Wann eine Therapie beginnen?

vom 23.10.2009, 22:09 Uhr

In meinem Freundeskreis gibt es einige Menschen, vorwiegend Frauen, die bereits eine stationäre Psychotherapie hinter sich haben.

Eine hat eine Essstörung, zwei waren Borderliner und haben auch starkes Selbstverletztendes Verhalten gezeigt und eine weitere hatte Angstattacken. Ein weiterer Freund hat sich die gesamten Arme zerschnitten wegen starker Depressionen. Bei all diesen Freunden ist die Tatsache, dass sie psychisch krank sind, sehr offensichtlich gewesen durch die Narben und auch die auffälligen Angst- und Depressionszustände, so dass sie teilweise nicht mehr normal lebensfähig waren.

So kam es in all diesen Fällen, dass keine ambulante Therapie begonnen wurde, sondern gleich nach dem ersten Besuch beim Neurologen, Psychater oder Hausarzt, bei denen der Fall angesprochen wurde, die Überweisung in die Klinik nur noch Formsache war.

Nun habe ich eine weitere Freundin, die sich standhaft davor drückt, eine zweite Therapie zu machen (sie hat bereits eine hinter sich) oder zumindest jemanden zur Unterstützung aufzusuchen. Ihr Freundeskreis hat bei den sich immer wiederholenden Themen bereits aufgegeben und kann sie nicht mehr unterstützen, weil alle sofort genervt sind, wenn sie los legt. Sie ist grundsätzlich umgänglich, hat aber zickige und anstrengende Seiten, eine grunddepressive Persönlichkeit und neigt dazu, Dinge zu dramatisieren und sich mehr zu stressen, als nötig. Außerdem hat sie Fressanfälle mit denen sie Stress oder emotionale Probleme kompensiert, hungert danach aber wieder und hat dadurch ständige, heftige Gewichtsschwankungen, was sie noch dazu sehr belastet.

Jetzt hat sie mir gestanden, dass sie in manchen Situationen so überfordert ist, dass sie sich kratzt oder ritzt. Trotzdem hat sie gesagt, dass obwohl sie eine Therapie für eigentlich sinnvoll hält, sie gerade keine Zeit dafür hat und da auch alleine wieder raus kommt.

Was haltet ihr von dieser Aussage? Findet ihr es realistisch, dass jemand, der ritzt und eigentlich alles negativ sieht von allein wieder aus einem solchen Tief heraus kommt? Wie soll ich mich jetzt verhalten, sollte ich ihr die Therapie ans Herz legen? Einweisen darf man andere Menschen ja nur, wenn man denkt, dass für deren oder anderer Personen Leben eine Gefahr besteht, aber umbringen würde sie sich sicher nicht.

» Lassandra » Beiträge: 93 » Talkpoints: 0,14 »



Vorweg, es ist nicht Standard, das "auffällige" Patienten quasi standardmässig in eine Klinik eingewiesen werden. War bei dir vielleicht auch nur Zufall, oder deine Freunde haben dir vorher nicht gesagt, das sie schon mal in Behandlung waren oder gar selbst den Wunsch nach einem Klinikaufenthalt geäussert haben.

Dann frage ich mich, warum du dir Gedanken machst, ob du diese Freundin einweisen lassen kannst. Gibt es für dich da einen direkten Auslöser? Alleine Selbstverletzendes Verhalten und/ oder Suzidgedanken reichen da nicht aus.

Einweisen kann an sich erstmal nur ein Arzt. Ansonsten kann auch die Polizei eine Zwangseinweisung veranlassen. Aber es wird an sich erstmal gesehen, ob der Patient freiwillig bereit ist mit zu gehen. Und auch der Polizei reicht es nicht, das jemand über sein "sinnloses Leben philosophiert" und/ oder sich selbst verletzt. Da müssen schon Suizidankündigungen gefallen sein. Und auch dann ist eine Zwangseinweisung auch nicht immer der erste Schritt.

Zum Thema selbst daraus kommen. Meine grundsätzliche Ansicht als Betroffene ist, das man es schaffen kann, wenn das Umfeld stark genug ist. Allerdings weiss ich auch aus eigener Erfahrung, das es da ein enorm starkes Umfeld gibt und teilweise auch Kleinigkeiten, dieses Umfeld zum wanken bringen können.

