Nach Jahren werden Familienprobleme plötzlich angesprochen

vom 21.11.2009, 14:10 Uhr

Das Problem betrifft meine Mutter, die seit vielen Jahren schon Alkohlikerin ist. Dabei ist sie jetzt keine von denen, die nur zu Hause eumhängen, sondern sie verbindet das mit ihrem Alltag und ihrere Arbeit recht gut. Seit ich etwa 16 bin ist mir bewusst, dass sie ein Alkoholproblem hat, weil sie eigentlich keinen einzigen Tag ohne einen Schluck ausgekommen ist und man im Schnitt sagen konnte, sie trank pro Tag eine Flasche Sekt und eine halbe Flasche Rotwein - Kein hartes Zeug also und durchaus gesellschaftlich noch so vertretbar, dass keiner sofort an ein ernsthaftes Alkoholproblem denkt. Deshalb war es bei uns auch nie ein Thema. Ich habe das zum ersten Mal im Streit angesprochen, das muss vor etwa 4 Jahren gewesen sein. Da habe ich ihr vorgeworfen, dass sie doch auch mal etwas unternehmen könnte statt nur Abend für Abend betrunken zu Hause zu sitzen.

Danach sprach sie dann eine Woche lang nicht mit mir, reagierte aber auch auf die Vorwürfe gar nicht. Als ich meinen Vater mal darauf ansprach, blockte auch er nur ab und reagierte gar nicht auf die Nachfrage hin, ob das nicht ein ernstes Alkoholproblem sei. Auch andere Verwandte haben das Thema nie angesprochen, obwohl ihnen durchaus klar war, dass komischerweise bei jedem Fest immer mein Vater fahren musste, weil meine Mutter sich gnadenlos betrank. Das war und ist so seit ich mich erinnern kann. Doch nun passierte gestern etwas, das mich total überrascht hat. Mittlerweile bin ich einfach schon an einem Punkt angelangt, an dem das Thema für mich klar ist (Sie ist Alkoholiker!) und ich aber akzeptiert habe, dass es in meiner Umgebung niemanden gibt, der das einsehen oder etwa diskutieren oder sogar lösen will. Doch gestern war ich mit meinem Vater eine Stunde lang alleine zu Hause, weil wir gemeinsam gekocht haben und er schimpfte dann etwas über meine Mutter, weil sie irgendetwas vergessen hatte und er meinte, sie sei nicht mehr belastbar. Und dann sagte er zu mir 'Sie ist ja auch seit Jahren schwere Alkoholikerin.'

Das fand ich total merkwürdig, dass es das einfach so angesprochen hat, weil er sonst immer abblockte und so tat als wisse er gar nicht was ich von ihm wolle. Ich war erstmal geplättet und wusste nicht recht wie ich damit umgehen soll. Komischerweise wechselte er auch gleich wieder das Thema, sodass das eigentlich der einzige Satz seit 15 Jahren von ihm war, der mir gezeigt hat, dass er offenbar durchaus weiss, was schief läuft. Aber war das auch so etwas wie ein Hilfeschrei? Wollte er mir damit vielleicht andeuten, dass er sich das auch bewusst gemacht hat, das Problem jetzt sieht und wie nach einer Lösung suchen müssen? Ich bin echt etwas ratlos seither, weil ich nicht schon wieder gegen eine Wand laufen will, wenn ich ihn erneut darauf anspreche.

» Sippschaft » Beiträge: 7575 » Talkpoints: 1,14 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Hallo Sippschaft!

Ich denke, dass es für deinen Vater sicher auch nicht leicht ist, mit der Tochter über das Akloholproblem der Mutter zu reden. Sicherlich wird er immer versucht haben, dass zu verdrängen und es sich irgendwie schön zu reden. Deiner Mutter wird es da ähnlich gehen und sie wird sicher auch nicht einsehen, dass sie Alkohlabhängig ist.

