Kirchenpredigt zum Thema Missbrauchsfälle

Eine Verwandte von mir hat mir gestern etwas erzählt, das mich ziemlich schockiert hat: Sie kennt aus ihrem Töpferkurs eine Polizistin, die ehrenamtlich Kindergottesdienste in ihrer (katholischen) Gemeinde organisiert. In der letzten Töpferstunde hat diese Frau dann ganz stolz erzählt, dass sie angesichts der aktuellen Missbrauchsaffäre ein tolles Motto für den nächsten Kiindergottesdienst gefunden habe: "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein". Aber es kam noch besser: Der Pfarrer hat sich anscheinend das gleiche Thema für seine nächste Predigt herausgesucht! Im Töpferkurs waren alle außer meiner Verwandten begeistert von dieser Idee. Die Polizistin ist übrigens für straffällige Kinder und Jugendliche zuständig und sollte sich doch eigentlich auskennen. Nicht selten werden Jugendliche ja straffällig, weil sie misshandelt wurden usw.

Ich war ganz schön baff, als ich das erfahren habe. Was denken sich diese Leute denn dabei? Nicht nur, dass der Pfarrer in seiner Predigt Hunderte von Verbrechen an Kindern und das Leid der Opfer verharmlost - nein, es wird auch noch im Kindergottesdienst gepredigt, dass man gefälligst zu schweigen hat, wenn einem Schlimmes angetan wird. Ich meine, ist das das Einzige, was man den Kindern zu diesen Vorfällen zu sagen hat? Gerade bei Kindern, die anscheinend in "kirchennahem Milieu" aufwachsen, sollte man doch vorsichtig sein, sie aufklären und ihnen erklären, was der Pfarrer darf und was nicht. Stattdessen wird ihnen eingetrichtert, sie seien selbst "sündig" und dürften sich deshalb nicht wehren. Und genau solche eingeschüchterten und unaufgeklärten Kinder sind die perfekten Opfer für gestörte Männer.

Wer die aktuelle Missbrauchsdebatte in den Medien verfolgt hat, weiß auch, dass der Papst und mehrere Pfarrer im Sinne ihres Glaubens öffentlich um Vergebung gebeten haben. Das scheint gerade das Hauptziel der Kirche zu sein: Sich entschuldigen und alles schnell über die Bühne zu bringen. Das ist schon an sich ein starkes Stück, aber die Predigt mit diesem Thema stellt vieles in den Schatten, was sich die Kirche eh schon an Scheinheiligkeiten geleistet hat.

Wie seht ihr das? Könnt ihr den Pfarrer in irgendeiner Weise verstehen oder fragt ihr euch auch, wie er das mit seinem Gewissen vereinbaren kann?Was sagt ihr zu dem Kindergottesdienst? Gerade Kinder sind doch die Betroffenen. Wie stehen die Katholiken dazu: Wärt ihr in der Predigt aufgestanden und hättet etwas gesagt?

Was ich dazu noch klarstellen muss: Ich war leider nicht in der Kirche, als die Predigt gehalten wurde, ich habe es viel zu spät erfahren. Sonst wäre ich aber gern hingegangen und hätte mit gern einmal angehört, was der Pfarrer so zu sagen hat. Vielleicht war die Predigt auch ganz anders, als ich sie mir so vorstelle, aber meiner Meinung nach sagt das Thema schon alles. Es ist für mich auch ziemlich eindeutig, worauf er damit hinaus will. Meine Verwandte hat der Polizistin nicht ihre Meinung gesagt, was ich ziemlich ärgerlich finde und hat die Predigt leider auch nicht gehört.

Ich finde es völlig nachvollziehbar, dass die Verwandte der Polizistin erst mal nicht die Meinung gesagt hat, erst recht weil hier ja keiner die Predigt gehört hat. Die Missbrauchsfälle sind schlimm, keine Frage, so schlimm, dass ich mich schwer tue, die richtigen Worte zu finden.

Allerdings sollte man deswegen auch nicht überreagieren. Denn das Motto Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. kann vielfältig interpretiert werden. So werden kirchliche Einrichtungen unter Umständen über einen Kamm geschoren und vielleicht sollte es in der Predigt darum gehen, dass man nicht voreilig urteilen sollte. Es könnte aber auch ganz anders sein - genaues wüsste man nur, wenn man die Predigt auch gehört hätte.

Und genau solche voreilige Schlussfolgerungen haben für mich auch etwas mit Scheinheiligkeit zu tun. Wenn man wirklich etwas beurteilen möchte, dann sollte man sich so genau wie möglich informieren, um sich auch wirklich eine Meinung bilden zu können. Passt ja irgendwie auch wieder zum Motto der Predigt