Genderqueer, nicht Mann und nicht Frau sein wollen
Als "genderqueer" können sich Menschen bezeichnen, die sich nicht in die binäre Geschlechterauffassung, die in unserer Gesellschaft als "normal" gilt, einfügen möchten. Das bedeutet also, dass diese Menschen sich nicht als Mann oder Frau identifizieren möchten, sondern einen Anspruch darauf stellen, als "Mischung" aus beidem oder auch als ungeschlechtlich gelten zu dürfen. Dabei ist es unerheblich, ob sie gebürtig und biologisch einem eindeutigen Geschlecht zuzuordnen sind oder ob sie intersexuell oder asexuell (im Sinne von ungeschlechtlich) geboren wurden. Einige genderqueere Menschen haben das Bedürfnis, auch optisch ungeschlechtlich oder mischgeschlechtlich auf andere Menschen zu wirken. Einige aber legen auf Äußerlichkeiten auch keinen Wert oder aber sind auch zufrieden, wenn sie äußerlich wie ein "typischer" Mann oder eine "typische" Frau aussehen. In erster Linie ist das Selbstempfinden als "genderqueer" eine innere Einstellung.
Diese Auffassung, weder "richtig" Mann noch "richtig" Frau sein zu wollen, kann sich allgemein betrachtet auf biologische, körperliche Faktoren, aber auch auf gesellschaftliche Faktoren beziehen. Das betrifft in erster Linie so genannte Geschlechterrollen, also Konventionen einer Gesellschaft, wie Männer und wie Frauen sich jeweils zu benehmen hätten, um als "normal" zu gelten. Auf die sexuelle Präferenz hat das Empfinden, genderqueer zu sein, nicht unbedingt Auswirkungen. Ein genderqueerer Mensch kann sowohl homosexuell als auch heterosexuell sein, sowohl bisexuell als auch asexuell, und natürlich könnte sie sich auch als pansexuell bezeichnen. Das würde bedeuten, dass sie sich zu einem Menschen völlig unabhängig von seinem Geschlecht beziehungsweise seiner Geschlechtsidentität, wie auch immer diese auch geartet seien, hingezogen fühlen kann.
Natürlich muss man sich nicht unbedingt keinem oder mehreren Geschlechtern gleichzeitig zuordnen, um aus bestehenden Geschlechterrollen auszubrechen. Das geht natürlich auch, wenn man sich weiterhin allein biologisch als Mann oder Frau betrachtet und bezeichnet. Aber einige Menschen halten es für wichtig, sich selbst auch öffentlich als Ausbrecher aus dem binären Geschlechtersystem, das nur Mann oder nur Frau kennt, zu kennzeichnen. Natürlich ist es jedem selbst überlassen, was er tut und ich bin der Meinung, dass das außer diesem Menschen selbst niemandem etwas angeht und ihm daher keiner in seine Entscheidung hinein zu reden hat. Aber dennoch würde ich gerne mal erfahren, wie ihr hier zu diesem Thema steht.
Ist es nötig, dass alle Menschen in Mann und Frau aufgeteilt werden? Haltet ihr es für krank, wenn Menschen sich diesem System aus persönlicher Überzeugung (was durchaus auch einfach nur auf einem inneren Gefühl basieren kann) widersetzen und sich selbst als etwas Anderes sehen?
Aus biologischer Sicht ist es sicherlich notwendig sich als Mann oder Frau zu definieren. Diese Definition ermöglicht es uns, unserem Urinstinkt zu folgen: der Fortpflanzung. Da macht die Einteilung in weiblich und männlich schon Sinn, denn ohne diese Orientierung wäre die Fortpflanzung ein extrem schwieriges und von Irrtümern übersätes Gebiet.
Natürlich liegt heutzutage die Fortpflanzung und das Weiterführen einer Familienlinie nicht mehr im Fokus. Früher wurde das als viel wichtiger empfunden und daher war auch die geschlechterspezifische Rollenverteilung viel strikter und wichtiger als heute.
Wir leben in einer Zeit, in der jeder alles machen kann, wir sind emanzipiert und typische Rollenbilder gibt es so eigentlich nicht mehr. Auch die Lebensziele haben sich verändert. Das Gründen einer Familie steht schon lange nicht mehr im Fokus und Karriere etc. sind weitaus erstrebenswerter geworden.
