Die Hawthorne Studie

vom 21.03.2010, 22:51 Uhr

Ich habe neulich über eine Hawthorne Studie gelesen, die wohl ergeben hat, dass Menschen sich ganz anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie an einer Studie mitwirken. Wenn man das aber aus dieser Sicht betrachtet, dann dürften doch die Ergebnisse der meisten Studien gar nicht wirklich stimmen, oder sehe ich das falsch?

Ist es wirklich so, dass Menschen, die wissen dass sie sich in einer Studie befinden ein anderes Verhalten an den Tag legen, als solche, die unbewusst kontrolliert werden? Es scheint ja schon logisch zu sein, aber ich denke, da gibt es noch andere Punkte, die man beachten muss.

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Hallo Like Dat!,

mit psychologischen Studien ist das immer so eine Sache. Man muss da ganz genau hinsehen, was genau beobachtet wurde und was man tatsächlich daraus schließen kann.

Bei der Hawthorne Studie wurde - zumindest in dem Teil des Feldexperiments, auf das du dich beziehst - beobachtet, dass Fließbandarbeiterinnen produktiver arbeiten, wenn sie sich der Tatsache bewusst sind, dass sie von Wissenschaftlern beobachtet werden. Daraus wurde dann abgeleitet, dass Versuchspersonen im Allgemeinen ihr Verhalten anpassen, wenn sie bei einer Studie teilnehmen.

Dabei muss man bedenken, dass dieses Experiment direkt am Arbeitsplatz durchgeführt wurde, wo natürlich auch immer Vorgesetzte zugegen waren. Da scheint es nur natürlich, dass die Probanden sich mehr Mühe geben, da ja die Anwesenheit von Forschern auch die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten auf die beobachteten Arbeiterinnen gelenkt haben dürfte. Wenn dein Chef dir bei der Arbeit die ganze Zeit über die Schulter schaut, dann arbeitest du ja sicher auch anders, als wenn du unbeobachtet bist. Es ist schwierig, hier zu trennen, inwieweit diese Produktivitätssteigerung durch reine Beobachtung erklärt werden kann und welche Rolle die Art des Beobachters gespielt hat.

Außerdem stammt die Studie aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts und wurde nur mit weiblichen Probanden durchgeführt. Das wirft nicht nur ganz Allgemein die Frage auf, ob es nicht auch geschlechterspezifische Unterschiede hinsichtlich der Ergebnisse geben könnte, sondern stellt uns bei der Interpretation vor Allem vor ein historisches Problem: Frauen waren um 1920 zwar durchaus häufig in Fabriken beschäftigt, aber wurden noch lange nicht als ihren männlichen Kollegen gegenüber gleichberechtigt oder gleichwertig betrachtet. Das Frauenbild der 20er Jahre war zwar relativ liberal, aber weder Bestand Gleichheit vor dem Gesetz, noch hatte es damals die Frauenbewegung der 60er und 70er schon gegeben. Geschlechterrollen waren noch sehr rigide - der Mann verdiente das Geld, die Frau gehörte an den Herd. Viele Menschen gingen damals noch davon aus, dass Männer die gleichen Jobs besser erledigen könnten. Vor dem Hintergrund dieses sozialen Umfeldes kann man sich natürlich leicht vorstellen, dass ein vergleichbares Feldexperiment mit männlichen Arbeitern einen geringeren oder eventuell sogar gar keinen Effekt gezeigt hätte, da sie unter weitaus weniger Druck gestanden hätten, als ihre weiblichen Counterparts.

Das soll alles keineswegs implizieren, dass es den Hawthorne -Effekt nicht gäbe. Vielmehr möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Stärke dieses Effekts sowie die qualitative Ausprägung nicht abschätzbar ist und in jedem Experiment anders aussieht.

