Warum nennt man finanzschwache Menschen sozial schwach?

vom 25.01.2025, 12:21 Uhr

Ich habe es nie verstanden und wundere mich, dass ich den Eindruck habe, dass immer häufiger von "sozial schwachen Menschen" gesprochen wird, wenn man eigentlich sagen will, dass wenig bis keine finanziellen Mittel vorhanden sind. Vor allem, da es häufig anders herum ist und Menschen mit wenig Geld sehr hilfsbereit, zivilcouragiert, sozial engagiert und offen sind. Und andersherum finden sich in vielen "reichen Communities" sehr egoistische, empathielose, dominante oder gar manipulative Menschen.

Warum wird dennoch bei den ärmeren Personen von sozialschwach gesprochen? Hängt es eventuell auch mit den "sozialen Medien" zusammen, in denen sich auch weniger reiche Menschen tummeln?

Nehmt ihr das auch so wahr? Oder bezeichnet ihr gar selbst Bürgergeld-Empfänger als sozial schwach? Wenn ja, warum? Wisst ihr, woher das kommt?

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» Trisa » Beiträge: 3307 » Talkpoints: 34,68 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Als sozial schwach werden Menschen mit geringen finanziellen Mitteln und/oder niedriger Bildung schon lange vor Erfindung der sozialen Medien bezeichnet. Es klang halt vermeintlich netter, als das bis dahin übliche asozial. Schließlich sagt der Duden auch, dass asozial am Rande der Gesellschaft lebend meint oder für ein niedriges geistiges, kulturelles Niveau oder ungebildet oder ungehobelt steht.

Also man schon vor rund 50 Jahren sozial schwach auf und wurde bereits vor rund 40 Jahren kritisiert. Alternativ war gerne von Unterschicht die Rede. Heute wird dann meist von schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen gesprochen. Oder man richtet sich nach dem Glossar zum armutssensiblen Sprachgebrauch des Landschaftsverbands Rheinland.

Übrigens finde ich den ach so gepriesenen angeblichen Zusammenhalt und das Engagement armer Menschen auch nicht so stark. Der Zerfall geht durch alle Gesellschaftsschichten, aber in Sportvereinen oder Tafeln beispielsweise werden die Leistungen gern genommen, die Mitarbeit fällt aber vergleichsweise niedrig aus.

» cooper75 » Beiträge: 13427 » Talkpoints: 519,05 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


@cooper75: Meine Frage bezieht sich ja gerade darauf, warum Finanzen mit sozialem Verhalten gleichgesetzt werden. Das würde umgekehrt auch bedeuten, dass Reichtum und Bildung zu gutem Sozialverhalten führt und dies kann ich nicht bestätigen.

"Unterschicht" bezieht sich immerhin nicht pauschal aufs Einkommen und mit Blick darauf, wie viel Geld in manchen "Unterschichten" umgesetzt wird, finde ich den Begriff fast noch passender, da er sich nicht rein auf das Sozialverhalten bezieht und eigentlich die finanziellen Mittel meint.

"Schwierige sozioökonomischen Verhältnisse" finde ich etwas passender, allerdings werden auch dabei Finanzen und Soziales zu sehr vermischt. Und Ökonomie bezieht sich zudem meist auf das Geldausgeben und so deutet dieser Begriff an, dass die finanzschwachen Menschen ihre Einnahmen nicht adäquat nutzen.

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» Trisa » Beiträge: 3307 » Talkpoints: 34,68 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



cooper75 hat geschrieben:Übrigens finde ich den ach so gepriesenen angeblichen Zusammenhalt und das Engagement armer Menschen auch nicht so stark. Der Zerfall geht durch alle Gesellschaftsschichten...

In Köln gab es sogar besondere Bezeichnungen für bestimmte Stadtteile. Da hieß es, da wohnen nur die "Krade". Im Zuge der Sanierungspolitik, offiziell mit "Wohnumfeldverbesserung-Altehrenfeld-Ost" oder "-Köln Mülheim", oder "-Köln Kalk" bezeichnet, hat sich tatsächlich eine spürbare Imageverbesserung ergeben.

