Kinder werden mit Tod des Vaters alleingelassen

vom 16.08.2010, 14:52 Uhr

Mein Freund ist Halbwaise. Sein Vater ist gestorben, als er neun Jahre alt war. Gestern habe ich mit meinem Freund über das Thema geredet und einige erschreckende Dinge erfahren. Sein Vater hatte Krebs und war schon Jahre vor seinem Tod bettlägerig. Die Mutter war die meiste Zeit damit beschäftigt, sich um ihn zu kümmern und mein Freund und seine Geschwister wurden meistens von den Großeltern betreut.

Mein Freund sagte, ein richtiges Familienleben hätte er nie erlebt. Seine Mutter und seine Oma waren anscheinend überfordert mit der Situation; sein Opa hat damals noch gearbeitet und war die meiste Zeit nicht da. Wenn sein Vater mal nicht im Krankenhaus oder im Bett war, war er oft frustriert und es gab Streit. Er hat die Kinder manchmal sogar geschlagen.

Kein Wunder, dass mein Freund und sein Zwillingsbruder in der Schule aufällig wurden. Anscheinend hat sich zu Hause auch niemand wirklich darum gekümmert, dass sie ihre Hausaufgaben machen. Mein Freund meinte, es war eher die Ausnahme, wenn er die Hausaufgaben mal hatte. Geschweige denn, dass ihnen jemand vorgelesen oder mit ihnen gespielt hätte. In der dritten Klasse, in dem Jahr als ihr Vater gestorben ist, sind sie auch beide durchgefallen.

Was ich an der ganzen Sache schlimm finde, ist, dass die beiden von niemandem richtig betreut wurden. Ich meine, man hat ja gemerkt, dass sie mit der Situation nicht zurechtkommen und das ist ja auch verständlich, wenn der Vater im Sterben liegt und es in der Familie drunter und drüber geht. Meiner Meinung nach hätten die beiden (und auch ihre Schwester) eine Psychotherapie gebraucht, um das Ganze zu verarbeiten. Aber anscheinend kam niemand auf die Idee, dass die Kinder Hilfe brauchen. Woran liegt es, dass auch die Schule da nicht eingreift? Die Situation war der Schule bekannt.

Meine Mutter ist Grundschullehrerin und in ihrer Klasse sind mehrere Kinder in Therapie, bei den meisten ist sicher kein Elternteil gestorben. Sogar ich musste mit 8 Jahren zu einer Therapeutin und meine Eltern haben sich "nur" getrennt. Ich bin der Meinung, dass man bei Kindern davon ausgehen kann, dass sie mit so einer Situation, wie mein Freund sie erlebt hat, nicht zurechtkommen und professionelle Hilfe brauchen. Eigentlich ist es doch unverantwortlich, sie damit so allein zu lassen.

Was meint ihr? Würdet ihr als Elternteil denken: "Das packen wir schon alleine"? Meint ihr, dass das möglich wäre oder brauchen Kinder in so einer Situation auf jeden Fall eine Therapie? Wäre es für meinen Freund sinnvoll, jetzt noch eine Therapie zu machen, um das Ganze zu verarbeiten? (Er ist jetzt 21).

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» microonde » Beiträge: 231 » Talkpoints: 0,30 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Hallo!

Warum sollte dein Freund jetzt zu "alt" sein für eine Therapie? Sowas kann man immer machen! Ich finde, dass es gut wäre, wenn er eine macht. Es ist ja ziemlich viel in seinem Leben passiert. Man glaubt gar nicht, wie einem das unterbewusst belastet.

Mein Freund hat 2006 seinen Opa nach ca. 3 Monaten Krankenhausaufenthalt verloren, 2007 hat sich sein Bruder das Leben genommen und 2009 sind sein Vater und seine Tante gestorben. Er hat das alles immer einfach zu hingenommen, hat sich aber nie die Zeit genommen um jemanden zu trauen, weil ja alles weitergehen musste. Seine Eltern hatten eine eigene Firma, die er jetzt mit seiner Mutter weiterführt. Seine Mutter hat sich nach dem Tod seinen Bruders und Vaters immer sehr gehen lassen und er musste dann immer für die Firma da sein und hatte für sich selbst keine Zeit.

