Psychische Folgen des zweiten Weltkrieges
Mich beschäftigt ein Thema, welches eigentlich nicht wirklich neu ist, aber es wird eben oft und gerne verschwiegen. Meine Großeltern haben beide bewusst den zweiten Weltkrieg erlebt mit all seinen Schrecken und traumatisierenden Einflüssen. Sei es nun das ständige Erleben von Verlusten (nicht nur Angehöriger, sondern auch der Verlust der Wohnung oder des Hauses), die langanhaltende (und leider oft endgültige) Trennung vom Vater oder von Geschwistern, ungünstige Lebensumstände, Hunger und Unterernährung.
Viele Kinder wurden evakuiert, oft auch ganz allein, was auch eine traumatisierende Komponente hatte. Menschen, die im Krieg vertrieben wurden, hatten es gleich doppelt schwer, neben dem verlust von Freunden und dem eigenen Heim, fühlten sie sich stigmatisiert und diskrimminiert. Auch nach Ende des Krieges kam niemand auf die Idee, psychologische Hilfe anzubieten (wie auch, die hätte ja Jeder gebraucht und es waren in dem Moment wichtigere existenzielle Fragen und Probleme zu lösen). Und bis heute sind die psychischen Folgen in der Kriegsgeneration zu spüren.
Viele haben noch immer Ängste oder Depressionen, sie haben Bindungsschwierigkeiten und auch ein gestörtes Gesundheits- und Krankheitsverhalten, gerade was die eigene Fürsorge angeht. Viele haben immer noch diese heroische Einstellung, "hart wie Kruppstahl", mir passiert nichts, das sehe ich immer wieder an meinem eigenen Opa. Die Psychologen sehen einen Erklärungsversuch darin, dass kurz nach dem Krieg niemand wirklich in der Lage war, zu trauern, es mussten in kurzer Zeit hohe Anpassungsleistungen erbracht werden und das Idealbild im Umgang mit sich selbst und den eigenen Gefühlen bestand hauptsächlich aus Härte und Zähigkeit.
Außerdem fand eine transgenerationelle Weitergabe von Traumata von den Eltern und Großeltern auf die Kinder statt, sie wurden quasi als seelische Mülleimer benutzt. Es wurde auch viel verschwiegen, Gräultaten wurden verschwiegen und Heroisches wird gerne immer wieder erzählt. Wie gesagt ist mir auch aufgefallen, dass meine Großeltern nie von dem sprechen, was sie im Krieg als schrecklich empfunden haben, es wird dann immer ganz schnell auf ein anderes Thema umgeleitet.
Wenn ich mir dann überlege, dass bei traumatisierenden Ereignissen heutzutage sofort psychologische Hilfe zur Stelle ist, und ja auch wirklich nötig ist, wenn ich an Szenarien wie den 11. September denke, dann bin ich der Meinung, dass eine ganze Generation von Menschen psychisch völlig verstört groß werden musste und bis heute an den Folgen des Krieges zu leiden hat.
Wie habt ihr das ganze denn in eurer Familie erlebt? Wurde da auch mal über das Schreckliche im Krieg gesprochen? Oder wurde das ganze Thema ebenfalls totgeschwiegen?
Ich habe da zwei verschieden Beispiele in meiner Familie. Meine Großeltern Mütterlicher Seits (deutscher Teil meiner Familie) haben das Thema komplett Verdrängt, als wäre es nie geschehen. Wenn man diese dann darauf anspricht wird ganz schnell das Thema gewechselt.
Im Gegenzug hat mein Großvater Väterlicher Seits (Amerikanischer Teil) immer wieder geschichten davon erzählt und Bilder von damals gezeigt.
Kriegserinnerungen und Großeltern: Ganz schlimm - ich kenn auch beide Seiten, die heroisch-verklärte und die dämoniserend-warnende, je nachdem wer es einem erzählt. Die Psyche ist natürlich auch davon geprägt, aber ich glaube eher als Begeliteffekt, weil man 12 Jahre meist 50 Jahre lang monatlich hochwürgt um sich mit anderen darüber auszutauschen.
Als seelischer Abfalleimer hab ich mich nie gefühlt, dazu hab ich mich zu oft darüber lustig gemacht, vor allem bei diesen "Wir hatten doch keine Ahnung!" Sprüchen rutscht mir immer ein "Achso, in ... gab`s ja keine Juden..." da im damaligen Wohnort von meinen Großeltern vor den Nazis eine große jüdische Gemeinde war - und das KZ in der nächstgrößeren Stadt, sowie ein Arbeitslager in der Nähe. Mein Großeltern reagieren dann immer mit Trotz, mich amüsiert das - wie man nach sovielen Jahren immernoch versucht Lügen aufrecht zu erhalten, tss tss.
