"Warum unsere Kinder Tyrannen werden" - lesenswert

vom 23.06.2010, 20:35 Uhr

Auf der Suche nach einem Buch für meine Freundin, die 2 Kinder hat, die ihr im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf wachsen, bin ich auf das Buch "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" von Michael Winterhoff gestoßen. Hier mal das Buch bei Amazon .

Ein wenig stört mich der Untertitel des Buches "Oder: Die Abschaffung der Kindheit". Aber das sagt ja nichts über den Inhalt des Buches aus. Wer von euch hat dieses Buch schon gelesen und kann es empfehlen oder nicht empfehlen? Kann das Buch helfen die Kinder zu verstehen? Ist das Buch wirklich lesenswert und kann man es verschenken? Meine Freundin wäre wohl über jeden Tipp dankbar und würde ein Buch über diese Thematik auch gerne lesen.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Ob das Buch wirklich Deiner Freundin helfen wird, kann wohl niemand sagen. Es zählt zwar zu den Ratgebern, aber ein Ratgeber kann eben nur das: Ratschläge geben, eine Lösung gibt es für die eigenen Probleme dann nicht unbedingt.

Wenn es ums verstehen von Kindern, bzw. vor allem Teenagern geht, gibt es auch noch das Buch "Warum sie so seltsam sind: Gehirnentwicklung bei Teenagern", hier der Link zu Amazon.

Das liefert Erklärungen, geht dabei eher von der wissenschaftlichen Seite an die Problematik heran. Da ist es aber genauso wie bei anderen Ratgeber-Büchern, als Alleinheilmittel sollte man die nicht ansehen. Doch als geschenk eignen sie sich bestimmt gut, denn wenn Deine Freundin sich aktuell viel mit diesen Themen beschäftigt, wird sie sich da bestimmt drüber freuen.

» Morgaine » Beiträge: 2701 » Talkpoints: 9,09 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Hallo Diamante, ich finde es ja durchaus ehrenhaft, dass Du Deiner Freundin helfen willst. Allerdings lese ich nicht, dass Deine Freundin auch tatsächlich nach Hilfe sucht und diese auch annehmen würde. Denn dann könnte das Buch schon ein Geschenk sein, dass Eure Freundschaft sehr belastet und nach hinten losgehen kann. Ich würde aber auch aus einem anderen Grunde eher abraten. Denn diese Buch bietet zwar schon einen ganz guten Ansatz die aktuelle Situation zu analysieren. Aber eben auch nicht mehr. Und dieses Mehr ist doch das, was Deine Freundin letzten Endes bräuchte, oder?

Mein Fazit, selbst wenn Deine Freundin schon Hilfe sucht, dann ist dieses Buch sicher nichts, was ihr wirklich helfen wird. Gut, sie kann sich in ihrer Situation erkennen aber leider nicht mehr. Überhaupt solltest Du Dir genau überlegen, was Du im Falle Deiner Freundin unternimmst, da das schnell fehlschlagen kann.

Wenn Du Dich dagegen in Deiner Meinung von Eltern heutzutage bestätigen lassen willst und eher schwarz siehst, dann ist das Buch definitiv das Richtige für Dich. Sicher übertreibe ich jetzt auch wieder, aber ich mag es nun mal überhaupt nicht wenn eben nur die negativen Seiten ins hellste Licht getaucht wird, der Rest aber total ignoriert wird.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich muss mich mal hier als Pädagoge zu Wort melden.

Morgaine schreibt, dass dieses Buch zu den Ratgebern zählt. Dies geschah allerdings nicht im Sinne des Autors. Winterhoff verwehrt sich ganz klar dagegen, mit seinen zwei Bänden in irgend einer Form Ratgeber geschrieben zu haben. Wer von diesem oben genannten Werk und dem anderen Band aus Winterhoffs Feder irgendwelche Erziehungstipps erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Sinn dieser Bücher ist lediglich, über eine derzeitige Tendenz im Verhalten vieler Eltern kritisch nachzudenken. Er will meiner Ansicht nach auch die Erziehenden wachrütteln, indem er ihnen die Folgen der derzeit gängigen partnerschaftlichen Erziehung vor Augen führt, die so oft von Erziehenden mit wohlmeinenden Argumenten ausgeblendet wird.

Die Zielgruppe von Winterhoff sind meiner Meinung nach weniger verzweifelte Eltern, sondern eher Pädagogen, Psychologen und Berufserzieher. Dadurch, dass er ein kritisches Bild der Tendenzen zeichnet und nach möglichen Ursachen für diese Tendenzen in der Erziehung sucht, bereitet er den Weg, Erziehungsstrategien zu entwickeln, die dieser Tendenz entgegen wirken.

