Warum werden in Deutschland so viel Suizide begangen?
Laut Statistik wurden im Jahr 2023 über 10.000 Suizide in Deutschland begangen und in diesem Jahr wird laut Schätzungen diese Zahl wohl noch übertroffen. Ich war regelrecht erschrocken über diese Anzahl und hätte eher an einige Hundert im Jahr gedacht. Kennt ihr diese Statistik und was sind denn eurer Meinung nach die Ursachen, für eine derart hohe Anzahl an Suiziden in Deutschland?
Ich möchte mit Sicherheit keinen einzigen Suizid verharmlosen. Der Weg dahin ist für jeden Betroffenen die Hölle und die Angehörigen leiden oft lebenslang unter dem Verlust. Aber ich bin überrascht von der großen Betroffenheit über die vergleichsweise geringen Zahlen, die wir zum Glück haben.
Zum Verständnis: Wir liegen in Deutschland nur knapp über dem Durchschnitt in Europa. Während hierzulande knapp 11 Menschen pro 100.000 Einwohner Suizid begehen, sind es Litauen mit mehr als 25 mehr als doppelt zu viel. Das hieße für meine Stadt, dass rein statistisch betrachtet statt 55 Menschen pro Jahr gleich 125 den Freitod wählen. Selbst in den Niederlanden und in Österreich gibt es mehr Suizide als hier.
Der größte Teil der Betroffenen nimmt sich aufgrund einer psychischen Erkrankung das Leben. Depressionen sind da führend, aber auch Schizophrenie und Sucht sind nicht selten. Die letzten zum Glück meist nicht gelungenen Suizidversuche gab es in meinem Umfeld aufgrund von Schizophrenie und Sucht.
Eine gute Freundin hat sich in größter Verzweiflung das Leben genommen, als ihr Partner verstorben ist. Vielleicht wäre das andere ausgegangen, wenn jemand aus ihrem Umfeld sie emotional erreicht hätte. Wer weiß? Die war in ihrer Trauer so verzweifelt, dass sie so schnell gehandelt hat, dass beide zusammen bestattet werden konnten.
Unheilbare Erkrankungen, Gewalterfahrungen und andere existenzielle Krisen führen ebenfalls oft zum Suizid. Warum sollten es in Deutschland nur wenige Hundert Personen sein? Die typischen Ursachen sind auch hierzulande nicht selten und die Möglichkeiten zur Sterbehilfe für unheilbar Erkrankte suboptimal.
Ursache für Selbstmord? Wie @cooper75 schon auführte, gibt es eine Reihe von Gründen. Und gerade in einem Berufsbereich, in dem man das kaum vermuten würde, passiert so etwas. Vielleicht liegt das daran, dass Mitarbeiter im medizinischen Sektor leichter an Pharmaka gelangen können, die tödlich wirken.
Stress war damals Ursache bei einem Fall und ein fatales Missverständnis oder zu späte Reaktion der Bezugspersonen, und nicht ernst genommen worden zu sein, also eine Verquickung ungünstiger Umstände.
Der Delinquent, ich nenne das jetzt laienhaft einmal so, möchte in Wirklichkeit oft überhaupt nicht aus dem Leben scheiden. Er empfindet nur die momentane Situation als "nicht lebbar" und sucht nach einem Ausweg.
Hier war als Auslöser ein Konflikt der Krankenschwester auf der Intensivstation zu nennen, die im Nachtdienst mehrere Exitus miterleben musste, den Chefarzt deswegen um kurze Freistellung gebeten hatte, dieser aber auf Einhaltung des so wie so eng getakteten Dienstplanes beharrte.
Und das Fatale nun, in der Nacht des Suizids hatte sie ein Mitglied des gerade Dienst habenden Pflegepersonals vorher noch angerufen, dieses hatte aber gerade - selber im Stress - keine Zeit, sich mit ihr zu unterhalten. Im Verlaufe des Nachdienstes kam das dem Pflegepersonal doch komisch vor, versuchte noch, die besagte Krankenschwester zurückzurufen. Als diese sich nicht meldete, wurde schließlich die Polizei alarmiert, die, eingetroffen an der Wohnadresse, zusammen mit dem Notarzt nur noch den Tod der Krankenschwester feststellen konnte.
