Was haltet ihr von einem digitalen Medizinstudium?
Ich habe gelesen, dass man bald Medizin auf neuartige Weise studieren kann und das auf Malta. Die Studierenden müssen dafür nicht in Malta leben und arbeiten, es gibt keine klassischen Vorlesungen und Seminare und alles soll in digitaler Form stattfinden. Das Studium soll allerdings 19.500 Euro pro Jahr kosten. Was haltet ihr von so einem digitalen Medizinstudium? Meint ihr, dass die Qualität des Studiums darunter leiden wird? Ist so ein Studium eine gute Alternative für die Bewerber, die in Deutschland leider keinen Medizinstudienplatz bekommen?
Ich persönlich sehe das sehr kritisch, da ich einfach nicht glaube, dass man bestimmte Handgriffe und Fertigkeiten dieses Studiums rein theoretisch und digital vermitteln kann. Die Medizin ist ein sehr praktisches Fach und lässt sich nicht durch Fachwissen allein beherrschen. Die Berufskompetenz steht und fällt letztendlich mit der Ausübung der Tätigkeit am Menschen direkt und auch einer entsprechenden Sozialkompetenz im Umgang mit den Patienten. Findet diese gar nicht oder erst zu spät im Studium Eingang in den Unterricht, dann merkt manch einer womöglich erst mit deutlicher Verzögerung, dass der Job eigentlich gar nichts für ihn ist.
Meiner Meinung nach ist es schon ziemlich schwer zu vertreten, dass an den meisten deutschen Unis bis zum Physikum nach dem 4. Semester kaum ein Student persönlichen Kontakt zu kranken Menschen bekommt oder ein Klinikum außerhalb der vorgeschriebenen Pflegepraktika mal von innen betritt. Betrachtet man die Studiumsmodelle der USA und anderer Länder, dann ist das "Bedside-Teaching" dort quasi ab dem ersten Tag Inhalt des Unterrichts.
Natürlich hat man zu diesem Zeitpunkt noch keinen blassen Schimmer, was man mit den Patienten anfangen soll, aber man tritt zumindest schon in Kontakt und sieht die Realität, und man erhält über die Länge des Studiums weitaus mehr praktische Übungsmöglichkeiten. Bei einem digitalen Studium würde dies völlig in den Hintergrund treten und meiner Meinung nach auch die Qualität des Abschlusses beeinträchtigen.
Gerade im Medizinstudium finde ich das wirklich fahrlässig. Wie hat man denn dann Praxiszeiten? Wie wird einem beigebracht, wie man mit einem Patienten zu sprechen hat, wie wird einem gezeigt, wie Teile aus dem Buch beim Menschen aussehen, wie man einen Schnitt setzt und so weiter? Das dürfte alles schlecht umsetzbar sein, wenn man nicht anwesend ist und keinerlei Möglichkeit haben wird in Deutschland an einer Leiche zu stehen, die man dann entsprechend bearbeiten kann.
So ein ähnliches Angebot wurde früher einmal als letzte Chance genutzt, ein in Deutschland regulär begonnenes Medizinstudium fortzusetzen, wenn eine Zulassung zur Wiederholungsprüfung von den Behörden verwehrt wurde.
Auch wurde das Studium der Medizin in Deutschland von Grund auf reorganisiert, und der Begriff "Physikum" wurde durch "1. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung" ersetzt, die Bestehensregeln der schriftlichen Prüfungen auf 75 % der richtig zu beantwortenden Fragen erhöht. Die neue ÄApprO geht in die letzte Runde der Inkraftsetzung im Jahre 2025.
Gerade im letzten Prüfungsabschnitt ist die Praxisnähe nicht mehr zu übersehen. Es findet eine mündliche Prüfung statt, bei der es sehr auf korrektes Erscheinungsbild und ganzes Einbringen der Persönlichkeit des Prüflings neben dem profunden Kenntnisstand mit ausgearbeitetem Referatscharakter ankommt.
Auch in diesem Zusammenhang wurde früher von den Studikern bemängelt, dass die Tagesform der Professoren und deren subjektiver Eindruck vom Prüfling zu einer Verzerrung der Beurteilung beitragen würde. Den allzu großen Einfluss der Professorenschaft wollte man in der vor etlichen Jahren durchgeboxten Umgestaltung von BO (Bestallungsordnung) zu AO (Approbationsordnung) eindämmen.
Und genau zu dieser Ausgestaltung und Prüfungsmethode ist man nach Jahrzehnten wieder zurückgekehrt. Im Gegenteil, die Sache mit den Prüfungen ist nicht einfacher geworden, und jeder, der es bis zum Ende geschafft hat, darf sich zu Recht zu einer Elite gehörig zählen. Ein Ärztemangel ist m.M.n. auch eine gewisse Folge davon.
Kein Wunder, dass schon früher clevere Unternehmen ihre Chance darin sahen, ein virtuelles Studium für Durchfaller anzubieten. Allerdings ist deren Tätigkeit nur aus dem Ausland möglich. Hier
Um nun genauer auf die Frage des TO einzugehen: Der Begriff "Digitalisierung" wird allzu oft als das Zauberwort und als Allheilmittel für alle möglichen Dinge angesehen. Sich Kenntnisse anzueignen, gerade im Bereich der Chirurgie, einzig und alleine mit VR-Brille von Ferne, ist fahrlässig.
Aus Sicht eines Patienten würde ich mich wohl eher nicht freiwillig einem Arzt anvertrauen, der sein Studium in digitaler Form bzw. bei einer Art Fernstudium absolviert hat. Medizin ist ja doch ein Fachbereich, bei dem es nicht nur auf theoretisches Wissen ankommt, sondern auch auf reichlich praktische Erfahrung, und wenn so ein digitales Studium nicht früher oder später auch eine praktische Komponente beinhaltet, würde ich dem auf diese Weise erworbenen Fachwissen nicht allzu viel echte Kompetenz zutrauen.
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