Gymnasiumszugang als Glücksspiel?

vom 09.06.2009, 19:30 Uhr

Ich habe in der Zeitung gelesen dass in Berlin ab dem Schuljahr 2010/2011 die Zugangsvoraussetzungen zu den Gymnasien geändert wird um auch den Schülern eine höhere Schulbildung zu ermöglichen die nicht unbedingt zu den Besten der Besten gehören. Soweit so gut, an sich sicherlich ein löbliches Unterfangen. Allerdings empfinde ich die geplante Umsetzung als absoluten Witz. Es werden nämlich nicht mehr Gymnasien gebildet und die erforderlichen Lehrer dafür fit gemacht um allen Wünschen dieser Art nachzukommen sondern beim Zugang zählt dort zukünftig in allererster Linie das Glück und nicht die Leistung.

Bei besonders begehrten Gymnasien wo die Nachfrage nach Plätzen das Angebot übersteigt, also praktisch immer, sollen bis zu fünfzig Prozent der Plätze durch das Losverfahren vergeben werden. Hält jetzt das Glückspiel Einzug in Deutschlands Schulen? Was sagen wohl die Schüler dazu die sich in der Schule jahrelang mehr als andere angestrengt haben um gute Noten zubekommen um vielleicht mal einen erweiterten Schulabschluss zu bekommen und beim geplanten Losverfahren eine Niete ziehen? Das ist für mich unbegreiflich dass so ein Unsinn zugelassen wird. Ich nehme mal an dass es der Motivation der Schüler und auch der Eltern nicht gerade förderlich ist. In meinen Augen ist das absolute Willkühr und pädagogisch absolut nicht zu erklären. Im Umkehrschluss werden für die gymnasiale Ausbildung befähigte Kinder genötigt in der Sekundarschule zu bleiben, ob sie wollen oder nicht. Im Gegenzug sind garantiert jede Menge Misserfolge für die zugelosten Schüler vorprogrammiert.

Mein Sohn besucht ein Gymnasium und die Leistungsbreite in seiner Klasse ist trotz erfolgtem Auswahlverfahren sehr breit gestreut. Trotz aller Vielfalt in den Leistungen und im Lernwillen hat sich aber im Laufe der Jahre abgezeichnet dass die damaligen Wackelkandidaten auch heute nicht zu den Leistungsstärksten gehören und die meisten nach einer Reihe von demütigenden Misserfolgen inzwischen das Handtuch wieder geworfen haben und in eine normale Schule zurückgewechselt sind. Dagegen habe ich noch nicht erlebt dass ein Schüler von einer normalen Schule nach der üblichen Wechselstufe sich in einem Gymnasium anmeldete. Ich denke mal dass es in anderen Schulen genauso aussieht.

Was haltet ihr von den Plänen, total realitätsfern oder gerecht? Sind wirklich nur in der Lostrommel die Chancen für einen Gymnasialzugang gleich? Sollten Gymnasialplätze nicht eigentlich nach rationalen Kriterien vergeben werden? Was meint ihr, stimmt ihr im Grundsatz zu oder haltet ihr nur die fünfzig Prozent für übertrieben? Gruß Hooker

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich habe den Artikel in der Zeitung zwar nicht gelesen, aber ich gehe mal davon aus, dass damit gemeint ist, dass unter einer großen Anzahl an Kandidaten, die alle gewisse Kriterien erfüllen, dann ausgelost wird. Also dass schon vorher eine Auswahl getroffen wird. Leider ist es ja so, dass an den sogenannten Elitegymnasien (und ich war selber auf so einer Schule in Berlin, ich weiß, wie das Auswahlverfahren funktioniert) teilweise nicht mal genug Plätze für all die Schüler gibt, die leistungsmäßig schon die richtigen Qualifikationen mitbringen.

Darum wird meistens zusätzlich zu den Zeugnisnoten nach einem Vorstellungsgespräch mit dem Direktor entschieden, ob man auf einer Schule angenommen wird oder nicht. Und das ist auch kein so tolles System. Da wird dann auf Offenheit und ähnliche Fähigkeiten geachtet, was bei einem Kind in dem Alter ja nicht wirklich immer sehr aussagekräftig ist. Die Kinder stehen da unmittelbar vor der Pubertät und ein bis zwei Jahre später kann das gesamte Sozialverhalten ganz anders aussehen.

Außerdem beurteilt in dem Fall ja auch nur der Direktor, wer geeignet ist und wer nicht. Sicher ist jemand in diese Position darauf geschult, gute Kandidaten auszuwählen, dennoch ist es eine subjektive Entscheidung, die vielleicht ein anderer Lehrer ganz anders treffen würde. Da ist es vielleicht gar nicht so falsch, einen Teil der Plätze unter einigen guten Kandidaten zu verlosen, damit auch Schüler eine Chance haben, die dem Direktor vielleicht nicht auf den ersten Blick sympathisch sind.