Da meine Familie praktisch alles mitgemacht hat kenn ich fast alle Geschichten, aber ich empfind diese meist eher als unterhaltsam oder als von Senilität geprägte Storys da in meiner Familie bei den Älteren sowohl Vertriebene, "Regimefeinde" und Nazigrößen vertreten waren - der Großteil knabbert jetzt halt schon an Maden oder ist im Altersheim am dahinsiechen, aber als Kind und Jugendlicher hat man noch einiges mitbekommen.
Die dämonisierenden Geschichten
...von Bombardements in der Nacht, wilden Russen, der Vertreibung, grausamen Tschechen und dem schweren Neubeginn haben mich eher aufgestachelt wieviel Leid zugefügt wurde anstatt das Übel des Krieges darin zu erkennen, diese Einsicht kam eher später. Wahrscheinlich ging das halbjammernde, halb mitleidserheischende immer zu sehr unter weil es zu sehr betont war, wie schlimm es einem ging und wie froh man ist dass es den Kindern heute besser geht und wie sehr man doch den Bruder vermisst den man nie gekannt hat, der irgendwo in Russland verscharrt wurde oder verstört nach Hause kam und aufgrund des elenden Zustands dort starb oder sich unter`m Dachbalken erhängte.
Die verklärt-romantischen Geschichten
...von Jugendfreunden, Abenteuern im BDM, in der HJ und von KdF Fahrten, wie man sich selbst geholfen hat und anderen in der Not und schweren Zeiten, wie schwer, einfach und schön doch das Leben war und man sich so viele zurückwünscht weil das Leben heute und die Jugend so anders ist. Ab und zu kommen dann noch sehr beschönigte Erzählungen wenn der Adi mal mit dem Benz durchs Dorf fuhr und gewunken hat.
Die heroisch-übertreibenden Geschichten
...sind die besten, denn diese zeigen in meinen Augen wie man sich selbst belügen kann ohne Ende. Da wird einem erzählt wie man sich den Nazis "entgegenstellte" weil man mal etwas gegen sie gesagt hat oder den Blockwart an einem Montag nicht grüßte und das als Heldenakt aufwertet, wieviel man doch getan hat, wie erschreckt man von allem war und niemals gedacht hätte dass es so schlimm war, wie sehr man doch das Regime hasste (aber ganz weit oben mitarbeitete und als eifriger Nazi im Volk agierte) und alles ablehnte, wie man mit der Kompanie eine Stellung ausräucherte, in ein Dorf einzog, Sachen akquirierte, sich für die Kameraden stark machte - oder nur seine Pflicht tat und das einem nicht vergönnt werden kann. Dazu kommt der für mich immer lachhafte Fakt, dass einer meiner Ahnen als Mitglied der Totenkopf SS so knapp 3.000 Leute auf dem Gewissen hat und posthum als Kriegsverbrecher verurteilt wurde - das wird immer heroisiert als tapferer Kämpfer für`s Vaterland (als Wachkommandant im KZ mi Ritterkreuz), der nur seine Pflicht bei der Aburteilung von Kriminellen und Verbrechern tat die man ihm auftrug und der zu Unrecht verurteilt wurde.
Die Amnesie von 1933 - 1945
...ist auch weitverbreitet, da hört man dann nur ein "Ach Jungchen, schlimm war`s." und aus ist es. Da denke ich immer an den überschätzten Begriff Stunde 0, da viele die Zeit vor 45 einfach wie mit einem Fingerschnippen vergessen haben
Die von Dir geschilderten Symptome kann ich damit ebenfalls zu 100% nachempfinden aufgrund der zahlreichen Geschichten, die man sich anhören musste wenn grad nichts los war oder der Kaffekranz zu lange dauerte.
Und meine Erfahrung ist, dass man bei alten Leuten immer eine der Geschichten hört, je nach Funktion und Stellung und je nach erlittenem Trauma. Die psychischen Folgen der Kriegsgeneration beschränken sich daher m. E. meist auf Selbstmitleid oder Selbstüberschätzung sowie dem ganzen dazwischen. Da ich beides verachte hab ich mich auch nie als seelischer Mülleimer gefühlt - sondern alles nur mit einem Lächeln hingenommen, so wie manche Kranke im Krankenhaus auch durch Selbstüberschätzung Stärke und Unabhängigkeit ausdrücken wollen oder mit Selbstmitleid Fürsorge erheucheln wollen, aber im Grunde Menschen sind, die nicht ehrlich zu sich und anderen sind.
Schlimmer als den zweiten Weltkrieg fand ich da noch den 1. Weltkrieg, immerhin spricht man hier nicht umsonst von der "zerstörten" Generation. Auch wenn der zweite Weltkrieg schlimmer war glaube ich dass die meisten durch ihre Eltern oder durch eigene Erfahrung schon "vorgewarnt was kommen könnte" in diesen hineingingen und sich daher die Traumata oft in Grenzen hielten.
