Bücher & Autoren: Stil und Inhalt

vom 09.09.2008, 16:35 Uhr

Hallo an alle,
Ich ertappe mich sehr häufig dabei, alle Anzeichen eines echten Stilfetischisten zu zeigen: Ich verzeihe einem Autoren während des Lesens einen hübsch verpackten miesen Inhalt viel leichter, als eine vielleicht kluge wendungsreiche Handlung, die aber banal und unraffiniert geschildert wird. Geht es euch auch so? Könnt ihr auch stundenlanges Geschwafel ertragen, solange es nur nach allen Regeln der Kunst ausformuliert ist? Oder treibt euch poetisch verziertes Gelaber regelmäßig die Tränen in die Augen oder lässt sie euch zufallen?

Bestes Beispiel ist mir Thomas Mann. Derzeit bin ich mit seinem Zauberberg zugange, einem Werk, in dem objektiv betrachtet für so viel Erzählmasse erheblich zu wenig passiert. Die Handlung kann man wirklich dürr und dürftig nennen. Wie das Ganze allerdings im Einzelnen ausgeführt ist, lässt mich immer wieder dranbleiben und entschädigt mich für alle öden Passagen, aus denen eigentlich das ganze Buch besteht, wenn man mal ehrlich ist. Ich genieße die sprachliche Präzision, mit der Mann seine Ideen ausdrückt, die geschliffene Bauform seiner Sätze und freue mich darüber, viele ältere deutsche Wörter und Wendungen anzutreffen, die heute schon sehr verschüttet und inzwischen zu Unrecht eher unbekannt sind. Diese Gründe allein machen das Buch für mich zu einem Guten. Bin ich da etwas einseitig bei der Beurteilung?

Geht es euch auch so, dass ihr Schriftstellern das eine, das zurücksteht, verzeiht, weil sie das andere so verdammt gut beherrschen? Und kennt ihr Beispiele für Autoren, die eurer Ansicht nach stilistisch nicht die Fähigsten sind, aber durch ihre inhaltliche Brillanz wieder alles rausreißen. Oder eben umgekehrt?
Nette Grüße!

» Schnibbeldiwapp » Beiträge: 262 » Talkpoints: 35,07 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Hi zusammen,

also ich finde es sollte eine gesunde Mischung aus Beidem sein. Ich habe nichts von poetischem Gesülze ohne Inhalt, aber es muss auch nicht gerade die Form eines Groschenromans sein. Michael Ende zum Beispiel hat gleichzeitig eine Wunderbare Sprache wie aber auch geniale Inhalte.

Nehmen wir mal den kleinen Hobbit. Dort wird über Seiten hinweg in allen Formen der Kunst die Landschaft beschrieben. Soetwas ödet mich, um ehrlich zu sein, tierisch an. Eine Seite hätte es vielleicht auch getan, und dafür mehr Handlung. Ich kann mir auch Berge vorstellen, ohne dass der Autor dermaßen ins Detail geht. Ähnlich war es bei Umberto Ecco, der im Namen der Rose auch nicht müde wurde, die Kirche, oder besser gesagt das Kloster zu beschreiben, insgesammt aller dort hängenden Gemälde. Da ich aus Angst etwas zu wichtiges zu verpassen sehr ungern quer lese, war ich also gezwungen, jedes Wort dieser Beschreibungen in mich auf zu nehmen. - Da lese ich dann doch lieber trivialliteratur, die sprachlich nicht ganz so erhaben ist, wo aber der Inhalt stimmt. Trotzdem ist wie gesagt ein gesunder Mittelweg eigentlich die beste Variante.

Und um auf die Frage zurück zu kommen. Ich verzeihe eher einem spannenden Inhalt als einer blumenreichen Sprache.

Harry Potter ist ja jetzt auch nicht gerade die sprachlige Eleganz schlecht hin, und auch nicht alle Szenen können glänzen. Zum Beispiel sind gerade die Kämpfe nicht sehr gut beschrieben. Man merkt, dass dies nicht zu Mrs. Rowlings besten Qaulitäten gehört, Kampfszenen zu schreiben. Trotzdem sind die Bücher Inhaltlich dermaßen gut durchdacht und spannend erzählt, dass ich ihr den Stil gerne verzeihe.

Ich lese sogar gerne Fanfiction, wenn der Inhalt spannend ist - und Fans mit guten Ideen müssen nicht unbedingt auch Asse in Deutsch sein. Natürlich sollten in Texten nicht dauernd Rechtschreib- oder Grammatikfehler stecken, aber der Stil ist für mich das Wichtigste. Aber jedem das seine. Wäre ja schlimm, wenn alle Menschen gleich wären.