Dass Menschen ganz allgemein ihr Verhalten anpassen, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden, ist heute unstrittig. Zusätzlich zum Hawthorne-Effekt gibt es zum Beispiel auch den Versuchsleiter-Effekt, der beschreibt, dass Menschen in Experimenten dazu neigen, dasjenige Verhalten zu zeigen, von dem sie glauben, dass es verlangt wird. Deshalb werden seriöse Studien nach dem Double-Blind-Prinzip durchgeführt, bei dem weder die Probanden, noch der Versuchsleiter (also derjenige, der die Instruktionen gibt) wissen, worum es genau in dem Experiment geht. So kann man zwar nicht garantieren, dass sich alle Probanden ganz natürlich verhalten, aber doch ziemlich effektiv sicherstellen, dass sie nicht alle in Bezug auf die untersuchten Variablen voreingenommen sind.

Insofern sind Studienergebnisse durchaus aussagekräftig, solange die Studie selbst keine methodischen Fehler aufweist. Zumal ja wichtige Forschungsgegenstände meist in einer Vielzahl verschiedener Studien und Experimenten mit immer unterschiedlichen Probanden untersucht werden und Ergebnisse nur dann als gesichert angesehen werden, wenn sie sich verlässlich reproduzieren lassen.

Diesen Standard findet man aber leider nur innerhalb der Wissenschaften und nicht etwa bei den journalistischen Publikationen, in denen diese der Bevölkerung präsentiert werden. Wenn du also im Spiegel liest oder auf RTL hörst, dass Wissenschaftler irgendetwas herausgefunden hätten, musst du sehr genau aufpassen, woher die diese Information haben. Die Presse springt ganz gern sofort auf die neuesten Studien, obwohl deren Validität noch gar nicht gesichert ist. Das ist keineswegs immer der Fall und hängt natürlich auch von der Art der Publikation ab, aber letzten Endes brauchen die Medien Schlagzeilen, um Geld zu verdienen, und nicht unbedingt gesicherte Fakten.

Einen Sonderstatus nehmen meist Ernährungsstudien ein. Da man rein technisch eine Stichprobe von mehreren Hundert oder Tausend Menschen nicht über Monate oder Jahre 24/7 beobachten kann, wurden diese meist per Fragebogen befragt. Heutzutage tritt an die Stelle von Stift und Papier häufig das Internet oder kleine Taschencomputer, die an die Probanden ausgeteilt werden. Damit müssen diese dann alle Nahrungsmittel protokollieren, die sie über den Tag verteilt zu sich nehmen und am Ende werden die Daten dann ausgewertet. Manchmal macht man das auch lediglich rückwirkend, fragt also einfach, wie oft diese Menschen ein bestimmtes Lebensmittel konsumieren.

In solchen Studien kann man sich ganz spontan Unmengen von Gründen vorstellen, warum die Ergebnisse verfälscht sein könnten. Besonders schwierig sind Fragen nach Alkohol- und Zigarettenkonsum, dem Konsum illegaler Drogen, aber auch nach der Menge an Süßigkeiten, die die Probanden essen. Da wird häufig weniger angegeben, weil diese Dinge mit einem sozialen Stigma behaftet sind.

Das kann auch davon auf den ersten Blick unabhängige Angaben beeinflussen: Wenn ich mich ausschließlich von Schokolade ernähre, aber gleichzeitig Unmengen an Amphetaminen schnupfte, dann wird mein Gewicht ganz sicher nicht repräsentativ für den gemeinen Schokoladenesser sein. "Eine Schachtel am Tag" ist, wenn es um Zigaretten geht, schon fast so etwas wie ein Running-Gag unter Medizinern, weil das die Antwort ist, die jeder gibt. Des Weiteren werden die Probanden nicht immer und selten regelmäßig eingehend körperlich untersucht, weshalb man immer davon ausgehen muss, dass einige unter nicht diagnostizierten Krankheiten leiden, die das Ergebnis verfälschen. Da können schon relative Banalitäten wie Durchfall einen entscheidenden Effekt haben, wenn man Studien zum Gewicht macht, zum Beispiel.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Studienergebnisse immer mit Vorsicht zu genießen sind, was aber den ausführenden Wissenschaftlern auch bewusst ist. So wirst du keine Studie finden, in der steht, dass Alkohol in Maßen "gesund ist", sondern lediglich welche, in denen steht, dass es einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen mäßigem Alkoholkonsum und einer verminderten Häufigkeit von bestimmten Krankheiten zu geben scheint. Und ebenfalls einige, die diesen Zusammenhang eben nicht feststellen.

