Nur für bestimmte Berufsgruppen den Mindestlohn erhöhen?
So wie ich das aus einer Mitteilung herausgelesen habe, ist eine weitere Erhöhung des Mindestlohnes von bis zu 20,50€ im Gespräch, aber diese soll ausschließlich für Pflegekräfte gelten. Davon mal abgesehen, ob die Höhe des Mindestlohnes realistisch ist, frage ich mich, wieso nur für die Pflegekräfte? Was haltet ihr von solchen differenzierten Mindestlöhnen? Besteht da nicht die Gefahr, dass man bestimmte Berufsgruppen gegeneinander ausspielt und wäre solch ein Ansinnen überhaupt wünschenswert und durchsetzbar?
Was ist denn so besonders als Branchenmindestlöhnen? Die gibt es in ganz vielen Bereichen, nicht nur in der Pflege. Da sind die tatsächlich noch recht jung und wurden erst 2019 eingeführt. Aber auch Gerüstbauer, Zeitarbeiter, Sicherheitskräfte an Flughäfen, Schlachter, Dachdecker, Maler und Lackierer, Steinmetze oder Schornsteinfeger haben einen Branchenmindestlohn. Und der gilt grundsätzlich für in diesem Bereich beschäftigte Arbeitnehmer, auch wenn diese von einem Unternehmen im Ausland entsendet werden.
Das verhindert Lohndumping in Deutschland und die Ausbeutung von Mitarbeitern aus anderen Ländern. Dazu frage ich mich wirklich, was an einer Erhöhung des Pflegemindestlohns für dreijährig examinierte Fachkräfte so unrealistisch sein soll. Tarifgebundene Arbeitgeber in NRW bezahlen Berufsanfängern bereits heute so viel, erfahrene Kräfte liegen jetzt schon bei 25 Euro und mehr pro Stunde. Die Zuschläge und ein möglicher Dienstwagen sind da noch gar nicht inbegriffen.
Warum sollen Privatanbieter auf Kosten der Mitarbeiter Renditen für Anleger erwirtschaften, nur weil die, die die Arbeit machen, grottenschlecht bezahlt werden? Der öffentliche Dienst und die kirchlichen Arbeitgeber zahlen doch jetzt schon deutlich mehr. Heime aus der Privatwirtschaft sind auch nicht billiger. Hier zahlen jedenfalls die meisten Arbeitgeber ihren Pflegekräften jetzt schon mehr. Und das ist gut so. Es ist eben doch etwas mehr, als nur der netten Omi den Popo abzuwischen.
Eine Mindestlohnerhöhung klingt immer so, als ob nun alle dasselbe tun würden, seien sie nur als Beschäftigte in einer bestimmten Branche tätig. Dabei wird und wurde früher schon stärker differenziert. Einmal eine Basis für alle, dann je nach Problemarbeitsgebiet auch sogenannte "Erschwerniszulagen".
Beispielsweise bei einem Chemieunternehmen hieß das dann so: "Besteigen der Anlage von der Westseite bei Schlechtwetter". Oder: "Tanksäuberung von innen bei schlechter Zugänglichkeit". Oder: "Zuschläge mit Oleum unter Vollmaske". Je nachdem gab es dann zum Stundenlohn noch 5- 20 % Zulage je nach Gefährlichkeit und prozentualer von der Berufsgenossenschaft ermittelter Unfallhäufigkeitsstatistik.
Aber fest steht dann, dass bei definierter Wochenarbeitszeit nie unter Mindestlohnniveau verdient werden soll. Und eine Obergrenze für Überstundenanzahl gibt und gab es auch. Die Schichteinteilung war, soweit mir bekannt ist, damals Früh-, Spät-, Nachtschicht, dann eine ganze Woche frei bei vollem Lohnausgleich mit Mindestlohn.
Gorgen, in der Pflege wird ja auch differenziert. Ungelernte erhalten weniger Mindestlohn, aber auch diese bekommen mehr als den allgemeinen Mindestlohn. Einjährig examinierte Mitarbeiter bekommen mehr als angelernte und die Fachkräfte mit dreijähriger Ausbildung stehen eben mit dem höchsten Pflegemindestlohn da.
Aber tarifgebundene Arbeitgeber bezahlen halt erheblich mehr, das gilt insbesondere mit steigender Berufserfahrung. Dazu kommen verschiedene Zulagen und Jahressonderzahlungen sowie eine brauchbare betriebliche Altersvorsorge. Und faire Anbieter aus der freien Wirtschaft orientieren sich zumindest hier in der Region an den Tarifen. Tatsächlich ist der Pflegemindestlohn ein Armutszeugnis, das vor noch mehr Ausbeutung schützt.
Die ganze Sache wird auch dann relevant für den Arbeitnehmer, sollte er vielleicht betriebsbedingt gekündigt werden und somit Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten. Früher, vor der Mindestlohnregelung wurde auf Durchschnittslohn bei Zugrundelegung einer 37,5 Stunden-Woche rückgerechnet.
Die ursprüngliche Absicht der Gewerkschaften, die diese Stundenbegrenzung favorisierten, war, die Überstunden abzuschaffen und für diese Vakanzen dann Platz für neue Arbeitnehmer schaffen zu lassen, womit die Arbeitslosenzahl reduziert werden würde.