Wollte damit sagen, Suizidgedanken nehmen oft deswegen ein so tragisches Ende, weil Kommunikation nicht so funktioniert, wie sie eigentlich wünschenswert wäre.
Einen Bilanz-Selbstmord eines Geschäftsehepaares kenne ich auch noch. Beide waren hoch verschuldet und wollten kein Leben auf Sozialhilfeniveau weiterführen.
Man müsste die oben angeführte Statistik noch genauer differenzieren nach Art des Suizides. Interessanterweise steigt diese Rate bei sehr alten Menschen stark an. Da müsste man aber unterscheiden zwischen Sterbehilfe und Suizid der anderen Kategorien.
Man könnte noch von Horrorszenarien mit blutverschmierten Lokomotiven im Bahnhof berichten. Das bezieht sich aber mehr auf die Methode, nicht auf die Motivation. Darum ging es in diesem Thread ja nicht.
Um die Suizidrate zu reduzieren, wird ja gerade von Minister Lauterbach verstärkt auf die Notwendigkeit einer Prävention hingewiesen. Allerdings bin ich nicht ganz einverstanden mit den geplanten Maßnahmen. Wenn Brückengeländer gesichert, Absturzmöglichkeiten erschwert, und Ähnliches mehr durchgeführt würde, bleibt immer noch die Bekämpfung der Motivation zum Suizid.
Bin der Meinung, eine rundum in Watte gepackte Umwelt würde keinen "Delinquenten", der es in die Tat umsetzen möchte, davon abhalten. Er würde immer noch irgendeine Methode finden, sein fatales Vorhaben durchzuführen.
Da müsste die Prävention ansetzen. Aber wie kommt man an die Leute ran? Das kollidiert bestimmt kräftig gegen das jedermann zugestandene und auch sonst so hoch im Kurs gehaltenes Recht auf Privatsphäre. Eine Gesellschaft wie auf dem Dorfe, wo jeder jeden kennt, hätte auch Nachteile.
Mich erschreckt diese Zahl nicht, die genaue Dunkelziffer würde vielleicht schocken. Doch auch weil über Suizide wenig berichtet wird, und die Methoden verschwiegen werden, ist diese Zahl seit 1980 gesunken. 1982 waren es fast 19.000 Menschen. Auch die Zahl aus dem letzten Jahr ist im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent gesunken.
Mich verwundert es manchmal eher, dass die Zahlen nicht steigen, obwohl gesellschaftliche Strukturen immer mehr bröckeln, Familien zerbrechen, jahrzehntelange Arbeitsplätze mit entsprechendem sozialem Umfeld durch prekäre Jobs (oder Maschinen) ersetzt werden, der Glaube an Gott schwindet, und vielen Menschen, der Halt im Leben fehlt.
Die Gründe für Suizid sind vielfältig und häufig kommen mehrere Faktoren zusammen. Bei psychisch labilen Menschen bringt manchmal eine zusätzliche Krise das Fass zum Überlaufen. Bei manchen Opfern, vor allem bei psychiatrischen Vorerkrankungen, spielen Drogen und Alkoholmissbrauch eine Rolle. Neben familiärer Disposition kommt bei einigen ein Schockerlebnis hinzu: z.B. ist das Risiko höher, wenn man es in der Familie Selbsttötungen gab und wenn dann was Schlimmes passiert im eigenen Leben, sehen einige keinen anderen Ausweg.