Erinnert sei noch in diesem Zusammenhang an die Erschießung des Polizisten Peter Baum durch einen seiner Kollegen in der Stammstraße. Letzterer meinte, in der gefährlichen Gegend mit der Schusswaffe sofort losballern zu müssen, sofern sich irgendetwas Verdächtiges bewegte. Dabei hatte Polizeimeister Peter Baum gerade außer Dienst seiend, Polizeifunk abgehört habend, lediglich seinem Kollegen zur Hilfe eilen wollen. Jener habe ihn dann versehentlich mit dem Täter verwechselt und in putativer Notwehr von der Dienstwaffe Gebrauch gemacht.

In der Presse hieß es dann auch, dass das bedauerliche Versehen auch verschiedene Ursachen zurückzuführen gewesen sei, hauptsächlich aber auch durch die "milieutypischen" Erwartungshaltungen bei Polizeieinsätzen.

Ob eine stadtbekannte Boulevardzeitung in Solidarität mit dem angeschossenen und später an den Folgen verstorbenen Polizisten den Begriff "asoziales Viertel" benutzte, kann ich heute nicht mehr verifizieren, jedenfalls fielen die Schlagzeilen bestimmter Blätter weniger sensibel aus, als man es heutzutage kennt.

Die Bezeichnung finanzschwache Menschen und dann den Begriff sozial schwache Menschen verknüpfte man später dann doch eher mit dem Stadtteil Köln-Chorweiler. Oder Köln-Meschenich "Auf dem Kölnberg".

Fragte man die Leute in der Kneipe, dann hieß es: "Dort kann man nur wohnen, wenn man mit Knüppel, Schäferhund und Gasmaske ausgerüstet ist." Interessant ist hier auch die Nennung des Begriffes "Gasmaske". In der Tat ist die Geruchsbelästigung in der Gegend, gerade in den höher gelegenen Stockwerken eine Hochhauses so extrem, dass es einem zeitweise, gerade wenn Nachbarn ihre exotische Kochkünste ausprobieren, den Atem verschlägt. Von funktionierender Entlüftung, Dunstabzugshauben und dergleichen Dingen zur Luftverbesserung hat man dort lange nichts gewusst oder will es nicht wissen.

Jedenfalls war ich nach Besuch von Leuten, die da wohnten, immer froh, wenn ich wieder unten auf der Straße war, um frischere Luft zu schnappen. Der Hochhausmief ist wirklich zeitweise echt schlimm. Mit "sozial schwach" oder dergleichen Kategorisierungsversuchen verbinde ich seitdem stets die olfaktorische Missempfindung hochhaustypischer Art. Es riecht dort förmlich nach "Armut."

Oder wie mein Kollege sagte, es riecht wie in Berlin-Kreuzberg. Wenn man das Treppenhaus betritt, schlägt einem der abgestandene Geruch von Zigarettenqualm, vermischt mit Bratkartoffeln-Ausdünstungen, Urin und Baby-Kot entgegen. Besonderes Sahnehäubchen noch oben drauf: Zeitweise überlagert von Cannabisrauch. Nein danke. Ich hab schon ge...

Und dann hat das political-korrekte Wörterbuch neuzeitlicher Art eine Reihe von beschönigenden Begriffen parat: Finanziell schwach, sozial schwach. Dabei erheben diese Lexika keineswegs den Anspruch, etwas an den Ursachen zu ändern, sondern belassen es bei der bloßen deskriptiven Auflistung mit Warnung vor Stigmatisierung. hier

Übrigens: In Köln unterscheidet man "Krade" und "Bürokrade." Also letztere mehr oder weniger humorvoll auf die Bürokratie ausübenden Mitarbeiter der Stadtverwaltung gemünzt.

» Gorgen_ » Beiträge: 1161 » Talkpoints: 415,50 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



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