Warum kritisiert sich Oper nicht selbst?
Auf der Suche nach weiteren Informationen blasphemischen Sancta in der Stuttgarter Staatsoper zum Thema stieß ich bei den ersten Suchergebnissen direkt auf "Gewalt, Drill und Demütigung, die Ballettakademie der Staatsoper". Und auch wenn es um eine andere Staatsoper geht, so ist dies mit Sicherheit kein Einzelfall. Es geht um Missbrauch von Autoritätsverhältnissen, sexuelle Belästigung, Körperverletzungen, psychiatrisch gestörte Schülerinnen, die Langzeitschäden haben. Die jugendlichen Opfer sprechen selbst von Übergriffen und Demütigungen, wenn es auch nur anonymisiert.
Mir stellt sich mir die Frage, ob es nicht viel innovativer und moderner wäre, anstatt Gläubige anzugreifen, zu sexualisieren und mit Blasphemie Geld zu verdienen, die eigenen Missstände in der Oper darzustellen. Natürlich müsste es ebenso wie Sancta FSK18 sein, vor allem, wenn Missbrauch an Minderjährigen zur Schau gestellt wird. Aber scheinbar wagt so etwas bis heute auch nicht die modernste Choreografin nicht.
Liegt es daran, dass Choreografinnen um die Macht der Opern, vor allem staatlich unterstützt, wissen und deshalb nicht die Missstände in der eigenen Branche darstellen? Oder ist es auch die Sorge, dass bei den Aufführungen die Darstellerinnen selbst retraumatisiert werden könnten? Oder bekommen solcher Inszenierungen einfach keinen Platz auf staatlichen Bühnen, obwohl es längst entsprechende Opernstücke gäbe?
Meine Güte, du arbeitest doch aber an einem Stück ab, dass Gläubige doch gar nicht angreift. Gleichzeitig tust du so, als ob nichts anderes auf dem Spielplan stünde als dieser über 100 Jahre alte Stoff, der doch gar nicht das Ziel hat, Gläubige anzugreifen.
Mit dem, was du zur Staatsoper in Wien anmerkst und forderst, müsstest du das Stück eigentlich feiern. Denn es richtet sich explizit gegen die Unterdrückung der Frau. Und die findet ja ebenso in der katholischen Kirche wie in Tanz und vielen Sportarten statt. Außerdem sollte man doch hübsch vor seiner eigenen Türe kehren, oder? Über die Beseitigung der Missstände in der katholischen Kirche habe ich von dir noch keine Forderungen gehört. Die wiegelst du nur ab. Dabei müsstest du doch gerade als Gläubige höhere Ansprüche an dich stellen, oder?
Du sprichst allen Katholikinnen ab, dass sie sich von diesem Stück angegriffen fühlen? Mit welchem Recht? Warum glaubst du mir nicht, wenn ich dir als Katholikin sage, dass diese Oper zu den geschmacklosesten Aktionen gegen Katholikinnen gehört, die in staatlichen Einrichtungen gezeigt wurden?
Warum sprichst du mir ab, dass ich in meiner Berufungsentscheidung nicht möchte, dass Ordensfrauen so sexualisiert dargestellt werden? Warum glaubst du mir nicht, dass ich Dutzende Frauen kennenlernen durfte, die keineswegs als unterdrückte Sexsklavin im Kloster leben oder gar dort insgeheim ihre Sexualität untereinander ausleben?
Mich unterdrückt in der katholische Kirche niemand! Und ich kenne auch niemand, die sich unterdrückt fühlt. Vielleicht hätte ich damals dort kehren können, wo Frauen und Männer vor den Kirchentüren Besucherinnen und Ordensschwester davon abhalten wollten, an der sonntäglichen Eucharistie, die für uns der Mittelpunkt unseres Lebens ist, teilzunehmen. Stattdessen versuchte ich auch diese Leute zu verstehen. Was ich erfuhr war, dass es vor Jahrzehnten in einigen Orten Priester gab, von denen das ganze Dorf wusste, dass sie Kinder missbrauchen.
