt, da frage ich mich einfach ob mir überhaupt eine andere Wahl bleibt, als mich daran zu gewöhnen, wenn ich sowieso nichts anderes mehr zu sehen bekomme? Was haltet ihr von sehr modernen Inszenierungen? Gefällt euch das, oder seid ihr ähnlich überfordert damit, wie ich? Wenn ihr diese Form von Kunst versteht, vielleicht könnt ihr mir ja helfen, dass aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

» Katjaactress » Beiträge: 246 » Talkpoints: 1,17 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich denke zurzeit auch ganz ähnlich wie du, denn mir gefallen weder die modernen Theateraufführungen, noch neue Inszenierungen von Musicals oder neuzeitliche Denkmale oder Skulpturen. Die Theaterstücke, sind genau wie du beschreibst meist ohne vernünftigen Inhalt und zeigen eher obszöne als kunstvollen und lehrreichen Szenen. Aber genau dasselbe trifft auch auf Denkmale und Skulpturen der Neuzeit zu. Oftmals wird einfach nur eine schiefe Säule dahin gestellt oder irgendwelche ineinander geschlungenen Rohre und Gestellt und das soll dann ein Ehrenwertes Denkmal für die Holocaust Opfer in Auschwitz oder Opfer eines Flugzeugabsturzes darstellen. Ich finde das lächerlich. Natürlich kann es sein, dass ich ebenso wie du nichts von Mode verstehe, aber ich bin in meinem Bekanntenkreis auch nicht die Einzige, die sowas ablehnt.

Was mich außerdem auch noch geärgert hat, war Jugendsprache in Musicals. Nehmen wir den König der Löwen. Ich kenne dieses Stück seit meiner Kindheit und ich liebe es wirklich. Aber dann gehe ich in Hamburg zu dem Musical, zum wiederholten Male übrigens, und muss feststellen, dass die Regisseure es wohl für nötig hielten das Stück mit verblödeten Ausdrücken aus der Jugendsprache zu bereichern, wie etwa ''cool'' und ''abgedreht''. Ich finde das passt einfach nicht in dieses Stück und mir gefällt es kein bisschen. Dieser Drang alles und jedes zu modernisieren und alles neu zu inszenieren wirkt auf mich einfach nur lächerlich und weder kunstvoll noch interessant, sondern einfach nur fehl am Platz, langweilig und daneben.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Katjaactress hat geschrieben:Aber ich kann mir beim Besten Willen nicht vorstellen, wie das einem ernsthaft gefallen kann. Zudem kommt noch hinzu, dass es zunehmend keine richtige Handlung in den Theaterstücken gibt. Die Texte sind mehr und mehr abstrakt, alles gibt es nur noch Fetzenhaft und Zerstückelt. Nichts scheint Sinn zu machen. Man hat keine Möglichkeit mit den Figuren mitzufühlen. Man wird als Zuschauer irgendwie außen vor gelassen und hat keinen Bezug zu dem Stück.

Mitzufühlen und Gefallen an der dargestellten Handlung zu finden ist auch nicht die Intention des Theaters - und war es auch noch nie. Theater war immer bemüht, die Menschen zu schockieren und auch in gewisser Form gesellschaftkritisch zu sein. Das fängt schon beim klassischen Theater an und zieht sich über das bürgerliche Theater bis hin zu aktuellen Theatertheorien. Wer unterhalten werden will, muss sich eben seichte Stücken anschauen. Klassiker werden meines Erachtens noch ein wenig zu oft gespielt, um dem vermeintlichen Bildungsbedürfnis vieler Menschen nachzukommen.

Katjaactress hat geschrieben:Natürlich kann man sich über Kunst und Geschmäcker streiten, und mir muss ja auch nicht alles gefallen. Aber da ich eben das Gefühl habe, dass es mehr und mehr solche modernen Stücke gibt, da frage ich mich einfach ob mir überhaupt eine andere Wahl bleibt, als mich daran zu gewöhnen, wenn ich sowieso nichts anderes mehr zu sehen bekomme?

Das ist der Lauf der Dinge: Wenn du zum Arzt gehst wirst du dich ja auch nicht beklagen, dass du nicht zur Ader gelassen wirst.

Dieser Drang nach Nacktheit und Fäkaliensprache auf der Bühne muss natürlich nicht jedem gefallen, hinter vielen Inszenierungen steht auch einfach der Wunsch etwas auf die Bühne zu bringen, was die Leute bewegt und aus der Masse heraus sticht, das ist doch ganz klar. Diese Themen werden auch in der Theaterkritik diskutiert und finden keinesfalls breite Zustimmung. Aber da Nacktheit und Sexualität in der Werbung, der Literatur und dem Film schon derart präsent sind, müssen diese Themen eben noch etwas überspitzter auf die Bühne gebracht werden, um zu schockieren.

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» Feuerputz » Beiträge: 1415 » Talkpoints: 7,29 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Modernes Theater liebt man oder man hasst es, etwas dazwischen gibt es glaube ich nicht. Ich lehne solche Inszenierungen auch ab, ich kenne eigentlich auch niemanden aus meinem Bekanntenkreis der solche Schock-Aufführungen gut findet.

Gegen eine behutsame Neuinszenierung habe ich eigentlich nicht, sparsame Bühnenausstattung und Kostüme sind für mich auch gerade noch akzeptabel. Ich frage mich dann immer wie viel an Modernisierung so ein Klassiker wie beispielsweise Schiller oder Wagner und natürlich auch der Zuschauer vertragen kann. Wenn ich doch einmal im Fernsehen einen Bericht oder eine Aufführung sehe dann sind meine Gefühle doch sehr zwiespältig. Mir erschließt sich einfach nicht der Sinn solcher Adaptionen beziehungsweise möchte ich darüber dann auch nicht weiter nachdenken. Ob nun unbedingt immer ein aktueller Zeitbezug in dieser Form herzustellen ist möchte ich ganz einfach bezweifeln.