Ich selbst habe als Teenager eine Psychotherapie gemacht, die ziemlich mies lief. Diese wurde dann auch nach der Mindestanzahl der damals von der Krankenkasse bewilligten Stunden durch die Therapeutin beendet und ich als quasi gesund entlassen. Diese Erfahrung war für mich so bitter, das ich jahrelang, jede Hilfe ablehnte. Ein starkes Umfeld gab es nie. Aber ich schaffte es, lange Zeit ein nach aussen hin tolles Leben zu führen.

Etwa zehn Jahre nach dem diese Therapie zu Ende war, lernte ich, das mein Leben halt nicht normal ist. Lernte, das man auch über seine Probleme sprechen kann. Da war ich schon Mitte 20. Und in den Jahren hat sich doch einiges aufgestaut.

Ich habe mit etwa 30 Jahre an sich festgestellt, das meine Freunde mit mir und meinen Problemen überfordert sind und ich Hilfe auf professioneller Basis brauche. Eben auch, weil ich das meinen Freunden nicht mehr zu muten wollte.

Den Schritt zu einer stationären Therapie bin ich erst mit 32 Jahren gegangen. War allerdings nur eine teilstationäre Behandlung. Auch hier im grossen und ganzen zum Schutz meiner Freunde. Denen konnte ich mich nicht mehr zu muten. Ergebnis: Diagnose Borderline.

Heute schwanke ich oft zwischen: Hätte ich das nie getan! und zwischen Warum habe ich nicht früher Hilfe gesucht- wäre ich dann heute "gesund"?

Ich kann an sich jedem nur raten, früh genug Hilfe aus dem professionellen Rahmen zu suchen. Ich bin heute noch nicht einfach und werde es auch nie sein. Ich schätze mal, das mein "professionelles Umfeld" zeitweise auch ziemlich an seine Grenzen stösst und sicherlich auch zeitweise mit mir ein wenig überfordert ist. Allerdings bin ich dann auch so weit, selbst zu sehen, ich brauche mehr. Und aus dem ambulanten Rahmen, der für alle zur Zerreisprobe wird, wird ein stationärer Rahmen.

Was aber ganz wichtig ist. Der Patient muss dazu bereit sein. Ich für meinen Teil ziehe es vor, freiwillig den Weg zu gehen und Einfluss nehmen zu können, als irgendwann auf einer geschlossenen Station zu landen.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge


Hallo LittleSister,
da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Die Freunde von denen ich sprach, haben selbst eine Therapie anfangen wollen und waren dann eben teilweise in solch einer Verfassung (Verfolgungswahn, schwerste Depression ohne jegliche Tages- oder Nachtstruktur, extremes Untergewicht, schwere Wunden durch SSV), dass sie sofort einen Klinikplatz bekamen und vom Arzt überwiesen wurden quasi. Sie waren selbst so fertig und verzweifelt, dass sie Hilfe gesucht haben und die ambulante Therapie nicht mehr ausreichte.

Bei meiner Freundin ist das Problem, dass ich Angst um sie habe und das Gefühl habe, dass sie es nicht allein schaffen wird von der Ritzerei und den tiefen depressiven Phasen ohne Antrieb und mit gesammelten Tränenausbrüchen runter zu kommen, sondern ebenfalls Hilfe braucht. Grundsätzlich schafft sie es aber nicht selbst, HIlfe zu suchen, bzw. findet immer wieder Gründe,es nicht anzugehen, obwohl sie schon mehrmals erwähnt hat, dass sie es eigentlich gut und sinnvoll fände und selbst auch der Meinung ist, dass sie Hilfe braucht. Das heißt, sie schwankt immer zwischen: "Ach, ich schaffe das alleine, ich wart noch etwas ab." und "Ich glaub ich brauche doch Hilfe..".

