Wie lebt man seinen Glauben ohne Kirche?
Ich denke auch, dass man auch ohne Gemeinde seinen Glauben ausleben kann. Ich habe zwar eine feste Gemeinde, aber in der Bibel lese ich z.B. ganz unabhängig und tausche mich da auch kaum mit jemanden aus. Auch meine Gebete mache ich in der Regel zuhause alleine im Stillen. Gottesdienste und Predigten kann man heutzutage ja auch alles online verfolgen.
Dennoch ist mir meine Gemeinde sehr wichtig und ich bin dadurch ein besserer Mensch/Christ geworden, bzw. lebe meinen Glauben durch die Gemeine intensiver aus. Meine Gemeinde brauche ich um mich taufen zu lassen und weil mir der Austausch mit anderen Christen/Freunden eben sehr wichtig ist.
Ich verstehe nicht was Glaube mit organisierter Religion zu tun hat und was dieser absurde Vergleich zur Wissenschaft soll. Hast du dich überhaupt schon mal mit Astrophysik beschäftigt und weißt du, wie man auf die Urknalltheorie gekommen ist?
Es gibt ganz viele verschiedene christliche Kirchen, die alle den selben Text auf ganz unterschiedliche Weise interpretieren. Du weißt nicht welche Interpretation richtig ist, niemand weiß das, also kann ein Privatmensch genauso gut seine eigene Interpretation haben. Du hast schließlich auch deine ganz eigenen Interpretationen, die mit den Originaltexten sehr wenig zu tun haben.
Die berühmte "Nächstenliebe" zum Beispiel. Bezieht sich sehr wahrscheinlich nur auf Juden aus dem selben Stamm. Der Text sagt nicht, dass du nett zu allen Leuten sein sollst, nein, du sollst nur nett zu den Stammesgenossen sein, die deine Religion teilen. Andere Stämme wurden zu der Zeit gerne mal bekämpft und versklavt. Da liefert die christliche Bibel übrigens eine schöne Anleitung, wie viel Misshandlung der Sklaven noch in Ordnung ist.
Oder nehmen wir die "anderen Götter". Wenn man die biblischen Texte chronologisch betrachtet sieht man, dass sich die Menschen in den Geschichten ganz offensichtlich vom Polytheismus hin zum Monotheismus entwickelt haben. Die "anderen Götter" sind tatsächlich Götter, genau wie der christliche Gott. Dieses Verbot hat mit Fußballern und was du dir sonst noch ausgedacht hast überhaupt nichts zu tun, das betrifft Vishnu, Shiva und Co.
Und das "menschlich korrekte Verhalten" hat mit Kirche eigentlich auch so gar nichts zu tun. Das sind eigentlich alles Idee des Humanismus und der Aufklärung, die von den Kirchen übernommen wurden.
Täubchen hat geschrieben:Ich kenne das so, dass echte Christen tatsächlich eine persönliche Beziehung zu Gott pflegen.[...] Dafür braucht man dann keine Institution Kirche, das klappt auch privat ganz gut.
Du nennst tägliche Bibellesen, Gebete und Gruppen als Möglichkeiten seinen Glauben zu leben. Ich kenne auch Bibelkreise- davon erfährt man durch die Pfarrgemeinde, es wird im Pfarrbrief darüber informiert und die Gruppen werden meistens von Gemeindemitgliedern (hauptamtlichen oder Laien) geleitet.
Ich lese durchaus auch die Bibel. Es handelt sich dabei um Exemplare, die von den Kirchen über 2000 Jahre zusammengetragen, übersetzt, publiziert wurden. Und in der Bibel lese ich immer wieder, wie wichtig die Gemeinde ist. Die ersten Nachfolger Jesu waren mit ihm gemeinsam auf dem Weg und blieben nicht in ihrer gewohnten Umgebung, bei ihrer Familie und ihren Freunden, um ihm zu folgen, sondern sie gingen mit ihm und Gleichgesinnten, sozusagen die erste Gemeinde. Und nach seiner Himmelfahrt gründeten sie eigene Gemeinden, bauten Kirchen, führten das Priester und Bischofsamt durch all die Jahrhunderte. Ich denke nicht, dass das mögliche gewesen wäre, wenn sie einfach privat gebetet hätten, an Jesus gedacht hätten, und mit ihren eigenen Aufzeichnungen allein geblieben wären.
