So viele Mobbing-Opfer - kaum Täter
Mobbing wird oft aus der Perspektive der Opfer thematisiert. Sie sind es, die sich Jahre oder Jahrzehnte später outen, über ihre Erfahrungen sprechen und in manchen Fällen Therapien machen, um die Folgen zu verarbeiten. Das ist wichtig und mutig, keine Frage. Aber wenn ich darüber nachdenke, frage ich mich, warum es so selten um die Täter geht. Ist es nicht wahrscheinlich, dass auch bei ihnen, die ihre Kindheit mit Mobbing verbracht haben, psychische Störungen oder tiefgreifende Probleme vorliegen? Und bräuchte es nicht viel mehr erwachsene Vorbilder, die offen bekennen, dass sie früher gemobbt haben, um andere zum Nachdenken anzuregen?
Die meisten Täter sind ja nicht einfach „böse“. Viele von ihnen waren Kinder oder Jugendliche, die selbst Unsicherheiten, Druck oder eine Sehnsucht nach Anerkennung hatten – und diese auf andere projizierten. Mobbing wird oft als ein Machtspiel beschrieben, aber was steckt hinter dem Bedürfnis nach Macht? Wenn jemand als Kind oder Jugendlicher Anerkennung fast ausschließlich durch das Herabsetzen anderer erfährt, wie soll diese Person später im Leben ohne diese Muster auskommen? Liegt es nicht nahe, dass auch Täter von Mobbing irgendwann an den Folgen ihres Handelns leiden, sei es durch Schuldgefühle, fehlende soziale Kompetenzen oder die Fortsetzung toxischer Verhaltensweisen?
Das Problem ist: Während Opfer irgendwann darüber sprechen, oft unter großem emotionalem Aufwand, schweigen Täter fast immer. Man hört kaum Geschichten von Erwachsenen, die zugeben, früher andere gemobbt zu haben. Warum eigentlich? Liegt es an der Scham, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen? Oder daran, dass die Gesellschaft solche Geständnisse nicht zulässt? Vielleicht fehlt auch ein Raum, in dem solche Beichten ohne sofortige Verurteilung möglich sind.
Dabei könnten gerade solche Geständnisse eine enorme Wirkung haben. Wenn Erwachsene, die früher Täter waren, offen über ihre Taten sprechen, könnten sie dazu beitragen, das System Mobbing besser zu verstehen. Sie könnten zeigen, wie leicht man in solche Rollen rutscht, und andere ermutigen, darüber nachzudenken, wie sie sich heute verhalten – ob sie wegsehen, unbewusst Machtspiele betreiben oder sogar aktiv andere verletzen. Solche Vorbilder könnten auch den Opfern helfen, das Geschehene einzuordnen. Zu wissen, dass Täter oft selbst keine gefestigten Persönlichkeiten waren, könnte manchen Betroffenen helfen, die Last des erlebten Mobbings etwas leichter zu machen.
Ich frage mich, warum es in der öffentlichen Diskussion fast ausschließlich um die Opfer geht, während Täter kaum thematisiert werden. Ist es bequemer, die Verantwortung allein auf diejenigen zu schieben, die aktiv gemobbt haben? Oder trauen wir uns nicht, die Dynamik hinter Mobbing umfassender zu betrachten, weil das bedeuten würde, dass fast alle – auch Zuschauer oder Erwachsene, die weggeschaut haben – Teil des Systems waren?
Vielleicht brauchen wir nicht nur Opfer, die ihre Geschichten erzählen, sondern auch Täter, die beichten, was sie getan haben. Menschen, die ehrlich sagen: „Ich habe gemobbt, und ich habe damit anderen geschadet.“ Und die zeigen, wie sie damit umgehen und warum sie ihr Verhalten bereuen. Solche Geschichten könnten zum Nachdenken anregen, vor allem bei denen, die heute noch mitten in solchen Mustern stecken. Was meint ihr? Wäre es nicht wichtig, dass auch die Täter von damals ihre Stimme erheben, um eine andere Perspektive auf das Thema zu schaffen? Oder ist das ein Tabu, das zu groß ist, um es zu brechen?