Wo das Beispiel Thomas Mann gefallen ist. Für die Uni mussten wir seine Novelle "die Betrogene" lesen und es war für mich so ziemlich das Langweiligste, was ich je gelesen habe. Natürlich ist das Thema für einen jungen Mann, ich glaub ich war da 22, nicht unbedingt das passendste, aber ich fand es weder spannend, noch vom Stil her so besonders.

Gruß Endy

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» Endymion » Beiträge: 1015 » Talkpoints: 21,43 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Wenn der Inhalt nicht stimmt - ganz schlecht und richtig schlimm. Da kann der Stil atemberaubend gut sein, wenn der Stoff sich nicht von alleine trägt geht es einfach gar nicht. Stimmiger Inhalt ist daher eine wichtige Grundanforderung, die die wenigsten Autoren in meinem Bild schaffen: Es ist unglaublich wie schwer es ist, einen vernünftigen Spannungsbogen auf einem gewissem Niveau zu etablieren - das merkt man meist immer dann, wenn man mal gegen sein Bauchgefühl bei Empfehlungen zuschlägt oder "Blindkäufe" wagt. Ich weiß gar nicht wieviele Bücher bei mir noch in Umzugkisten lagern, die ich mich weder getraue auszupacken noch zu verschenken da sie so unglaublich schlecht sind.

Stil, Stil ist sehr wichtig. Der Inhalt kann noch so gut sein, ist der Stil für die Tonne bricht alles darüber zusammen. Wenn ich schon Texte lese wie: "Ein Auto kommt. Es ist schwarz. Es macht Angst. Das schwarz Auto hält an. Es steht vor einem Haus usw." frage ich mich ernsthaft für wie anspruchslos der Verleger / Autor sein Publikum hält - da kann man mir auch nicht mit Minimalismus kommen, denn das ist jetzt ein überspitztes Beispiel was mir beim Griff in die Remittenden Ecke und beim Blick in die SPIEGEL Bestenliste leider zu oft begegnet ist und wo das spannendste am ganzen Buch der Klappentext war. Grad die SPIEGEL Bestenliste ist im Grunde ein Zerrbild wie anspruchslos deutsche Haushalte doch sind - was da für ein Müll oben landet, unglaublich.

Seien es Ausbrüche diverser Jungautoren, am besten ehemals oder gerade noch prominent oder von Prominenten gezeugt, "überschätzte, alte Männer" (Schätzing & Co), prüde & vergewaltigungsgeile Amis die sich in der Literatur ausleben müssen (Ken Follett, Noah Gordon & Kaspertruppe) oder sich und andere langweilende ehemalige Fachschreiber (John Grisham & Tom Clancy) sowie die Hausfrauenliteratur (Konsalik, Nora Roberts, Higgins Clark usw.) oder langweilige Jungautoren die mit ihren verqueren Moralvorstellungen und mieser Schreibe (Stephenie Meyer / Christopher Paolini) lieber mal eine Universität von innen sehen sollten statt ihren Junggesellenwohnungen zu huldigen oder extremistischen Gottesdiensten beizuwohnen und damit ernsthafte Leser verärgern, wenngleich sie den anspruchslosen Unterschichten Leser ("Blechtrommel - hab ich auch geguckt...") sehr wohl ansprechen oder gar die wildspekulierende Esoterik Ecke für Putzmittelinhalierer am Herd, gestützt von Paulo Coelho im ewigem Blabla mit Pseudophilosophie im Unterton... - wo soll ich aufhören?

Was den Stil angeht, bin ich extrem kritisch (wie man sieht) und durch unseren ehemaligen Deutschlehrer, nebenbei Prof für Literaturwissenschaft an der Uni, extrem vorbelastet. Sobald sich hier Schwächen andeuten, vergällt es mit große Teile eines Buches und ich denke mir nur: "Ohje, und noch 500 Seiten dieser Sermon?". Zum Glück ist man als heutiger Leser meist mit sehr viel Masochismus gesegnet um die Fülle an Schandschriften überhaupt bis zum Ende aushalten zu können. Das hat mich bisher auch jedes Wolfgang Hohlbein Buch überleben lassen :lol: (Kennst Du eins, kennst Du alle...).

Okay: ein Herman Hesse, Brecht & Co fällt nicht alle Jahre vom Himmel, aber irgendwo darf man den Autor doch noch als Künstler sehen oder misst dieser sich nur noch an Verkaufszahlen im 6stelligen Bereich und größtmöglicher Prominenz?

