Bei Trauma eher Ablenkung oder Therapie sinnvoll?
Eine Bekannte von mir hat leider in der 38. Schwangerschaftswoche ihr Baby tot zur Welt bringen müssen und ist dementsprechend total fertig. Im Freundeskreis wird auch schon diskutiert, wie wir ihr helfen können. Sie zieht sich im Moment eher zurück und braucht Zeit für sich, was in Ordnung ist.
Nun meint ein Kumpel von mir, dass in so einer Situation eine Familientherapie sinnvoll wäre und ansonsten würde nur Ablenkung und Verdrängung helfen. Ich finde das aber offen gesagt irgendwie widersprüchlich. Bei einer Therapie muss man sich ja direkt damit auseinandersetzen und alles verarbeiten.
Wie soll das mit Ablenkung vereinbar sein? Versteht ihr die Logik dahinter? Haltet ihr bei einem traumatischen Erlebnis Ablenkung für sinnvoller oder würdet ihr doch zu einer Therapie raten? Kann beides miteinander kombiniert werden oder haltet ihr das für sinnfrei und kontraproduktiv?
Wenn "ein Kumpel von dir" nicht gerade eine Ausbildung oder sonstige Erfahrung im Bereich Lebenskrisen aller Art hat, wird er genauso wenig beurteilen können, wie man mit einer derartigen Situation umgeht wie die ganzen schlauen Menschen im Forum hier, mich eingeschlossen. Ich denke, dass man hier nicht pauschal mit irgendwelchen gut gemeinten Empfehlungen um sich werfen sollte, weil jeder anders auf derartige Tragödien reagiert, und weil es ebenfalls naiv ist zu glauben: "Deine Welt ist auseinandergefallen, aber wenn du Therapie machst/zum Sport gehst/möglichst schnell wieder schwanger wirst, bist du bald wieder normal und deine Umwelt kann wieder zur Tagesordnung übergehen!".
Manchmal ist es eben so, dass jemand, dem etwas Schreckliches widerfahren ist, auch einfach nur Zeit braucht, um sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen und jede Hilfe und jeder gute Ratschlag von außen sowieso nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen. Manche Menschen machen das mit sich selber aus, andere brauchen jahrelange Therapie und wieder andere verfallen dem Alkohol oder was auch immer. Aber pauschal zu sagen: Da machst du dieses und jenes, dann wird das schon wieder!, erscheint mir schon eher vermessen als irgendwas sonst.
Ich finde es schwierig, wenn man ihr dazu raten will, was richtig ist. Ablenkung kann es nicht bringen, denn sie hat ein Kind verloren, was will man machen, um sie davon abzulenken? Sicherlich würde eine Bearbeitung oder eine Aufarbeitung des Themas Sinn machen, aber da muss man dann auch erstmal so weit sein. Das geht nicht sofort und wenn man sich das erzwingt, dann bringt es nichts. Es ist sicherlich gut zu sagen, dass man da ist, einfach da sein, ihr zuhören, wenn sie reden will und nicht kleinreden. Erst recht aber auch nicht sagen, dass man das nachempfinden kann, denn das kann man nicht.
Es gibt Selbsthilfegruppen für Betroffene, vielleicht ist das in Zukunft etwas oder auch im Internet Gruppen. Vielleicht kann man ihr dazu raten, weil dort Leute schreiben oder sich austauschen, die selber betroffen von dem Thema sind. Das ist sicherlich noch mal besser, als mit der Familie darüber zu reden und die traurigen Blicke geliebter Menschen zu sehen, während man selber leidet.
Es wäre sinnvoll, wenn Amateure nicht mit psychologischen Fachbegriffen und Diagnosen um sich werfen würden und Schicksalsschläge und Trauer nicht als Defekte ansehen würden, die es möglichst effizient zu bekämpfen gilt, damit die Betroffenen in Rekordzeit wieder funktionieren und unterhaltsam sind. Wo bleibt denn da die viel besungene und überall gepredigte Empathie?
Wie begeistert wärt ihr denn, nach maximal ein paar Wochen Schonzeit wieder "unter Leute" gezerrt zu werden, weil Ablenkung ja so wichtig ist, um möglichst gut zu "verdrängen", dass man ein totes Baby zur Welt bringen musste oder was das Leben sonst noch an Lustigkeiten bereithält? Und wenn man als Betroffener nach einem von Außenstehenden frei zu bestimmenden Zeitraum immer noch traurig und langweilig ist und sich zurückzieht, muss irgendeine "Therapie" her, weil das Umfeld allmählich die Schnauze voll hat von dem Gejammer. Damit wird nur den Leuten geholfen, die selber verdrängen möchten, dass das Leben nicht nur eitel Sonnenschein ist und dass es buchstäblich jeden treffen kann.
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