Sind wir zivilisiert?
Hallo ihr Lieben,
Die Frage mag komisch klingen, aber durch mein Studium beschäftige ich mich grade unter anderem mit Norbert Elias. Er sagt ganz klar, daß vor allem Westeuropäer der Meinung sind, daß für sie der Prozeß der Zivilisation abgeschlossen ist, aber ist das denn wirklich so?
Er bringt in seinen texten unter anderem Beispiele an, wie die Entwicklung von Tischmanieren oder Sozialverhalten. Tischmanieren wurden laut ihm vor allem darum entwickelt, damit sich sozial besser Gestellte von den Ärmeren distanzieren können. Um nicht aufzufallen wurde dieses verhalten aber schnell imitiert, weshalb sich die besser Gestellten wieder etwas Neues einfallen ließen um sich von den anderen zu Unterscheiden. So kommt es eben dazu, daß wir heute zu Tage mit Messer und Gabel essen, nicht wahllos auf den Boden spucken, beim Gang aufs stille Örtchen lieber alleine sind und so weiter. Was ich mich nur Frage. Ist dieser Prozeß den abgeschlossen oder versucht sich die „höhere Klasse“ immer noch von der Unter- und Mittelschicht zu unterscheiden?
In Gewißerweise gibt es ja schon Dinge, die vor allem in besseren Kreisen modern sind. Wie zum Beispiel teure Autos/Schuhe/Kleidung und was weis ich noch. Aber hat das denn noch etwas mit dem Prozeß zu tun den Elias beschreibt? Denn Messer und Gabel konnte man sich zum Beispiel im Mittelalter (oder wann auch immer es genau eingeführt wurde) doch leichter beschaffen, als heut zu Tage eine echte Rolex oder so etwas. Auf der anderen Seite kann man natürlich auch nicht wieder alle in einen Topf schmeißen oder in eine Schublade stecken. Meinen Eltern war es zum Beispiel nie peinlich oder unangenehm wenn ich arbeiten gegangen bin (gut wäre ich jetzt bei einer Sexhotline angestellt gewesen vielleicht doch, aber gegen Kellnern oder so etwas hatten sie nichts).
Auch wenn ich dabei zum Beispiel Angestellte, Patienten oder Freunde meiner Eltern bedient habe. Der Vater einer guten Freundin wollte aber partout nicht, daß sie in der Disco arbeitet, in der ich auch kurzzeitig gearbeitet habe, da er nicht wollte, daß sie unter Umständen seine Angestellten bedient. Verstanden habe ich das nie, aber es wäre ja vielleicht vergleichbar mit dem Abheben der besser gestellten von der „Unterschicht“ (ich schreibe das ganz bewußt in Anführungszeichen, denn ich bin nicht der Meinung daß es solche Klassen wie im Mittelalter heute auch nur annährend gibt oder daß man Menschen anhand ihres Einkommens in Schichten unterteilen sollte, wobei eine Schicht dann etwas besseres ist als die andere)
Über eure Meinungen zu diesem Thema würde ich mich sehr freuen, denn in meinem Studium wird dieses Thema eher im Hinblick auf Mutter- und Kindversorgung betrachtet, was natürlich ein völlig anderer Aspekt ist, als der, der mich grade beschäftigt
PS: 100% sicher war ich mir nicht, unter welche Topic dieses Thema passt, ich hoffe doch, ich habe die richtige geqählt
Nun denn, ob wir am Ende des Prozesses angekommen sind ist die eine Frage: Ich persönlich glaube es nicht, auch wenn wir uns verglichen mit anderen auf einem sehr hohen Niveau bewegen - da ist aber noch genug Luft nach oben, denn gerade was Moral und Ethik angeht sind wir meiner Meinung nach noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt bzw. der Soll Zustand entspricht noch nicht dem Ist Zustand.
Was das bestreben der Oberschicht angeht sich von der Mittelschicht und Unterschicht zu trennen gibt es meiner Meinung nach genug Beispiele, wie ihr das auch heute noch gut gelingt.
Von Grundwerten, die mittlerweile als allgemein gelten wie Besteck usw. sehe ich jetzt einmal ab - das tritt in allen Schichten (fast) gleichermaßen auf. Luxusgüter können ein Unterscheidungskriterium sein, sind jedoch in meinen Augen nur ein sehr oberflächliches. Diese können ebenfalls Emporkömmlinge aus der Mittelschicht und Unterschicht erwerben, wenn sie über das nötige Kapital verfügen. Dies ist zwar nicht die Regel aber durchaus möglich.
