Lernen können, nie über etwas zu jammern?
Die meisten Menschen die ich kenne, jammern durchaus mal mehr und mal weniger. Das halte ich auch für menschlich und normal. Allerdings kann man angeblich lernen, komplett darauf zu verzichten. Man soll jammern einfach unterdrücken können und dies mit sich selbst ausmachen. Das würde bei anderen dann auch viel sympathischer wirken, wenn man eben nicht mehr jammern würde.
Habt ihr schon davon gehört, dass man durchaus lernen kann, jammern zu unterbinden? Ist es bei euch so, dass ihr niemals jammert und dies gelernt habt? Wie habt ihr das gelernt? Oder habt seid ihr so erzogen worden, nicht zu jammern?
Es ist doch irgendwie auch eine Definitionsfrage was man als jammern bezeichnet. Für mich ist es, wenn man sich stundenlang sinnlos über einen Zustand beklagt, wobei es ja eigentlich schon jammern ist, wenn man über das schlechte Wetter klagt und das geringe Jammern abzuschalten finde ich nahezu unmöglich, weil es ja teilweise unterbewusst stattfindet.
Man kann sicherlich an allem arbeiten, aber es ist auch immer die Frage ob man das muss. Wenn ich Probleme habe rede ich gerne darüber, wenn ich dann einen falschen Moment bei der anderen Person erwische, dann kann es aber durchaus sein, dass mir das als jammern ausgelegt werden könnte. Das kommt sicherlich auch immer auf die Stimmung und den Moment an. So erstrebenswert finde ich es aber nicht, dass man nicht mehr über das spricht, was einen bewegt.
Ich kenne wirklich einen Menschen, der sich wirklich nie beklagt und auch nie jammert und das ist mein Partner. Da wir zusammen leben und schon viele Jahre zusammen sind, kann ich das wohl am besten beurteilen. Er ist eher der Typ Mensch, der sich sagt, dass es nichts bringt sich über Sachen aufzuregen und zu jammern, die man eh nicht ändern kann. Er ist die Ruhe in Person und das finde ich wirklich erstrebenswert. Dementsprechend denke ich schon, dass man diesen Zustand erreichen kann, niemals zu jammern, wenn man das möchte.
Ich befinde mich zur Zeit auf einem guten Weg dahin und jammere inzwischen auch nicht mehr über Dinge, die ich eh nicht ändern kann. Sich über etwas zu beschweren und aufzuregen ist für mich etwas komplett anderes, weil "jammern" für mich impliziert, dass man Mitleid erregt oder erregen möchte, weil es einem ja so schlecht geht. Ich habe nie behauptet, dass es mir besonders schlecht geht wegen Gesundheit, Arbeit, Familie, Freunden, etc. daher wüsste ich nicht, was das bringen soll. Das Jammern ändert doch nichts an der Situation und es verbessert nichts, auch dann nicht, wenn man es tausend Mal wiederholt vom Inhalt her.
Wenn man es nicht übertreibt, finde ich "Jammern" gar nicht so schlimm. Mich irritieren eher die Mitmenschen, denen anscheinend immer die Sonne aus dem Allerwertesten scheint und die sich derart mit Gewalt aufs positive Denken getrimmt haben, dass sie nicht nur die eigenen Probleme verdrängen oder abtun, sondern auch die ihrer Umwelt. Wenn ich noch einmal dieses herablassende "Ist doch nicht so schlimm! " oder "Sieh es doch einfach positiv!" höre, lasse ich mich auch mal gehen.
Mich nervt es zwar auch, wenn Leute ausschließlich jammern und an nichts ein gutes Haar lassen, vom Wetter über die Politiker, Ausländer, Lehrkräfte, Handwerker, Haustiere und Zimmerpflanzen bis hin zur Art des Straßenpflasters. Aber hin und wieder finde ich es auch ganz entspannend, sich mal in geselliger Runde gepflegt darüber auslassen zu können, wie sackheiß es im Büro ist, was für ein Affenstall in der U-Bahn herrschte und wie viel Monat am Ende des Geldes übrig ist.
Ich finde sogar, dass es den Blick auf die positiven Aspekte eher schärft, wenn man sich von dem ewigen Zwang zum positiv Denken abgrenzt und sich ehrliche, eigene Urteile im Positiven wie im Negativen bildet. Man kann nur sehen, was gut und schön ist und funktioniert, wenn man sich auch mal eingesteht: Das war jetzt kacke! Und ich würde auch den sozialen Aspekt nicht unterschätzen. Gemeinsames Jammern verbindet und man kann sich gegenseitig bei Problemen helfen. Voraussetzung ist natürlich, dass nicht pausenlos gequengelt wird und man zumindest teilweise über Dinge jammert, die sich ändern lassen.