Vor ca. 4 Monaten hat sich das dann so geäußert, dass er immer müde war, sehr gereizt, wegen jeder Kleinigkeit hochging und wirklich unausstehlich war. Ich konnte selbst schon nicht mehr und hab ihn dann zu einem Seminar geschleppt. Mentales Krafttraining. Das Seminar hat ihm so gut getan. Er ist seit 3 Wochen ganz anders. Er ist nicht mehr gereizt und er sieht jetzt viele Sachen anders.

Ich habe das Seminar schon 2007 gemacht. Es hat wirklich so gut getan. Ich wusste gar nicht, wie man von anderen Menschen unbewusst beeinflusst wird. Das fängt schon im Bauch der Mutter an und dann gibts es ja berühmte Aussagen von Eltern, wie zum Beispiel: Man muss immer aufessen, die wir dann als sogenannte "Glaubenssätze" in uns haben. Diese Glaubenssätze beeinflussen unser ganzes Leben. Wir tun Dinge, weil die für uns einfach normal sind.

Ein Beispiel:
Meine Mutter hat sich immer Stress gemacht, dass gekocht ist, wenn ihr Lebensgefährte heimkommt und das sie eben auch daheim ist, wenn er heim kommt. Ich habe das gleich übernommen! Es war oft sehr stressig, dass ich daheim war, wenn er heimgekommen ist und das dann auch gleich gekocht war. Mein Glaubenssatz ist bzw. war also: Wenn ich nicht daheim bin und nicht gekocht habe, wenn mein Freund heimkommt, bin ich eine schlechte Partnerin.

Wenn ich nicht immer bei ihm bin und alles für ihn mache ist das einfach falsch habe ich mir immer gedacht. Ist es aber nicht. Es hat etwas gedauert, aber es kommt jetzt auch vor, dass ich mal nicht daheim bin, wenn er heimkommt und mit dem Kochen ist das gleiche. Es dauert oft auch noch ein paar Stunden bis ich koche. Aber deswegen liebt er mich noch genauso und hat auch noch nie etwas gesagt, dass ich eine schlechte Partnerin wäre. Im Gegenteil! Er sagt jetzt oft, warum ich mir früher immer so einen Stress wegen ihm gemacht habe. Er hat das ja nie verlangt und er will es ja gar nicht, dass ich mir immer den Druck mache mit dem daheimsein und kochen.

Fazit:
Zwischen uns hat sich gar nichts geändert, ausser dass ich jetzt eben nie so einen Stress habe oder ein schlechtes Gewissen wenn mal nicht gekocht ist. Mir geht es besser, seit ich diesen Glaubenssatz aufgelöst habe und das ist so jetzt normal für mich.

Da gibt es wirkich viele Glaubenssätze! Ich habe mir erst ein Buch gekauft, da sind viele Beispiele für Glaubenssätze drin und ich war erstaunt und entsetzt zugleich, wie viele da auf mich zutreffen, ohne das ich das gewusst habe.

Diese Glaubenssätze kann man mit MET (Klopfen auf Akkupunkturpunkte) auflösen. Dazu gibt es sehr viele Bücher von Rainer und Regina Franke. Ich habe mir "Sorgenfei in Minuten" gekauft und sehr viel mit dem Buch geschafft.

Natürlich muss man sich dafür auch die Zeit nehmen und das machen! Mein Freund war da anfangs total skeptisch, hat mich immer belächelt, wenn ich was aus dem Buch gemacht habe. Er war sehr skeptisch bei der Methode, wie man die Sätze auflöst und bei dem Seminar hat er auch gesagt, dass er daran nicht glaubt! Da kam dann raus, dass es denkt, dass das nichts nützt, weil es ja nur beklopfen von Punkten ist und bei ihm würde das sowieso nicht helfen. Es hat geholfen. Wenn ich jetzt etwas habe, was mich ärgert, sagt er oft zu mir: "Du musst das wegklopfen". :D

Vorige Woche habe ich mir auch ein Buch gekauft, dass sehr gut geschrieben ist und man auch viele Dinge anders dadurch sieht. Jetzt von Eckhard Tolle. Das Buch kann ich auch empfehlen.