Ja, die Geschichten, die du beschrieben hast, habe ich innerhalb der Familie auch zur genüge gehört und sie ähneln sich wirklich sehr. Mein Opa hat sich damals ja sogar freiwillig für die Front gemeldet und kam dann als "Held" zurück und der Bruder meines Opas war jahrelang in den USA und in Frankreich in Kriegsgefangenschaft, da kommen auch immer die wildesten Geschichten. Und der Cousin meiner Oma hat die Frau seines Bruders geheiratet, weil der nicht mehr aus dem Krieg zurück kam.
Schon irgendwie makaber, aber es war halt so. Aber wie gesagt, es kommen Geschichten. Wirklich ehrliche Offenbarung der damaligen Gefühle, der Angst und Zerstörtheit kamen selten bis nie. Wenn, dann hat höchstens mal meine Oma damit angefangen und meinte dann aber nach kurzer Zeit: "lassen wir das, war schrecklich genug.". Nun ja, irgendwie scheinen sie ja damit umgegangen zu sein, ob sie es verarbeitet haben, werden wohl wirklich nur sie selbst wissen.
Hallo,
mein Opa war auch im kreig,und wurde sehr stark verwundet.Er bekam sogar so ein Orden weil er verwundet wurde,und trotzdem weiter gekämpft hat. ich errinner mich,das immer Mittwoch Mittags um 12 Uhr bei uns im Ort so eine Sirene los ging.Die hörte sich genauso an wie im Krieg sagte meine Oma immer. Mein Opa ist grundsätzlich Mittwoch mit mir auf dem markt gewesen. Einmal ging es nicht,weil er krank war,und diese Sirene ging los. Ich sah nur das er aus dem Zimmer gang,wollte wohl in die Küche. Er holte sich ein Taschentuch,und ich sah das er weinte.Und das nur wegen dieser Sirene.
Also ich denke schon,das die Psyche sowas nie wirklich verarbeiten kann.
Liebe Grüsse,Yvonne
Teilweise tragen wir und unsere Kinder an diesen Folgen noch mit. Mein Vater hatte keinen Vater und kam damit nicht klar, auch mit seiner eigenen Vaterrolle überhaupt nicht.Mein Großvater hat die Familie kaputt gemacht als Kriegsrückkehrer, der psychisch völlig am Ende war - meine Mutter hat das auch nie verarbeiten können, was damals geschehen ist.
Einige dieser Verhaltensweisen, Ängste und unangenehmen FOlgen trage ich heute mit mir herum, ich kann das direkt zurücklieten auf die Erlebnisse während des Krieges und nach Kriegsende. Natürlich kann ich aktiv damit arbeiten, aber ich wünschte, ich müßte es nicht tun.
Ich kenne die von Subbotnik so hervorragend kategorisierten Typen auch. Bei uns war die Amnesie vorherrschend, wobei man sich schon erinnern konnte aber nicht oder nur ausnahmsweise wollte. War deshalb, weil der größte Teil der Generation die den zweiten Weltkrieg noch miterlebte schon verstorben ist.
Was mir hier Forum auch schon auffiel, dass diese Auffassungen nicht nur direkt an die Kinder weitergegeben werden, sondern sogar noch an die nächste Generation, also die Enkel. Menschen also, die nun wirklich keinen eigenen Kontakt mit Kriegs- oder Nachkriegszeit hatten. Diese Traumata werden also wirklich noch heute richtig gehend vererbt und leider auch gern kultiviert und so auch noch mehr verklärt.
Wie schon geschrieben, war bei uns die Amnesie vorherrschend. Ich glaube sogar, manchmal, dass die Amnesie bei uns schon fast zur Familienkultur gehörte, über so viel sprach man nicht, das ließ man in Frieden ruhen.
Wenn die Familie so richtig aufgetaut war, dann kamen von einer Seite der Familie die Schreckensgeschichten (wenigstens haben Russen und Amerikaner gleich viel Fett abgekriegt) und teilweise wurde einiges auch richtig als verklärt dargestellt (der BDM war doch schon was). Darüber habe ich dann auch gern mal meine Späßchen gemacht und die alten Leutchen aufgezogen. Nicht fair, aber ich habe dafür irgendwann kein Verständnis mehr gehabt.
Lediglich mein Opa hat mich einmal hinter die Fassade blicken lassen und mir von einem Bombardement seines Heimatdorfes erzählt, dass dabei zwei Kinder umkamen, die von den Eltern in die vermeintliche Sicherheit geschickt wurden. Da sind sehr viele Emotionen hochgekommen, das war sicher aber auch nur möglich, weil kein anderes Familienmitglied dabei war. Danach war die Fassade wieder undurchdringlich, ich weiß lediglich, dass mein Opa im Krieg und auch in französischer Kriegsgefangenschaft war.
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