Du tust so, als wäre Mobbing ein Kinderproblem. Aber nicht nur Kinder mobben andere Kinder. Erzieher mobben Kinder, Lehrer mobben Kinder. Kinder mobben geschlossen Erzieher oder Lehrer. Und im Erwachsenenalter geht es munter weiter.
Mobbing gibt es in der Nachbarschaft, in Vereinen, Kirchengemeinden, am Arbeitsplatz, in der Senioren-Tagespflege und im Altenheim. Und auch hier sind alle Konstellationen, wer wen mobbt, vorhanden. Mobber sind keine armen kleinen Würstchen, die im Gesprächskreis sitzen sollten.
Dass das nicht funktioniert, wissen Psychologen mittlerweile ziemlich genau. Mobber sind Menschen, die ihre Macht über andere genießen, die als Führer anerkannt werden und ihre Überlegenheit auf Kosten Schwächerer demonstrieren. Eigentlich hilft es da nur, Grenzen zu setzen, für harte Konsequenzen zu sorgen und deutlich zu machen, wie armselig es ist, Spaß daran zu haben, andere zu trietzen und zu quälen.
Meiner Einschätzung nach gehen hier einige Sachen durcheinander bzw. wird im ersten Beitrag von mehreren Fehlannahmen ausgegangen, von denen die wichtigste schon genannt wurde: Wer als Kind einer der Rädelsführer war und an der Spitze der Mobber stand, der wird sich auch als Erwachsener nicht signifikant geändert haben und umgekehrt. Auch das Bild des selbst geschundenen Kindes, was die eigene Aggression nur weitergibt, aber im Kern ja eigentlich gut ist, kann nicht bestätigen.
Eine meiner Freundinnen in Kindheit und Jugendzeit war so eine mobbende Königin, und auch später bei der Arbeit bin ich so einer Person begegnet. Und diese Königinnen, die einen Hofstaat um sich scharren und immer einen anderen im Visier haben, sind alles andere als unattraktive, unsichere und erfolglose Bürger der Gesellschaft, im Gegenteil. Eigentlich sind sie eher irgendwo recht hoch auf dem narzisstischen Spektrum zu finden und halten sich selbst für eine Art von Herrenmenschen. Und das bringt einen zum letzten Punkt: Glaubst du, dass diese Leute wirklich irgendeine Einsicht haben? Die finden ihr Verhalten völlig gerechtfertigt, werden es höchstens unter Spaß abtun oder sagen: Ach, die hatte das einfach verdient oder auch etwas wie: der war doch immer doof usw.
Abgesehen von den obersten fünf Prozent der Täter und Opfer mäandern die meisten Menschen sowieso irgendwo in einem Spannungsfeld, in welchem die Rollen auch wechseln können und werden. Mal ist man der stumme Bystander, mal bleibt man zu passiv und geht einfach, mal zickt man munter mit, manches Mal ist man sogar der Held, der eingreift und gelegentlich gerät man selbst ins Visier so einer Königin bzw. eines Königs oder deren unmittelbaren Gefolges. Es gibt da kein zu beichtendes Schwarz-Weiß. Und die wenigen wirklich fiesen Möppe werden sowieso niemals sprechen. In ihrem Weltbild hat alles so wie es ist und war genau seine Richtigkeit.
Ihr habt mich missverstanden. Mir ist durchaus bewusst, dass Mobbing in allen Konstellationen, Altersgruppen und überall in der Gesellschaft vorkommt. Auffällig finde ich bei Mobbing jedoch, dass es zwar ganz viele Menschen gibt, die Mobbing erleben oder erlebt haben und darüber sprechen, aber die Täter schweigen.
@Verbena Ich sehe es durchaus auch bei anderen Fehlentwicklungen so, dass sich Menschen oft nicht ändern. Doch bei allen möglichen anderen (Straf-) tatbeständen habe ich schon viel häufiger (ehemalige) TäterInnen darüber sprechen gehört. Vom Fremdgehen bis zur exzessiven Gewalt, Drogenkonsum/-verkauf, Betrug, Einbruch, selbst bei Stalking habe ich den Eindruck, dass es mehr Täter gibt, die (rückblickend) über ihre Taten sprechen, als bei Mobbing.
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