Ich denke diese Veränderungen sieht man auch in den Bildern der Geschlechter. Keiner verlangt mehr, sich definitiv zu einem Geschlecht zu bekennen. Es ist auch nicht mehr notwendig. Man richtet sein Leben hedonistisch aus, will also Spaß haben und sich selbst so definieren wie man will. Und da man -wie erwähnt- nicht darauf ausgerichtet ist, seine Art zu erhalten bzw. man nicht bestimmten Stereotypen genügen muss, steht man nicht unter dem Zwang, sich solchen Rollen anzupassen.
Ich glaube, man hat sich einfach befreit von dem Zwang, in ein geschlechtsspezifisches Bild passen zu müssen. Es stört sich niemand mehr an dem Außergewöhnlichen oder an dem, was in manchen Augen von der Norm abweicht. Es gehört zu unserer Vielfalt der Gesellschaft dazu und solange die betreffende Person damit zufrieden ist, ist alles ok.
Ich persönlich bin schon oftmals Menschen begegnet, bei denen ich anhand der Kleidung oder der Aussehens nicht sofort sagen konnte, ob ich es mit einer Frau oder einem Mann zu tun hatte. Und eigentlich macht mir das auch gar nichts aus, weil das ja nichts über die Person und deren Charakter aussagt. Das einzige Problem das ich dann habe, ist die Frage ob ich sie/ihn als Mann oder Frau ansprechen soll. Aber das klärt sich meist rasch nach einem kurzen Gespräch.
Es gibt aber auch biologisch Menschen, die schon asexuell oder intersexuell geboren werden! Die werden in Deutschland übrigens gezwungen, sich so operieren zu lassen, dass sie einem Geschlecht entsprechen, also geschlechtlich zumindest äußerlich entweder Mann oder Frau sind. Das finde ich grauenvoll, denn ob diese Menschen sich überhaupt operieren lassen möchten, fragt man sie erst gar nicht. Demnach gibt es aber auch biologisch gesehen nicht unbedingt immer nur zwei Geschlechter. Aber um zum eigentlichen Thema zu kommen:
Ich finde, es gibt heute sehr wohl noch sehr strenge Rollenvorstellungen von dem, was Mann und was Frau zu tun und zu empfinden hätten. Vom Handeln gar nicht erst zu sprechen. Du kennst doch sicherlich all diese "Ratgeber"-Bücher wie "Warum Frauen schlecht einparken können und Männer das Einkaufen hassen" oder wie so etwas immer heißt. Solche Bücher, in denen man Klischees pflegt und alle Menschen nach ihrem Geschlecht in Schubladen wirft, die dann einige Menschen traurigerweise auch noch glauben. So entstehen Bilder, wie "die Frau" und "der Mann" auszusehen haben und alles andere gilt als unnormal, sogar als "krank".
Ich bin in meinem Leben schon so oft von Menschen aller Altersgruppen und aller Geschlechter, egal, ob sie mich kannten, oder nicht, dafür stigmatisiert worden, dass ich mich (als gebürtige biologische Frau) so "unweiblich" benehme! Sogar von meiner Mutter habe ich schon zu hören bekommen: "Benimm dich doch bitte mehr wie ein Mädchen!". Und es fängt doch schon dabei an, dass manche Eltern sich Sorgen machen, ihr kleiner Sohn könne schwul werden, nur, weil er gerne mit Puppen spielt. Eltern, deren kleine Tochter Puppen nicht leiden kann, sondern lieber mit Autos spielt, fragen in Internetforen besorgt nach, ob mit ihrem Kind "alles in Ordnung" sei. Das habe ich alles schon mitbekommen, da kann man doch nicht sagen, es gäbe keine Vorstellungen mehr von Geschlechterrollen und Rollenverhalten. Schön wäre es aber, wenn es so wäre.