Als junger Erwachsener hatte ich zum ersten Mal solch ein Schockerlebnis. Wir hatten als Seminargruppe im Gewandhaus Leipzig einen Konzertbesuch gebucht, wie das damals so üblich war fast zwei Jahre im Voraus und ohne zu Wissen was gespielt wird. Als der Tag des Besuches stattfand gab es eine moderne Sinfonie von Treibermann. Einfach grauenhaft, auf der Bühne stand ein riesiger Chor der ständig langgezogen und in unterschiedlichen Tonlagen „Paix“ (Frieden) sang und dann war da noch einer der immer dazwischen rief „du weißt nicht was du tust“. Dazu dudelte ein riesiges Orchester, aber wahrscheinlich spielte jeder für sich und was ihm gerade so einfiel. Auf jeden Fall hatte unsere Seminargruppe zur Pause die Aufführung komplett verlassen und mit ihr auch die meisten der Zuschauer.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Feuerputz hat geschrieben: Theater war immer bemüht, die Menschen zu schockieren und auch in gewisser Form gesellschaftkritisch zu sein.

Das kannst du aber auch nicht so pauschalisieren! Es gibt seit der Antike verschiedenste Theater-Theorien, angefangen bei Aristoteles. Wenn du einige davon gelesen hast, müsste dir aufgefallen sein, dass Theater eben nicht von allen als reines Schockinstrument gesehen wurde! Es gab häufiger Ansätze, dass Theater lehrreich sein müsse. Negativbeispiele sollten Menschen abschrecken, positive Beispiele zu einem guten Verhalten im realen Alltag verleiten. Gesellschaftskritik ist ein weiterer Teil, laut einigen Theatertheorien, das stimmt. Allerdings auch nicht in allen. Die großen Dramen mit tragischen Heldenfiguren (die durchaus auch als hohe Kunst gelten) waren nicht dazu da, gesellschaftliche Missstände zu kritisieren.

Aber, wenn man bedenkt, dass der Sinn des Theaters eine Bildung der Zuschauer sei, oder das Aufmerksammachen auf Missstände: Wie will man das mit einigen modernen Stücken in Einklang bringen? Wie will man Menschen mit einem Theaterstück noch etwas lehren, oder etwas kritisieren, wenn die Darstellung so abstrakt ist, dass das Publikum sie kaum mehr versteht? Manche Inszenierungen sind so wirr, dass keine Botschaft mehr durchkommt. Natürlich könnte man dann immernoch behaupten, das Chaos sei die Botschaft, aber so eine Behauptung würde ich mir auch aus den Fingern saugen, wenn ich sinnlosen Mist auf die Bühne stellen würde, und mich irgendwie dafür rechtfertigen müsste.

Ich denke, die meisten modernen Theaterstücke, die uns hier negativ auffallen, sind einfach nur auf Schock gemacht. Jeder ist so mediengeil, dass er mit seinem Stück bekannt werden will, und sei es nur, dass die Menschen in fünf Jahren darüber reden, dass da doch mal ein Theaterstück war, wo "Männer auf die Bühne onaniert haben" oder "wo einer einer Jesus-Skulptur auf den Kopf gepinkelt hat". Eben dieses Aufmerksamkeitsheischende, dieses Skandalsuchende ohne tieferen Sinn, das finde ich einfach primitiv. Aber so ist unsere Gesellschaft heute halt. Damit abfinden muss man sich wohl, auch, wenn ich nicht gerne resigniere. Oder sollten die Kritiker einfach versuchen, eine Gegenkultur aufzubauen?

Übrigens musste ich in meiner Schulzeit auch zahlreiche abstrakte "Schock"-Inszenierungen besuchen. Ich habe das ein paar Male mitgemacht, aber dann waren mir die 25 bis 30 Euro, die so eine Theaterkarte gekostet hat, auch zu überteuert. Ich bin nicht mehr hingegangen. Und ich finde es dämlich, wenn man Schulkinder beziehungsweise auch ältere Schüler verpflichtet, ihr Geld für solche hohlen Inszenierungen, wo sich ein Regisseur nur mit Schockeffekten wichtig machen will, auszugeben.

Ich erinnere mich übrigens allzu gut an ein Theaterstück, das nur daraus bestand, dass Männer und Frauen sich nackt über die Bühne rollten und schrieen. Dann gab es mal eine Abwechslung insofern, als dass ein Mann einer Frau mit einem schwarzen Edding Muster auf die Brüste malte. Und dann fuhr auf einem Fahrzeug, das wie eine Spielzeug-Lokomotive aussah, ein Mann in Gärtner-Kleidung einmal über die Bühne, vor den Nackten vorbei, und tief "Tuut, tuut!". Das war keine Inszenierung in der geschlossenen Psychiatrie, sondern eine an einem renommierten Berliner Theater. Es sollte "Woyzeck" darstellen. Wenn einer von euch irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Inhalt von "Woyzeck" und dem im Theater unter diesem Namen Gesehenen erklären kann, ich würde mich freuen! Ernsthaft.

Aber, vielleicht habe ich auch nur so eine Abneigung gegen diese Form von "Kunst", weil ich selbst kunstverliebt bin. Nur "leider" ist mein persönliches Kunstempfinden eben ein anderes, da bin ich sicher auch etwas borniert. Für mich sind reine Schockinszenierungen keine "wahre Kunst" (ich sage es ja, ich bin da stur), und ich denke mir regelmäßig, wenn ich so etwas sehe, "XY würde sich im Grab umdrehen, wenn er das sähe".

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


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