Ich glaube ich bin für übermäßiges Jammern einfach zu pragmatisch eingestellt. Klar erwähne ich die Bullenhitze mal, aber eine ausgiebige Jammerorgie bringt ja keine Abkühlung, also kann ich mir das sparen.
Ich habe aber nicht unbedingt den Eindruck, dass das sympathischer wirkt. Manch einer ist eher irritiert wenn ich nicht in den Jammerchor mit einstimme sondern so etwas wie "es ist heiß? Ist mir noch gar nicht aufgefallen, ich sollte öfter mal auf mein Smartphone schauen" sage.
Ich glaube auch, dass es eine Definitionsfrage ist, wie und ob jemand jammert. Es gibt durchaus den einen oder anderen, den man gerne sagen hört, bohr ist das wieder anstrengend. Oder alles lastet am Ende immer bei mir. Andere sehen sogar die Floskel „alles liegt an mir oder bleibt an mir hängen“ als jammern oder gar Beschwerde. Man kann sicherlich so einiges als jammern auf hohem Niveau sehen und in Wahrheit können wir wohl nicht abstreiten, dass wir alle mal gejammert haben. Selbst dann, wenn es uns eigentlich nicht direkt so bewusst war.
Doch das hat sich geändert. Ob man das lernen kann? Ich denke nicht. Denn ich glaube, dass es was mit der Wahrnehmung als solches zu tun hat. Eben mit dem hier und jetzt, aber wenn ich jammere, ändert sich am hier und jetzt eben nichts. Entweder ich kann etwas verändern, dann tue ich es oder ich kann es nicht verändern, dann tue ich es nicht, aber jammere eben auch nicht herum. Was bringt mir auch jammern?
Nehmen wir mal genau jetzt als Beispiel. Ich habe gerade eine schreckliche Diagnose aus meiner Familie erhalten. Meine Oma, eine mir sehr wichtige Person ist zu schwach für die Chemo und dazu auch etwas älter. Jetzt könnte ich jammern, wieso mir dieses Jahr schon wieder das Jahr scheiße begonnen hat und vielleicht auch scheiße endet. Ich könnte wieder heulen, wieso ich den nächsten wichtigen Menschen drohe zu verlieren, aber was bringt es mir? Nichts!
Das heißt nicht, dass ich in dem Fall nicht traurig sein werde, aber mir wird es nicht helfen, wenn ich weine oder sonst was. Mir hilft da auch kein jammern und in Zukunft auch nicht. Das gilt auch für ganz banale Dinge. Vielleicht jammere ich auch noch, aber dann eher für mich und niemals vor Zeugen. Ich drücke vor anderen Leuten nicht wirklich meine Gefühle aus. Ich werde so nicht angegriffen und habe so auch keine Plattform geboten, damit man mich als Objekt für irgendwelche stille Post-Spielchen nehmen kann.
Ich habe also auch früh gelernt, alles mit mir auszumachen. Selbst wenn es dann das Jammern wäre.
Ehrlich gesagt weiß ich gerade nicht einmal, wo auf dem Spektrum der Jammerer und Jammerei ich so stehe. Vermutlich kommt es auf meine Laune, das Thema und den Adressaten an. Zumindest hat eine Freundin mir mal zu meiner extremen Überraschung gesagt, sie würde bewundern, wie wenig ich jammere und wie tapfer und stark ich bin. Äh, okay. Nehme ich persönlich gar nicht so wahr und denke mir, dass es anderen ja noch viel schlechter geht und überhaupt alles schlimmer sein könnte.
Aber natürlich habe ich gerade meinem Partner gegenüber die Phasen, wo ich stöhne, jammere, schimpfe, wehklage, anklage, mich selbst bemitleide und so weiter und so fort. Meistens versuche ich aber schon, den Kopf oben zu halten, weil man ja im Regelfall selbst keine Lust hat, das eigene nicht lebensbedrohliche Leiden allzu sehr zu zelebrieren. Irgendwie mache ich auch noch einen Unterschied zwischen erzählen, traurig sein, jammern, schimpfen oder einen gepflegten Rant über ein Thema hinzulegen. Letzteres kann ich schon ganz gut.
Generell glaube ich, dass man das weniger Jammern insofern lernen kann, als dass man entweder lernt, sich zusammenzureißen oder aber seine Wahrnehmung und Wertung bestimmter Dinge ändert. Das heißt nicht, schlimme Dinge positiv schönzureden, sondern manche, weniger schreckliche Sachen, neutraler zu beurteilen. So ganz normale Alltagsärgernisse eben umdeuten. Dabei aber bitte nicht in zwanghafte Selbstoptimierung verfallen, das nervt auch.
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