Oftmals können sich Menschen auch nicht vorstellen anders zu leben. Teilweise vermittelt die Gesellschaft dies, z.B. sieht man schon daran, dass fast alle Kinder mit Down-Syndrom-Risiko abgetrieben werden, dass Behinderungen von vielen als nicht lebenswert angesehen werden. Und mancher wählt den Freitod statt einem nicht lebenswerten Leben. Für das genannte Geschäftsehepaar ist gar ein Weiterleben ohne Reichtum ausgeschlossen. Für andere ist es das Leben ohne den Ehepartner, die Kinder oder das Eigenheim. Vor allem, wenn jemand oder etwas geliebtes "plötzlich" wegbricht, ist das Risiko dar, dass es zu Kurzschlussreaktionen kommt.
Andere Menschen haben keine Hoffnung auf Freiheit nach ihrer Definition. Sei es durch Gefangenschaft, richterliche Beschlüsse, toxische Abhängigkeiten oder in der geschlossenen Psychiatrie. So wollen sie nicht leben und suchen deshalb die vermeintliche Freiheit der Entscheidung für den Freitod.
Das ist echt eine schwierige Frage, und ich glaube, es gibt keine einfache oder eindeutige Antwort darauf, warum in Deutschland so viele Suizide begangen werden. Es spielen sicherlich viele verschiedene Faktoren eine Rolle, und die Gründe können von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein.
Was ich persönlich denke, ist, dass unsere Gesellschaft schon sehr leistungsorientiert ist. Es gibt einen enormen Druck, immer erfolgreich zu sein, sei es im Beruf, in der Familie oder in sozialen Beziehungen. Und wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie diesen Erwartungen nicht gerecht werden, kann das zu einem starken Gefühl der Überforderung und Hoffnungslosigkeit führen. Oft wird über psychische Probleme wie Depressionen oder Angststörungen noch viel zu wenig offen gesprochen. Viele fühlen sich damit allein gelassen oder haben das Gefühl, dass sie nicht „schwach“ sein dürfen. Diese Unsichtbarkeit von psychischen Erkrankungen kann dann auch dazu führen, dass Menschen nicht die Hilfe bekommen, die sie bräuchten, bevor es zu spät ist.
Dazu kommt, dass in Deutschland das soziale Netzwerk zwar gut ausgebaut ist, aber trotzdem nicht alle Menschen wirklich erreicht. Gerade in ländlichen Gebieten oder bei älteren Menschen kann Einsamkeit ein großes Problem sein. Menschen fühlen sich isoliert, vielleicht weil Familienstrukturen nicht mehr so stark sind wie früher oder weil der Kontakt zu Freunden abgebrochen ist. Einsamkeit kann ein großer Faktor sein, warum Menschen keinen Ausweg mehr sehen.
Ein anderer Punkt ist, dass wir in einer sehr rationalen und materiell orientierten Gesellschaft leben. Manchmal fehlt es da einfach an emotionaler Unterstützung, an echten Verbindungen zu anderen Menschen. Alles dreht sich um Arbeit, Karriere und Konsum, aber diese Dinge machen nicht automatisch glücklich. Und wenn das emotionale Wohlbefinden vernachlässigt wird, kann das zu einer inneren Leere führen, die schwer zu ertragen ist.
Und dann gibt es noch die Leute, die vielleicht schwere Schicksalsschläge erlebt haben – sei es durch Krankheit, Verlust eines geliebten Menschen oder andere traumatische Erfahrungen. Solche Erlebnisse können das Leben von Grund auf erschüttern, und wenn man keine ausreichende Unterstützung oder Bewältigungsstrategien hat, kann das auch in Verzweiflung enden.
Ich denke, es ist wichtig, dass das Thema psychische Gesundheit mehr Aufmerksamkeit bekommt und dass Menschen wissen, dass es in Ordnung ist, über ihre Probleme zu sprechen und sich Hilfe zu holen. Es muss auch mehr Anlaufstellen geben, und die Hemmschwelle, sich professionelle Unterstützung zu suchen, sollte gesenkt werden. Niemand sollte sich allein fühlen oder das Gefühl haben, dass es keinen anderen Ausweg gibt.
Das ist aber nur meine persönliche Sicht, und das Thema ist sicherlich vielschichtiger. Jeder Fall ist anders, und deswegen sollten wir sensibel und offen mit solchen Themen umgehen.
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