Anonymisierte Bewerbungen

vom 24.03.2010, 14:16 Uhr

Frau Christine Lüders als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle unseres Landes hat kürzlich vorgeschlagen anonymisierte Bewerbungen einzuführen.

Sie stellt sich vor dass ein Bewerbungsschreiben keinerlei persönliche Angaben mehr enthalten sollte. Also ein Lebenslauf ohne das obligatorische Foto, Unterschrift, Name, Geburtsort und Geburtsdatum. Sie meint dass der Name Ali oder das Alter des Bewerbers oft nicht gerade förderlich für die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch ist und damit die Chancen für diese Bewerbergruppen sich steigern würden.

Ein bischen zu kurz gedacht wie ich finde, wohin soll denn der Personalchef dann bitteschön die Einladung zum Vorstellungsgespräch schicken wenn ihm die Adresse und der Name des Bewerbers völlig unbekannt ist? Für das Sommerloch, wenn sich die Hinterbänkler mit obskuren Vorschlägen zu Wort melden, ist es eigentlich noch zu früh, so dass ich nicht recht weiß was ich davon halten muss. Spätestens beim Vorstellungsgespräch sieht doch die Personalleitung den Bewerber und der muss dann die Hosen runterlassen. Auch empfinde ich diesen Vorschlag als großen Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Wer Kandidaten für die Besetzung eines Postens sucht und später auch bezahlt muss bereits bei der Vorauswahl wissen um wen es sich handelt. Auch ist es sicherlich eine Kosten- und Zeitfrage wenn ich doppelt so viel Kandidaten einladen muss weil ich vorher genau weiß dass die Hälfte der Bewerber nicht in das betriebliche Schema passen weil sie vielleicht zu Alt sind. Da hilft dann auch keine hervorragende Qualifikation, wer nicht in das betriebliche Raster passt hat dann auch keine Chance.

Was haltet ihr von dieser Sache, kann sich dieser Vorschlag durchsetzen und wenn ja, warum? Ich glaube in England ist so etwas in abgespeckter Version üblich und wird auch akzeptiert, es kann also auch funktionieren.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich glaube, ich habe mal gelesen, dass das in den USA teilweise üblich ist. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es nicht vielleicht doch England war. Im Prinzip finde ich das schon in Ordnung, allerdings sehe ich das auch von der Seite eines Arbeitnehmers. Als Arbeitgeber würde ich das vermutlich deutlich anders sehen.

Zwar möchte man selbst, als Arbeitssuchender, immer, dass es keinerlei Rolle spielt wie man aussieht und wie alt man ist - Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass viele Berufe eben schon eine bestimmte Schicht von Arbeitssuchenden ansprechen, bei denen nun einmal das Alter und die äußerliche Erscheinung eine große Rolle spielt. Ich habe mich mal auf eine Stelle beworben, bei welcher es einfach wichtig war, dass man optisch etwas hermacht und irgendwie adrett wirkt. Natürlich kann man auch klasse Qualitäten haben, wenn man ungeschminkt und zerloddert zur Arbeit geht, aber sobald es darum geht, dass man ein Unternehmen repräsentiert, finde ich es schon sehr wichtig, dass der Arbeitgeber weiss, auf wen er sich einlässt. Spätestens beim Vorstellungsgespräch wird er doch ohnehin sehen, wer da vor ihm sitzt, wie alt die Person ist und wie sie aussieht.

Ich denke, wenn es darum geht, dass man etwas vertuschen möchte, das einen einfach benachteiligt im Bewerbungsverfahren, dann wird das so oder so beim persönlichen Treffen an Bedeutung gewinnen.

» Sippschaft » Beiträge: 7575 » Talkpoints: 1,14 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Die Sache steht schon länger immer mal wieder zur Diskussion. Und ich glaube in Amerika wird das zum Teil auch schon so gehandhabt.

Grundlage ist an sich, das man Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten einstellt und nicht schon wegen des Geschlechts, der Religion, der Herkunft oder aus irgendwelchen anderen Gründen ablehnt. Sondern die Bewerber mehr nach ihren Leistungen auswählt.

Es ist leider immer noch oft so, das in vielen Bereichen Männer Frauen vorgezogen werden. Obwohl sie die gleichen Kenntnissen und Grundlagen haben. Das kann mit meinem anonymisierten Lebenslauf umgangen werden.