Vielleicht war der Satz deines Vaters ein Schritt auf dich zu oder er hat doch das Bedürfnis darüber zu reden und weiß nicht recht, wie er das anfangen soll. Du könntest ihm ja einfach sagen, dass du da bist und ihm zuhörst, wenn er gerne mal mit jemandem reden möchte. Damit trittst du ihm nicht zu nahe und bohrst auch nicht in diesem empfindlichen Thema rum. Dabei überlässt du ihm ja die Entscheidung, ob er mit dir über deine Mutter reden möchte oder eben nicht, aber du gibst ihm so, vielleicht auch eine kleine Hilfestellung.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge


Ich schreibs mal vorweg, ich will dich in keinster Form angreifen oder so. Ich möchte nur versuchen, dir vielleicht zu einer Entscheidungsfindung zu helfen.

Ob deine Mutter Alkoholikerin ist oder nicht, darüber möchte ich nicht diskuttieren. Aber wenn es zum Problem wird, kann im Grunde nur geholfen werden, wenn auch sie das möchte. Das scheint sie ja nicht zu wollen.

Aus anderen Posts von dir weiss ich, das das Verhältnis zu deiner Mutter eh nicht sonderlich gut ist. Ich würde mich an deiner Stelle fragen, in wie weit will ich, in die Probleme mit reingezogen werden. Ich würde mir sagen, ich lebe alleine, sie haben ihre Probleme und ich meine.

Ich weiss nun nicht ganz, wie gut das Verhältnis zu deinem Vater ist. Ich würde ihm vielleicht signalisieren, das seine Worte angekommen sind. Und das du ( wenn du das wirklich möchtest) auch gerne mit ihm darüber sprichst. Aber ihm auch klar machen, das die Iniative dazu von ihm kommen muss. Falls dann ein Gespräch folgt, könnt ihr immer noch gemeinsam entscheiden, was man dann tun kann.

Ich für meinen Teil. Weisste es ist unheimlich schwierig, wenn es solche "Leichen im Keller" gibt. Der Begriff ist doof, aber er beschreibt recht gut, das es halt verborgene Sachen gibt, die an sich jeder wusste, aber keiner drüber spricht. Und ich für meinen Teil wäre manches mal froh, wenn über die Leichen im Keller meiner Familie mal gesprochen worden wäre. Und ich habe innerlich auch Angst, wann ich über die nächste Leiche stolpere. Oder auch, welche Leichen meine Mutter mit ins Grab genommen hat.

Meine Beziehung zu meiner Mutter war auch nicht einfach. Es gab viele Sachen, über die ich mit ihr gerne geredet hätte. Zu den Gesprächen kam es nie. Entweder sie wurden im Keim erstickt oder halt totgeschwiegen. Heute wünsche ich mir, ich hätte es noch mal thematisiert. Hätte es angesprochen, als es noch möglich gewesen wäre.

Ich weiss, das du ein ganzes Stück jünger als ich bist. Vielleicht denkst du in 10 oder 20 Jahren, warum habe ich damals nichts gemacht? Warum habe ich nicht das Gespräch gesucht? Vielleicht bist du auch irgendwann nur froh, das du es nicht gemacht hast. Das weiss keiner.

Ich will an sich ausdrücken, dich belastet es. Du hattest für dich einen Umgang damit gefunden. Nun siehst du, das dein Vater aber auch leidet. Und du spürst es auch, weil er es quasi offen angesprochen hat.

Meine Mutter hat im Rahmen ihrer Krebserkrankung manche Sachen gemacht, die hätten anders laufen können/sollen. Heute macht mein Vater ihr quasi Vorwürfe, warum das so gelaufen ist. Damals hat es ihn scheinbar nicht wirklich interessiert. Gespräche unter uns Angehörigen fanden damals kaum statt. Manches was hätte anders laufen können, war mir damals schon bewusst. Wenn ich es ansprach, ging es mir ähnlich, wie dir in der Situation mit deiner Mutter.

