Erst macht er sich an mich ran, dann bin ich sein Seelsorger
Ich habe ja geschrieben, dass mir ein älterer Herr seine Telefonnummer hat zukommen lassen. Ich dachte erst, der will eben nur jemanden zum Quatschen, weil ich den von Arbeit aus kannte. Aber das wollte er nicht, er hat eine Affäre gesucht. Dann habe ich ihm erklärt, dass ich einerseits schon jemanden habe und dass ich andererseits generell sehr wenig an Sex interessiert bin und dass ich daher auch dann, wenn ich keinen Freund hätte, sexuelle gesehen zu unmotiviert wäre, um etwas mit ihm anzufangen. Also dass es quasi nicht an ihm liegt, sondern ich eben generell nicht so viel Lust habe. Das hat er auch verstanden, wenngleich er es komisch fand.
Ich hab ihm auch erklärt, dass das bei mir schon immer so war und dass er gar nicht hoffen braucht, dass sich das ändert und dass ich froh bin, in meinem Freund jemanden gefunden zu haben, der auch relativ wenig Lust hat.
Nun hat unsere Kommunikation irgendwie eine merkwürdige Wendung bekommen. Ich hab das Gefühl, der ältere Herr hat niemanden groß zum Reden. Erst bekam ich eine Mail, in der er mir den Verlauf seines Lebens beschrieb und was in der Schule alles schief ging und dass er seinen Beruf nicht so mag und auf die Rente wartet. Dann deutete er an, dass er auch heimlich auf Männer stehe (also bisexuell ist) und dass er das aber vor seiner Frau verbergen müsse usw. Da hab ich mich schon gefragt, warum er mir das jetzt erzählt. Das wirkte so, als will er das gerne mal loswerden, aber hätte sonst keinen, dem er das erzählen kann.
Nun ehrt mich das ja, dass dieser Mensch, obwohl ich ihm sehr deutlich gemacht habe, dass ich keine Affäre möchte, weiter schreibt und mich dann gewissermaßen als Seelsorger sieht. Aber so gerne höre ich mir solche Geschichten gar nicht an. Ich will das gar nicht so genau wissen, mit wem er sich da wann wo heimlich trifft. Das ist ein bisschen eklig für mich.
Andererseits habe ich ihm auch mal geschrieben oder angedeutet, dass ich mit einem meiner Jobs nicht so zufrieden bin und da kam echt eine tolle Antwort zurück mit guten Tipps, die mir tatsächlich weitergeholfen haben. Von daher ist es vielleicht auch ein wenig meine „Pflicht“ mir das mal anzuhören (zu lesen), was er eben unbedingt loswerden möchte, weil er mir ja auch geholfen hat.
Warum schreibt der mir das wohl? Ob er sein Gewissen erleichtern möchte? Kann ja sein, dass der niemandem zum Reden hat. Könnte aber auch sein, dass er generell gerne über solche Dinge schreibt und ihm das irgendwas gibt? Richtig genau beschreibt er es ja nicht, also es kommen keine unappetitlichen Einzelheiten vor, aber ich bin bei solchen Themen generell etwas distanziert. Ob es meine Pflicht ist, mir das anzuhören (zu lesen), weil er mir auch geholfen hat?
Du hast ihm einen großen Einblick in deine sexuelle Denkweise gegeben und wunderst dich über solche Mitteilungen? Ich würde einfach denken, dass er einen anderen Weg sucht sein Ziel zu erreichen. Er jammert dir einen vor und hofft, dass du Mitleid mit anderen Gefühlen verwechselst. Nicht mehr und weniger ist dahinter zu sehen.
Wobei ich mich frage, was es ihn denn überhaupt angeht, dass du generell wenig Lust auf sexuelle Erlebnisse hast. In einem solchen Fall gibt man doch eher nur von sich, dass man keine Affäre sucht und fertig. Ob man einen Partner hat oder nicht, geht diese Person doch auch nichts an.
Ich finde, dass man schon davon ausgehen kann, dass er sich dir nun anvertraut, wenn du ihm so intime Sachen von dir verraten hast und das Thema eben auch angefangen hast. Ich sehe aber keine Pflicht, heißt du musst nicht darauf antworten und solltest auch sagen, wenn du solche Sachen nicht lesen willst.
Auf der anderen Seite finde ich es für ihn wirklich schwierig, wenn er niemanden zum reden hat und kann dich da auch recht wenig verstehen. Auf der einen Seite redest du über intime Sachen, willst dann aber doch nicht darüber reden. Der Mann kann einen da schon Leid tun, zumal er ja wirklich niemanden zum Reden hat und das sicherlich für ihn auch ein besonderer Schritt war.