Allerdings malt Winterhoff nicht absichtlich schwarz. Er arbeitet als Psychologe häufig mit schwer gestörten Kindern, an denen man solche Phänomene eben sehr intensiv beobachten kann. In der Pädagogik ist es eben manchmal hilfreich, Extremfälle zu analysieren, weil da eben bestimmte Phänomene leichter offensichtlich werden, als wenn man harmlosere Fälle analysiert. Als Miesmacherei oder Lamentieren war das Buch wohl nicht gedacht.

Deshalb muss ich mich teilweise JotJot anschließen. Ein Buch, das dermaßen wenig konstruktiv kritisiert wie dieses, wird Deine Freundin vermutlich als Frontalangriff empfinden, weil sie dann zu Recht annimmt, dass Du sie auf eine Stufe mit solchen Eltern stellst. (Mal ganz abgesehen davon, ob das treffend ist oder nicht, es wird sie verletzen.) Dieses Buch hält als Geschenk viele Fettnäpfchen bereit.

Diamante, der Untertitel ist Programm in diesem Buch. Wenn er dich stört, solltest Du das Buch besser nicht verschenken. Kurz gefasst kritisiert Winterhoff in seinen Werken, dass Kinder heutzutage zunehmend auf die Ebene von erwachsenen Partnern gehoben werden. Entwicklungsbedingt sind Kinder noch nicht in der Lage, mit so einer Rolle klar zu kommen. Deshalb können sie davon psychisch beschädigt und sogar krank werden. Sie kompensieren diese seelische Überforderung dadurch, dass sie Eltern tyrannisieren, weil sie sich gleich mächtig wie ihre Eltern fühlen und so Dampf ablassen können.

Das ist allerdings nur die Spitze des Eisberges. Das versteckte Grundproblem dieser Erziehungsstrategie liegt darin, dass man Kindern so die (geistige) Kindheit nimmt, weil sie schon im zarten Alter mit zu viel Erwachsenenproblemen konfrontiert werden. Man denke da z. B. an die Kinder mancher allein erziehender Eltern, bei denen sich die Eltern ausheulen oder die ihre Kinder um Rat bei Beziehungsproblemen fragen. Mit so etwas sind eben auch moderne Kinder überfordert und verlieren so den Schonraum Kindheit.

Man könnte das mit dem Sport vergleichen. Wenn man eine 5-Jährige Jungballerina Spitzentanz üben lässt, weil sie ach so reif und talentiert wirkt, dann schädigt man definitiv ihren Körper. Wenn man zu junge Kinder mit Erwachsenenproblemen konfrontiert und sie wie kleine Erwachsene behandelt, dann können sie die von Winterhoff beschriebenen psychischen Probleme entwickeln.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



@trüffelsucher: Das bestimme nicht ich, so wird das Buch einsortiert. :wink: Man muss ja jedes Buch in irgendein Genre packen, jedenfalls bei Buchläden, die nach Genre sortiert sind, und das sind alle, die ich bislang kenne. Selbst wenn der Autor es nicht so beabsichtigt hat, landet sein Buch ganz sicher bei Sachbuch, Unterkategorie Ratgeber und da eventuell noch, falls vorhanden, bei Erziehungsratgeber.

Dass man es deshalb nicht als Lösung oder gar Allheilmittel ansehen sollte, habe ich ja geschrieben. Ein Buch soll ja informieren, zu verstehen helfen und vielleicht dabei auch eine Hilfestellung geben. Dies kann durchaus bei Büchern wie den hier genannten geschehen.

Allerdings gebe ich Dir und JotJot Recht; wenn nicht klar ist, ob die Freundin sich wirklich gerade viel mit dem Thema beschäftigt und schon andere Bücher dieser Art zu Hause hat, könnte es tatsächlich seltsam wirken, ihr ein Buch dieser Art zu schenken.

» Morgaine » Beiträge: 2701 » Talkpoints: 9,09 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Das war etwas missverständlich von mir formuliert. Ich ging einfach mal stillschweigend davon aus, dass man das schon verstehen wird, dass ein Einzelner nicht für so eine Einsortierung eines Buches verantwortlich sein kann.

Gemeint war von mir natürlich mit der Formulierung "dies geschah" dass die Einsortierung in die Gruppe Ratgeber im Buchhandel so geschehen ist. Also quasi als eine Art Marketingaktion. Alles andere wäre ja unsinnig.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


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