Tatsächlich kommen viele Arbeitnehmer, gerade im Baugewerbe oder im Schichtbetrieb im Produktionssektor bei Hochkonjunktur und übervollen Auftragsbüchern nur durch die Anhäufung von Überstunden auf ein Lohnniveau, das dem "normalen" Tariflohn entspricht.
Diese in diesem Zusammenhang mit der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit stehenden Sozialabgaben werden vom Staat "einkassiert". Allerdings werden diese Zeiten nicht umgekehrt als Grundlage für die Arbeitslosengeldzahlung herangezogen. Überstunden und Wochenend-, sowie Nachtarbeitszuschläge fallen durch das Berechnungsraster, obwohl sie vorher bereits stärker "besteuert" worden waren. Im Endeffekt können dann die Arbeitslosengeld-Zahlungen unter einer Mindestlohnniveau-Berechnung liegen.
Und das ist ja der Vorteil einer gerechten Mindestlohnverordnung. Auch die Berechnung einer später vielleicht in Anspruch zu nehmenden staatlichen Transferleistung kann dann nicht unter dieses Niveau sinken.
Das kannst du jetzt so pauschal auch nicht sagen. Viele Zuschläge sind steuer- und sozialabgabenfrei. Dafür hattest du keine Abzüge und bekommst im Gegenzug keine Sozialleistungen dafür. Hast du für die Zuschläge Sozialabgaben geleistet, fließen diese beispielsweise auch in die Berechnung des Arbeitslosengeldes ein. Überstunden dagegen fallen nicht unter regelmäßig gezahltes Arbeitsentgelt. Oder hast du plötzlich ein Recht auf Überstunden?
Die branchenbezogen Erhöhungen beim Mindestlohn gibt es schon wesentlich länger als seit 2019. Ich kann mich da an Erhöhungen knapp nach der Jahrtausendwende erinnern, wo jedes Jahr eine Branche angehoben wurde. Ich habe da wage etwas in Erinnerung, dass damals die Beschäftigen im Bereich Sicherheitsdienst mit bei den ersten Branchen waren. Die haben ja damals wirklich einen Hungerlohn verdient und nur dank diverser Zuschläge hatten sie halbwegs vernünftige Einkommen.
Und ja, ich fand das damals schon eine sinnvolle Lösung, wenn man alle 6 bis 12 Monate maximal 2 Branchen abgehoben werden. Denn dadurch sind nicht so extreme Preissteigerungen entstanden, wie wir sie jetzt beobachten konnten, als der Mindestlohn für alle im letzten Jahr einen größeren Sprung gemacht hat.
Punktedieb, niemand hat behauptet, dass es branchenspezifische Mindestlöhne erst sein 2019 gibt. Aber der Pflegemindestlohn, der nicht nur Ungelernte, sondern auch Fachkräfte betrifft, ist erst da beschlossen worden. In den zehn Jahren davor gab es es in der Pflege lediglich eine Lohnuntergrenze für Mitarbeiter ganz ohne Ausbildung. Dass jetzt sogar dreijährig Examinierte eine Lohnuntergrenze brauchen, ist ein Auswuchs, der nichts Gutes bedeutet. Faire Arbeitgeber liegen da deutlich drüber.
Branchenspezifische Mindestlöhne gibt es seit 1996. Und die haben überhaupt nichts mit der Inflation zu tun. Die beruhen auf den Vorgaben des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, das Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen und den Löhnen für bestimmte Branchen sicherstellt. Das ist ein Schutz für die heimischen Unternehmen und Arbeitnehmer. So wird verhindert, dass Firmen aus Osteuropa z. B. Gerüstbauer zum Spottpreis nach Deutschland schicken und die Angebot der hiesigen Betriebe und die Löhne der Mitarbeiter weit unterbieten.
Wie ein oft wird hier über zwei völlig verschiedene Dinge diskutiert, einerseits über den allgemeinen Mindestlohn, den es noch nicht so lange gibt, und andererseits über einen branchenspezifischen Mindestlohn, den es schon lange gibt. Vielleicht sollte man erst mal klären, über was man eigentlich diskutieren möchte.
Blümchen, exemplarisch angeführt wurde der Mindestlohn in der Pflege. Und der ist in der Basisform für Ungelernte jünger als die anderen Branchenmindestlöhne und in der differenzierten Form eben erst 2019 beschlossen worden und seit 2020 in drei Stufen gültig. Das erklärt den im Anfangsbeitrag als noch empfundenen Mindestlohn von bis zu 20,50 Euro.
Allerdings sollen ungelernte Hilfskräfte zum ersten Mai 2024 15,50 erhalten und an Juli 2025 16,10 Euro. Mit mindestens einjähriger Ausbildung sind 16,50 Euro und 17,35 Euro angedacht. Und erst dreijährig Examinierte erhalten 19,50 Euro und später 20,50 Euro. Zusätzlich zu den Stufen sollte man eben auch die Laufzeiten im Auge behalten.
Das ist die Grundlage für die Frage, die sich aber generell auf branchenspezifische Mindestlöhne und nicht den Pflegemindestlohn bezieht. Dass das generell nichts Neues ist und in vielen Branchen üblich, ist doch eine legitime Antwort. Ebenso ist doch wohl die Einordnung der Höhe im Vergleich zu geltenden Tarifverträgen sinnvoll, oder. Sonst hat man doch keine Vorstellung davon, ob der Pflichtlohn für die Branche noch ist oder nicht. Und warum es diese Vorgaben gibt, ist auch eine passende Information.
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