Du solltest dir nun wirklich überlegen, was du von ihm willst. Eine Freundschaft würde bedeuten, dass man auch Probleme bespricht, lockeres Schreiben dürfte hier nicht mehr drin sein, also entweder Problembesprechung auf beiden Seiten oder nichts. Ich finde es auch wirklich fies ihm gegenüber, wenn du dann nicht die Sache beendest und absolut genervt bist wenn er schreibt, das hat er ja nun auch nicht verdient.
Das habe ich aber auch erst geschrieben, nachdem er relativ viel von sich preisgegeben hatte. Also das war dann schon eine sehr asymmetrische Informationsverteilung in dem Sinne, dass ich da recht viel von diesem Menschen wusste. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mitunter irgendwelche Ambitionen, sich an mich ranzumachen, schnell abstellt, wenn ich klar sage, dass ich dahingehend generell eher lustlos bin. Wer mit mir nach dieser Aussage nachher noch Kontakt hatte, wollte dann auch wirklich nur einen kommunikativen Austausch.
Ich bekomme ja auch die einen oder anderen Angebote auf normalerweise recht harmlosen Seiten wie Jappy. Wobei ich da nie das Gespräch zu fremden Leuten suche, sondern dort einen festen Freundeskreis habe. Selbst wenn mich da jemand anbaggert, verweise ich einfach nur auf mein Profil, wo deutlich steht, dass ich verheiratet bin und das dazu auch noch glücklich. Zu meinen sexuellen Interessen würde ich nie ein Wort schreiben, auch wenn da manche Männer wahre Romane verfassen, um sich ins rechte Licht zu rücken.
Auch auf die Gefahr hin, dass du es wieder als Beleidigung auffasst. Aber ich finde deinen Umgang mit deinen Daten, wie Mailadresse und Handynummer gegenüber Männern recht naiv und freizügig. Und mich wundert es dann gar nicht, dass man eben mehr erreichen will, wie nur eine platonische Freundschaft.
Selbst als ich neu hier in die Stadt gezogen bin, habe ich Kontakte nur auf Seiten gesucht, wo man eben unter Pseudonym agieren konnte. Eben einfach deswegen, damit ich mir solange wie möglich meine Privatsphäre wahren konnte. Vielleicht solltest du auch etwas zurückhaltender werden, was deine persönlichen Daten angeht.
Ich finde, dass du hier einfach selbst Schuld bist und so ein Verhalten von den Männern auch provozierst und es eben anders interpretiert wird als du es ursprünglich meintest. Das fängt zum Beispiel damit an, dass du deine privaten Daten weitergibst. Dann sprichst du Themen an wie Sexualität in allen Details, die niemanden etwas angehen. Da ist es doch kein Wunder, dass da mehr interpretiert wird als du eigentlich wolltest. Du scheinst keine stark ausgeprägte Empathie und Sozialkompetenz zu haben.
Ich kann sehr gut verstehen, dass du dich in dieser Situation unwohl fühlst. Es ist schon eine Herausforderung, wenn man von jemandem kontaktiert wird, der offensichtlich etwas ganz anderes möchte als man selbst. Du hast dem Mann ja auch bereits sehr deutlich gemacht, dass du keine Affäre willst und dass du auch generell wenig Interesse an Sex hast. Deshalb kann ich auch nachvollziehen, dass es für dich schwierig ist, wenn er dir jetzt seine persönlichen Geschichten und Probleme erzählt. Das kann ja schnell mal unangenehm werden.
Auf der anderen Seite hast du auch schon gemerkt, dass er dir in der Vergangenheit schon gute Tipps gegeben hat, als es um deinen Job ging. Vielleicht sieht er in dir auch einfach eine gute Zuhörerin, bei der er sich etwas von der Seele reden kann. Ich glaube, es kann durchaus hilfreich sein, wenn man sich einfach mal jemandem anvertraut und das Gefühl hat, dass man nicht alleine ist mit seinen Problemen. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum er dir jetzt seine Geheimnisse offenbart. Er hat gemerkt, dass du ihm zuhörst und ihm geholfen hast.
Ob es jetzt aber deine Pflicht ist, ihm auch bei seinen persönlichen Problemen zu helfen, das musst du selbst entscheiden. Ich denke, es ist immer gut, wenn man sich gegenseitig unterstützt und füreinander da ist. Aber wenn du wirklich merkst, dass es dir zu viel wird, dann solltest du das auch kommunizieren. Du kannst ihm ja sagen, dass du gerne zuhörst, aber dass du mit manchen Themen nicht so gut umgehen kannst. Das ist ja auch vollkommen okay.
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