Was mich auch auf die Palme bringt sind meiner Meinung nach unfähige Übersetzer, die weder schlecht noch gut sind und bestimmte Werke einfach maßlos in den Dreck ziehen was deren literarische Qualität angeht - gerade der Heyne Verlag verübte hier Verbrechen an ausländischer Literatur, die wohl nie aufgearbeitet werden. Das jetzt angeführte Beispiel ist mir zwar indirekt peinlich da im Grunde Trivialliteratur, aber wenn man z. B. Stephen Kings Werke im Original kennt (z. B. den Dunklen Turm Zyklus) und die jämmerlichen Übersetzungen, sowohl von Titeln als auch von Inhalten, graust es einem. Dort wird wirklich jedwede Besonderheit, jeder Anflug von Stil und Schaffen herausgestrichen und zu teils sinnverdrehenden Übersetzungen breitgetrampelt. Kings Werke im Deutschen sind nicht der Rede wert, diese würde ich literarisch und vom Sprachniveau mit Groschenromanen und Landserheftchen gleichstellen - das King aber auch als Autor literarisch mit einem guten bis sehr guten Stil (für einen US Amerikaner, sprich: niedriges Niveau Grundbedingung) im Original überzeugen kann geht in der Übersetzung völlig verloren. Mal abgesehen von sinnentstellenden Übersetzungen, siehe Star Wormwood.

So ergeht es auch anderen Autoren und Dichtern - Übersetzungen z. B. von William Butler Yeats entstellen das Original, wenn sich auch sehr viel Mühe gegeben wird, immernoch was natürlich auch sprachlichen Besonderheiten geschuldet ist und seine Werke nur mit Anmerkungen, Fußnoten und Querverweisen überhaupt vollkommen in ihrer eigentlichen sprachlichen Schönheit "begreifbar" sind.

Ausgenommen von gutem Stil sind für mich Fachbücher - hier erwarte ich mich quälen zu müssen, auch wenn ich positiv überrascht bin wenn es mal geringfügig anders ausfällt.

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» Subbotnik » Beiträge: 9308 » Talkpoints: -7,05 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Dass mir ein Buch richtig gut gefällt, dazu ist eine gute Portion von beidem nötig, also sowohl der Schreibstil als auch eine gute Handlung. Ich denke, beides steht in einem recht engen Zusammenhang, denn eine Handlung kann nur gut, interessant, spannend und nachvollziehbar sein, wenn die stilistisch angemessen geschildert wird.

Gefällt mir ein Buch vom Schreibstil her nicht, lege ich es sofort weg (Es sei denn, es ist eine Schullektüre...). Ich kann einfach keine Bücher lesen, die mich vom Stil her nicht ansprechen. So gesehen bei den Kinderbüchern von Peter Härtling. Die Bücher mögen noch so bekannte Klassiker sein, diesen Schreibstil finde ich einfach grauenhaft und fast unerträglich, weswegen ich nie ein ganzes Buch von ihm gelesen habe. Ich finde allgemein Autoren schrecklich, die glauben, in kurzen und abgehakten Sätzen schreiben zu müssen. Ich habe lieber endlos lange, komplizierte Schachtelsätze, als nur kurze, einfache Aussagesätze. Denn sonst hat das Buch null Anforderung und ist genausp anspruchsvoll wie Nachmittagsshows im Fernsehen.

Die Handlung ist natürlich auch wichtig. Patricia Cornwell hat es geschafft, ihre letzten zwei (oder drei?) Bücher dermaßen zu versauen, dass ich mich durchringen musste, die Bücher noch weiter zu lesen. Sie hat die komplette Handlung ihrer letzten Bücher zunichte gemacht und scheinbar jegliches Schreibtalent (Handlung und Stil) verloren. Jedoch verzeihe ich eine nicht ganz so ergreifende Handlung eher als schlechten Schreibstil. Spricht mich jedoch eine Handlung gar nicht an, lege ich das Buch auch wieder zur Seite. Denn ein Buch kann nicht spannend sein, auch wenn es noch so gut geschrieben ist, wenn nichts dahinter steckt.

Was mir auch sehr wichtig ist, sind die Charaktere bei Romanen. Sind mir die Hauptcharaktere eines Buches durch die Bank unsympathisch, kann es durchaus vorkommen, dass ich mal ein Buch wieder weglege. Ich denke, für Autoren ist es schwer, tolle Charaktere zu erschaffen. Denn sie müssen auch die Leser ansprechen, und davon ein möglichst breites Spektrum. Besonders oft sind mir die Charaktere zu perfekt (z.B. bei Patricia Cornwell) oder arbeiten mit unfairen Mitteln und es wird auch noch als toll dargestellt (z.B. bei manchen Büchern von John Grisham). Davon bin ich auch kein großer Fan und muss mir dann immer etwas anderes suchen...

Freundliche Grüße

» Kampffisch » Beiträge: 923 » Talkpoints: -0,81 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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