Auf meine Frage, warum denn das ganze Dorf dann nichts unternommen hat, sondern erwartete dass sein "Chef" der weit entfernt lebte, von selbst darauf kommt, bekam ich keine verständliche Antwort. Ich finde es recht bedenklich, wie Dörfer früher funktionierten, aber deshalb würde ich doch nicht allgemein und pauschal gegen heutige Dorfgemeinschaften schießen.
Trisa hat geschrieben:
Liegt es daran, dass Choreografinnen um die Macht der Opern, vor allem staatlich unterstützt, wissen und deshalb nicht die Missstände in der eigenen Branche darstellen?
Was haben Choreografinnen eigentlich vorrangig mit Macht an Opernhäusern zu tun? Choreografen und Choreografinnen arbeiten überwiegend künstlerisch und entwerfen Ballette (also Tanzfolgen, Tanzbewegungen, Formationen, Abläufe, beteiligen sich an der Inszenierung von Balletten oder Ballettszenen).
Es ist sicher so, dass es in Ballett-Ensembles Probleme mit übermäßiger Dominanz und (physischem und psychischem) Druck gibt, aber mir scheint, das betrifft auch andere Bereiche an Theatern, also auch im Schauspiel, in der Regie, vielleicht auch in Orchestern. Ich denke, es ist kein Problem, das sich nur im Ballett manifestiert.
Mir ist allerdings nicht ganz klar, wie der thematische Zusammenhang zu der aktuellen Inszenierung von Sancta in Stuttgart herzustellen ist. Ich denke, es handelt sich um unterschiedliche Themenbereiche, die jede für sich diskutiert werden können.
Also darf Kunst im weitesten Sinne nur dann Gesellschaftskritik üben, wenn hinter den Kulissen ethisch perfektes Vorgehen und generell blütenweiße Westen vorherrschen? Das wird gelinde gesagt schwierig. Da könnte auch kein Geistlicher mehr am Altar vorne stehen oder von der Kanzel predigen.
Dass der Kulturbetrieb oft ein raues Pflaster darstellt, ist zur Genüge allgemein bekannt. Hoher Konkurrenz- und Leistungsdruck, oft bei mäßiger Bezahlung und zu nicht gerade familienfreundlichen Arbeitsbedingungen - da ist es für viele Bühnenkünstler sicher noch das kleinste Problem, sich in einer provokanten Inszenierung blutverschmiert auf dem Boden zu wälzen. Viele dürften die Branche sogar auch deswegen gewählt haben, weil man hier Grenzen austesten und auch mal gepflegt die Sau rauslassen kann und nicht immer nur das keusche Schneeflöckchen im "Nussknacker" geben muss.
Ich sehe es also eher als positiv an, auch die Schattenseiten der Kulturindustrie zu beleuchten und auf Wandel zum Positiven zu drängen. Gerade im Bereich Ballett und Tanz muss sich langfristig Einiges tun, weil aller Idealismus nicht ausreicht, wenn die Gesundheit des künstlerischen Personals abkackt. Aber da habe ich wahrhaftig kein Pferd im Rennen.
@Gerbera: Allgemein herrscht ja die Ansicht, dass Kunst alles darf, vor allem wenn man es dann so verkaufen will, dass man damit etwas Gutes erreichen will. Bei Sancta jedoch sehe ich nicht einmal Gesellschaftskritik, denn zumindest in der aktuellen Version wird nicht die damalige Gesellschaft kritisiert, in der es sich nicht schickte Missstände zu sehen, geschweige denn darauf aufmerksam zu machen oder gar den Opfern zu helfen.
Doch geht es mir in diesem Thread eher um die Frage, warum in Kunst, Musik und Kultur nicht viel häufiger (oder überhaupt) die Missstände in der eigenen Branche kritisiert werden? Das finde ich wesentlich innovativer, als Frauen dazu zu gebrauchen die freie Berufungsentscheidung anderer Frauen auf so eine respektlose, frauenfeindliche und blasphemische Art dazustellen.
Natürlich gibt es genügend Frauen an der Oper, die kein Problem damit haben sich nackt und blutverschmiert über den Boden zu wälzen oder sich Haut rauszuschneiden. Als provokante Inszenierung könnte man so sicherlich auch medienwirksam den über Leichen gehenden Kulturschaffenden darstellen und die Strenge und Disziplin unter der vor allem die Kinder und Jugendlichen dieser Branche leiden, so gar Schlimmeres.
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