Ich habe da auch ein Beispiel aus meinem Leben. Mein Vater hatte eine Metzgerei und ist hier recht bekannt. Genauso mein Grossvater und zum Teil auch mein Urgrossvater ( ok die Generation dürfte solangsam tot sein). Ich habe eine Ausbildung zur Fleischerei- Fachverkäuferin gemacht. Habe mich in späteren Jahren auch in anderen Metzgereien beworben. Ich kann den Satz: Was macht denn ihr Vater heute?, Ich habe mit ihrem Vater das und das gemacht!, Ach ich kannte ihren Grossvater noch?, etc. pp. ehrlich gesagt nicht mehr hören. Ich möchte aufgrund dessen was ich kann eingestellt werden und nicht weil ich die Tochter von bin. Und ich habe mit Sicherheit auch schon Bewerbungen zurück bekommen, weil man meinen Vater nicht leiden kann.

Als erster Eindruck sollte die Bewerbung an sich dienen. Aber ganz ehrlich? Ich würde auch zur erst auf den Namen und das Fotos sehen. Und damit unterbewusst schon eine Entscheidung treffen. Wenn ich dagegen nur einen Lebenslauf und das Anschreiben und eventuell Zeugnisse hätte, würde ich mir meine Meinung ganz anders bilden. Da wären für mich eher so Sachen entscheidend, wie wo hat der jenige seine Ausbildung gemacht?, Was hat er nach der Ausbildung gemacht?, Welche Schulen hat er besucht?. Klar kann man nach den Angaben immer noch in Schubladen denken, aber ich finde es ist einfach anders.

Und das mit dem Verschicken der Einladungen zum Vorstellungsgespräch kann man sicherlich auch irgendwie regeln.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



hooker hat geschrieben:Ein bischen zu kurz gedacht wie ich finde, wohin soll denn der Personalchef dann bitteschön die Einladung zum Vorstellungsgespräch schicken wenn ihm die Adresse und der Name des Bewerbers völlig unbekannt ist?

Naja, ohne Name und Adresse geht da wohl nichts, das ist dann doch etwas zuviel des guten ;).

LittleSister hat geschrieben:Die Sache steht schon länger immer mal wieder zur Diskussion. Und ich glaube in Amerika wird das zum Teil auch schon so gehandhabt.

So nicht - hier ist es üblich, dass ein Lebenslauf aus dem
- Anschreiben (cover letter)
- Lebenslauf (resume)

und bei "hochklassigen" Jobs (also keine Minijobs usw.) wird in der Regel zusätzlich das sogenannte complete dossier verlangt. Dieses umfasst alles was man bisher so geleistet hat:
- Abschlusszeugnisse
- Referenzen anderer Arbeitgeber
- Urkunden (bei zusätzlichen Abschlüssen oder Qualifikationen)
- und das transcript - das ist die Kursliste samt Noten aller Kurse im Studium die belegt wurden

Warum das wichtig ist? Da in den USA das resume nur den Namen und die Adresse enthält - nichts anderes an persönlichen Daten - damit die strengen Antidiskriminierungsgesetze erfüllt werden.

Und warum das doch wieder Käse ist: Weil sich anhand des complete dossiers ein "externer" Lebenslauf anfordern lässt. Ich hatte das ja mal ausführlicher in einem anderen Post angesprochen: Im Grunde ist das das, wovor man in Deutschland noch Angst hat, dass der Arbeitgeber mal eben eine "Online Akte" mit akkumulierten Daten aus Social Networks erhält.

Hat man das complete dossier ist es für die Personalabteilung leicht einfach bei einem der hier präsententen Datenhändlern eine solche "Akte" zu kaufen, die ein Profil des Bewerbers außerhalb seiner Bewerbung für Arbeitgeber zur Verfügung stellt in welchem wieder Nation, Alter, Familienstand usw. (also alles was man gemäß des Antidiskrimierungsgesetztes weglassen muss) mit dabeisteht (man gibt es ja im Internet schön von sich preis). Als ich mein Büropersonal, Praktikanten und Assistenten zusammengestellt habe, hatte ich da zu jedem in Frage kommenden Bewerber eine solche zusätzliche Akte wo man alles nachlesen konnte, was er online so von sich preisgab. Und ja, das hat einigen auf den ersten Blick gut klingenden Bewerbern das Wasser ordentlich abgegraben.

Unter`m Strich ist das für die meisten Bewerber noch schlimmer, da man sie jetzt nicht nur aufgrund ihres Alters, Aussehens, der Ethnie usw. aussortiert, sondern gleich noch einen Stapel mehr (private) Informationen über sie in die Hand bekommt.

Ich würde das für Deutschland genauso annehmen: Wenn man hier die Antidiskrimierungsrichtlinien verschärft ist das erst einmal ein Vorteil für die Arbeitnehmer die diskriminiert werden - auf der anderen Seite kommt dann der bisher schlafende Datenhandel gut in Schwung.

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» Subbotnik » Beiträge: 9308 » Talkpoints: -7,05 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



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