Weiter geht es dann in der Schule, wo man von Menschen desselben gebürtigen Geschlechts ausgegrenzt wird, weil man zum Beispiel nicht "wie alle Mädchen" mit Puppen spielen will. Und die Jungen, die Mädchen in dem Alter sowieso "doof" finden, wollen dann mit einem als gebürtigem Mädchen auch nichts zutun haben. Dann heißt es vielleicht sogar von denen auch noch: "Ih! Du bist ja gar kein richtiges Mädchen!". Das Rollendenken ist weit verwurzelt und viele Kinder werden von klein auf schon danach erzogen. Es ist fest in den Köpfen vieler Menschen drin und wird von Generation und Generation weitergegeben.
Und in manchen Berufen gelten Frauen immer noch als "Sonderfall" und dann gibt es "Frauenberufe", wo man Männer als seltsam empfindet. Männliche Krankenpfleger sind beispielsweise oft "Krankenschwester"-Witzen ausgesetzt. Und wenn eine Frau sich für Fußball interessiert, wird sie von einigen Menschen als "Kampflesbe" beschimpft, als würde dieses Interesse ihre Weiblichkeit vermindern und anderen das Recht geben, sie dafür zu verspotten. Dasselbe gilt für Frauen, die sich aus Überzeugung nicht schminken.
Und wenn hier bei Talkteria eine Diskussion auftaucht, ob Männer sich schminken dürften, dann gibt es auch gleich Assoziationen wie "Männer, die sich schminken, sind schwul" oder dass solche Männer unmännlich, krank, pervers, sexuell gestört, und so weiter, seien. Dasselbe passiert, wenn es um Männer geht, die Röcke tragen. Da klammert man vielleicht noch "die Schotten" aus, aber alle anderen männlichen Rockträger werden gleich in die Transvestiten-Ecke geworfen und gelten als verweichlicht.
Von daher würde ich leider nicht meinen, dass heute wirklich alles so emanzipiert und frei ist, wie es wünschenswert wäre. Man tut gern tolerant, aber dann zeigt sich doch das wahre Gesicht. Oder es wird einfach hinter dem Rücken oder im stillen Kämmerlein getuschelt, weil man sich als pseudo-tolerante Person nicht traut, seine nun wirklich gar nicht toleranten Gedanken öffentlich auszusprechen.
Du hast recht, da muss ich dir doch zustimmen. Ich habe bei meiner Antwort lediglich den Unterschied von früher zu heute in Erinnerung gehabt, also genauer gesagt die strikten Regelungen im frühen 18.Jahrhundert. Und eben unsere heutige Zeit im Vergleich dazu.
Da hat sich glücklicherweise ja einiges getan. Optimal ist es noch lange nicht, die Probleme hast du angesprochen. Und da stimme ich dir zu, vor allem in Kindergärten und Schulen sind geschlechtsspezifische Rollen noch sehr wichtig und sobald man sich nicht normkonform verhält, hat man mit schlimmen Folgen zu rechnen. Einerseits natürlich der Tadel der Lehrer, andererseits der Spott der Mitschüler.
Und ich habe auch im Zuge einiger Reportagen von Menschen gehört, die ohne eindeutiges Geschlecht geboren wurden. Aber wegen der ganzen bürokratischen Schwierigkeiten muss man sich dann für ein Geschlecht entscheiden und diese Entscheidungen haben oftmals dramatische Auswirkung für das kommende Leben dieses Menschen.
Ich glaube in solchen Fällen sollte einfach die Zeit zeigen, welches Geschlecht das vorherrschende ist. Denn die Probleme und Konflikte, die sich für solche operierten Geschlechtstypen ergaben, waren erschreckend. Wobei ich ehrlich gesagt auch nicht weiß, ob es weniger Konflikte gibt, wenn man das Kind einfach als "Zwitter" aufwachsen lässt. Die Selbstfindung in der Pubertät wäre wohl gleichermaßen schauerlich und verwirrend.
Dennoch glaube und hoffe ich, dass man allerspätestens ab 18 die Möglichkeit hat, frei von elterlichen oder anderen Einflüssen, zu entscheiden, was für ein Geschlecht in einem wächst und lebt. Du hast recht wenn du sagst, dass wir immer noch stark an Rollenbildern hängen und das es leider nach wie vor Berufe gibt, die als unweiblich oder unmännlich gelten. Und jeder, der es wagt in diese Gebiete einzudrängen, wird erstmals schief beäugt und als seltsam abgestempelt. Ich hege trotzdem die Hoffnung, dass man sich letzten Endes über seine Leistung, seinen Charakter, seine Professionalität definiert. Und das sind Eigenschaften die geschlechtsunabhängig sind.
