Wie mit motivationslosem Nachhilfeschüler verfahren?

vom 09.06.2010, 16:51 Uhr

Ich bin seit etwa einem Jahr als Nachhilfelehrerin für das Fach Latein tätig. Das System ist einfach: die am Unterrichten interessierten Schüler melden sich beim jeweiligen Fachlehrer, der ihnen dann die einzelnen Anfragen von Nachhilfe suchenden Kindern vermittelt. Sinn der Sache ist die enge Zusammenarbeit zwischen dem eigentlichen Fachlehrer und dem Nachhilfelehrer, sodass auf die bestehenden Lücken optimal eingegangen werden kann. Das System hat bei all meinen vorherigen Nachhilfeschülern wunderbar funktioniert, nur im Moment habe ich ein ziemlich schwieriges Exemplar.

Es handelt sich dabei um einen dreizehnjährigen Jungen, der in die sechste Klasse geht, die er derzeit aufgrund schlechter Noten, auch in Latein, wiederholen muss. Leider ist die Wissensvermittlung nicht immer ganz einfach, da es bei ihm massiv an der Konzentration hapert. Er ist nicht dumm und versteht den Stoff auch größtenteils, seine Schwierigkeiten liegen eher darin, sich etwas dauerhaft zu merken oder mir ein paar Minuten lang zuzuhören, wenn ich etwas zu erklären versuche.

Es handelt sich dabei um Kleinigkeiten, beispielsweise muss ich ihm bei jedem einzelnen Satz aufs Neue sagen, dass er bei der Übersetzung mit dem Subjekt beginnen muss, da er das immer wieder zu vergessen scheint. Auch kann er eine Vokabel, die ich ihm gerade erst genannt haben, selten länger als dreißig Sekunden behalten, denn eine Minute später fragt er exakt nach demselben Wort. Als ich ihn einmal aufforderte, sich besser zu konzentrieren, erzählte er mir auch, dass er unter Legasthenie leide, die für seine Konzentrationsschwäche verantwortlich sei. Inwieweit das auf besagte Legasthenie zurückzuführen ist oder sich durch ausreichenden Willen und ein wenig Motivation beheben ließe, kann ich aber leider nicht einschätzen.

Das wäre an sich nicht weiter tragisch, denn ich bin gerne bereit, ihn mehrmals an Inhalte zu erinnern und ihm die Zeit zu lassen, die er benötigt. Vielmehr bereitet mir Kopfzerbrechen, dass er sich einfach nicht motivieren lässt und immer mit einer Miene beim Unterricht sitzt, als würde ihn das alles gar nicht interessieren. Ich habe wirklich alles versucht, ihm erklärt, wozu man Latein benötigt, ihm das auch als praktisches Beispiel an einem Fremdwörterlexikon erläutert, Texte der verschiedensten Autoren mit ihm übersetzt und schließlich auch ein paar Filme über das alte Rom empfohlen; alles ohne sichtbares Ergebnis. Auch seine Noten habe ich ihm schon vorgehalten, um ihm zu zeigen, dass er erneut durchfallen könnte, diese Gefahr mit einer vier in Latein aber definitiv gebannt sei. Auch das stieß nur auf ein uninteressiertes Schulterzucken.

Auch habe ich schon daran gedacht, dass seine Konzentrationsschwierigkeiten und Motivationsprobleme daher kommen könnten, dass er vor unseren Nachhilfestunden bereits einen Schultag hinter sich bringen musste. Deshalb wollte ich ihm entgegenkommen und einen Termin am Wochenende vereinbaren, aber er wollte auf keinen Fall seine Freizeit dafür opfern. Inzwischen geht er auch immer mehr dazu über, zu unseren Terminen ohne jede Absage überhaupt nicht mehr zu erscheinen.

Ich bin langsam ziemlich frustriert und weiß nicht mehr, wie ich nun verfahren könnte. Einige Mitschüler von mir, die ebenfalls Nachhilfe geben, sagen dazu nur, dass sie solche Fälle einfach irgendwann bitten würden, nicht mehr zu kommen; schließlich sei es nicht ihre Aufgabe, sie zu motivieren. Das sehe ich anders und es ist mein Ziel, diesem Jungen zu helfen, da er das Gymnasium durchaus bestehen könnte, wenn er denn nur wollte. Ist es aber vielleicht tatsächlich besser, ihn hängen zu lassen, weil man Motivation nicht erzwingen kann? Oder kennt ihr vielleicht Tipps, wie man ihn doch noch motivieren könnte? Ist er vielleicht bei mir sogar an der völlig falschen Adresse und wäre bei einem Legasthenie-Therapeuten, der sich um das Problem der Konzentration kümmert, besser aufgehoben? Ich freue mich über jeden Tipp und jede Einschätzung, denn bei mir herrscht Ratlosigkeit.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Also ich würde eigentlich sagen, dass es nicht direkt deine Aufgabe ist, den Jungen zu motivieren, für die Schule zu lernen. Dafür sind doch die Eltern und vielleicht auch Freunde und Lehrer verantwortlich, aber sicher nicht du. Deshalb würde ich auch nicht sagen, dass du ihn hängen lässt, wie du geschrieben hast, wenn du ihm nicht weiter hilfst. Er will doch schließlich auch überhaupt keine Hilfe, wie mir scheint. Ich würde mich in diesem Fall einfach mal an die Eltern des Jungen wenden und ihnen sagen, dass du keine Lust mehr hast, ihm weiter Nachhilfe zu geben, weil er eben nicht regelmäßig erscheint, sich nicht konzentriert, nicht lernt und eben auch keine Erfolge sichtbar sind.