Sollte das System tatsächlich so sein, wie du es hier interpretiert hast, finde ich das allerdings auch ungerecht. Wenn vollkommen willkürlich unter "allen, die wollen" ausgelost wird, macht das natürlich keinen Sinn. Erstens ist es eben wie gesagt ungerecht gegenüber den Schülern, die sich Mühe geben und gut sind, und zweitens hat ja auch niemand was davon, wenn lauter Kinder auf dem Gymnasium sitzen, für die das Niveau viel zu hoch ist. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass es so gedacht ist, man muss sich da bestimmt trotzdem auch für das Losverfahren qualifizieren.

» channale » Beiträge: 1371 » Talkpoints: 37,37 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Hallo zusammen,

entsprechender Artikel aus der Zeitung wäre wirklich interessant. Schau doch bitte mal nach, ob es den unter Umständen auf der Homepage deiner Zeitung gibt.

Das Losverfahren ist natürlich nicht geeignet, wenn dafür die Zugangsvoraussetzungen gelockert werden oder gar abgeschafft werden. Ich kann mir das aber, ehrlich gesagt, nicht vorstellen. Die Anforderungen am Gymnasium sind mit der verpflichteten Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre (ich nehmen einfach mal an, dass das auch für Berlin gilt) ja schließlich gestiegen und viele haben schon größte Probleme mitzukommen. Warum sollte man ein Kind auf das Gymnasium schicken, wenn es nicht die entsprechenden Leistungen bringen kann?

Eine möglich eAntwort ist mir im Eröffnungspost aufgefallen. Es ist der Begriff "normale Schule" gefallen. Ich denke in letzter Zeit ist ein inflationärer Umgang mit den verschiedenen Bildungswegen in Gang gekommen. Für viele Eltern ist ein Haupt- oder Realschulabschluss nichts mehr wert, es muss um jeden Preis das Abitur sein. Das Kind muss sich halt mehr anstrengen, das wird dann schon... Leider ist das meistens nicht so und dann bleibt nur das Gefühl versagt zu haben und der Wechsel auf eine andere Schulform. Viele vergessen dabei, dass egal welcher Abschluss keine Sackgasse ist. Man kann immer weiter machen und einen höheren Abschluss erreichen. Manche gehen lieber den kürzesten, aber dafür eben auch steileren Weg und anderem nehmen lieber einen kleinen Umweg in Kauf. Besser so als Abzustürtzen.

Man muss hier klar die Eltern aufklären und darauf einwirken sinnvolle Entscheidungen zu treffen und nicht einfach den Rufen nach Abitur für alle folgen und dabei die Kinder auf der Strecke zu lassen.

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» NeoUser » Beiträge: 311 » Talkpoints: 8,49 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Hallo, die entsprechenden Informationen hatte ich aus der Wirtschaftswoche und auch aus einigen Tageszeitungen. Wer will kann doch einmal googeln " Losverfahren Berlin Gymnasium " da werden etliche Artikel aufgelistet. Ich bin aber nicht unbedingt in allen Einzelheiten auf dem neuesten Stand, die Umsetzung ist aber tatsächlich so geplant wie ich es verstanden hatte.

Gleich beim derzeitigen ersten Treffer von Google wird es in dem nachfolgenden Text im Prinzip so bestätigt. Die Schulen sind verpflichtet die Schüler bei sich aufzunehmen die es wünschen. Wenn es mehr sind als es die Kapazität erlaubt muss der Direktor des Gymnasiums die Hälfte der freien Plätze durch die Lostrommel ermitteln. Es wird sogar gefordert dass die Schüler die offensichtlich nicht das Niveau des Gymnasiums erreichen erst nach einem Probejahr wieder in ihre alte Schule zurückgeschickt werden können.

Dazu fällt mir einfach nichts mehr ein. Die Gymnasien haben also für mindestens ein Jahr die etwas schwächeren Schüler an der Backe und können sie nicht loswerden während leistungsstärkeren Schülern der Platz blockiert wird. Und wer vielleicht nach einem Jahr aufs Gymnasium nachrücken kann hat es dann besonders schwer.

Ich konstruiere mal ein besonders bösartiges Beispiel. Ein absoluter Looser und Störenfried mit miesen Noten könnte doch mit seinen ebenfalls nicht geeigneten Kumpeln auf die Idee kommen sich in einem Gymnasium einzuschreiben weil es besonders cool ist sich mit den Lehrern und Schülern anzulegen und so ein Gymnasium aufzumischen. Per Losverfahren ist alles möglich

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



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