Im Endeffekt geht es mir darum, ob ich sie ermutigen soll, eine Therapie zu beginnen oder mich besser neutral verhalte und sie einfach so gut unterstüze wie es geht. Zudem frage ich mich auch, wann man überhaupt eine Therapie anfangen sollte, bzw. wann es Sinn macht und ob es Kriterien gibt ab denen eine Therapie als notwendig gesehen wird oder nicht.

» Lassandra » Beiträge: 93 » Talkpoints: 0,14 »



Zum Ritzen. Es gibt (oder gab) die These, das zwischen Selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität ein Zusammenhang gesehen wurde. Sprich man brachte die Selbstverletzungen in direkten Zusammenhang mit Suizidabsichten. Ich für meinen Teil, sehe das von einander unabhängig. Sprich vermehrte Selbstverletzung ist bei mir kein Anzeichen dafür, das ich konkrete Suzidabsichten habe. Und ich habe auch letzten irgendwo gelesen, das diese These überholt zu sein scheint. Was ich damit sagen will, Selbstverletzung ist sicher nicht schön. Für andere nicht nachvollziehbar. Und ich kann mir vorstellen, das es für Freunde auch schwer ist, damit zurecht zu kommen. Aber es ist oftmals halt nicht die Ansage: Ich möchte mich umbringen. Ich hoffe du verstehst was ich meine.

Zu deiner Freundin und ihrer Zerissenheit. Ich für meinen Teil hätte mir am Anfang meiner "Psychiatrielaufbahn" sehr gewünscht, das meine Freunde mich mehr oder anders unterstützt hätten. Ich wäre dankbar für jeden gewesen, der mich quasi an die Hand genommen hätte, um es ganz platt auszudrücken. Ich wäre dankbar für jeden gewesen, der mir geholfen hätte, einen Anfang zu finden. Sprich auch mal Begleitung zu einem Arzt oder Therapeuten. Oder sich einfach auch mal darum kümmern, das so Termine überhaupt zu stande kommen.

Ich war die letzten Jahre viel stationär im Krankenhaus. Die Besuche kann ich an zwei Händen abzählen. Und mir wären die schon wichtig gewesen. Wobei ich halt auch wenig Freunde habe die vor Ort wohnen. Aber auch meine Familie, die in der selben Stadt wohnen oder zumindest arbeiten, haben sich kaum blicken lassen. Meine Familie ist mir an sich böse, weil ich sie nicht über meine Erkrankung aufgeklärt habe. Das man selbst mal nachschlagen kann, darauf ist niemand gekommen. Eine Art Aufklärungsgespräch kam auf mein Drängen hin zwei drei zwei Jahre nach Diagnosestellung zu Stande und endete bitter für mich.

Ich würde mir heute noch manches Mal wünschen, man würde mir offener gegenüber treten. Ich habe eine Freundin, die mir auch mal offen sagt, du was ist los? Was bezweckst du an sich mit deinen Worten? und so weiter. Meine Hauptbezugspunkte liegen heute im professionellen Rahmen. Und es gibt Menschen mit denen ich Kontakt habe, aber die meisten sind selbst psychisch krank.

Sage deiner Freundin offen was du denkst. Das du dir Sorgen machst. Das du ihr helfen möchtest ( aber nur wenn du das auch wirklich willst!). Frag sie, ob du sie zu Ärzten etc. begleiten sollst. Helfe ihr Termine zu machen. Gerade die Therapeutensuche gestaltet sich in der Regel als sehr schwierig. Hier wartet man locker sechs bis zwölf Monate auf einen Therapieplatz.

Wenn sie noch nicht in Behandlung ist und einen Psychiater sucht. Ich habe Jahre darum gekämpft, an eine sogenannte Psychiatrische Institutsambulanz angebunden zu werden. Dort erfolgt die Versorgung durch einen Psychiater. Ich finde so eine Institutsambulanz bietet einiges an Vorteilen. Im Falle des Falles, kann man recht schnell stationär untergebracht werden. Die Institutsambulanzen sind in der Regel an eine Psychiatrie angebunden. Das Behandlungsteam auf Station hat dann auch meistens schon mal einen groben Überblick. Ausserdem bieten Institutsambulanzen mehr Behandlungsmöglichkeiten. Hier kann man, wenn man an die Ambulanz abgebunden ist, auch zur Ergotherapie, Chi- Quong, Walking und was weiss ich noch für Therapien gehen. Ausserdem kann man auch die Dienste des Sozialdienstes in Anspruch nehmen. Ist meistens dann sinnvoll, wenn es Ärger mit dem Arbeitgeber oder Ämtern gibt. Es können Sachen wie Rentenanträge, Anträge für Rehamassnahmen etc. dort geklärt werden. Manche Institutsambulanzen bieten auch ambulante Therapieplätze an. Und die Verschreibung von Medikamenten ist meistens auch einfacher, weil das Budget der Institutsambulanzen höher ist, als das eines niedergelassenen Psychiaters.