Aus der Erfahrung heraus, gehe ich mit heiklen Themen innerhalb der Familie heute anders um. Ich bin auch ruhiger geworden, gebe ich zu. Und ich spreche durchaus auch mal heikle Sachen an, um so Ohnmachtsmomente die es im Verlauf der Krankheit meiner Mutter und ganz speziell ihrem Tod gab, vorher anders steuern zu können. Anders steuern können, für alle Beteiligten. Wobei ich aber dann meine Argumente für das Handeln schon im Kopf habe und das auch schlüssig darlegen kann. Und selbst mein Bruder, der heikle Themen gerne totschweigt, hört mir zumindest zu und denkt auch mal darüber nach. Und ich bekam auch von ihm schon die Rückmeldung, gut das du es angesprochen hast oder so.

Es gibt für mich Sachen in der Vergangenheit, die mich heute einholen. Und ich mir wünschen würde, sie wären früher geklärt worden. Deshalb mal als Anregung an dich, wie gehst du damit um, wenn dich die Sache irgendwann mal einholt?

Ich wünsche dir auf alle fälle viel Kraft, egal für welchen Weg du dich entscheiden wirst.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Danke. Ich weiss deine Gedankengänge auch sehr zu schätzen. Aber ich denke, ich hätte vielleicht dazu einfach noch sagen sollen, dass ich mehrmals probiert habe ihr zu helfen, aber irgendwann eingesehen habe, dass ich nicht kann, wenn sie nicht möchte - Gerade bei Suchtproblemen weiss ich ja, dass der Betroffene selbst erst einmal sein Problem erkennen muss und ich kann sie ja wirklich nicht zwingen, dass sie gesund werden möchte. Es ist nicht so, dass ich diese 'Leiche im Keller' als abgeschlossene angesehen habe, sondern es war eher so, dass ich eben dachte, dass ich nichts tun kann. Das sehe ich auch heute noch so. Keiner kann ihr helfen, wenn sie selbst nicht möchte.

Es ist unheimlich ermüdend, wenn man probiert mit jemandem über Probleme zu sprechen und die Person dann immer komplett dicht macht und tut als würde sie einen gar nicht hören. Auch, dass sie mich dann immer damit gestraft hat, dass sie tagelang nicht mit mir sprach (und mich auch komplett aus der Familie ausschloss und beispielsweise den Tisch nur noch für 3 Personen deckte und nicht mehr für mich) hat mich richtig müde gemacht. Natürlich kannst du recht haben und es könnte so enden, dass in 10 Jahren alles noch viel schlimmer ist. Vielleicht ist es sogar das, womit ich heimlich rechne: Dass sie irgendwann total abstürtzt. Aber wie soll ich ihr helfen, wenn sie einfach nicht möchte? Sie gibt doch nicht einmal zu, dass sie ein Problem hat.

Das Gespräch mit meinem Vater wäre für mich die letzten Jahr über sicherlich ein Halt gewesen, aber selbst wenn er und ich zusammen erkannt haben, dass sie krank ist, dann wäre sie selbst noch immer davon überzeugt, dass alles OK ist und sie würde einfach so tun als sei nichts. Bei einem Suchtproblem hilft es nichts, wenn man jemandem dem Alkohol in den Abfluss kippt oder sonst was. Sie ist ein freier Mensch und könnte anderswo weiter trinken. Deshalb sah ich das die Jahre über als etwas an, woran ich nichts ändern könnte. Nicht mit Gewalt und nicht mit Nettigkeit und schon gar nicht mit Verständnis. Egal, was ich getan habe und mit wem ich gesprochen habe: Meistens war die Reaktion so etwas wie 'Was, also wegen einer Flasche Sekt am Tag würde ich nicht so ein Drama machen!'. Dazu die Ignoranz von meinem Vater und ich habe akzeptiert, dass ich nichts tun kann.