Dann können die Eltern schließlich selbst entscheiden, ob es nicht vielleicht besser ist, den Jungen zu einem Therapeuten zu schicken, die Schule zu wechseln oder sonst was zu unternehmen. Du solltest dich da nicht weiter darum kümmern, denn wenn der Junge nicht motiviert ist und keinen Sinn in der Schule oder im Latein sieht, wirst auch du ihn nicht so schnell davon überzeugen können.

Im Grunde sehe ich das immer so, dass der Schüler es wollen muss. Ich gebe auch Nachhilfe in einigen Fächern und ich sage immer schon von vornherein, dass ich absolut keine Lust habe mich mit unmotivierten Schülern herumzuschlagen. Entweder sie wollen und arbeiten auch mit, oder wir lassen es ganz. Ich will mir mit sowas keinen Ärger machen und mich nachher mit Eltern herumschlagen müsse, die sich wundern warum ihren ah so hochbegabten Kinder keine Fortschritte machen. Es ist nicht meine Aufgabe, ihnen die Schule oder bestimmte Fächer schmackhaft zu machen. Wenn ein Schüler nicht will, dann hat das meiner Meinung auch keinen Sinn. Warum soll man ein absolut faules und unmotiviertes Kind an ein Gymnasium schicken, wo es sich mit Sachen rumquält, die es nicht interessiert, wenn es auch nicht mal an einer guten Ausbildung oder an einem Studium interessiert ist?

Ich finde nicht, dass die Schule oder die Nachhilfelehrer dafür zuständig sind, zu sehen, dass der Schüler trotzdem gut lernt und durchkommt, wenn er es selbst nicht will. Wenn Kinder nicht wollen, dann eben nicht und wenn die Eltern sie trotzdem zwingen wollen, dann sollen sie das selbst tun und nicht die Lehrer.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Vielen Dank für deine recht eindeutige Antwort, Chrispin. Im Normalfall hätte ich die Eltern schon längst auf das Motivationsproblem ihres Sohnes hingewiesen, leider besteht aber zu dem Vater, der den Jungen erzieht, überhaupt kein Kontakt; ich bin nicht einmal mehr im Besitz einer Telefonnummer. Eigentlich lege ich Wert darauf, nicht nur mit der Schule, sondern auch mit den Eltern zusammenzuarbeiten, um ihnen Tipps zu geben, wie sie ihr Kind unterstützen könnten oder mich generell mit ihnen abzusprechen. Dieser Vater scheint sich jedoch nicht wirklich für die Fortschritte seines Sohnes zu interessieren, denn ein Kontaktversuch seinerseits erfolgte bisher nicht. Er gibt seinem Sohn regelmäßig das Geld für die Nachhilfe, mehr aber auch nicht.

Wenn ich jetzt mit großer Sicherheit wüsste, dass die Eltern um das schulische Fortkommen ihres Sohnes bemüht wären, würde es mir eventuell leichter fallen, die gemeinsamen Nachhilfestunden mit einer Ansprache auf seine fehlende Motivation und Zuverlässigkeit zu beenden. Irgendwie kann ich aber nicht guten Gewissens loslassen, denn jeder kleine Fortschritt, den wir in den drei Monaten gemacht haben, wäre bald hinfällig, wenn ich ihm nicht mehr wöchentlich in den Allerwertesten trete.

Der Junge würde aller Wahrscheinlichkeit nach ohne die Nachhilfe das sechste Schuljahr wieder nicht bestehen und müsste dann die sechste Klasse auf einer anderen Schule besuchen, was mir persönlich in der Seele weh täte, da er ausreichend Talent besitzen würde, um den Stoff der sechsten Klasse in einem Gymnasium gut zu meistern, wenn er sich denn nur konzentrieren würde.

Meine Sorge ist einfach, dass sich, wenn ich meinen Job hinschmeiße, niemand mehr darum kümmert. Den Vater will ich nicht unbedingt beurteilen, denn ich kenne ihn ja kaum, aber sein mangelndes Interesse an der Nachhilfe seines Sohnes spricht nicht unbedingt für ihn. Den Lehrern ist das Problem bekannt, denn er wurde mir schon von Anfang an als schwieriger Schüler beschrieben, aber sie haben selbst auch kaum Zeit, auf einen einzelnen Schüler einzugehen, wenn dreißig davon in einer Klasse sitzen.

Wenn sich in der nächsten Zeit nichts an seiner Einstellung ändert, werde ich die Nachhilfe selbstverständlich abbrechen, denn dann ist das reine Zeitverschwendung. Momentan habe ich aber noch die Hoffnung, dass der Knoten bei ihm bald platzt, er sein Talent einzusetzen lernt und das Konzentrationsproblem in den Griff bekommt. Deshalb wäre ich weiterhin sehr dankbar für Tipps, wie ich ihn für das Fach begeistern könnte.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Leider ist Nachhilfeunterricht nicht immer die Lösung sämtlicher probleme. Ich denke hier einmal ganz unkompliziert, dass sich den Schüler einmal ein Psychologe anschauen sollte. Der kann sich über den Schüler erst einmal ein genaues Bild machen und so sich auch seine jetzige Motivationslosigkeit erklären.

Ich würde daher die Nachhilfe nicht total abbrechen sondern einfach nur eine Pause einlegen. Wenn hier die Ursachen abgeklärt sind, kann man ja beispielsweise den Nachhilfeunterricht noch gezielter anpassen. Das hilft dann auch wieder speziell den betreffenden Schüler, denn darauf kommt es ja in erster Linie an.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



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