Allerdings nehme die meisten Institutsambulanzen nur Patienten, die halt keinen niedergelassenen Nervenarzt haben.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Suizid ist ja eine ziemlich erweiterte Form der Selbstverletzung, aber es muss nicht beides auftreten. Viele Selbstmörder haben sich vorher nie selbst verletzt und viele mit selbstverletzendem Verhalten würden nicht mal daran denken, sich umzubringen. Trotzdem sollte es behandelt werden. Das ist nunmal keine Krankheit, bei der man sagen kann "Wird von alleine irgendwann besser." Denn das wird es in den allermeisten Fällen nicht.

Ein Therapeut sucht nach den Ursachen und Gründen für das selbstverletzende verhalten und arbeitet sie mit der Patientin zusammen auf. Das kann sie alleine kaum, schon gar nicht, wenn ihr nicht bewusst ist, warum sie sich selbst verletzt. Sie wird zwar schon von alleine wissen, dass das, was sie da macht, nicht richtig ist. Aber ihr fehlt dann einfach was, um dieses Verhalten sein zu lassen. Und da muss die Therapie ansetzen. Damit sie nicht nur lernt, anders mit Stresssituationen umzugehen, sondern eben auch dahinter kommt, welche tieferen Ursachen und Auslöser es bei ihr gibt.

Ein starkes Umfeld ist ganz sicher hilfreich und sehr wichtig. Trotzdem solltest Du ihr zur Therapie raten. Denn vielleicht hat sie zwar wirklich alleine so einen starken Willen, dass sie das Ritzen für eine Zeitlang sein lässt. Aber damit ist die Ursache davon ja trotzdem noch nicht beseitigt. Und das keine Zeit-Argument klingt doch sehr nach Ausrede. Wenn sie eine ambulante Therapie machen kann, dann sind das nur wenige Stunden pro Woche. Die sollte sie in ihrem eigenen Interesse schon investieren.

» Morgaine » Beiträge: 2701 » Talkpoints: 9,09 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Auf der einen Seite scheint sie ja auf jeden Fall zu wollen, dass sich jemand um sie kümmert und wenn ihre Familie das nicht tut, scheinst du die erste Anlaufstelle zu sein. Desweiteren erzählt sie dir auch alles, bzw. ist es für dich auch offensichtlich.

Ich denke, dass du ihr sagen solltest, dass du sie unterstützt (falls du natürlich dazu bereit bist), aber da muss sie auch ihren Teil dazu beitragen. Nur rumheulen ist nicht. Wenn sie was ändern will, dann mit professioneller Hilfe, denn du als Laie kannst da nicht viel ausrichten. Das würde dich am Ende vielleicht nur auch mitnehmen und belasten.

Man muss nicht immer gleich eine Therapie im Krankenhaus machen, aber ein Besuch beim Psychologen / Psychater würde ihr mit Sicherheit etwas bringen und das solltest du ihr auch nahe legen. Natürlich muss sie wirklich bereit sein dafür, denn sonst bringt es nicht. Du sollst sie dazu nicht zwingen, sondern sie "auf den richtigen Weg" führen.

Wir können natürlich nicht einschätzen, wie schlimm es bei deiner Freundin ist, dass musst du einschätzen können und wenn dir was an ihr liegt uns es wirklich schlimm ist, dann solltest du schon etwas unternehmen.

Benutzeravatar

» winny2311 » Beiträge: 15159 » Talkpoints: 4,91 » Auszeichnung für 15000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^