Deshalb finde ich es erstmal sehr überraschend, dass er mich überhaupt angesprochen hat auf das Thema und relativ offen war aber ich habe so oft erlebt, dass er mich einfach wieder stehen lässt und wegläuft oder mich ignoriert, wenn ICH dann etwas sage. Vor allem, wenn ich nach Lösungen frage.

» Sippschaft » Beiträge: 7575 » Talkpoints: 1,14 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Das du es probiert hast, war mir klar. Und ich kann das Gefühl der Ohnmacht, welches du sicherlich verspürst auch total gut verstehen und nachvollziehen. Und sowas kann so total weh tun, wenn man nebendran stehen muss und so.

Gerade bei Problemen mit Alkohol ist halt auch das Problem, das Alkohol trinken halt auch gesellschaftlich voll anerkannt ist. Man auch kaum merkt anfangs, wenn man halt die Grenze überschreitet. Das Umfeld es an sich auch erst merkt, wenn es zu spät ist. Oftmals viel zu spät. Und es ist halt auch schwierig, sowas dann halt anzusprechen, wenn es bereits zum Problem geworden ist, weil die Grundhaltung ja an sich gesellschaftlich anerkannt ist.

Ich wollte an sich auch nicht darauf hinaus, wie du deiner Mutter helfen kannst. Weil solange sie das halt nicht einsieht und es auch nicht will, ist man eh machtlos. Und die Ohnmacht in der Situation, der würde ich auch aus dem Weg gehen.

Ich denke aber, das es dir halt trotzdem weh tut. Vorallem halt auch die eigenen Gefühl zu dem Thema. Innerhalb deines Umfeldes bekommst du da ja scheinbar keine Hilfe. Hilfe wäre halt auch ein Gespräch. Was es ja bisher nie gab oder es halt abgestritten wurde.

Es gibt aber auch Angehörigengruppen für Suchtkranke. Ich versuchs mal anders zu erklären, auch wenn es nicht ganz das gleiche ist. Ich selbst habe ja eine psychische Erkrankung. Eine Erkrankung die generell in meiner Familie absolut totgeschwiegen wird. Ich weiss auch, das ich halt anders bin, als andere Menschen. Ich schäme mich da auch oft für. Und ich habe oft auch eine Ohnmacht und eine Hilflosigkeit gespürt, die kaum zu ertragen war. Mir fällt zum Grossteil der Umgang mit anderen psychisch kranken einfacher, als mit gesunden Menschen oder auch Fachpersonal. Weil Menschen die selbst betroffen sind, muss noch nicht mal die selbe Erkrankung sein, ähnliche Sachen wie ich erlebt haben, selber Gefühle haben, die meinen ähnlich sind und die keiner, der das selbst nicht kennt, auch nur nachvollziehen kann. Ich habe eine ganze Zeit lang eine Gruppentherapie gemacht. Gut die war nun speziell auf meine Erkrankung ausgelegt. Und am wichtigsten wurde für mich, im Rahmen der Gruppentherapie, das da andere sassen, die so waren wie ich. Ich war nicht mehr nur eine, die "komische" Gedanken und Gefühle hatte. Da waren Menschen die Sachen ansprachen, die ich nie angesprochen hätte, weil ich sie für so total abgedreht gehalten habe und die ich auch einen "Noramalo" so nie erzählen würde.

Was ich an sich damit sagen will, es tut total gut zu sehen, das es noch Menschen gibt, die in einer ähnlichen Situation sind. Eine Situation die im Umfeld totgeschwiegen wird. Und in so einer Angehörigengruppe sind durchaus auch Menschen, die so Sachen ähnlich erlebt haben und erleben. Sicherlich auch welche die damit durch sind. Die aber auch Tipps geben könne, wie sie damit umgegangen sind.

Es sollte vielleicht nicht vorderrangig darum gehen, wie kannst du deiner Mutter helfen. Sonder eher darum, wie kannst du mit der Situation am besten umgehen.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge


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