Ich finde, die Oberschicht trennt sich von der Unterschicht und Mittelschicht durch wesentlich subtilere Merkmale, die man fast wie einen geheimen Handschlag verstehen könnte und die Mitglieder der Unterschicht meiner Meinung nach fast gar nicht und die der Mittelschicht eher selten erreichen können. Diese "Eigenschaften" werden Kindern und Mitgliedern der höheren Schichten im Grunde von kleinauf in die Wiege gelegt und sind ein "Erkennungsmerkmal" untereinander.
Hervorzuheben ist hier vor allem die Sprache, denn ob jemand aus der Unterschicht, Mittelschicht oder Oberschicht kommt kann man meiner Meinung nach "hören". Die Oberschicht fällt meist dadurch auf, Hochdeutsch zu sprechen und zwar fast in Reinstform - gemischt mit für anderen gestelzt wirkenden Begriffen und Formulierungen die innerhalb dieser Gruppe jedoch der "Normalfall" sind. Dazu kommen bestimmte Wertvorstellungen, was man nicht sagt, was man nicht ausspricht usw.. Das kann man natürlich nicht allgemein verbindlich sagen, aber tendenziell. Sprecher anderer Gruppen verraten sich oft durch Formulierungen, Konstruktionen, Begriffe usw. die in der Oberschicht als verpönt angesehen werden und eher ein Lächeln provozieren. Man versucht hier schon durch gehobenere Sprache besser (und oft auch intelligenter) zu wirken und sich von anderen abzugrenzen.
Dazu kommen verschiedene Werte und Normen die man nach absteigender Schicht einfach nicht pflegt und im Grunde nicht erlernt - einfach weil die Notwendigkeit nicht besteht. Sei es eine Gedeckordnung (welcher Arbeiter hat schon zig verschiedene Weingläser und Besteckvariationen für dies und das) oder ein gehobenes Tischverhalten. Mangels der Gelegenheiten kann dies nicht vermittelt werden, auch, weil es einfach nicht notwendig ist. Die Kette kann man im Grunde ewig fortsetzen.
Also abgesehen von materiellen Dingen sehe ich das Bemühen der Oberschicht sich abzugrenzen vor allem darin, dass man eine Art "Geheimcode" durch Werte, Normen und Sprache erschafft der allen nicht Eingeweihten fast völlig unzugänglich ist und die Mitglieder jeder Gruppe stigmatisiert.
Ob das nun als zivilisiert eingestuft werden kann ist fraglich - ich sehe es eher so, dass man versucht, so wie beispielsweise bei hier lebenden Ethnien, durch verschiedene Merkmale, die anderen fast nicht zugänglich sind, sich untereinander abzugrenzen und ggf. zu erkennen zu geben.
Was die Klassenfrage angeht: Die gibt es meiner Meinung nach zweifelsohne immernoch, auch wenn die Unterschiede zwischen ihnen im Vergleich zum Mittelalter deutlich geringer sind und die Zugehörigkeit zu einer Klasse bzw. die Abstammung aus dieser weit weniger entscheidend für das spätere Leben ist - wenn auch immernoch wichtig.
Ich denke das es nach wie vor so ist, dass die Oberschicht versucht sich deutlich von Mittelstand und Unterschicht abzuheben. Wie mein Vorredner bereits sagte geht das natürlich heute nicht mehr durch Bestecke etc, aber es wurden andere Gegenstände und Verhaltensmuster gefunden, die für eine deutliche Abgrenzung sorgen. Ein Beispiel kann ich aus meinem eigenen Leben bringen, denn ich lebe als normale Unterschicht bis Mittelstand obwohl teile meiner Familie eher zur Oberschicht gehören.
Ich treffe fast nie jemanden aus diesem Teil meiner Familie zufällig, da in meiner Stadt die Oberschicht andere Orte aufsucht als die "normalen". Menschen aus meinem Freundeskreis oder die anderen Teile meiner Familie begegnen mir jedoch sehr oft unterwegs. Es gibt hier wo ich wohne eine City in der man einkaufen geht. Parallel hierzu gibt es aber auch eine Straße, die fast ausschließlich von der Oberschicht genutzt wird. Es reihen sich Boutiquen namhafter Hersteller aneinander und in einem Cafe kostet ein Kännchen Kaffee dreimal so viel wie innerhalb der City (schmeckt wahrscheinlich dafür aber doppelt so schlecht).
Dadurch finde ich schon das nach wie vor versucht wird, diese Schichtenteilung zu realisieren. Und zu guter Letzt hat die Oberschicht in ihren "Kreisen" ja immer noch die Möglichkeit in Restaurants etc. die Preise so hoch zu setzen, das der Mittelstand oder gar die Unterschied überhaupt nie genug Geld hätten sich dort aufzuhalten.
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