Und ich glaube, dass es auch abhängig vom Wohnort und seinem Umfeld ist, wie sehr es einem gestattet ist, aus der "Norm" zu fallen. In Großstädten denke ich schon, dass man bereits aufgeschlossener ist. In kleinen Gemeinden auf dem Land, so wie das bei uns hier ist, wäre eine geschlechtlich nicht eindeutig definierbare Person ein Skandal. Leider muss man sagen.
Wahrscheinlich spielt bei meiner Antwort auch viel Wunschdenken mit und ein großer Glaube an die Objektivität und Vorurteilslosigkeit der Menschen. Ich selbst habe dieses Problem nicht, ich bin gern 'Frau' und leider wenig technisch begabt oder ähnliches, so dass ich auch wenig "unweibliches" Verhalten an den Tag lege. Ich hoffe daher einfach nur, dass wir schon so weit sind, dass man sich entscheiden kann, als welches Geschlecht man sich definiert, ohne Angst haben zu müssen, ausgegrenzt zu werden.
Ja, du hast Recht, vor einigen Jahrhunderten waren die Rollenbilder natürlich noch viel strenger, als heute. Ich frage mich hierbei, ob mittlerweile nicht vielleicht der "Endpunkt" erreicht wurde, oder ob die Menschen mit der Zeit tatsächlich noch toleranter werden? Bei einigen Bereichen glaube ich leider kaum, dass es mit der Toleranz weitergeht. Eine "Rest-Feindlichkeit" wird wohl vorhanden bleiben. Das merkt man beispielsweise auch gut bei der Homosexualität. Vor einigen Jahrzehnten erschreckenderweise noch verboten, heute erlaubt, aber viele Menschen haben dennoch etwas gegen Homosexuelle. Unter Jugendlichen ist "schwul" ein immer häufiger vertretenes Schimpfwort geworden. Vielleicht gibt es gar wieder eine Rückentwicklung zu mehr Intoleranz? Könnte das vielleicht auch in anderen Bereichen, wie der Geschlechtsidentifikation und dem Rollendenken, vorkommen?
Ich denke übrigens, dass Intersexuelle, also Zwitter, nicht unter ihrem Geschlecht leiden würden, würde man sie einfach nicht umoperieren. Das, was sie zum Leiden bringt, ist ja nicht ihr Körper an sich, sondern die Reaktion der Mitmenschen darauf. Der Körper an sich kann nichts dafür, dass er als unnormal oder krank abgelehnt wird. Es sind die gesellschaftlichen Normen und Konventionen, die Spott und Angriffe gegenüber "Unnormalen" provozieren, also ist das das, was "unnormale" Menschen erst an ihrer Unnormalität leiden lässt.
Was das Umfeld betrifft, denke ich, wird die angebliche Toleranz der (Groß)Stadt leider oft überbewertet. Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen und lebe auch noch heute hier. Ich habe hier an den Schulen, an denen ich war, durch meine "Andersartigkeit" dieselbe Intoleranz erfahren, wie sie wohl auch im kleinsten Dörfchen vorgekommen wäre. Ein Mensch, der sich den Geschlechterrollen nicht anpasst, wird auch hier leider von vielen Menschen nicht akzeptiert.
Es gibt erfahrungsgemäß "sogar" Dörfer, in denen hat man weniger Probleme. Vielleicht trauen sich die Leute bloß aus Mangel an Dreistigkeit und weil sie nicht auffallen wollen, dort einfach nicht, einen direkt anzupöbeln, sondern tuscheln nur heimlich. Das kann natürlich auch sein. Aber zumindest in Großstädten wird man leider auch oft wegen seiner Abweichungen von der Norm, egal, ob man nun genderqueer ist, sich anders kleidet, als die Massen, dicker ist, als die Norm, oder was auch immer es für eine Abweichung ist, direkt verbal oder sogar körperlich angegriffen. Das mag ich an der Stadt gar nicht. Vielleicht ist die Anwendung von Gewalt hier einfach nicht so sehr tabuisiert.
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