Zudem gibt es noch einige mathematisch-statistische Verfahren, mit denen man sehr effektiv den Einfluss bestimmter Störfaktoren ausschließen kann.

Grundsätzlich kann man sich auf Ergebnisse von einzelnen Studien nie ganz verlassen. Das ist absolut richtig. Aber bei Ergebnissen, die in mehreren Studien verlässlich reproduziert werden konnten, kann man durchaus mit einiger Sicherheit von Tatsachen sprechen.

Aloha,

ka mau

» ka mau » Beiträge: 203 » Talkpoints: 13,21 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Auf den ersten Blick klingt das total logisch, aber auch nur auf den ersten Blick. Denn ein verändertes Verhalten kann doch eigentlich nur dann auftreten, wenn ich als Studienteilnehmer aus dem Aufbau der Studie oder aus der Fragestellung oder aus sonstigen Indizien darauf schließen kann, welche Antwort richtig ist oder welches Verhalten erwünscht ist.

Wenn ich nicht weis, was Sinn und Zweck der Studie ist kann ich mein Verhalten ja nicht verändern, denn ich weis nicht, was das erwünschte Verhalten ist und möchte ja auch nicht schlecht abschneiden, auch wenn ich vielleicht gar nicht so genau weis, was "schlecht" in diesem Zusammenhang überhaupt bedeutet. Wahrscheinlich bekommt man nicht ohne Grund bei manchen Studien nicht gesagt um was es genau geht oder bekommt sogar bewusst falsche Angaben.

Was aber vielleicht schon ins Gewicht fällt ist eine gewisse Nervosität bei manchen Teilnehmern. Manch einer fühlt sich vielleicht auch wie in einer Prüfungssituation, wenn er einen Fragebogen ausfüllen soll oder wenn von ihm eine konkrete Antwort verlangt wird.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Hallo Cloudy24,

das ist vollkommen richtig. Allerdings setzt du voraus, dass solche Schlüsse richtig sein müssen.

De facto ist es aber so, dass man immer eine Erwartungshaltung hat, wenn man in ein Experiment geht. Und selbst wenn man diese nicht explizit vorgegeben bekommt, indem das Experiment als etwas anderes verkauft wird, als es letztendlich ist (was heutzutage so gut wie immer der Fall ist), dann wird man trotzdem mit unendlich vielen Eindrücken konfrontiert, die man alle beliebig interpretieren kann. Da bildet sich jeder eine Meinung.

Ein schönes Beispiel ist ein berühmtes Experiment zur Fehlattribution. Ich habe leider den dazugehörigen Namen vergessen, deshalb kann ich die Details gerade nicht nachschauen. Aber soweit ich mich richtig erinnern kann, lief es so ab: Man hat Männer über eine Hängebrücke gehen lassen, die eine sehr tiefe Schlucht überspannte. Am anderen Ende stand eine junge, attraktive Frau und gab den Männern kommentarlos ihre Telefonnummer. Im Experiment ging es darum, zu schauen, ob der Stress, der durch die Überquerung der Brücke verursacht wurde, dazu führte, dass mehr Männer diese Frau anrufen, als wenn die gleiche Frau einfach Männern auf der Straße ihre Nummer in die Hand drückt. Das Ergebnis war auch eindeutig positiv.

Aber was meinst du, wie viele Teilnehmer nicht heute noch glauben, sie hätten an einem Experiment teilgenommen, in dem es um Höhenangst ging?

Das Beispiel ist natürlich schon sehr krass. Aber prinzipiell funktioniert das auch im Kleinen. Durch geschickte Streuung von Hinweisen (Kommentare des Versuchsleiters, Fragen im Fragebogen, selbst Bilder an der Wand im Wartezimmer) kann man immer eine falsche Erwartungshaltung erzeugen. Und die Erfahrung zeigt, dass das meist gar nicht nötig ist - wenn man den Probanden schlicht gar nichts sagt, gehen trotzdem alle nach Hause, überzeugt davon, dass sie das Experiment "durchschaut" haben.

Aloha,

ka mau

» ka mau » Beiträge: 203 » Talkpoints: 13,21 » Auszeichnung für 100 Beiträge



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