Das Vorstellungsgespräch aus Sicht des Arbeitgebers

vom 19.11.2009, 10:30 Uhr

Die Abteilung, in der ich arbeite, ist für die englischsprachige Version einer Internetseite zuständig. Unser Chef ist der Vorsitzende der gesamten Internetpräsenz zuständig, er kann zwar ganz gut Englisch, aber doch nicht gut genug, um unsere Arbeit wirklich nachvollziehen zu können. Deswegen sitzt einer von uns auch immer mit im Raum, wenn es darum geht, neue Mitarbeiter einzustellen, weil wir die Arbeit einfach besser kennen und wissen, worauf es ankommt.

Der Job eignet sich gut für Studenten, weil wir sowieso im Schichtdienst arbeiten und es außerdem auch inhaltlich angemessen ist, daher arbeiten bei uns oft junge Leute für nicht all zulange Zeit und wir führen praktisch ständig Vorstellungsgespräche, um schon mal für die nächste Generation Mitarbeiter vorzusorgen.

Gerade gestern saß ich also mit bei so einem Vorstellungsgespräch und mir fiel dabei mal wieder auf, wie ungern ich so was mache, obwohl ich nicht auf der Seite des Jobsuchenden sitze. Das Jobinterview besteht aus zwei Teilen. Zunächst findet ein Gespräch mit dem potentiellen Arbeitnehmer statt, in dem alle relevanten Fragen von beiden Seiten geklärt werden. Anschließend erhält er einen Probetext zum Übersetzen ins Englische, weil darin unsere Haupttätigkeit besteht. Es wird dem Bewerber natürlich gesagt, dass wir bei diesem ersten Text bei weitem keine Perfektion erwarten, weil es auch mit guten Englischkenntnissen und Übersetzungsfähigkeiten einfach ein bisschen Übung braucht, bis man genau den richtigen Ton trifft und das spezifische Vokabular kennt.

Jedenfalls war es gestern so, dass mir die Kandidatin auf Anhieb sympathisch war. Sie schien nett und aufgeschlossen, war sehr motiviert und hatte viele kreative Ideen für den Job. Sie war zwar sichtlich aufgeregt, trat aber trotzdem selbstbewusst auf und wirkte insgesamt wie gemacht für unsere Arbeit.

Leider war ihre Probeübersetzung nicht so besonders gut. Sie entsprach einfach gar nicht unseren Anforderungen, enthielt viele Rechtschreibfehler und es fehlten auch einige Sätze, die die Bewerberin anscheinend nicht übersetzen konnte. Zusätzlich hatte sie den Text handschriftlich übersetzt, obwohl ihr ein Computer zur Verfügung gestellt wurde und der Originaltext sich auf diesem befand. Als Grund gab sie an, dass sie die "Insert"-Taste nicht gefunden hätte und deshalb jedes Mal, wenn sie ein Wort nachträglich einfügen wollte, der nachstehende Text gelöscht wurde. Man muss wirklich kein Computerspezialist sein, um bei uns zu arbeiten, aber es handelt sich ja nun mal um eine Internetseite und man sollte doch grundlegende Textverarbeitungsprogramme beherrschen.

Ich fand es wirklich schade, dass wir diese Bewerberin nicht annehmen konnten. Sie gefiel mir als Person wirklich gut und ich hätte nach dem Interview gerne mit ihr zusammen gearbeitet, aber sie erfüllte leider die Anforderungen überhaupt nicht. Ich finde solche Situationen immer sehr unangenehm, weil ich mir so gut vorstellen kann, wie schwer und anstrengend das alles für die Bewerber ist und wie frustrierend es sein muss, wenn man dann doch nicht angenommen wird.

Gibt es unter euch auch Leute, die beruflich Interviews mit Bewerbern führen? Kennt ihr das Gefühl auch, dass euch ein Bewerber leid tut, weil ihr ihn als Person gerne mochtet? Wie geht ihr damit um?

» channale » Beiträge: 1371 » Talkpoints: 37,37 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ganz ehrlich sehe ich da irgendwie kein großes Problem. Man muss bei so einer Sache schon ein wenig professionelle Distanz walten lassen. Man sucht sich ja keinen Freund und keine Freundin sondern eine Person mit der man arbeiten muss. Das wichtige ist eben, dass beides stimmt, sowohl ein Maß an zwischenmenschlicher Sympathie als auch die fachliche Kompetenz. Je nach Job überwiegt das Eine oder das Andere.

Bei einem Übersetzungsjob, in dem sowieso eine hohe Personalfluktuation herrscht, entscheidet meiner Meinung nach zu 95% die fachliche Kompetenz, zumindest nach den Infos die ich jetzt bei dir herausgelesen habe. Da gibt es theoretisch keine Zugewinne, wenn sich die Mitarbeiter untereinander gut verstehen, wenn es um Individualarbeit geht. Anders sieht die Sache eben bei extrem Teamintensiven Arbeiten aus, da könnte man dann Abstriche bei der Qualifikation eher verkraften, wenn die Teamdynamik verbessert würde.

Benutzeravatar

» Herr Lehmann » Beiträge: 558 » Talkpoints: 5,56 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Stehe selten auf der Seite wie du. Aber da ich im vorletzten Jahr oft auf der Bewerberseite saß, fand ich in solchen Fällen es ausgesprochen nett, wenn man mir ein persönliches und über das übliche BlahBlah hinausgehende Feedback gegeben hat. So wurde mir zweimal gesagt, dass ich zweite geworden bin. Einmal davon rief mich eine Mitentscheiderin an, mit der ich im Gespräch mich wirklich ausgesprochen gut verstanden habe und sagte mir das ganz ehrlich bedauern, dass sie und eine weitere Kollegin vom Gespräch von den drei anderen überstimmt worden wäre.

Bei einem dritten Job wurde mir gesagt, was genau mir für Fachkenntnisse fehlten und dass, wenn ich diese hätte, mich gerne nochmal bewerben kann, weil man das Gefühl hatte, dass es menschlich gepasst hat.

Vielleicht magst du ihr, sofern du in dieser Position bist, einfach nochmal eine Email schreiben mit einem Feedback und ihr alles Gute wünschen? Ansonsten sehe ich es auch wie die Vorposter, dass gerade wenn es sich um eine befristete Projekttätigkeit handelt einfach die direkt abrufbaren Fachkenntnisse mehr zählen. Im Idealfall passt es auch menschlich zu 90% oder mehr, aber man man ja nicht allerbeste Freunde werden in so einer Situation.

» MarciaBaila » Beiträge: 325 » Talkpoints: 0,58 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^