Wir beschäftigen uns einfach viel zu wenig mit uns selbst. Man sagt und hört immer nur das Leben muss weitergehen. Gerade bei Männern sind sie gleich "Weicheier" wenn sie mal fertig sind oder auch mal weinen oder mit ihren Gefühlen nicht klarkommen. Aber warum ist das so? Wei da einfach Emotionen in uns sind, die heraus wollen bzw. uns Dinge beschäftigen die aufgearbeitet werden wollen.

Natürlich gibt es Menschen die lieber selbst etwas daran ändern, aber auch eine Therapie kann gut tun. Wenn man einfach eine "neutrale" Person hat, mit der man reden kann und die einem oft einfach nur zuhören und für jemanden da sind. Oft ist es ja so, dass man mit dem Partner oder jemanden aus der Familie eben nicht so reden kann. Dein Freund muss es für sich entscheiden, was ihm lieber ist bzw. was ihm mehr helfen wird. Zu alt kann man für eine Therapie nie sein.

Unser jetzt 6 jähriger Neffe war mit 4 Jahren auch schon in Therapie, weil sein Vater eben tot ist. Wir haben uns gedacht, dass der kleine das nicht so versteht, dass der Papa nicht mehr da ist. Da haben wir uns alle getäuscht. Man glaub gar nicht, wie so etwas aus einem kleinen Kind herauskommt. Wie du auch schon geschrieben hast. Der kleine hat dann eine Therapeutin bekommen, die 2 mal in der Woche zu ihm gekommen ist. Sie hat nicht viel mit ihm geredet, weil er ja noch so klein war, aber anhand von seinem Verhalten wusste sie, was ihn bedrückt und hat Kleinigkeiten mit ihm gemacht. Sie hat mit ihm gespielt, ihm ein Trampolin besorgt, hat mit ihm gezeichnet und natürlich auch ein bisschen geredet und er ist jetzt auch viel ausgegliechener. Er ist nicht mehr so eifersüchtig und gemein zu seinem kleinen Bruder und ist einfach umgänglicher geworden.

Wie sein kleiner Bruder auf die Welt gekommen ist, war er nur gemein zu ihm. Jetzt wissen wir, dass er damals 2 Monate nach dem Tod seines Vaters den kleinen Bruder bekommen hat. Dadurch hatte seine Mama natürlich nicht mehr so viel Zeit für ihn bzw. war er nicht mehr der einzige, für den die Mama da war. Er hat ihn immer wieder gehauen, hat das Maxi-Cosi samt Baby versteckt, hat seinen Bruder während die Mama duschen war im Maxi-Cosi mit einer Decke ganz zugedeckt und, und und. Jetzt gehen die beiden Brüder sehr liebevoll miteinander um. Natürlich haben sie auch mal Streitereien, aber sie spielen jetzt gemeinsam.

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» Lillylein1987 » Beiträge: 564 » Talkpoints: 3,55 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Warum damals niemand was unternommen hat fragst du? Ganz einfach weil es viele nicht für ihre Pflicht halten einzugreifen. Das du damals wegen der Trennung deiner Eltern in einer Therapie warst, ist doch bestimmt nicht von der Schule ausgegangen, sondern von der Mutter oder gar beiden Elternteilen.

Die Mutter und auch die Oma deines Freundes waren mit der Pflege es Vaters zwar überfordert und haben damit nicht gemerkt, das die Kinder abdriften. Aber sie haben auch keine Hilfe von Außen angenommen. Sei es, das sie es abgelehnt haben oder auch weil sie zu Stolz waren. Vielleicht haben sie es auch nicht besser gewußt. Ihnen daraus jetzt einen Vorwurf zu machen, ist sicherlich der falsche Weg.

Und wenn nur dein Freund eine Therapie macht, wird das allein auch nicht helfen. Da sind zumindest mit der Mutter einige Aussprachen nötig. Im besten Fall machen sie die Therapie zusammen, das sie damit auch vom Therapeuten moderiert werden und es nicht zu heftigen Streits kommt.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



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