Lohnt sich Arbeit wirklich nicht mehr?
Gerade angesichts der ziemlichen Erhöhung des Bürgergeldes ab Januar nächsten Jahres, ist eine Diskussion im Gange, dass sich normale Arbeit schon nicht mehr lohne. Laut einer aktuellen INSA-Umfrage sind knapp 60% derselben Meinung und würden wohl auch eher das Bürgergeld vorziehen, als sich jeden Morgen aus dem Bett zu quälen. Habt ihr auch diese Empfindung oder Meinung, dass sich Arbeit nicht mehr so wirklich lohnt? Wie könnte man dieser Meinung entgegenwirken und politisch gegensteuern?
So einfach ist das auch nicht, Bürgergeld zu bekommen. Beispielweise kommt jetzt noch der sogenannte "Kooperationsplan" hinzu. Wer da nicht mitwirkt, bekommt kein Geld.
Man muss in der Lage sein, mindestens drei Stunden Arbeit pro Tag zu leisten
Eine Stimmung zu verbreiten, man müsse es nur schlau genug anstellen, um sich auf Kosten anderer ein bequemes Leben zu machen, war schon vor Jahrzehnten Schlagzeilenfüller vor allem in der Boulevardpresse. Kein Wunder, dass bei einer Veränderung in dem sozialen Bereich, alte Vorurteile wiedergekäut werden.
Tatsächlich bezieht sich das von der Presse verbreitete Schmarotzertumbashing hauptsächlich auf eine Reihe von Fällen, die aber keineswegs auf die Allgemeinheit anwendbar sind. Hetzte gegen Ausländer ist da nicht weit von entfernt. Wir erinnern uns lebhaft an den Ausspruch von Frau Weidel mit den Kopftuchmädchen.
Um aber objektiv zu bleiben, sollte darauf hingewiesen werden, dass niemand gerne das Attribut "arbeitslos" oder "Sozialhilfeempfänger" mit sich herumträgt. Es gibt sogar viele ältere Leute, die Anspruch auf Grundsicherung hätten, aber aus Schamgefühlen heraus keinen Antrag stellen möchten.
Und in Köln galt lange Jahre der Ermessensspielraum für die Bewilligung von Sozialhilfe, der jungen Leuten gänzlich staatliche Hilfe versagen konnte. Was aber die Frage hier suggeriert, ist das Abstandsgebot, das auch von Politikern verbalisiert wird. hier
Diese (Neid)-Debatte wird doch wahrhaftig jedes einzelne Mal hervorgekramt, wenn den Leistungsempfängern ausnahmsweise mal ein paar Öcken mehr zugesteckt werden. Sofort geht das Geifern und das Rechnen los: Wenn unter den und den Umständen eine Familie mit soundsoviel Kindern in München blablabla, dann könnten sie tatsächlich im Monat einen niedrigen zweistelligen Betrag mehr abbekommen als Familie X mit einem Mindestlohnempfänger als Hauptverdiener oder was auch immer.
Auf die Idee, die Lücke dadurch zu vergrößern, dass der Verdienst derer, die sich "jeden Morgen aus dem Bett quälen" ansteigt, kommt aus unerfindlichen Gründen natürlich kein Mensch. Besonders nervt mich noch dazu, dass die sozialen und individuellen Aspekte der geregelten Erwerbsarbeit nach spätkapitalistischem Muster bei derlei Debatten immer hinten runter fallen. So sexy ist es nämlich auch nicht, zwar morgens nicht aufstehen zu müssen, aber dafür auch keinen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben leisten zu können und was sonst noch so zur traditionellen Erwerbsarbeit dazu gehört, vom Austausch mit Kollegen bis hin zur Weiterbildung für die geistige Regsamkeit.
Gorgen, welches Lohnabstandsgebot denn bitte? Ohne dessen Abschaffung 2010 wäre der gewaltige Niedriglohnsektor, der hierzulande geschaffen wurde, doch gar nicht möglich gewesen. Vor dem Mindestlohn mussten wegen der Abschaffung Millionen Menschen auch als Single mit Vollzeitjob aufstocken.
Und das ist doch auch der Kern der Sache. Arbeitskosten senken und Steuereinnahmen erhöhen. Denn mit der Sozialleistungen steigt auch der steuerfreie Grundfreibetrag. Und das will neoliberale Politik nun ganz sicher nicht. Konzerne sollen schließlich entlastet und das Staatssäckel gefüllt werden. Sonst wird das nichts mit dem leistungslosen und steuerbegünstigten Einkommen aus Geldanlagen.
Ganz ehrlich habe ich es vor einigen Jahren mal ausgerechnet, was uns damals zugestanden hätte, wenn mein Mann und ich uns einfach auf die faule Haut gelegt hätten. Und ja, schon damals habe ich mich gefragt, wie blöd wir da eigentlich sind.
Aber ich genieße auch die Freiheit nicht regelmäßig beim Jobcenter die Hosen runter zu lassen, um an das Geld für 7/24 Stunden Freizeit zu kommen. Ich muss mir keinen Urlaub genehmigen lassen, kann selbst entscheiden, ob ich mir mal außer der Reihe einen Tag frei nehme und vieles mehr, was diese Leistungsempfänger eben nicht dürfen.
Und das wichtigste Argument aus meiner Sicht sind die finanziellen Rücklagen. Da muss ich auf keine Obergrenzen achten oder erst etwas verbrauchen, bevor ich Sozialleistungen erhalten kann.
Trotzdem ist es nicht ganz von der Hand zu weisen, dass sich für einige Menschen arbeiten durch diese finanziellen Stützen nicht lohnt. Erst gegen Ende letzten Jahres haben einige Selbstständige ihr Gewerbe abgemeldet und sind zum Bürgergeld gewechselt.
Es ist die Agenda 2010, von Kanzler Schröder, die genau das bewirkte. Also vor 2010 gab es schon für den Arbeitnehmer effektive Niedriglöhne, gerade im Bereich der Zeitarbeit, oder besser ausgedrückt, Arbeitnehmerüberlassung.
Gut die Essenz herausgestellt: Lohnkosten runter, Steuern rauf. Alle in Arbeit, Arbeitslosenzahlen runter auf Biegen und Brechen. Aber was das dann für den Sozialstaat bedeutet, wurde nicht in letzter Konsequenz extrapoliert. Niedrigere Renten - Grundsicherung. Also ein Bumerang, der jetzt umso heftiger zurückschlagen wird.
Die erwähnte Sache mit den Geldanlagen bezog sich wohl auf das neue geplante Rentenreformprojekt, zu dem ich hier erst einmal nichts sagen möchte. Aber die Risiken sind nicht wegzudiskutieren. Und bestimmt ein neues, interessantes Thema hier wert.
Nö, Gorgen, anders als du bleibe ich beim Thema und meine, was ich schreibe. Ich spiele nicht auf das Rentenreformprojekt an. Ohne billige Arbeitskräfte und einen starken Staat, der es möglich macht, Verluste zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren, lohnen sich Aktien nicht. Und für gute Bedingungen für Konzerne braucht der Staat Geld, was besser Bürger und KMU beisteuern. Zumindest aus Sicht von Blackrock-Merz. Das kann man aber nicht sagen. Also hetzt man Geringverdiener und Mittelschicht gegen Sozialleistungsempfänger auf. Klappt doch gut, wie Trump und Umfragen hierzulande beweisen.
cooper75 hat geschrieben:Verluste zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren,
Ist das wirklich in allen Bereichen so? Welche Staats- und Wirtschaftsform würde den @cooper75 besser gefallen? Wenn konstruktive Vorschläge kommen, Hut ab.
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