Ebenso sehe ich viele Gebete. Vor allem als Glaubensneuling fiel es mir sehr schwer frei zu beten und ich "brauchte" die etablierten Gebete. Und um selbst freier zu beten, hilft es mir andere Gläubiger und Priester dabei zu erleben. Außerdem gibt es viel Literatur, die von der Kirche autorisiert ist, durch sie verbreitet wird.
Vor allem lebe ich auch aus den Sakramenten, die Jesus uns geschenkt hat. Und die kann ich nicht alleine leben, sondern dafür braucht es andere. Und so ist der Kirchenraum dann auch ein geschützter Rahmen, wo ich mich besser auf den Gottesdienst einlassen kann, als wenn nebenan die Spülmaschine läuft, die Menschen in meinem Umfeld skeptisch gegenüber der Glaubenspraxis sind und an den Orten im eigenen Haushalt sonst vieles andere stattfindet. In die Kirche hingegen gehe ich nicht auch zum Schlafen, Essen, Arbeiten, Kochen, Steuererklärung, zum Putzen und zur Hausarbeit, sondern die Räume wurden oft seit vielen Generationen "durchbetet". Hunderte oder tausende Menschen wurden dort in die Gemeinschaft aufgenommen, gaben Versprechen vor Gott ab, erfuhren Heilung, Trost, Liebe und Segen, trauerten und hofften und beteten.
@Trisa, den Kirchenraum empfindest du aber so, weil du glaubst. Ich glaube nicht und empfinde Gotteshäuser als Arbeitsplatz. Da wird geputzt, geschmückt und für die musikalische Untermalung gesorgt. Das fühlt sich für mich nicht anders an als in anderen alten Gebäuden mit historischer Ausstattung...
@cooper75, als Reinigungskraft mag man keinen Bezug zu den Arbeitsorten haben. Das ist bei Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Feuerwachen, Kindergärten etc. nicht anders. Man könnte theoretisch Kinder auch zu Hause betreuen, könnte daheim untersucht werden, etc. dennoch macht auch das für mich einen Unterschied. Und die Organisten sind hier Teil der Gemeinde.
@Trisa, wie kommst du darauf, dass ich Reinigungskraft bin? Glaubst du etwa, Gott hält die Kirche sauber, sorgt für den jahreszeitlich angepassten Schmuck, pflegt die kostbaren Stoffe und sorgt für die Musik? Das erledigen in vielen Gemeinden engagierte Ehrenamtler. Denn bei weitem nicht jede Gemeinde kann das insbesondere in Zeiten von Filialkirchen leisten!
cooper75 hat geschrieben:@Trisa, wie kommst du darauf, dass ich Reinigungskraft bin?
Jene Ehrenamtlicher, die ich kenne, die sich um Kirchenräume kümmern, machen das durchaus als "Gottesdienst", also den Dienst für Gott. Und für sie macht es einen Unterschied, ob sie eine Anwaltskanzlei, Behörde oder Kirche putzen und schmücken.
Tja nun, die sind dann halt Gemeindemitglieder und gläubig. Ich bin weder Mitglied einer Gemeinde, ich bin es auch nie gewesen, noch bin ich gläubig. Und ohne den Glauben fühlt es sich eben absolut nicht anders an. Du bestätigst damit doch genau mein Argument: Es fühlt sich anders an, weil man glaubt.
Zumal das mit dem "durchgebetet" nun auch nicht immer nur als positiv oder erhebend zu sehen ist. Meine Hauptkirche steht auf den Grundmauern von Gotteshäusern aus dem 9. Jahrhundert und nutzt auch einen Taufstein aus der Zeit. Das Gebäude selbst setzt sich aus Teilen zusammen, die zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert gebaut worden sind.
Und aufgrund der Lage am Leinpfad, dem Hellweg und in einer damaligen Hansestadt war diese Kirche immer eine Wehrkirche, die auch eine mehrtägige Belagerung übersteht und Möglichkeiten zur Verteidigung bietet. "Durchgebetet" hat da eher Verzweiflungs- und Schlachtfeldcharakter, wenn man den tatsächlich was spüren würde.
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